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Ausgabe:

1968

Spalte:

770-771

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Ehrenforth, Gerhard

Titel/Untertitel:

Die schlesische Kirche im Kirchenkampf 1932 - 1945 1968

Rezensent:

Meier, Kurt

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Ausgespanntheit außer acht zu lassen, in der Nähe des Begriffs
Reich Gottes sieht - ja, von vornherein „Reich Gottes sehr stark
auf Kirche hin" denkt (S. 141) -, so ist bei ihm doch die „Reich-
Gottes-Predigt auf die Christuspredigt bezogen" (S. 152), aus der
sie hervorgeht und in die sie einmündet. Hier wird „dem Adressaten
der Botschaft nicht nur eine Glaubenslehre oder ein Pflichtenkatalog
vor Augen gehalten, sondern eine Person. . ., hier verbinden
sich Werk und Sein Christi, Kerygma und Theologie, Wort
und Sakrament" (S. 189). Die Kirche als «Tauf- und Eucharistiegemeinschaft
" (S. 174) sieht Newman „auf dem Wege zur ewigen
Eucharistie" (S. 175). „Christus ist Haupt- und Mittelpunkt eines
auserwählten Volkes, dessen Sammlung das eine grofje Ziel der
Verkündigung ist, Christus ist Mittler zu ihrem letzten Zieh der
Verherrlichung Gottes" (S. 162, 189).

Am Schluß seiner Arbeit sagt Mann, daß „Newman viele Anliegen
. . . der aus der Methodenbewegung und der materialkeryg-
matischen Besinnung schöpfenden katechetischen Erneuerung" der
katholischen Pastoraltheologie gesehen hat (S. 194). Die bleibende
Bedeutung dieser Arbeit, die Newman immer wieder selbst zu
Wort kommen läßt, scheint mir darin zu liegen, daß hier „die
Lebendigkeit, Aufgeschlossenheit und prophetische Bedeutung seines
Denkens" in dem weiten Rahmen der durch das Konzil begonnenen
„Selbstbesinnung" der katholischen Kirche „auf ihre
Grundlagen, Aufgaben und Wirkungsmöglichkeiten" (S. 2) zu
einem so sprechenden Ausdruck kommt. Newman hat 1845 sein
in ganzer Hingabe dem Wort Gottes und den ihm anvertrauten
Menschen zugewandtes Denken in die katholische Kirche eingebracht
und es am Ende seines Lebens durch die Neuausgabe
seiner anglikanischen Schriften erneut bekräftigt. In seiner katholischen
Zeit hat Newman fast zwei Jahrzehnte lang so gut wie
geschwiegen - u. a. deshalb, weil, wie er 1862 einmal schrieb,
„Hannibals Elefanten das Auf-der-Stelle-Treten nie lernen konnten
"-, und auch sein Lebenswerk, sein „Essay in Aid of a Grammai'
of Assent" von 1869, hat Jahrzehnte gebraucht, bis es sich durch
neue Aufgaben und genaue Übersetzungen durchsetzen konnte3.
Heute aber ist die Bahn für das Verständnis und die Wirkung dieses
genialen, wahrhaft ökumenischen Denkers frei, und die gründliche
und zuverlässige Studie J. Manns hat einen wesentlichen
Beitrag dazu geleistet.

Bei der Übersetzung der zahlreichen Belegstellen, die häufig
auch im Urtext wiedergegeben werden, konnte sich der Verf. auf
die durchweg zuverlässige Gesamtausgabe der Predigten Newmans
durch die Benediktiner von Weingarten (Stuttgart 1948-1962,
11 Bde,) stützen; die korrigierte Übersetzung der Oxforder Uni-
versitätspvedigten' war dem Verf. noch nicht zugänglich. Ein Vergleich
ergibt folgende Verbesserungen der vom Verf. gewählten
Ubersetzung: S. 31, Z. 13 von unten: „Denkmal" statt „Merkmal"
(I.e. S. 33); S. 27, Z. 14f. von oben: „vollständige Gleichgültigkeit
gegenüber der Wahrheit" statt „äußerste Mißachtung der Wahrheit"
(I.e. S. 106).

Eine charakteristische Formulierung Newmans, dafj die theologische
Systematisierung eines Glaubensgeheimnisses gleichsam
der „Schatten" sei, den „der Gegenstand einer an der Schrift geformten
Frömmigkeit" wirft, kommt in der Übersetzung nicht
genügend zum Ausdruck (S. 85, Z. 17ff. v. o., dazu Anm. 20); S. 74,
Z. 17 v. o. bedeutet „commemorated" in Beziehung auf die Eucharistie
nicht „ins Gedächtnis gerufen", sondern „als Gedächtnis gefeiert
"; S. 183, Z. 21 v. o. ist vor „Einfachheit" das Wort „ursprünglichen
" einzufügen (vgl. Anm. 29).

Druckfehler: S. 8, Z. 12 v. o.: statt .an" lies .in"; S. 24 Mitte: statt
.Origines" lies .Origenes"; S. 188, Z. 19 v. o.: statt .exoterio" lies ,,exoteric".

Leipzig Werner Becker

') Vgl. J. H. Newman, Ausgewählte Werke, hrg. von M, Laros und W. Becker,
Bd. II/III, Mainz 1957, S, 305.

-*) Es ist 1962 in deutscher Übersetzung als Bd. VII der Anm. 2 genannten
Auswahl seiner Werke mit einem Kommentar von J. ArU erschienen.

*) Ebda.. Bd. VI, 1964 (Zur Theologie und Philosophie des Glaubens, übers, von
M. Hofmann und W. Becker, mit Kommentar von W. Becker.)

