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Ausgabe:

1968

Spalte:

764-766

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Melanchthon, Philipp

Titel/Untertitel:

Apologia Confessionis Augustanae 1968

Rezensent:

Haendler, Klaus

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Theologische Literalurzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 10

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II. 1. Die Vorgeschichte der Leichenpredigt in der Alten Kirche
und im Mittelalter zeigt, daß die spätantiken christlichen Leichenreden
nicht Schule machten. Die mittelalterlichen Reden sind
wesentlich scholastisch und anthropozentrisch geprägt. Nicht der
Christusglaube, sondern das Gesetz mit seiner Forderung der Heiligung
und der cura pro mortuis steht nebst den Verdiensten des
Verstorbenen im Mittelpunkt. Erst „die zentrale Erkenntnis der
Reformation liefert das entscheidende Kriterium für den Unterschied
von scholastischer und reformatorisch-evangelischer Leichenpredigt
" (S. 25).

2. Die folgenden Kapitel geben jeweils Analysen der verschiedenen
Prediger. Sie sind fast ausnahmslos in Quellen, Form, Inhalt
und Zusammenfassung gegliedert. - a) Im Zeitalter der Reformation
zeigen Luthers Predigten keine schematische Behandlung, sondern
bilden Mischformen von Homilie und Themapredigt. Die
Leichenpredigt ist für ihn Gottesdienst, der im Lobpreis Gottes
sowie in der Belehrung und Tröstung der Hörer besteht. Der Ruf
zum Rechtfertigungsglauben dominiert gegenüber der Erwähnung
des Verstorbenen. Lehre, Trost und Ermahnung sind untrennbar
miteinander verbunden. Der Inhalt ist christozentrisch. - Angehängt
ist ein Exkurs über Begräbnis und Leichenpredigt nach den
Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. - b) Johann Spangenbergs
Predigten zeichnen sich durch anschauliche, packende und
volkstümliche Sprache aus. Das irdische Leben erscheint widerwärtig
; durch den Sieg Christi folgen auf die Leiden ewige Freude
und Seligkeit. Das mittelalterliche Weltbild ist noch deutlich: auch
die Angst vor der Höhe steht im Dienst der Paränesc. Ein volksmissionarischer
Akzent ruft zur Bufje und zu christlicher Bereitschaft
fürs Sterben. Entscheidend ist jedoch die Gerechtigkeit aus
dem Glauben an Christus. Nekrologartige Ausführungen fehlen. -
c) Johann Mathesius ist jedem Schematismus abhold, allegorisiert
gelegentlich und zeigt Freude an der Ausbreitung eigener Gelehrsamkeit
. Er vertritt die imputative Rechtfertigung und unterscheidet
einen gläubigen und einen neuen Gehorsam. Durch die Auferstehung
Christi wird der Tod ein Übergang in ein besseres Leben
. Ohne rechtes Verhältnis tritt das anthropologische Motiv hinzu
(z. B. Hoffnung auf ein Wiedersehen), so daß der Trost bei
Mathesius nur teilweise auf biblischer Verheißung basiert.

3. Die Reihe der Prediger in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts
beginnt a) mit Andreas Pancratius. Der Aufbau seiner Predigten
zeigt starken Einfluß der formalen Rhetorik; ihr Ziel ist
Stärkung in der Hoffnung auf das ewige Leben, Besserung des
irdischen Lebens und Vorbereitung auf ein seliges Sterben. „Kern
des Trostes ist das Heilsgeschehen in Christus. Die Frage nach dem
Sinn des Leidens wird häufig gestellt und für lösbar gehalten .. .
Polemische Abhandlungen zeichnen sich durch Sachlichkeit aus."
(S. 89). - b) Nikolaus Selneckers Predigten sind knapp und von
variabler Gliederung. Beispielgeschichten und Zitate nehmen
gegenüber früheren Predigern zu. Die Lebensstimmung ist negativ
und die Darstellung nicht frei von Polemik. Durch einen christo-
zentrischen Inhalt wird der negative Grundton überwunden.

4. Zwischen Orthodoxie und Pietismus steht a) Valerius Herberger
, dessen Predigten Phantasie, Volkstümlichkeit, Scharfsinn
und geistlichen Tiefblick verraten, wobei die Beispiele leicht Selbstzweck
werden. Zentraler Begriff ist der „Heiland". Noch interessiert
die Biographie nur, sofern sie der Lehre, dem Trost oder
der Ermahnung dient. Inhaltliche Nähe zu Johann Arnd ist unverkennbar
. - Bei dem folgenden Exkurs über das Verhältnis von
Leichenpredigt und Lebenslauf bei Matthias Hoe von Hoenegg
zeigt sich die neue Bedeutung ausgeführter Lebensläufe im Rahmen
der Leichenpredigten: die personalia dienen als applicatio der
Auslegung auf die Verstorbenen, so daß sich trotz eines genuin
christlichen Verkündigungszieles eine Abweichung vom reformatorischen
Ansatz ergibt. - b) Johann Heermann zeigt wie Herberger
den Einfluß Arnds und ist deutlicher Vertreter der Reformorthodoxie
. Obwohl der Zuspruch von Trost und Ermahnung gegenüber
dem Ehrengedächrnis dominiert, zeigt sich „eine leichte Akzentverschiebung
zugunsten des letzteren im Vergleich zu den
früheren Autoren" (S. 158). - c) Heinrich Müller ist guter Exeget
und meidet die Allegorese trotz vorhandener mystischer Züge. Sein
eharakteristisches Ausdruckmittel ist die Antithetik. Sehnsucht nach
der Ewigkeit und nach völliger Vereinigung mit Christus zeigt sich
sehr stark. Mehr als bei seinen homiletischen Vorgängern ist das
Schwergewicht von der doctrina auf die affectus verlagert. Im

Gegensatz zur zeitgenössischen Leipziger Schule wird keine akademische
Gelehrsamkeit entfaltet. Reflexion auf das fromme Subjekt
und auf empirische Kennzeichen des Glaubens führen zur Betonung
von Notwendigkeit und Nachweis des seligen Sterbens.

