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1968

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Kirchengeschichte: Neuzeit

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Neuerscheinungen

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771

ses der Christophori-Synode, will aus Gründen des Ausgleichs
„gegenüber bisher beobachteten Einseitigkeiten - z. B. in der
Haltung des schlesischen Bischofs D. Zänker oder auch der Haltung
der Christophori-Synode" mit seiner Berichterstattung Gegengewichte
setzen und bittet um Verständnis, wenn in seinem Urteil
sich „die Waagschale stärker zugunsten der sog. gemäßigten Richtung
in Schlesien senken sollte" (7f.). Inwieweit die Naumburger
BK mit ihrem kirchenregimentlichen Alleinvertretungsanspruch
sich verstanden fühlt und wo sie Ergänzungen oder Modifizierungen
für notwendig hält, muß abgewartet werden. Ernst Hornig
, der dem Buch ein Geleitwort vorausgeschickt hat, kündigt als
Vertreter der Naumburger Richtung der BK eine eigene Arbeit
über die Notkirchenleitung des schles. Bruderrates an, die man mit
Interesse erwarten darf.

Der Autor hat es vermeiden wollen, den „Ereignissen einen unangebrachten
Glanz der Verklärung zu geben". Auch gegenüber
dem Einsatz und den Leistungen der BK gelte es, nüchtern und
kritisch zu sein. Daß „diesem Gebot in vorliegendem Bericht noch
nicht ausreichend Genüge geschehen" sei, räumt der Verfasser ein.
Aus dem von Ehrenforth konstatierten Sachverhalt mangelnder
Gesprächsbereitschaft auch der schles. BK-Gruppen mit den theologisch
orientierten Kräften in der Reichsbewegung DC und den
späteren Lutherdeutschen werden keine kritischen Schlußfolgerungen
gezogen. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem
theologischen Schriftgut der DC habe auch in Schlesien nicht
stattgefunden. „Die Haltung der BK jener Jahre ist mehr durch
eine von 1933/34 her instinktiv-pauschale Ablehnung der DC
nach Person und Sache gekennzeichnet" (192). Da Verfasser voraussetzt
, daß die BK „anfangs, in der Meinung und Hoffnung,
daß der NS-Staat sich ehrlich um die im 1. Artikel gemeinten
Schöpfungsordnungen bemühe, mit Anerkennung und Unterstützungsbereitschaft
nicht zurückgehalten" habe und auch die
schles. Pastoren dem Staat „ob seines Dienstes und seines Ordnungswerkes
noch immer Respekt bezeugt" hätten, „selbst noch
zu der Zeit, da sich der Konflikt zwischen Kirche und Staat
erheblich verschärfte" (193), sieht er den Unterschied zu den DC
darin, daß diese den Ersten Artikel „fronthaft" und „führerbegeistert
" in der Verkündigung herausgestellt und völlig einseitig
akzentuiert hätten. Doch muß er im Rekurs auf theologisch-ernsthafte
DC-Exponenten in Schlesien, die von Anfang an den trini-
tarischen Bezug betonten oder in Kritik an den „Schöpfungsordnungen
" von „Erhaltungsordnungen" sprachen, sofort sehr
erheblich einschränken. Wenn die Christophori-Synode manchem
ihrer Synodalen das Anliegen von Barmen und Dahlem nur
durch eine „vorsichtige Fassung" der Verpflichtungserklärung zumuten
konnte und das Dahlemer Notrecht aus grundsätzlichen
und situationsbedingten Gründen nicht durchsetzen wollte, so
mußte auch die theologische Kritik der DC an Barmen, die Verfasser
anführt, theologisch ernster genommen werden, als es
der Anmerkungshinweis erkennen läßt: hinsichtlich der „allgemeinen
Offenbarung" dürfte „Barmen .. . hier tatsächlich zu einseitig
formuliert haben" (192, Anm. 28).

Das Buch zeigt sich am meisten wohl der Naumburger Synode
gegenüber verständnisbereit, ohne - bei gelegentlich schillernder
Beurteilungssicht - den eigenen Standpunkt der Christophori-
Synode zu verleugnen. Eine irenisch-vermittelnde Neigung ist
unverkennbar und vermeidet es, die eigene Position zu verabsolutieren
; Ansätze zur Selbstkritik fehlen nicht. Selbst für die
„Neutralen" und die Haltung des Konsistoriums wird ein gewisses
Verständnis aufgebracht. Ähnliches gilt - wenn auch mit Einschränkungen
- für die Beurteilung der „Lutherdeutschen. ..
unter Dr. Petersmann", denen ein kurzes Kapitel gewidmet ist
(184-199).

Die Veröffentlichung darf auch im Blick auf die Schilderung
vieler Einzelfragen des kirchlichen Lebens, die exkurshaft dargeboten
werden, das Interesse des der Orientierung bedürftigen
Lesers voraussetzen und kann auch dem Kenner manch Neues
bieten.

Leipzig Kurt Meier

Dewey, Bradley Rau: Kierkegaard and the Blue Testament

(HThR 60, 1967 S. 391-409).
Geiger, Max: Johann Heinrich Jung-Stilling (1740-1817) (ThZ 24,

1968 S. 191-213).

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PHILOSOPHIE UND KEL1GIONSPHILOSOPHIE

Lakebrink, Bernhard: Klassische Metaphysik. Eine Auseinandersetzung
mit der existentialen Anthropozentrik. Frei
burg/Br.: Rombach (1967). 288 S. 8° = rombach hochschul pa-
perback. Kart. DM 14,-.

