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Ausgabe:

1968

Spalte:

776-777

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Ruh, Hans

Titel/Untertitel:

Die christologische Begründung des ersten Artikels bei Zinzendorf 1968

Rezensent:

Kantzenbach, Friedrich Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 10

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Die Komplexität des theologischen Denkens B.s stellt das Unternehmen
freilich vor besondere Schwierigkeiten, sofern eine „Einführung
" in Komplexe auseinanderzulegen versucht ist, was gerade
in seiner Komplexität erkannt sein will. Sch. versucht diese
Schwierigkeit so zu bewältigen, daß er in jedem .Komplex' das
Ganze der Sache der Theologie, wie es im Denken B.s gesichtet
ist, anklingen zu lassen sich bemüht.

Nach der „Einleitung: Rudolf Bultmann" (1-22), die einige biographische
Angaben bringt und die theologiegeschichtliche Stellung
der Arbeit B.s im Spannungsfeld von liberaler Theologie, dialektischer
Theologie und der Existenzanalyse M. Heideggers beschreibt
, bietet die 2. Vorlesung („Theologie als Rede von Gott",
S. 23-50), in der Sch. Schritt für Schritt in die Dialektik des Denkens
B.s und immer tiefer in die Paradoxie der Bestimmung der
Theologie als einer „unmöglichen Aufgabe" hineinführt, die
Grundlage für alle später zu erörternden .Komplexe', indem sie
den „Grund-Satz Bultmannscher Theologie" (51) erläutert: Theologie
, die vom wirklichen Gott reden soll, muß, „indem sie von
Gott redet, zugleich vom Menschen reden" (Glauben und Verstehen
I, S. 117).

Unter Anknüpfung an diesen Grund-Satz - und also in Absicherung
gegen eine blofj spekulative Versclbständigung - wendet
c'ch Sch. zuerst der Anthropologie zu: „Der Mensch" (51-72), „Un-
cigentlichkeit und Sünde" (73-98), „Eigentlichkeit und Glaube"
(99-128), und verdeutlicht dabei zugleich das Verhältnis der Theologie
zur Philosophie, wie es B. sieht und praktiziert (bes. S. 64ff.:
91-95; 103). Erst danach erörtert Sch. den christologischen .Komplex
', „das Heilsgcschehcn: Kreuz und Auferstehung." (129-150
unter Orientierung an B.s Auslegung der paulinischen Theologie),
.Das Heilsgcschehcn: Die Offenbarung" (151-175 orientiert an B.s
Auslegung des Joh.-Ev.), „Das Heilsgeschehen: Das Wort (176 bis
199) und als „Anhang" (201): „Der historische Jesus" (200-225).

„Das hermeneutische Problem" (226-277) wird von Sch. in zwei
Vorlesungen entfaltet: „Allgemeines" (226-253; von B.s Ablehnung
einer spezifisch theologischen Hermeneutik aus führt Sch. hiev
umfassend in B.s Hermeneutik ein bis hin zu B.s Begründung
der Notwendigkeit von Sachkritik), „Die Entmythologisierung"
(254-277).

Der Rundgang wird abgeschlossen mit zwei lose angefügten
Vorlesungen: „Die Ethik" (278-305) und „Die Eschatologic" (306
bis 329).

Mit großer Sachkunde werden auf diesem Wege immer wieder
Minverständnisse beseitigt, Anstöße geebnet, so dafj vor allem der
ungeübte Leser bzw. Hörer das „Gesamtgefüge" (Vorwort) der
Theologie B.s als ein wohl gefügtes Gehäuse kennenlernt -, ohne
(um im Bilde zu bleiben) ernstlich mit dem Kopfe anzustoßen.
Denn: „Kritik an Bultmanns Theologie ist nicht Aufgabe und Ziel
der Vorlesung, die jedoch kritische Hörer voraussetzt und das kritische
Urteil dieser Hörer provozieren möchte" (20). Aber nicht
um kritisches Urteil geht es primär, vielmehr um ein sachkritisches
Verstehen. Denn „Bultmanns Theologie soll uns verständlich
werden, damit wir in ihr ihren Gegenstand. Gottes Wort,
und darin möglicherweise uns selbst verstehen" (20). Aber hier
eben setzt der hermeneutische Zirkel ein, in dem B.s Theologie
nur aus ihrer Sache her und also notwendigerweise nur sachkritisch
verstanden werden kann (s. S. 251V Die Zurückhaltung
die Sch. in dieser Hinsicht übt (s. z. B. S. 19 untenV wird auch
.pädagogisch' motiviert sein; schließlich handelt es sich um eine
Einführung! Aber auch der anderen .pädagogischen' Überlegung,
daß eine Einführung nur dann fruchtbar ist, wenn sie die Auf-
aaben sichtbar macht, vor die die Theologie B.s den .Eingeführten'
heute stellt, sollte Raum gegeben werden. Das kann dem Verstehen
nur zugute kommen.

