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Ausgabe:

1968

Spalte:

773-774

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Welte, Bernhard

Titel/Untertitel:

Heilsverständnis 1968

Rezensent:

Mann, Ulrich

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Seite 1

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Seins. „Der sogenannte Existentialismus enthüllt sich als Essen-
Haiismus reinsten Wassers. . . . Die Frage nach dem Wesen des
Seins hat die tiefere Frage nach dem Sein des Wesens völlig
verdrängt und verstellt. Die anthropozentrische Ontologie hat
das Sein selbst zu so etwas wie Wesenheit und Sinn nivelliert und
damit alle Wirklichkeit beziehungsweise das ,actu esse' völlig aus
dem Blick verloren. Die Frage nach dem ,Sinn von Sein'
aber setzt allemal die Frage nach dem Seinvon Sinn voraus"
(S. 259).

Außerdem - aber dieser Einwand ist schon oft erhoben worden
- gefährdet die Anthropo z e n t r i k , jedenfalls in ihrer Tendenz
zum Solipsismus des Menschen, gerade den Menschen, da
sie ihn aller tragenden Bezüge und damit auch jeder Hoffnung
und jeden Vertrauens beraubt. „Jede Art von ,Anthropozentrik', wie
sich der Transzcndentalismus heute nennt, bedeutet nämlich nicht
Rettung, sondern Gefährdung des Menschen, da sie ihn jener
universalen Seins- und Sinnzusammenhänge beraubt, welche
Mensch und Natur in gleicher Weise bewahrend und tragend
durchwalten, als jene ,radii bonitatis Dei', als die Ausstrahlungen
der göttlichen Güte, die alles Sein und Geschehen, unsere Erkenntnis
und unsere Freiheit, möglich macht. . . . Unser Denken und
Wollen werden in Wahrheit von zeitlosen Grundordnungen geprägt
und durchformt. . . Das ist der ontologische Grund für die
unsinnlichen und überempirischen Charaktere von Allgemeinheit
und Notwendigkeit" (S. 157).

Berlin Hans-Georg Fritzsche

Welte, Bernhard: Heilsverständnis. Philosophische Untersuchung
einiger Voraussetzungen zum Verständnis des Christentums
. Freiburg-Basel-Wien: Herder (1966], 231 S. 8°. Lw.
DM 24,80.

„Immer bleibt die fides, solange sie menschlich ist, fides quaerens
wtellectum." Diese These, mit der Welte sein Buch abschließt, ist
das Fundament der klaren und schlüssigen Untersuchung schon
vom ersten Satz an. Es handelt sich um eine religionsphilosophische
Propädeutik dogmatischer Theologie, welche ihren Schwerpunkt
in dem Nachweis hat, daft das Seinsverständnis des Weltdaseins
schlechthin Heilsverständnis sei. In vier Teilen wird dieser
Gedanke nach verschiedenen Richtungen hin und von verschiedenen
Fragestellungen her erörtert. Der erste Teil, die Grundlegung
, weist nach, daß die hermeneutischc Aufgabe der Theologie
ein Sich-Einlassen auf die Philosophie verlangt. Nach einer treffenden
Darlegung des Verständnisses von Philosophie und Theologie
im Protestantismus seit der Zeit Hegels und Schellings wie
des neueren Katholizismus wird in Anlehnung an die Heideq-
gerschen Existenzialien die ontologische Frage als philosophische
und theologische zugleich erwiesen.

Der zweite Teil erörtert die eigentliche Grundthese: insofern
Dasein grundsätzlich Weltdasein ist, muß es auf Bedeutsamkeit
alles Welthaftcn aus sein, denn Welt verlangt nach daseinseigenem
Verstehen. Verstehen ist aber kein blofjer Formalbegriff, sondern
immer auf Seinsverständnis aus und damit letztlich stets auf Heilsverständnis
angelegt. Das Ich und das Du sind Grundkate-goricn
des Heilsvcrständnisses; hierbei zeigt Welte, wie das Personhafte
darin axiomatischen Charakter hat und nicht von anderen onto-
logischen Prämissen abgeleitet werden kann.

Der dritte Teil geht ein auf das Problem der Heilsdifferenz.
Hierunter versteht Welte die Differenz von Möglichkeit und Wirk
lichkeit, die sich in besonderen Momenten des Daseins artikuliert,
vor allem im Tod und in der Schuld.

Der vierte Teil befafjt sich, nunmehr wiederum auf die Vorläufigkeit
aller theologischen Propädeutik zurückweisend, mit dem
Charakter des Heilsverständnisscs als einem Vor-Verständnis, welches
auf die „unbedingte" Konkretion wartet.

Der besondere Wert des gründlichen, stilistisch hervorragenden
und sehr klaren Werkes lieqt in dem stringenten Nachweis, daft
die Theologie der philosophischen Fragestellung und Methode
bedarf; zugleich wird gezeigt, wo die Differenzpunktc lieqcn. die
nicht aufier acht qclassen werden dürfen, um Theologie nicht ins
allgemeine Philosophieren hinein, in eine dem Christentum qeqen-
über weithin indifferente Denkweise zu entlassen. Auch der protestantische
Leser wird von dieser ausgezeichneten Darlegung
viel Gewinn haben, handelt es sich doch nicht nur um eine Spezial-

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Untersuchung, sondern um eine Propädeutik grundsätzlicher Art,
welche schon das ganze theologische Denken im Sinn hat und in
die wichtigsten Fachprobleme vorausblickend einweist.

