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Ausgabe:

1968

Spalte:

746

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Heise, Jürgen

Titel/Untertitel:

Bleiben 1968

Rezensent:

Schweizer, Eduard

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Seite 1

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lektischen Theologie. In Anlehnung an die Existenzphilosophie
habe er die Aufgabe wahrgenommen, eine zur Erfassung der Glaubenswirklichkeit
angemessene Begrifflichkeit auszuarbeiten. M.s
Kritik geht sofort aufs Wesentliche: B's radikale Unterscheidung
zwischen der objektivierenden Vernunft und der stets im Vollzug
sich verwirklichenden Erkenntnis des Glaubens. Das Problem
der Geschichtlichkeit der Glaubenswahrheiten ergebe sich aus der
Abhängigkeit der protestantischen Theologie von den Geistesströmungen
derZeit: wo man =;chaufdas bevollmächtigte Lehramt
der Kirche berufen kann, stellt es sich nicht (S. 35f).

Der 2. Teil (S. 43-186) setzt sich in fünf Kap. mit dem E n t m y -
thologisierungsprogramm auseinander. Jedes beginnt
mit der Darstellung eines Aspekts der Frage, in engem Anschluß
an Bultmann, und schließt mit einer eingehenden Kritik. Im ersten
wird gegen die von B. behauptete Notwendigkeit einer Enthmy-
thologisierung geltend gemacht, daß seine „Hypothese" einer unüberbrückbaren
Kluft zwischen antikem und modernem Denken
unbegründet ist: bestände eine solche Kluft, so könnte ja von
einer Interpretation gar nicht mehr die Rede sein. B. ist das
Opfer eines „engen Rationalismus", (S. 75), demzufolge er das
N. T. auf das dem modernen Denken Erträgliche zurückschneidet.
Seine „Geringschätzung einer ganzen Reihe von Tatsachen dos
N. T." verleite ihn, diese kurzerhand abzubauen. Daß im Gegenteil
die Hochschätzung des Wortes und seiner Wahrheit die Fraqe der
Interpretation und die damit verbundene Sachkritik in Gana
bringt, vermag M. nicht zu sehen. Kap. 2 CS. 76ff) befaßt sich mit
der existentialen Interpretation des N. T. Diese habe zur Folge -
was freilich nicht zu bezweifeln ist -, daft die Entscheidung des
Glaubens nicht mehr als freie Wahl begriffen wird, sondern als
„Schicksal" bzw. als Prädestination. Andrerseits bedeute sie eine
radikale Individualisierung, angesichts welcher die sozialen Beziehungen
, und überhaupt die Geschichte, keine oder nur sehr
wenig Bedeutung haben können. Was nun B's Verständnis des
Verhältnisses zwischen Theologie und Philosophie betrifft CS. 108ff),
so stößt sich M. vor allem - was ja nicht verwundert - an der
Lehre von der Verfallenheit des Menschen an die Sünde: von einer
„totalen Verderbnis" des Menschen könne nicht die Rede sein.
Nach altbewährtem Rezept will er zur Widerlegung Bibelstelle
gegen Bibelstelle ausspielen (S. 139f), wodurch die Wahrheitsfrage
preisgegeben ist. Besonders hat es der Verf. auf die forensische
Rechtfertigung abgesehen, nach dem klassischen Mißverständnis,
daft zugesprochene Gerechtigkeit keine wirkliche Gerechtigkeit ist.
Daß das gesprochene Wort den Menschen, ohne zwar dessen „Natur
" zu verwandeln, frei macht bis in seine leibliche Wirklichkeit,
ist für ihn unbegreiflich. Unter dem Titel „Die .Tesusfrage" (S. 143ff)
bespricht M. B's Auffassung von Kreuz und Auferstehung. Er
meint, für B. sei die Auferstehung nichts anderes als der Glaubensakt
der Glaubenden (S. 172). Unter Ablehnung aller Sachkritik,
appelliert er in Sachen Auferstehungsberichte an die „dauernde
Autorität des kirchlichen Zeugnisses" (S. 177). Das 5. Kap. (S. 177ff)
bildet in der 1. Aufl. den zusammenfassenden Abschluß: es bringt
sachlich nichts Neues.

