Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1968

Spalte:

759-761

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Douglass, Elizabeth Jane Dempsey

Titel/Untertitel:

Justification in late medieval preaching 1968

Rezensent:

Werbeck, Wilfrid

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

759

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 10

760

Douglass, E. Jane Dempsey: Justification in Late Medieval
Preaching. A Study of John Geiler of Keisersberg. Leiden: Brill
1966. X, 240 S. gr. 8° = Studie« in Medieval and Reformation
Thought, ed. H. A. Oberman in Cooperation with E. J. D. Douglass
, L.Grane, G. H. M. P. Meyjes, A.G.Weiler, I. Lw. hfl. 36,-.

Diese bei Prof. H. A. Oberman in Harvard angefertigte Dissertation
verdient in mehrfacher Hinsicht das Interesse der Fachwelt.
Einmal handelt es sich um eine in dieser Ausführlichkeit bisher
lehlende Darstellung nicht nur der Rechtfertigungslehre Geilers
im engeren Sinne, sondern seiner soteriologischen Gedanken allgemein
. Ferner ist die Arbeit, da ihr Material die Predigtüberlieferungen
Geilers sind, ein Beitrag zur Predigtliteratur des ausgehenden
Mittelalters. Schließlich wird „vom Stand der gegenwärtigen
Forschung zur nominalistischen Theologie" aus die These
vertreten, daß Geiler zur nominalistischen Tradition Ockhams,
Gersons und Biels gehört (z. B. 2f .42.205); dies gilt nach Frau
D. auch für den französischen Franziskaner Michel Menot (f 1518),
den sie ebenso wie seinen Ordensgenossen und Landsmann Olivier
Maillard (f 1502) mehrfach zum Vergleich mit Geiler heranzieht.

Das Buch gliedert sich in acht Kapitel. Nach Vorbemerkungen
über Nominalismus, Predigt im Spätmittelalter und methodologische
Probleme begründet Frau D. zunächst („Geiler und die
spätmittelalterliche Predigt", 1-44), warum ihre Wahl auf Geiler
von Keisersberg (f 1510) gefallen ist: Er war ein berühmter Prediger
, der seiner Zeit als gelehrter und orthodoxer Theologe galt
und durch seinen grofjen Freundeskreis unter den oberdeutschen
Humanisten ungewöhnlich weiten Einfluß hatte, ohne natürlich
ein Vorläufer der Reformation zu sein (Exkurs über Geilers Werke
auf dem Index und angebliche Lehrirrtümer: 10-18). Frau D. referiert
sodann den Stand der Geiler-Forschung hinsichtlich der etwas
verwickelten Überlieferung seiner Predigten, von denen sie für
ihre Zwecke vor allem die von Jakob Otter edierten Drucke benutzt
, bringt lehrreiche Ausführungen über Geilers Verhältnis zur
spätmittelalterlichen Predigttradition in bezug auf Methode und
Stil seiner Predigt und stellt kurz Geilers Quellen zusammen, unter
denen besonders Gerson hervorzuheben ist. Die beiden nächsten
Kapitel handeln über Geilers Verständnis von „Glaube und Vernunft
" (45-69) sowie über Schrift und Kirche als Autorität für den
Glauben (70-105: Vollmacht zur Schriftauslegung, Autorität des
gepredigten Wortes, der Hierarchie, der theologischen Tradition).
Das IV. Kapitel („Der natürliche Mensch und die Gnade Gottes",
106-128) beschreibt Geilers Äußerungen zum Urständ, zur Wirkung
der Erbsünde, über die natürlichen Möglichkeiten des Menschen
nach dem Fall (mit vorwiegend positiver Stellungnahme zur
Disposition auf die Gnade ex puris naturalibus), das Zusammenwirken
von Gnade und freiem Willen, die Notwendigkeit von erworbenen
Tugenden, die Wirksamkeit der Sakramente und über
die als Vorauswissen verstandene Prädestination. Kapitel V behandelt
die „Rechtfertigung" (129-161) im engeren Sinne: Geilers Beschreibung
des christlichen Lebens als Kreuz und Leiden mit
Christus in Hinordnung auf die sakramentale Buße, in Erfüllung
der Gebote und in Anpassung des Willens an Gottes Willen; die
Notwendigkeit, sich auf die Gnade vorzubereiten, indem man tut,
was in seinen Kräften steht, und in Erfüllung dieses Gebotes Gott
über alles liebt; die sakramentale Bufje mit ihren Teilen contritio,
confessio und satisfactio. Unter der Überschrift „Menschliches Verdienst
vor Gott" (162-178) folgt die Darstellung des Befundes, daß
Geiler die Rechtfertigung teils als Akt reiner Barmherzigkeit
Gottes, teils als Akt der göttlichen Strafgerechtigkeit beschreibt,
weil er angesichts einer fehlenden Heilsgewifjheit einerseits der
Verzweiflung des Menschen wehren, andererseits seine noch größere
Vermessenheit in die Schranken weisen will. Die Barmherzigkeit
Gottes wird an Hand der Themen des facere quod in se est
(jetzt in bezug auf das Problem von Freiheit und Verpflichtung auf
Seiten Gottes gesehen), des gratis Deo servire und der Notwendigkeit
der Selbstdemütigung besprochen. In seinem Bemühen um
Rettung aus der Sünde erfährt der Mensch Hilfe von Christus und
den Heiligen. Daher schildert Kapitel VII („Communio meritorum",
179-204) Geilers Äußerungen zum Werk Christi, vor allem zur
Passion als Exempel und als Genugtuung für die Glieder des Leibes,
ferner zur Fürbitte der Heiligen, zur Mariologie und Josephologie
sowie zu den Ablässen. Das letzte Kapitel (205-208) skizziert zusammenfassend
Geilers Stellung zur spätmittelalterlichen Theologie
, zum Humanismus und zur Reformation: Er gehört zur nominalistischen
Tradition, hat trotz vieler Humanistenfreunde selbst
keine führende Rolle in der humanistischen Bewegung gespielt
und ist ein Reformer, aber kein Protestant des 15. Jh.s. - Den
Abschluß des Buches bilden eine konkordanzmäßige Liste der lateinisch
und deutsch edierten Werke Geilers, die Bibliographie
sowie Namen- und Sachregister. Bedauerlich ist das Fehlen eines
Bibelstellenverzeichnisses; es hätte sich freilich nur gelohnt, wenn
alle Bibelstellen und Anspielungen nachgewiesen worden wären,
was aber nicht der Fall ist.

