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Ausgabe:

1968

Spalte:

761-762

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Luther-Jahrbuch 1967 1968

Rezensent:

Koch, Ernst

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Seite 1

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von gleichartigen Bibel- und Väterzitaten nicht verdecken kann.

Das Buch enthält zahlreiche, meist kleinere Druckfehler, besonders
in den lateinischen und deutschen Zitaten der Anmerkungen
(vor allem S. 12 ZI. 3 v. u.: 1563 satt 1536; S. 108 Anm. 1 ZI. 1:
virium statt unium). Die lateinischen Texte sind leider in der
Schreibweise und Interpunktion der alten Drucke wiedergegeben,
was die Lesbarkeit nicht erhöht.

Tübingen Wilfrid Wtibeck

KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT

Luther- Jahrbuch XXXIV, 1967. Jahrbuch der Luther-Gesellschaft
, hrsg. v. F. Lau, Hamburg: Wittig [1967]. 176S. 8°.
An erster Stelle dieses Jahrgangs steht nach einem Grußwort
zum 60. Geburtstag des Herausgebers und dem Vorwort, das u. a.
einen Nachruf auf den verstorbenen Altpräsidenten der Luther-
Gesellschaft, D. Dr. Paul Althaus, enthält, der zugleich umfangreichste
Beitrag des Bandes: Franz Lau: „Die gegenwärtige Diskussion
um Luthers Thesenanschlag. Sachstandsbericht und Versuch
einer Weiterführung durch Neuinterpretation von Dokumenten
" (S. 11-59). Hier wird zunächst die Auseinandersetzung
seit 1963 dargestellt - nicht ohne immer wieder auf gewisse
Kuriositäten aufmerksam zu machen -, um dann anhand der
Untersuchung von 28 Dokumenten noch einmal Indizien zusammenzutragen
, die für die Klärung des Streitfalls wichtig erscheinen.
Das Ergebnis, zu dem Lau kommt, ist, daß es bis dato noch
nicht sehr wahrscheinlich gemacht sei, daß der Thesenanschlag
eine bloße Legende sei. „Die weitaus größere Wahrscheinlichkeit
scheint immer noch dafür zu sprechen, daß es ungefähr so gewesen
ist, wie man es mehr als 400 Jahre lang erzählt hat" (S. 57).
Dabei bemüht sich Lau, keine temperamentvoll vorgetragenen
fertigen Lösungen anzubieten, sondern mit den Vertretern der
Legenden-These ein Gespräch über die Quellen zu führen, wobei
er konkrete Interpretationswünsche an die Gegner des Thesenanschlags
äußert (S. 55f.).

W. von Loewenich schreibt über „Evangelische und katholische
Lutherdeutung der Gegenwart im Dialog" (S. 60-89) und erstrebt
dabei einen Beitrag zur Klärung der Situation. Diese Situation
kann als dadurch gekennzeichnet gelten, daß das Bild von der
Persönlichkeit Luther, das man auf römisch-katholischer Seite im
Gefolge Denifles zu zeichnen gewohnt war, abgesehen von vereinzelten
Rückschlägen, durch die neue Fragestellung „Luther als
religiöses Phänomen" überholt ist. Übrigens stellt v. Loewenich
selbst Erwägungen über die Persönlichkeit Luther an, die durchaus
nicht unkritisch ausfallen. Aber er zeigt auch die Grenzen
einer rein psychologischen bzw. psychoanalytischen Betrachtung
Luthers auf. Hinter der Wendung in der römisch-katholischen
Sicht Luthers sieht v. Loewenich die Hoffnung der römischkatholischen
Seite, Luther „katholisch" integrieren zu können.
Diese Hoffnung stehe auch hinter der zweiten Phase im römischkatholischen
Lutherbild der Gegenwart, dem Versuch, Luther als
theologisches Phänomen zu verstehen. Hier werden Namen und
Titel von Lortz, Grosche, Bläser, Küng, Kösters, Rahner, Manns
genannt und besprochen und Hinweise auf die Behandlung des
Problems Thomas und Luther angeschlossen. In die Zukunft
weisen die Untersuchungen über Luthers Verhältnis zur mittelalterlichen
Tradition; v. Loewenich nennt dies „das Forschungsthema
Nr. I für die Lutherforschung der kommenden Jahrzehnte"
(S. 77). Ausführlich - auch bezüglich Kritik und Antikritik -
gewürdigt wird Brandenburgs Untersuchung zu Luthers erster
Psalmvorlesung, v. Loewenichs Fazit heißt, daß Luthers Theologie
zu einem ökumenischen Anliegen geworden ist. - Als repräsentativ
für das moderne protestantische Lutherbild sieht v. Loewenich
sechs Strömungen: den Vorstoß Karl Holls, die Sicht der
dialektischen Theologie, das konservativ-lutherische Lutherbild,
das die unerledigten Fragen aus dem Neuprotestantismus aufnehmende
Lutherbild, das katholisierende Lutherbild, das Lutherbild
der kerygmatischen Theologie. Bei dem großen Einfluß,
den Luther auf die römisch-katholische Theologie der Gegenwart
ausübt - er war „vermutlich noch nie so groß wie in unseren

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Tagen" (S. 86) -, ist doch Wachsamkeit gegen den erwähnten
Integrationsversuch geboten. Denn es bleiben diesem Versuch
gegenüber vier kritische Punkte: die Rechtfertigungslehre, der
„subjektive Ansatz" Luthers, die Ablehnung eines kirchlichen Lehramts
, die Loslösung vom Prinzip der Konfessionskirche.

