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1968

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 10

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Das Unternehmen einer AC-Übersetzung ist prinzipiell anzuerkennen
und zu billigen: Ist man der Meinung, daß die AC auch
noch heute lesens- und beachtenswert ist, und verschließt man nicht
die Augen vor der Schwierigkeit, die ihre Fremdsprachigkeit faktisch
mit sich bringt, so wird man die Benutzung von Übersetzungen
auch im Unterrichtsbetrieb der Universität nicht a limine als
„unwissenschaftlich" perhorreszieren und kritisieren dürfen. Das
gilt in diesem Fall um so mehr, als P.s Übersetzung der Nachprüfung
am Originaltext durchgehend standhält: Sie ist korrekt und
genau, so daß M.s Aussageintention und -duktus getroffen und
angemessen wiedergegeben wird. Um der angestrebten Nähe zum
Original willen wird den (nicht immer zu vermeidenden) freieren
Übersetzungen das lateinische Pendant hinzugefügt; ebenso verhält
es sich mit formelhaften Prägungen und termini technici. Dafj
man hinsichtlich mancher Einzelheiten und Nuancen anderer Meinung
ist. versteht sich von selbst, ist jedoch kein entscheidender
Einwand: Neben dem individuellen Sprachgebrauch und -empfinden
des Übersetzers kommt hier der (legitime!) Intereretations-
charakter jeglicher Übersetzung zur Geltung. Dafj sich P.s Übersetzung
weder durch programmatische Modernität noch durch
außerordentliche sprachliche Qualität auszeichnet, wird man auf
Grund der ausgesprochenen Zielsetzung von ihr nicht erwarten
und ihr daher auch nicht vorwerfen können. (Doch dürfte eben
das ihre Benutzung über den engeren Kreis der vom Fach her
Interessierten hinaus nicht gerade erleichtern!) Alles in allem:
eine begrüfiens- und anerkennenswerte Hilfe für den, der sich
mit der AC beschäftigen will (muß), über die dazu notwendigen
Sprachkenntnisse und -fertigkeiten jedoch nicht ausreichend
verfügt.

Dennoch bleiben Vorbehalte: P.s Übersetzung dürfte sich kaum
über das rein Sprachliche hinaus als hilfreich, nützlich und förderlich
erweisen, läßt sie doch den Benutzer (und auch Theologie-
Studenten), der nicht über umfangreichere Vorkenntnisse verfügt,
in sachlicher Hinsicht im Stich und erleichtert ihm nicht das Verständnis
dieses schwierigen Textes. Daran ändern auch die kurzen
erläuternden Anmerkungen nichts: Diese - dazu bestimmt, .unverständliche
Einzelheiten des Textes" zu erhellen (11) - sind
überaus spärlich (auf gut 200 Seiten etwa ein halbes Dutzend Personen
- und Fakten-Erklärungen: rund 20 Sach-F.rklärungen. wobei
die mehrfach - teilweise bis fünfmal! - wiederholten Erläuterungen
ein und desselben Sachverhaltes mitgezählt sind!), offensichtlich
weitgehend zufällig (oder sollte alles nicht Erklärte ohne
weiteres als bekannt vorausgesetzt werden können?) und z. T.
für einen Durchschnittsleser völlig unverständlich (Anm. 385!). So
bleibt auch die dogmen- und theologiegeschicht'iche Tradition im
großen und ganzen unerhellt und damit sowohl hinsichtlich ihrer
Rezeption wie hinsichtlich ihrer (teilweise unberechtigten) Kritik
seitens M.s undurchschaubar.

Außer der kaum ernsthaft versuchten Einzel-Erklärung vermißt
man - auch wenn es sich „nur" um eine Übersetzung handelt -
eine (sei es auch knappe) historische Einführung: Der Leser erfährt
noch nicht einmal die Entstehungszeit, geschweige denn die
Entstehungsbedingungen und -umstände der AC, wird vielmehr
mit einem scheinbar zeitlosen theologischen Traktat konfrontiert.
(Eine historische Einordnung hätte sich von selbst bei den die
„Vorgeschichte" der AC ansprechenden §§ 1-10 der Vorrede nahegelegt
. Aber selbst hier fehlt jegliche Erläuterung.) Ebensowenig
hätte eine kurze Bibliographie den Übersetzungscharakter beeinträchtigt
oder gestört, die weitere Vertiefung in den Text aber
entscheidend erleichtert. Alles in allem scheint bei der Konzipierung
des Bandes über das Sprachliche hinaus kaum an den Leser
gedacht worden zu sein, wodurch d.as prinzipiell zu begrüßende
Unternehmen zu einer bloßen Übersetzungshilfe degradiert wird.

Dieses Urteil wäre allerdings unvollständig und darum ungerecht
, würde nicht erwähnt, daß der eigentlichen Übersetzung
(35-243) eine kurze „Einleitung in die Theologie der Apologie"
vorausgeht (13-31), die die theologischen Hauptlinien der AC entsprechend
deren äußerem und innerem Gefälle nachzeichnet und
dabei zutreffend die Rechtfertigung als ihr Grundthema (16),
die „Ehre Christi" als ihr „Grundmotiv" (30f.) herausstellt. Allerdings
macht auch diese Einleitung die Theologie der AC nicht
wirklich durchschaubar und verständlich. Das gelingt auch nicht
dadurch, daß P. schon durch Wortwahl und Stil die alternativ-
polemische Grundstruktur der AC deutlich zu machen bestrebt ist.