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Ehrenforth, Gerhard: Die schlesische Kirche im Kirchenkampf
1932-1945. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1968.
316 S. gr. 8G = Arbeiten z. Geschichte des Kirchenkampfes. Im
Auftrage der „Kommission d. Evang. Kirche in Deutschland f.
d. Geschichte d. Kirchenkampfes" hrsg. v. H. Brunotte u. E. Wolf,
Ergänzungsreihe Bd. 4, DM24,-.

Das Kirchenkarnpfgeschehen in der schlesischen Provinz der altpreußischen
Unionskirche, über das die Arbeit von G. Ehrenforth
berichtet, gewann dadurch seine spezifische Prägung, daß die
dortige Bekenntnisgemeinschaft im Frühjahr 1936 in zwei BK-
Synoden auseinanderbrach. Die Vorläufige Schles. Synode - als
BK-Organ März 1935 konstituiert (Christophori-Kirche Breslau) -
hatte das Vakuum auszufüllen versucht, das durch die Selbstauflösung
der unter DC-Mehrheit stehenden sog. braunen Synode im
Frühjahr 1934 entstanden war. Sie sah ihre Aufgabe darin, den
als einzigen der früheren altpreußischen Generalsuperintendenten
1933 im Amt verbliebenen Bischof D. Zänker zu unterstützen und
den bekenntnisbezogenen synodalen Neuaufbau unter bischöflicher
Leitung und in volkskirchlicher Breite ins Werk zu setzen
(unter Ausschluß der Deutschen Christen, aber unter Einbeziehung
breiter Kreise der „Mitte", so der Gruppe „Einheit und Aufbau"
u. a.). Von Minister Kerrl im August 1935 für aufgelöst erklärt,
durfte die Vorl. Schles. Synode dann doch weiterbestehen, nachdem
sie sich in „Schlesische Synode der BK" umbenannt hatte und nicht
mehr mit legalen (d. h. staatlich anerkannten) Organen der verfaßten
Kirche verwechselt werden konnte. Ähnlich wie auf Reichsebene
brachen Anfang 1936 unterschwellig vorhandene Gegensätze
auch in der schles. BK auf. Die Mehrheit des Provinzialbruderrates
lehnte den Provinzialkirchenausschuß unter Pfr. Loheyde wie die
Kirchenausschüsse überhaupt ab. Dem Provinzialbischof Zänker
und der unter Pfr. Viebig stehenden „Schles. Synode der BK"
(später auch „Christophori-Synode' genannt) wurde die bekenntnismäßige
Legitimität bestritten, weil sie den Kirchenausschuß anerkannten
und bedingt mit ihm zusammenarbeiteten. Im Mai 1936
tagte die Christophori-Synode in Breslau; Anfang Juli 1936 trat im
Gegensatz dazu in Naumburg am Queis die „Schles. Bekenntnissynode
" (= Naumburger Synode) zusammen. Die Tatsache, daß
der Provinzialkirchenausschuß im März 1936 die „geistliche Leitung"
ausdrücklich Bischof Zänker überlassen hatte, hinderte die Naum-
burger Richtung nicht, den bischöflichen Weg und den Standpunkt
der Christophori-Synode als bekenntniswürdig zu kennzeichnen.

Die Christophori-Synode berücksichtigte bei der Anwendung des
kirchlichen Notrechts, daß in Bischof Zänker eine bekenntnisorientierte
geistliche Leitung vorhanden war. Nach der Spaltung der
BK und besonders nach Zänkers Zwangsbeurlaubung und -Pensionierung
(1939 bzw. 1941) wurde kirchliches Notrecht nur noch von
der Naumburger Synode praktiziert (dem Konsistorium gegenüber
). Durch die hinzukommenden 40 bis 50 Vikare, die aber in
der Regel nicht in ein ordentliches Pfarramt hineinzubringen
waren, stieg die Zahl der Geistlichen der Naumburger Richtung,
die sich 1936 auf etwa 100 belief, in der Folgezeit noch an. Zur
Christophori-Synode gehörten etwa 180 Pfarrer und ihre Gemeinden
. Die Deutschen Christen hatten zur gleichen Zeit kaum noch
130 Geistliche. Bei einer Gesamtzahl von etwa 900 ichles. Pfarrern
war die kirchenpolitische „Mitte" sehr beträchtlich. Dabei muß
m. E. berücksichtigt werden, daß ein beachtlicher Teil dieser
„Mitte" aus ausgetretenen Deutschen Christen bestand, die im
Laufe der Zeit aus Resignation über die DC-Sache sich auf eine
neutral erscheinende Mittelposition zurückgezogen hatten und -
ohne daß in jedem Fall ein grundsätzlicher Gesinnungswandel vorauszusetzen
ist - ihren Dienst in der Gemeinde ohne organisatorische
Bindung an eine kirchenpolitische Gruppierung taten.

Es ist ein Vorzug des Buches, daß der Weg und die Arbeitsweise
beider BK-Synoden in Schlesien, ihr zumeist scharfes Gegeneinander
, auch Versuche von Übereinkünften in wünschenswerter
Breite und Vielfalt der Aspekte zur Darstellung gelangen. Ein
glücklich ausgewählter Dokumentenanhang bringt gerade auch
über den konträren theologischen Ansatz beider BK-Richtungen
Wesentliches (vgl. besonders den Briefwechsel Fitzers mit W.
Schmauch noch aus dem Jahre 1944!). Interessante Erlebnisberichte
und manche Anekdoten wollen das Gesamtbild beleben. Quellenmäßig
beruht die Darstellung auf Rundbriefen der schles. BK,
Synodalberichten, Nachlaßakten, vor allem auf Tagebüchern und
Befragungsprotokollen. Ehrenforth, von 1936 bis 1938 selbst Prä-

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 10