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Ausgabe:

1968

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

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fc9

Besprechung an dieser Stelle wird sich daher weniger auf inhaltliche
Einzelheiten als auf methodische Grundzüge zu bezichen
haben. Dabei kann der jüdische Beitrag außer Betracht gelassen
werden, da in ihm legitim das religiös-theologische Interesse
dem historisch-politischen untergeordnet war.

Die Vortragenden befanden sich in sehr verschiedenen Lagen.
Während Prof. Cullmann in einer Pfarrkirche seiner engeren Gemeinschaft
sprach, war das Auftreten eines röm.-kath. Theologen
an derselben Stelle ein Wagnis. Die Vertreter der Alt-Katholiken
(die dritte „Landeskirche" der Schweiz), Anglikaner und Orthodoxen
konnten in dieser Ordnung absteigend damit rechnen, daß
Angehörige ihrer Gemeinschaft anwesend waren bzw. mußten
sich entsprechend mehr an die Außenstehenden wenden.

Verschieden war ferner das Maß, in dem die Redner im Namen
der im Titel ihres Vortrags genannten Gemeinschaft sprechen
konnten. Hinsichtlich der röm.-kath. Seite waren die auf
dem Konzil zutage getretenen Unterschiede natürlich ein Hauptthema
dieser Vorträge. Es wurde jedoch durchweg anerkannt,
dafj gerade in ihrer bedauerten Unvollkommenheit die Konzilstexte
als für die röm.-kath. Kirche verbindlich zu betrachten sind.
Prof. Nissiotis beklagte, daß das Konzil von der orthodoxen
Kirche im Plural sprach; von den Unterschieden, die sich in der
Reaktion der Ostkirchen auf das Konzil zeigten, hätte man aber
gern mehr gehört. Der Anglikaner und in geringerem Umfang
der Christkatholik erwähnten, daß verschiedene Richtungen in
ihren Gemeinschaften durch das Konzil unterschiedlich berührt
würden (139, 118 f.). In Cullmanns Vortrag dagegen wurde auf
Unterschiede unter „den Protestanten" nicht eingegangen; der
Hinweis auf die Unterschiede zwischen den exegetischen Schulen
(34) genügt kaum, wenn man an konkrete Fragen wie die der
Mischehen denkt.

Verschieden war endlich das Ausmaß, in dem die nicht-röm.-
kath. Redner die Möglichkeit oder gar Notwendigkeit in Betracht
zogen, daß ihre Gemeinschaften ihrerseits gewisse Schritte
zu machen hätten. Am konkretesten tat dies wieder der Anglikaner
(das Wort „Herausforderung" S. 148 soll zweifellos c h a 1 -
1 e n g e widergeben) und in allerdings entscheidend eingeschränkter
Weise („voraussichtlich auch der zukünftigen röm.-kath. überlegen
", S. 119) der Christkatholik. Von dem, was auf protestantischer
Seite zu tun wäre, sprach Cullmann nur in formalen Ausdrücken
wie „Erneuerung", „Läuterung" und „Vertiefung" (46); das
„Lernen vom Konzil für unsere Beziehungen zu den kath. Brüdern
" (48) beschränkte sich auf die Feststellung der Bewegung
auf kath. Seite.

Diese letztere Verschiedenheit hängt natürlich zusammen mit
den Stufen der Betroffenheit durch das Konzil. Nissiotis wies darauf
hin, daß diese Betroffenheit in der Ostkirche weit geringer
war als in der Westkirche. Ferner wäre zu betrachten, daß in
den verschiedenen Gemeinschaften Theologen und Laien höchst
unterschiedlich betroffen sind. In Prof. Feiners Aufzählung der
vom Konzil in Betracht gezogenen Punkte, in denen „die Christenheit
eine andere geworden ist" (59), fehlt der, daß der
immer zerstritteneren Schar der nuclears (Praktizierender
oder im theologischen Sinne einigermaßen Gläubiger) das Heer
von marginals, ja nominals (ich benutze die Terminologie
des Pastoralsoziologen Fichter) gegenübersteht. Entscheidender
als die Verschiedenheit in Glaubensvorstellungen und
Gebräuchen ist heute die Gemeinsamkeit im Absinken der Relevanz
des Theologischen innerhalb der hier betrachteten Gemeinschaften
. Nur in dem jüdischen Beitrag wurde deutlich, daß die
populäre Problematik neben der theologischen ihre eigene Bedeutung
hat. Vor einem Laienpublikum hätte darüber schonungsloser
gesprochen werden sollen, wenn die Themafrage in einer
dem Konzil entsprechenden Weise für das ganze „Volk Gottes"
beantwortet werden sollte.

Am einigsten waren sich die christlichen Redner in der Gegenüberstellung
von „biblisch-heilsgeschichtlichem Denken" und
dem mit einen Katalog abwertender Epitheta bedachten „statisch
-scholastischen" Denken, wobei lediglich der altkatholische
Sprecher wenigstens noch für die Patristik eintrat. Das meiste
von dem, was Nissiotis als das die orthodoxe Tradition Auszeich-

ro

nende beschrieb, unterscheidet diese Tradition nicht allein von
der röm.-kath., sondern von der gesamten „lateinischen" (165),
der klassischen lutherischen und reformierten sogar in besonderem
Maße. Selbst die Altkatholiken härten zu bedenken, daß
sie eine Dankesschuld an den Güntherianismus haben, der sich
nicht gerade durch „geschichtlich-lebendiges Denken" (115) auszeichnete
. Daß schon das Wort „Denken" nicht im gleichen Sinne
auf „die Bibel" und die Judentum und Christentum gemeinsame
theologiewissenschaftliche Tradition anwendbar ist, blieb unerwähnt
. Man darf fragen, wie viele der Zuhörer einigermaßen
greifbare Vorstellungen mit dem (an keiner Stelle erläuterten)
Zauberwort „heilsgeschichtlich" verbanden. Der heute mit ähnlicher
Selbstverständlichkeit verwandte Ausdruck „ganz biblisch"
erweckt, jedenfalls bei Laien, die Vorstellung von den Heiligen
Schriften als einem Monolith (139), zu der die Freude über den
kath. Anschluß an die fortschrittliche Exegese kaum paßt.

Alle Redner beschritten den Konzilstexten gegenüber den üblichen
Weg: Auf Anerkennung des Erreichten folgen Klagen über
das Vermißte. Indem keiner der Redner die Gelegenheit ergriff,
den vorwiegend nicht-röm.-kath. Zuhörern erst einmal positiv
vorzustellen, was der Mittelpunkt, etwa des Kirchenbegriffs oder
der Liturgie, ist, ließen Anerkennung wie Kritik die Wirklichkeit
vermissen, nach der gerade Laien heute mit ungewöhnlich
strengen Maßstäben suchen. Trotzdem war die Gesamtheit dieser
sechs Monologe ein Ereignis. Ein Rezensent, der seine Sympathie
mit dem Grundtenor seit rund einem Mcnschenalter betätigt
hat, darf sich das Wort O. Cullmanns zu eigen machen:
„Es gehört jetzt fast Mut dazu, vor ökumenischen Illusionen zu
warnen" (48).

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 1