Denn dieser Stil führt gerade wegen seiner unleugbaren „Griffigkeit
" zu einer vorschnellen Eindeutigkeit und Klarheit und damit
zur Einebnung wesentlicher Nuancen und zur letztlichen Verschleierung
der Probleme. Die prima facie erscheinende Präzision
erweist sich schließlich als nur scheinbare.

Daß sich die offensichtlich angestrebte Profiliertheit der Analyse
am Ende nicht einstellt, dürfte darüber hinaus prinzipielle Gründe
haben, deren hauptsächlichste die sind, daß die AC nicht konse-
ouent genug in ihrer Interdependenz mit CA und Confutatio pon-
tifica interpretiert wird und - noch schwerwiegender hinsichtlich
der Folgen - nicht das Ganze der Theologie M.s den Bezugshorizont
abgibt. Wäre das geschehen, so hätten einige Fehlinterpretationen
vermieden werden können: (16:) Der Vorwurf des
„Ideologieverdachtes" gegen die Rechtfertigungslehre der AC in
ihrer Funktion als das Ganze des NT zur Geltung bringend verkennt
im Ansatz das hermeneutisch-exegetische Problem- und Methodenbewußtsein
reformatorischer Theologie. (Nebenbei: Ist der
Einspruch, der sich der Kategorie der „ T e i 1 Wahrheit" bedien',
und das Dringen auf die „ T o t a scriptura" bzw. die „Ehre Christi"
fwelches Motiv allein die „Teilwahrheit" der Rechtfertigungs-
lehre in „der" Wahrheit legitim aufzuheben vermöge: 31] nicht in
derselben Weise der „Ideologie" verdächtig?) (24:) Die allgemeinen
Ausführungen über die Sakramente, deren Differenzierung in
solche „sensu stricto" und solche „im weiteren Sinn" und die (zugegeben
: tiefsinnige) Interpretation dieser „Unsicherheit" hinsichtlich
der Zählung überhaupt verkennen, daß M. nicht viel am Be-
ariff des Sakraments gelegen ist (XITT.17), und überschätzen darum
die Relevanz der Nomenklatur für das Sachproblem erheblich.
(24f.:) Gerade das „Signum"-Verständnis der Sakramente führt bei
M. schon zur Zeit der AC entscheidend zu ihrer Nach- und Unterordnung
, ja Abwertung gegenüber Evangelium und Verkündigung
: Was im Sakrament zählt, ist das Wort (XXTV.70; auch
CA XXIV,30ff.; StA V.138,14ff.: CR XXI,301f.) (Eine Zusatzfrage:
Werden wirklich erst im späteren Protestantismus die Ohren . . .
gegen die Augen heiliggesprochen"? Vgl. immerhin WA TU,227.28f .:
228,13f.: 500,37f.; IV,9.18f.; XXXVIT,512,17ff.: XL/1,345,14: LVTT
Hebr., 139,13ff.; 219,19ff.; 220.15ff.; 222,lff.) - Die Aussage, das
Wort erreiche die „Person" des Menschen - seine Geistigkeit -,
das Sakrament seine „Natur" - seine Leiblichkeit -, bedeutet ein
Hereintragen von Gedanken des 19. Jahrhunderts (R. Rocholl u. a.!)
in reformatorisches Sakramentsverständnis. (26f.:) Die Subsumierung
des Amtes bzw. der Ordination zu ihm unter die Sakramente
„sensu stricto" scheitert - trotz XIII,10.12 - an der Ambivalenz
des Sakramentsbegriffes (s. o.) und hat zudem keinerlei Anhalt nm
allgemeinen Amtsdenken M s (30). Daß der Staat mit fast reli-
aiöser Plerophorie" oenriesen werde und Ms .Staatsfrömmigkeit"
sich „fast unerträglich" in seiner „panegyrischen Kaiserdevotion"
zuspitze, wird man schwerlich sagen können.

Ein abschließendes Gesamturteil über diesen Band fällt nicht
leicht: Einerseits ist man geneigt, die Übersetzung wegen der
unleugbaren Hilfe, die sie darstellt, vorbehaltlos zu begrüßen.
Andererseits befriedigt das Ganze wegen seiner Torsohafticrkcit
und Unausgeglichenheit nicht und läßt deshalb ratlos: Handelt es
sich nur um eine Übersetzung, die lediglich sprachliche und keinerlei
sonstige Hilfestellung geben soll, oder aber sollte diese-
Band - die Vermutung drängt sich auf - eine Art „Vorstufe" bzwT
.Hilfsbuch" zu einer eingehenden historischen wie svstematischen
Kommentierung der AC im Rahmen eines umfassenden Kommentarwerkes
über die lutherischen Bekenntnisschriften sein? (In diesem
Fall wäre der Band so, wie er ist, vollauf gcrechtfertiot.) Trifft
die letztere Vermutung zu. dann hätte das allerdings deutlich oe-
sagt werden müssen. Denn so weiß man nicht recht, was man von
dieser Veröffentlichung halten soll

Münster (TVeitfi) Klsu* HirnJIrr

Kohls, Ernst-Wilhelm: Noch einmal das Geburtsjahr des Erasmus
(ThZ 22, 1966 S. 347-359).

Loeschcn, John: The Funktion of Promissio in Luthcr's Com-
mentary on Romans (HThR 60, 1967 S. 476-482).

Modais Ii , OLe: Luthers opprinnelige og hans nye fortäelse av
Rom. 1,16-17 (Tidsskrift for tcologi og kirke .39, 1968 S. 1-8).