Saarbrücken Ulrich Mann

Schleiermacher, Friedrich: Über die Religion. Reden an die
Gebildeten unter ihren Verächtern. In ihrer ursprünglichen Gestalt
. Mit fortlaufender Übersicht des Gedankenganges neu hrsg.
v. R. Otto. 6. Aufl. Mit zwei Bildnissen Schleiermachers und
einem Sachregister. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [19671.
239 S. 8°. Kart. DM11,80.

Die „Reden" Schleiermachers bilden zweifellos ein wichtiges
Dokument, das ebenso als „Eingangstor zu seiner Gedankenwelt"
wie als Markstein in der Geschichte der Religionsphilosophie und
Theologie in der Gegenwart großes Interesse verdient. Die Ausgabe
von R. Otto, dem berühmten Marburger Religionswissenschaftler
, hat im Jahre 1899, hundert Jahre nach dem ersten Erscheinen
, die Bedeutung der ersten Auflage nachdrücklich herausgestellt
: „Hier quellen die Gedanken in Ursprünglichkeit und
Frische, nicht so systematisch gestilt und gefeilt wie später [18063,
18213, 1831*1, aber dafür runder und lebendiger" (15).

Der Verlag Vandenhoeck & Ruprecht legt nun einen Neudruck
der 5. Auflage dieser von R. Otto besorgten Neuausgabe vor.
Der 1926 erschienene Text war - verständlicherweisc - „lange1
Zeit vergriffen". Es ist aber irreführend, den daraufhin erfolgten
Neudruck dieses Textes als 6. Auflage zu bezeichnen. Man sieht
auch nicht recht die Notwendigkeit. E>enn seit 1958 gibt es im
Buchhandel eine Ausoabe der 1. Auflage von Schleiermachers Reden
" (hrsg. v. H. J. Rothert), in der die Ausgabe Ottos bei der
Textherstellung zum Vergleich herangezogen worden ist. Immerhin
vermag eine solche Parallelität den Wettbewerb auf dem
Büchermarkt zum Vorteil des Käufers anzuregen.

Die vorgelegte Ausgabe zeichnet sich gegenüber der von Rothert
besorgten dadurch aus, daft sie in den Fuftnoten den Gedankengang
Schleiermachers fortlaufend referiert. Für den heutigen
Leser haben die Einführung (5-17) und der Rückblirk WV7-233V
die R. Otto seiner Ausgabe hinzugefügt hat, bereits wieder ein
historisches Interesse. Sie zeigen die Rezention der „Reden" durch
den bedeutenden Religionswissenschaftler. In einer wirklichen
Neuauflage müfite dies entsprechend kenntlich gemacht und in
einer eigenen Einführung erläutert werden.

Es besteht aber nicht so sehr ein Bedürfnis nach solchen Studienausgaben
der „Reden", sondern nach einer kritischen Ausgabe
, die den Text von 1799 sowohl in seiner historischen Gesfalt
(Schreibweise und Interpunktion) als auch im Vergleich zu den
snäteren Auflagen darbietet, wie es durch die Ausgabe von B. Pün-
jer (1879) vorbereitet worden ist.

Bad Godesberg Heinz K i m m e r 1 e

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Sch mithals, Walter: Die Theologie Rudolf Bultmanns. Eine
Finführung. Tübingen: Mohr 1966. VIT, 355 S. 8°. DM 24 -;
Lw. DM 28.50.

Das Buch qibt eine Vorlesunrrsreihc wieder, die Sch. im WS
1964/65 für Hörer aller Fakultäten an der Universität Marburq
anhalten hat. Anlaß zu ihrer Veröffentlichung ist die anhaltende
Diskussion um die sog. .moderne Theolooie', die mit dem Namen
Rudolf Bultmann (= B.) aufs engste verknüpft wird. Daft dabei
viele Kritiker der .modernen Theologie' B.s Schriften selbst oft
nicht zur Kenntnis nehmen, ist ebenso bekannt wie bezeichnend.
In dieser Lage ist der Entschluft von Walter Schmithals, eine „um
Allgemeinverständlichkeit bemühte Einführung" in das „Gesamtgefüge
" der Theologie B.s vorzulegen (Vorwort) - und zwar so,
dnft sie zugleich eine . Hinführung zu seinen (sc.B.s) eigenen Schriften
" bietet (21) -, nur dankbar zu begrüßen. Aber auch die Ausführung
verdient bei allen notwendigen kritischen Fragen dankbare
Anerkennung. Denn nicht nur kommt B. in erstaunlichem
Umfang selbst zu Worte, sondern Sch. versteht es zugleich, die Terminologie
B.s und deren Aspekte auch dem Nicht-Fachmann auf
knappem Raum zugänglich zu machen.

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 10