„Zum Thema Luther und Thomas Müntzer" äußert sich (wiederum
) Walter Elliger (S. 90-116). Er sieht in seiner eindringenden
Untersuchung den Gegensatz zwischen den beiden Antipoden
wesenhaft theologisch begründet, nämlich in der jeweils anderen
Sicht des Beziehungsverhältnisses zwischen Gott und Mensch.
Müntzer hat Luthers Frage und Antwort in tiefsten nicht begriffen
, hat die Elemente der Erfahrung und Erkenntnis Luthers,
die er aufgriff, modifiziert und anders gewertet seiner Gedankenwelt
eingegliedert, während Luther Müntzers innere Bedrängnis
nicht erkannte und seine redlichen Bemühungen um einen Ausweg
kaum wahrnahm.

Gerhard Heintze möchte anhand einer Untersuchung von
„Luthers Pfingstpredigten" (S. 117-139) zur Kontroverse zwischen
Prenter und Gerdes über die Aufweisbarkeit von Wirkungen des
Heiligen Geistes nach Luther eingreifen. Sein Ergebnis ist: Prenters
Hauptanliegen wird durch Luthers Pfingstpredigten bestätigt:
Bei Luther geht der Geist nie in seinen Wirkungen auf, alle
Erfahrung zeigt sich durch die Erfahrung der Anfechtung gebrochen
, und der Geist wird nie zum verfügbaren Besitz. Trotzdem
weiß Luther viel von positiven Wirkungen des Geistes im
neuen Leben der Gläubigen zu sagen. Im übrigen bringt der
Aufsatz manches zur Predigtpraxis Luthers, z. B. zur Textbe-
zogenheit und Konkretisierung.

Nach Eigenaussage des Herausgebers kommt der Buchbesprechungsteil
in diesem Jahrgang „nicht ganz zu seinem Recht",
während der Umfang der Luther-Bibliographie wiederum gewachsen
ist: Sie weist 841 Nummern (gegenüber 736 im Vorjahr,
643 im Jahrbuch 1965) auf. Zu erwarten ist wohl, daß die Bibliographie
der Erscheinungen des Jubiläumsjahrs nochmals anwachsen
wird. Wieder ist in diesem Jahrgang die bibliographische
Rubrik „Luthers Theologie und einzelne Seiten seines reformatorischen
Wirkens" am umfangreichsten (264 Nummern). Mag
die Titelanzahl sich auch durch das Prinzip vermehren, den Inhalt
von Sammelbänden nach einzelnen Beiträgen aufzugliedern, so
ist dieses Verfahren doch im Interesse des Benutzers zu begrüßen
und unumgänglich. Herausgeber, Autoren und Mitarbeiter verdienen
Dank für das Jahrbuch, das im gewohnten äußeren
Gewand erscheint.

Körner/Thür. Ernst Koch

W i n k 1 e r , Eberhard: Die Leichenpredigt im deutschen Luthertum
bis Spener. München: Kaiser 1967. 247 S. 8° = Forschungen
zur Geschichte u. Lehre d. Protestantismus, hrsg. v. E. Wolf,
10. Reihe, Bd. 34. Kart. DM 19,-.

I. Das Werk wurde 1965 von der Theologischen Fakultät der
Universität Rostock als Habilitationsschrift des Vf. angenommen.
Die Arbeit möchte „vorbereitende Dienste" für eine Geschichte der
protestantischen Leichenpredigt leisten (S. 10) und darüber hinaus
einen Beitrag zur Geschichte der Predigt im Luthertum geben
(S. 11). Beiden Anliegen wird Vf. durchaus gerecht. Die Form der
Untersuchung besticht durch klaren Satzbau und präzise Formulierungen
. Die Sprache ist anschaulich; entbehrliche Fremdworte
sind vermieden. Neben dem übersichtlichen Schriftbild und den
sachgemäßen Gliederungen bieten diese Erscheinungen einen Anreiz
zum Studium des Werkes.

Inhaltlich wird ein Stück Geschichte der protestantischen Theologie
, der Exegese, der Homiletik, der Pädagogik und der Psychologie
entfaltet, so daß insgesamt eine gute Illustration der
Dogmengeschichte innerhalb der luth. Orthodoxie und ihrer Auswirkungen
erreicht wird. Die historische Stoffanordnung sowie
der Gang der Argumentation konfrontieren den nachdenkenden
Leser mit der gegenwärtigen homiletischen Praxis. Damit besitzt
das Werk indirekt aktuelle Bedeutung. Die Stoffauswahl beschränkt
sich auf die wirklich charakteristischen Erscheinungen und hebt die
jeweils für die weitere theologische Entwicklung fruchtbaren Momente
hervor. Geschickte Zitatenauswahl (durch Kleindruck hervorgehoben
) verrät des Vf. gründliche Kenntnis der Materie.

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 10