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Ausgabe:

1968

Spalte:

58-60

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Was bedeutet das Zweite Vatikanische Konzil für uns? 1968

Rezensent:

John Henning

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 1

58

ser muß es nachdenklich stimmen, und Schütte versäumt nicht,
darauf hinzuweisen, daß die Übereinstimmung im .Nein" gegenüber
dem römischen Katholizismus in der „protestantischen"
Theologie bei weitem ausgeprägter ist als die im „Ja", im Verständnis
dessen, was christlicher Glaube nach ihrem Verständnis
ist und beinhaltet. Schütte läßt die Frage zunächst offen, ob es
sich hierbei um ein die innerprotestantischen Gegensätze über
bietendes, substantiiertes „Nein" handelt, oder um eine mehr
oder weniger gleichsam automatische Weiterbewegung in einer
durch eine bestimmte historische Entscheidung nun einmal angestoßenen
Richtung. Ihrer Beantwortung ist der zweite Teil gewidmet
.

In ihm, der im 1. Kapitel den „Protestantismus im Gefolge
der reformatorischen Entscheidung" in Gestalt eines Referats
verschiedener Lutherinterpretationen der „protestantischen'' Theologie
darzustellen versucht, stößt das Buch wieder an seine
Grenze. Wer die Diskussion auch nur einigermaßen verfolgt,
weiß, wie disparat die „protestantische" Lutherinterpretation ist,
wie die gegensätzlichen innerprotestanäschen Positionen sich
gegeneinander nicht zuletzt auf einen jeweils verschieden verstandenen
Luther berufen. Schütte kennt diesen Sachverhalt. Daß
in dem an Holl anschließenden Neu-Luthertum - er erwähnt
Eiert - auf der einen und in den Barth nahestehenden Iwand
und E. Wolf auf der anderen Seite sich nicht nur grundverschiedene
theologische Positionen, sondern, analog dazu_ grundverschiedene
Lutherinterpretationen gegenüberstehen, klingt bei ihm
an. Ebenso die Berufung der Existential-Theologie - er nennt
Ebeling und Gogarten - auf Luther. Würde er sich darauf beschränken
, dieses verschiedene Lutherverständiiis darzustellen,
könnte sein Referat ein sinnvolles Unternehmen sein. Aber er
will, der Zielsetzung seines Buches folgend, mehr. Um den Unterschied
zwischen dem gegenwärtigen „Protestantismus" und
seinen „Ursprüngen und Grundlagen" herauszuarbeiten, braucht
er nun doch so etwas wie eine Darstellung von Luthers Theologie
als Basis. Sie fällt zwangsläufig viel zu schmal aus. Darüber
hinaus vermißt man unter den angegebenen Interpretationen zumindest
eine, die für einen römisch-katholischen Verfasser, der
einen Zugang zu Luthers Denkstruktur sucht, von besonderer
Bedeutung sein dürfte. „Das Ringen Luthers um die Freiheit der
Theologie von der Philosophie" von W. Link aus dem Jahre 1940.
Allerdings sucht man diese wichtige Arbeit selbst in der „Theologie
Martin Luthers" von Althaus vergeblich. Und noch etwas
wäre zu fragen. Schütte erwägt selber, ob ein Aufsuchen der
»Ursprünge und Grundlagen" des gegenwärtigen »Protestantismus
" sich in einer Darstellung der Theologie Luthers erschöpfen
kann und nicht wenigstens auch Calvin berücksichtigen müßte.
Man wird dieses Bedenken nur teilen können. Im übrigen gibt
ihm die Disparatheit der „protestantischen" Lutherinterpretationen
Gelegenheit, eine „protestantische" Not aufzudecken, von der
sich eine römisch-katholische Tugend um so vorteilhafter abhebt.
Zeigen sie nicht, „wie stark persönliche Verständnisse auf die
Interpretation einwirken"? Und, damit in untergründigem Zusammenhang
, stellen die „innerreformatorischen Gegensätze",
die in der Disparatheit des gegenwärtigen „Protestantismus" fortwirken
, nicht »Luthers Prinzip von der Eindeutigkeit, Klarheit
und Selbstauslegbarkeit der Schrift" in Frage? (S. 372).'