Ich wähle als Beispiel denienigen Punkt, an dem Sch.s fundierte
Darstellung nun doch zu verzeichnen droht: Den ganzen chris^o-
loqischen Abschnitt stellt Sch. unter die „leitende Frage, wie das
Kreuz Jesu als Heilsereignis erkennbar ist" (149), bzw.: „wodurch
zeichnet sich das .Tesusgeschehen vor anderem weltlichen Geschehen
aus" (175). Die Antwort wird in dem Abschnitt „Das Wort"
(176-199) gegeben: „Die Verkündigung ist es, die dem Jesusereig-
nis den Charakter der Heilstat Gottes gibt, das heißt die bloße
Tatsache, daß dieses irdische Geschehen als Heilsgeschehen verkündigt
wird, daß es als .Wort von der Versöhnung . . . gegenwärtig
ist. Einzig das Phänomen der Verkündigung zeichnet das Geschehen
um Jesus in den Jahren 1-30 unserer Zeitrechnung.....

vor allem anderen weltlichen Geschehen aus". Eine historische
Feststellung? Jedenfalls eine in einer Darstellung der Theologie
B.s erstaunliche Formulierung! Sie wird im Folgenden freilich erläutert
, so daß dem Kundigen deutlich ist; sie soll dem Hinweis
auf das Ereignis der Präsenz des Heilsgeschehens im Ereignis des
Menschenwortes als Gotteswort dienen, aber wie kann dann diese
.Antwort' überhaupt erteilt werden? Offensichtlich bleibt bei Sch.
unklar, ob die Aussagen über „Wort", „Verkündigung", „Predigt",
„Kerygma" das Ereignis der Identifizierbarkeit des Menschenwortes
als Gotteswort und so das Ereignis der Präsenz des Heils-
geschchens oder bestimmte historisch oder soziologisch bzw. stilistisch
zu fassende Sachverhalte meinen. D. h. die „Differenz zwischen
Kerygma im historischen Sinn und Kerygma im aktualen
Sinn" (G. Ebcling, Theologie und Verkündigung, S. 39 u. ö.) ist
offenbar nicht hinreichend reflektiert. Ist das eine Folge dessen,
daß bei B. diese Differenz zwar ausdrücklich intendiert, aber nicht
immer (z. B. in seiner Argumentation zum Problem des historischen
Jesus) ausdrücklich reflektiert ist? Ferner: Spricht Sch. im
zitierten Zusammenhang von der .bloßen Tatsache', daß verkündigt
wird, so bezieht er sich offenbar auf B.s Rede vom .bloßen
Daß', verwandelt aber dabei eine theologisch zu verantwortende
Kategorie in eine historische Feststellung, eine Verwandlung, die
B.s Formulierungen selbst begünstigen (s. dazu Ebeling, a.a.O.,
S. 68f.).

Dieses Beispiel mag zeigen: die grundsätzliche Einbeziehung
der Sachkritik hätte die von Sch. erreichte Verständlichkeit noch
fördern können, vor allem aber wäre m. E. dadurch Rudolf Bultmann
als Gesprächspartner für die theologischen Aufgaben der
Gegenwart lebendiger zur Geltung gekommen, als es in der auf
Reproduktion bedachten Darstellung von W. Schmithals im Endeffekt
gelingt.

Potsdam Christoph D e m k e

Ruh, Hans: Die christologische Begründung des ersten Artikels
bei Zinzendorf. Zürich: EVZ-Verlag (19671. IX. 291 S. gr. 8° =
Basler Studien zur historischen und systematischen Theologie,
hrsg. von M. Geiger, 7. Lw. sfr. 24,80.

Das Interesse an Zinzendorfs Theologie hält unvermindert an.
Es wird immer mehr deutlich, daß nach einer Zeit der Interpretation
der Theologie des Grafen von Luther und der reformatorischen
Theologie her die snirirualistischen Züge in Zinzendorfs
Denken ernstlicher beachtet werden müssen Einen wesentlichen
Beitrag zur Klärung dieser Frage leistete die vorwiegend
historisch orientierte Arbeit von Leiv Aalen (Die Theologie des
iungen Zinzendorf. Berlin und Hamburq 1966). Ruh zeigt sich
vertraut mit den Fragen der Zinzendorf-Forschung, konzentriert
sich aber in der Nachfolge seines Lehrers Karl Barth auf einen
systematischen Aspekt der Theologie Zinzendorfs, den er gründlich
und erhellend abhandelt. Ohne sich auf das Problem des Verhältnisses
lutherischer und sniritualistischer Motive in des Grafen
Theologie näher einzulassen, hält R. mit Recht daran fest, daß die
christologische Erkenntnis Gottes zeitlebens für Z. maßgebend war.
Im steten Rückgang auf die Quellen, die in treffenden Zitaten zur
Sprache kommen, verdeutlicht Ruh dieses Axiom im Hinblick auf
Zinzendorfs Erkenntnistheorie und Schriftverständnis Von der
christologischen Ausrichtung seines Denkens stellte Zinzendorf
die anthropozentrische Ausrichtung des Pietismus in Frage (S. 33V
Mit dieser These kommt Ruh zu einer pointierten Kritik an der
bisherigen Zinzendorf-Forschung. Die kompromißlose Christozen-
trik sprengt nach Ruh auch den Rahmen der von Luther ausgehenden
Theologie. Sie sei nicht unter der Bezeichnung . Kreuzes-Theo-
logie" so einfach in das Luthertum einzuordnen, wie dies S. Eberhard
. H. Renkewitz. E. Bevreuther, W. Bettermann und z. T, O. Ittendorf
er wollten. Die nordischen Forscher Hök und Aalen erheben
so einen z. T. gerechtfertigten Protest, mag auch die spiri-
tualistische Erklärung Höks nicht zutreffen. Im ersten Teil geM
Ruh unter dem Thema „Die Gottheit des Vaters und die Gottheit
des Sohnes" Zinzendorfs Gottesverständnis eingehend nach, wobei
auch Wandlungen seines Standpunktes beachtet werden. Nicht
nur von einem Christozentrismus will Ruh reden: er findet sogar
christomonistische" Tendenzen, wenn es auch nicht gerechtfertigt
sei, ihn grundsätzlich als Christomonisten zu bezeichnen
(S. 114). Zweifellos geht die radikal neutestamentliche Interpreta-