Dieses Buch gehört in die breite Gegenbewegung, die seit einiger
Zeit gegen die Existenzphilosophie aufgekommen ist. Am selben
Ort, Freiburg i. B., von dem einst Heideggers ,Wikingerphilosophie
' ausging, weist heute ein neuthomistischer Philosoph das
„sogar" (S. 123) in die katholische Theologie eingebrochene existen-
tiale Denken zurück - in heftiger Polemik besonders gegen Karl
Rahner, der vielleicht wirklich nicht gut daran tat, für manche Absätze
in Heideggers Stil (wie in ,Hörer des Wortes') sich auf Thomas
zu berufen (S. 221), auch wenn die Schwebe in der Redeweise
zwingende Widerlegung schwer macht. Aber Lakebrink läßt keine
Schwebe, keine Mehrdeutigkeit, keine ,Gänsefüßchen', keinen Undefinierten
Gebrauch von Bildrede (S. 107) u. ä. zu. Verwahrlosung
der Sprache als die Eigentlichkeit manchen rhetorischen Glanzes
ist sein erster Einwand gegen die „existentiale Anthropozentrik"
(„Sprache ist hier weniger Ausdruck von Sein und Sache, als vielmehr
von Subjektivität und freier Willkür", S. 260). Und dann
ergeht ein Gericht über Subjektivismus, Anthropozentrismus, Nominalismus
, Positivismus u. ä., die nun auch in katholischer Religionsphilosophie
„ihr Unwesen treiben" (S. 123) und damit nicht
nur alles Feste und Objektive zerstörten, sondern auch inhaltlich
gefährliche Tendenzverschiebungen an den Grundlehren einer
philosophia perennis, die der Theologie zugeordnet bleiben müsse
(S. 125, 213, 257), zur Folge hätten: Das Sein werde atomisiert
und „zersplittert... in die Vielfalt der einzelnen, deren jeder als
entwestes und grundloses Freiheitsatom sich dank des eingeholten
Seins mit der Aura seiner je eigenen Erscheinungswelt umgibt
" (S. 244), die doppelte Ordnung zwischen präexistenter göttlicher
Urbildlichkeit (auch alles Individuellen!) und weltlicher Realisierung
dieses künstlerischen Vorentwurfes im schöpferischen
Verstände Gottes werde verloren und damit die Welt zum „Zufallsprodukt
" abgewertet (S. 147); und die Verlegung des Seins in
den freien Entwurf des Menschen habe eine verkrampfte Entscheidungsethik
zur Folge, die sich mit der schon von Hegel bekämpften
Irrationalität verbinde (S. 215) und den Willen vor die Vernunft
stelle. Doch „der Wille an sich ist blind und bedarf der Führung
durch den lichtenden Verstand" (S. 213).

„Natürliches Denken, das nicht subjektivistisch und anthropo-
morph den Dingen idealistisch Unrecht tut und sie um ihr .proprium
esse' selbst betrügt, wird sich niemals überzeugen lassen,
daß die Dinge, ihr Sein und ihre Güte abhängen sollen von der
,wertenden Stellungnahme' des Menschen selbst. Diese alten sophistischen
Thesen haben nun schon zweieinhalb Jahrtausende das
Abendland irritiert. Man sollte nicht glauben, daß die Unnatur
des uralten ,Homo-mensura-Satzes' heutzutage sogar innerhalb
katholischer Religionsphilosophie umhergeistert, wo sie, existen-
tialistisch aufgefrischt, als neu und originär daherkommt, als ob
diese Art von nominalistischem Subjektivismus dadurch wahrer
würde" (S. 27).

Das Buch Lakebrinks ist indes mehr und etwas Besseres als ein
bloßes Abriegeln eines Einbruchs artfremden Denkens (wie des
dialektischen statt analektischen, s. S. 10, 40 und oft) in einen geheiligten
Bezirk ewiger Wahrheit aus jahrtausendalter abendländischer
Tradition. Dies ist das Buch Lakebrinks allerdings -
leider - auch, und das macht es in seiner Grundtendenz sehr
fragwürdig und läßt manchmal erschrocken innehalten an dem
Ausmaß, in welchem der heilige Thomas zu Norm und Richtmaß
aller als „klassische Metaphysik" anzuerkennenden Philosophie besonders
bei Piaton, Aristoteles, Kant und Hegel erhoben wird, und
an der Selbstverständlichkeit, in der vom Ewigen und Unendlichen
einer göttlichen Sphäre, ja von Engeln die Rede ist.

Nichtsdestoweniger bringt das Buch Gedanken, die als sachliche
Argumente in der Problematik einer Überwindung des Existentialismus
durchaus zählen: wie die Konstatierung einer paradoxen
Annulierung dessen, worum es der Existenzphilosophie eigentlich
und ursprünglich geht, der Wirklichkeit des Seins. Wenn die
Frage nach dem Sein die nach dem ,S i n n von Sein' geworden
ist, ist sie gerade nur die Frage nach der Struktur, und d. h. der
bloßen Essenz von Sein, die Frage nach dem Sosein statt des Da-

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 10