Leistung und Verdienst der Untersuchung von Frau D. bestehen
hauptsächlich in der Zusammenstellung und systematischen Anordnung
des verstreuten soteriologischen Materials bei Geiler.
Mühsam und dankenswert zugleich ist ferner das Bestreben,
die - vielfach von Geiler selbst genannten - Quellen seiner Gedanken
aufzuspüren und mitzuteilen. Allerdings ist dadurch, daß
Frau D. fast immer nur kurze Stücke aus den verschiedenen Welken
Geilers zusammenstellt und bespricht, in der Regel bloß ein
punktueller, aber kein kontinuierlicher Vergleich mit der von Geiler
verwerteten Tradition möglich. Man vermißt den Versuch, dar-
•über hinaus an einigen Beispielen zusammenhängende Texte der
Geilerschen Predigten quellenmäßig zu erforschen und mit der
Tradition zu vergleichen, um so genauer das Ausmaß der Benutzung
und Verwertung, dadurch aber auch eventueller Eigenständigkeit
und selbständiger Verarbeitung bei Geiler erkennbar zu
machen. Ein solcher Vergleich auf breiterer Basis fehlt völlig, und
man gewinnt eher den Eindruck, daß der berühmte Kanzelredner
Geiler in seinen theologischen Gedanken ziemlich unselbständig
war und weitgehend traditionelles Gut reproduzierte.

Als theologische Tradition, von der Geiler herkommt, bestimmt
Frau D. die nominalistische Theologie (vgl. 2f.42.56f.134.154.160f.
189.205). Diese These ist in dieser Formulierung um der begrifflichen
Klarheit willen nicht haltbar. Von Nominalismus kann man
nur im Zusammenhang mit bestimmten philosophischen Anschauungen
sprechen, und eine nominalistische Theologie gibt es nur
dort, wo solche philosophische Position theologisch unmittelbar
wirksam wird. Von beidem kann aber auf Grund der Darstellung
von Frau D. bei Geiler keine Rede sein. Außerdem wird mehrmals
Duns Scotus mit Ockham und dessen Nachfolgern oder mit Biel
gleich- oder nebengeordnet' (114f.ll7.118.120.145); niemand wird
aber im Ernst Scotus als Normalisten bezeichnen wollen! Vollends
wird die Anwendung von „Nominalismus" auf Geiler ad absurdum
geführt, wenn die richtige Erkenntnis von Geilers seelsorgerlicher
Verantwortung (vgl. 117.161) so mit seiner theologischen Herkunft
verbunden wird, daß von „pastoral nominalism" in Geilers Predigten
gesprochen wird (205)! Frau D. meint natürlich mit „nomi-
nalistischer Theologie" letztlich stets die ockhamistische Tradition,
die ihrerseits gerade in der Soteriologie weitgehend an Scotus und
über ihn zurück an die ältere franziskanische Schule anknüpft.
Viele der in der Gnaden- und Rechtfertigungslehre wichtigen Formeln
(z. B. facere quod in se est, diligere Deum super omnia, ex
puris naturalibus) haben ja spätestens seit Scotus ihren festen
Platz in diesen Zusammenhängen. In bezug auf Geiler wird man
daher, wie die Arbeit von Frau D. sicher mit Recht zeigt, sagen
können, daß er in seiner Heilslehre aufs Ganze gesehen der sco-
tistisch-ockhamistischen und nicht einer mehr augustinisch-tho-
mistischen Tradition folgt. Von daher ist auch die mehrfach geäußerte
Kritik von Frau D. an Zumkellers Aufsatz über „Das Un-
genügen der menschlichen Werke bei den deutschen Predigern des
Spätmittelalters" (ZKTh 81,1959, 265-305) abzulehnen (vgl. 4.162.
176f). Weder sind die von Zumkeller zitierten Autoren sämtlich
Augustiner (nur 9 von 18 Autoren!), noch handelt es sich bei allen
vorgeführten Texten um Predigten über das Gleichnis vom Pharisäer
und Zöllner (nur 7 von ca. 25 Texten!). Und gerade die von
Frau D. geforderte (177) Beachtung des systematischen Kontextes
zeigt den Unterschied: Wo es um die Selbstdemütigung
des Menschen geht, geben natürlich Biel und Geiler zu, daß die
Verdienstlichkeit guter Werke letztlich in Gottes Gnade ruht (167f).
Das hindert sie aber keineswegs daran, von der Passion Christi
zu behaupten, sie genüge nicht allein zur Seligkeit und sei nicht
die alleinige und völlige Verdienstursache (183 Anm. 2 und 3).
Solche schroffen Äußerungen, die in den von Zumkeller beigebrachten
Texten fehlen, zeigen den Dissensus zwischen augusti-
nischer und scotistisch-ockhamistischer Tradition, den eine Reihe