5. Die Leipziger Hochorthodoxie: Martin Geier und Johann Benedict
Carpzov jr. zeigen ausgeführte Themapredigten mit austuhr
liehen exegetischen Erläuterungen. Großer Wert wird auf praktische
Frömmigkeit gelegt, in deren Dienst auch Zeitkritik und
längere Lebensläufe stehen. Die Bedeutung der bürgerlichen Ehrung
ist stark angestiegen.

6. Spener ist zwar dem orthodoxen Erbe verhaftet, jedoch in
seinen Predigten primär Seelsorger. Die Thenienkreise der Seligkeit
und Heiligung stehen im Mittelpunkt. Erstmalig wird die im
Glauben erfahrbare Gegenwärtigkeit des Heils hervorgehoben. In
den Lebensläufen wird der beispielhafte Charakter christlichen
Lebens und Sterbens gezeigt. - Mit einem Exkurs über die Kritik
a'n der Leichenpredigt im 16. und 17. Jahrhundert und mit den
Thesen des Verfassers schließt das Werk. Literaturverzeichnis,
Quellenverzeichnis und ausführliches Inhaltsverzeichnis sind angehängt
.

III. An formalen Mängeln des Werkes ist hervorzuheben: Vf.
laßt sich gelegentlich zu historisch ungerechten Werturteilen verleiten
, z.B.: S. 159 und 203 „Unsitte des doppelten Exordiums";
S. 205 „faule" Geschichten. - Mehrfach als Literatur herangezogen,
jedoch weder im Literaturverzeichnis erwähnt noch als Quelle vollständig
angegeben ist Großgebauer, „Wächterstimme" (z. B. S. 171,
Anm. 51; S. 234 Z. 36. - Anm. 49 S. 48 hätte statt der abgekürzten
die ausführliche Quellenangabe stehen müssen. - S. 65 Z. 16 meint
Verf. offenbar „libertinistisch" statt „libertinisch". Die Sperrung
S. 84 Z. 3 stammt wohl vom Verf., wobei allerdings der nötige
Hinweis fehlt. - Als Persönlichkeit vorschnell abgewertet erscheint
dem Rez. Hoe von Hoenegg. Zum besseren Verständnis seiner
Person und seines Werkes wäre (wie auch zur Vervollkommnung
der Darstellungen von Seinecker, Geier und Spener) folgendes
quellenmäßig und bibliographisch sehr ergiebige, noch kaum entsprechend
ausgewertete Werk heranzuziehen gewesen: J. A. Gleich,
Annales Ecclesiastici, Bd. I-III, Dresden und Leipzig 1730. -
Schließlich bleibt unklar, was der Vf. unter analytischen und synthetischen
Predigten versteht (S. 92 und 138). Bekanntlich geht
diese Unterscheidung auf Jakob Andreae zurück und deckt sich
nicht mit den Begriffen „Homilie" und „Themapredigt". - Druckfehler
: statt „Kunrad" (Vorwort Z. 21) besser „Konrad"; S. 192
Z. 11: „Saphire" statt „Sapphire"; S. 225 Z. 12: „1693" statt „1623";
S. 231 Z. 13: „Mittelpunkt" statt „Mitelpunkt". -

Diese Beanstandungen tun dem gesamten Werk jedoch in keiner
Weise Abbruch. Dem Buch ist eine weite Verbreitung zu wünschen.

Walldorf (Werra) Harald Martin

Melanchthon, Philipp: Apologia Confessionis Augustanae,

übers, und hrsg. von Horst Georg P ö h 1 m a n n. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn (1967). 243 S. gr. 8°. Lw.
DM24,-.

Der unbestreitbaren theologiegeschichtlichen und systematischtheologischen
Bedeutung, die Melanchthons (= M.) Apologie des
Augsburgischen Bekenntnisses von 1530/31 (= AC) zukommt, korrespondiert
in negativer Hinsicht ihre weitgehende Unbekanntheit
im allgemein-kirchlichen wie auch im theologischen Raum. Dieser
Sachverhalt - um so erstaunlicher, als die AC ohne Zweifel die
dogmatisch gesehen gewichtigste der lutherischen Bekenntnisschriften
ist - dürfte in erster Linie durch die Komplexität und Kompliziertheit
der AC-Themen und -Materien und ihrer Erörterung
durch M. zu erklären sein, die sich, ausgehend von dem keineswegs
immer leicht zu erfassenden Argumentationsgefüge, bis in
die Sprachgestalt hinein fortsetzt und auswirkt. Dazu kommt,
daß die auch unter Theologen und Theologiestudenten immer mehr
zurückgehenden lateinischen Kenntnisse und Fertigkeiten eine
ernsthafte Beschäftigung mit der AC im Ansatz erschweren und
weitgehend unmöglich machen.

Angesichts dieser Situation erscheint die hier anzuzeigende
Übersetzung von H. G. Pöhlmann. Ihre Absicht ist, „dem Theologiestudenten
den Zugang zum lateinischen Urtext... zu erleichtern
" (11). Sie will also die Beschäftigung mit dem Original nicht
ersetzen, sondern im Gegenteil dazu anleiten, ja anhalten. Zu diesem
Zweck ist sie „bewußt wörtlich gehalten" (ebd.).