Das 1. Kapitel kommt im 2. Kapitel des zweiten Teils - „Protestantismus
sui ipsius criticus" - zum Ziel. Schütte geht hier
von einer Alternative aus: entweder .widersprach" „die wirkliche
Lehre der römisch-katholischen Kirche mit Sicherheit der theologischen
Erkenntnis Luthers", oder dieser hatte es - mit Lortz
(Die Reformation in Deutschland) - lediglich mit einem depra-
vierten" Katholizismus zu tun (S. 374). Er neigt mehr der Ansicht
von Lortz zu, ohne die andere Möglichkeit auszuschließen.
Indem er das „protestantische" Schriftprinzip sowohl zur Unterscheidung
des eigentlichen vom „depravierten", „unkathclischen
Katholizisimis", als auch und vor allem zur Kritik an Luther
einbringt, differenziert er seine Ausgangsfrage. Dabei ist seine
nicht diskutierte Voraussetzung die, daß zwischen der „biblischen
Lehre" und „derjenigen der katholischen Kirche" „Konti-
nttität" besteht. Sie geht nie verloren, kann aber verdunkelt werden
mit dem Ergebnis eines „depravierten" Katholizismus. Soweit
Luther auf Grund seiner Schriftauslegung gegen einen solchen
anging, bestand sein Protest zu Recht. Dann darf aber nicht
übersehen werden, daß hier eine „von ihm nicht erkannte Übereinstimmung
mit dem (erg.: eigentlichen) Dogma der römischkatholischen
Kirche" bestehen muß. Soweit er sich „in Kernpunkten
gegen die eigentliche katholische Lehre richtete", liegt dagegen
„Bruch der Kontinuität" vor, der sich als falsche Auslegung
des Neuen Testaments nachweisen lassen muß. Hier ist
Luther Irrlehrer, Häretiker. In beiden Fällen muß dann aber geurteilt
werden, daß seine »reformatorische, antipäpstliche Entscheidung
nichts anderes ... als eine Fehlentscheidung" war.
Schütte greift weit aus und deutet sein ökumenisches Programm
an, wenn er folgert: „Weil der Protestantismus seinen Ursprung
in Luthers objektiver Fehlentscheidung hat, daher muß auch der
heutige Protestantismus - soweit und solange er von dieser
Fehlentscheidung getragen wird und darin beharrt - in dieser
Hinsicht als Fehlentwicklung bezeichnet werden". (S. 468 ff.).
Solches Beharren ist aber durchaus inkonsequent. Denn der gegenwärtige
„kirchliche" „Protestantismus" hat infolge des ihm
inhärenten Schriftprinzips in Wahrheit längst begonnen, Luthers
Häresie zu revidieren und seine potentielle Katholizität zu aktualisieren
. Dieses Ergebnis füllt für Schütte die von seinem
Lehrer Ratzinger übernommene Feststellung, daß „die alte Kategorie
des .Häretischen" auf ihn nicht mehr anwendbar ist
(S.8 539 f.).

Im dritten Teil »Kurze katholische Besinnung" werden die
„überdauernden reformatorischen Motive und Prinzipien" (S. 473),
das also, was bei Luther und erst recht im gegenwärtigen »Protestantismus
" nicht häretisch ist, dann ausdrücklich als eigentlich
katholisch okkupiert. Die Frage, wieso und mit welchem
sachlichem Recht das geschieht, beantwortet für Schütte ein ek-
klesiologisch-hermeneutischer Zirkel, der trotz aller Bereitschaft
zur Selbstkritik eine grundsätzliche Infragestellung des römischen
Katholizismus und ein entsprechendes Verständnis des „Protestantismus
" nicht zuläßt. Daß es „die völlige aversio a Deo der
Kirche" nicht geben kann (S. 525), spricht nur direkt aus, was
als ekklesiologisches Selbstverständnis das ganze Buch durchzieht
Unter solchem Vorzeichen erfährt das reformatorische »ec-
clesia semper reformanda", das er aufgreift, sofort wieder eine
deutliche römisch-katholische Einengung. Schütte ahnt aber, daß
ein solches Verständnis der »Kontinuität", eine solche Hyposta-
sierung der Kirchen-, Dogmen- und Theologiegeschichte und die
mit ihr, trotz aller Betonung des Schriftprinzips, notwendig verbundene
Nivellierung der Schrift als Kriterium, die eigentliche
Kontroverse zwischen „Protestantismus" und römischen Katholizismus
sein könnte.

Er bemüht sich unverkennbar, dem „Protestantismus" in seiner
Eigenart und in seinem Gegensatz zum römischen Katholizismus
trotz aller Schwierigkeiten gerecht zu werden. Dennoch
wird man nicht ohne sehr bestimmte Einschränkungen bejahen
können, daß seine Bemühung ausreicht. Der außerordentlich umfangreiche
und komplexe Gegenstand verlangt ein angemesseneres
heuristisches Prinzip als das hier herangetragene und differenziertere
Untersuchungen, als sie in diesem Rahmen möglidi
waren.

Dortmund Eberhard H ü b n e r

(Konzil:] Was bedeutet das Zweite Vatikanische Konzil für
uns? Sechs Vorträge v. O. Cullmann, J. Feiner, H. Aldenhoven
, P. C. Rodger, N. A. Nissiotis, E. L. Ehrlich, hrsg. u.
mit einem Vorwort versehen v. W. Schatz. Basel: Fr. Reinhardt
[1966]. 217 S. 8°. Kart. DM 9.80.

Indem je ein Redner für die Protestanten, die römischen Katholiken
, die Alt-Katholiken, die Anglikaner die Orthodoxen und
die Juden zu Worte kam, zeigte diese im Frühjahr 1966 von
einer ev.-ref. Pfarrgemeinde in Basel veranstaltete Reihe eine
außerordentliche Weite. Die Sprecher sind sämtlich seit langem,
wenn auch in unterschiedlicher Direktheit, mit dem Thema befaßt
gewesen. Gemeinverständliche Vorträge hatten hier weniger
neue Erkenntnisse zu bieten als eine Auswahl des für eine
vornehmlich aus Laien bestehende Zuhörerschaft Wichtigen. Eine