Der dritte Teil des Buches (S. 189ff) behandelt 1. B's Begriff des
Wortes. Es wird B. vorgeworfen, daß er sich mit wunderlicher
Einseitigkeit nur an die israelitisch-eschatologische Linie
halte, und dagegen geltend gemacht: „von den Wurzeln unseres
Innersten her leben wir im Wort und werden wir von ihm bestimmt
" (S. 2011. 2. Zu B's Verständnis des A. T. meint M., daß der
Unterschied zwischen dem A. T. und dem N. T. auf einer Entwicklung
des religiösen Bewußtseins beruhen müsse, da sonst, abgesehen
von dem im N. T. proklamierten eschatologischen Jetzt, eigentlich
kein Unterschied bestehen würde zwischen Juden und Christen
. Dafür, daß die radikale Erfassung von der Gnade das Ende
der Geschichte bedeutet, hat der Verf. kein Verständnis. 3. B's
Begriff der Kirche trifft vor allem der Vorwurf, daß er exklusiv
paulinisch, d. h. vom Wort her bestimmt ist, in welchem Gott
seine Gnade offenbart. Jesus sei leider für B. „nichts anderes" als
das eschatologische Wort. Symptomatisch sei B's Zurückhaltung
u.a. gegen die doch paulinische Lehre vom Leib Christi: von ihr
aus könnte für seinen Begriff der Kirche eine unerwünschte Problematik
entstehen. M's Kritik ist gewiß begreiflich, wenn man
bedenkt, wie gerade diese Lehre, angemessen in Gebrauch genommen
, denen scheinbar rechtgeben kann, für die die Kirche auch
der „fortlebende Christus" ist.

In einer „Schlußbemerkung" (S. 226f) erklärt M., daß er seit der

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ersten Aufl. seines Buches den Protestantismus besser kennenlernte
, so daß er nun die „Schiefheiten und Lücken" in B's Theologie
nicht mehr ohne Unterschied auf dessen Zugehörigkeit zum
„reformatorischen Christentum" zurückführen könne. Im übrigen
solle man B. für die von ihm geschaffene Unruhe dankbar sein.

Man wird fragen dürfen, ob dieses, in der sicheren Festung
katholischer Theologie geschriebene und von den von B. gestellten
Fragen unberührte Buch einen anderen Zweck verfolgt, als die
Konservierung der traditionellen Stellungen. Die meist vorzügliche
(auch öfter zustimmende) Darstellung der theologischen Gedanken
B's verdient allerdings Anerkennung. Daß der Verf. die
seit Jahren weitergehende Reflexion mit keinem Wort erwähnt,
wird man bedauern. Die Übersetzung läßt bisweilen zu wünschen
übrig.

Lausanne Ch. Senf t

Heise, Jürgen: Bleiben, Mencin in den Johanneischen Schriften.
Tübingen: Mohr 1967. XI, 186 S. gr. 8° = Hermeneutische Untersuchungen
zur Theologie, 8. DM25,-; Lw. DM30,-.
Etwas böswillig ließe sich sagen, das Interessanteste an dieser
Arbeit sei das Vorwort von E. Fuchs, das feststellt: „Echte Wörter
. . . verändern sich kaum, verändern aber sehr wohl sozusagen
ihre Umgebung. Sie sind keine Fische, die sich auf verschiedene
Weise zubereiten lassen, aber sie sind der Sprache bekömmlich."
In der Tat ist „bleiben" für die wortgeschichtliche Methode, z. B.
des Theol. Wörterbuchs, unergiebig, da es vor Johannes kaum einen
philosophisch oder theologisch betonten Gebrauch gibt (S. 1-27). Bei
Johannes hat das Wort aber entscheidende Aussagen gestaltet tind
neben der von Bultmann betonten Kategorie der Zeit auch die des
Raums theologisch (und nicht nur mythologisch) bestimmt (172-174V
Es finden sich gescheite Beobachtungen: „Wiedergeburt" beschreibt
die „Vorausgabe" des Wortes, daß nämlich schon das Hörenkönnen
von ihm gewirkt ist; darum ist auch „Bleiben im Wort" nicht nur
Redewendung, sondern als Bleiben in einem lebenschenkenden
Raum zu verstehen; so hat denn auch der Lieblingsiünger keinen
Namen, weil er nur als der, den Jesus liebt (im Raum seiner
Liebe), existiert (73-75. vgl. auch den sakramentalen Charakter
des Wortes", 141). Daft Jesus nach 14,3 die Seinen „zu sich nimmt",
besagt, daß man nicht von sich aus in den Raum der Liebe eindringen
kann, obwohl Jesus durch sein „Kommen" die Welt zum
Ort der Liebe wandelt (101). Die Betonung des „Sohnes" im
1. Johannesbrief kämpft gegen die Illusion der NichtChristen, von
Gott unter Absehuna von Jesus reden zu können (121V Es finden
sich auch neue Vorschläge, die zu diskutieren sind: 1. Joh. 2,15-17
sei sekundäre Einfüaunq (132-134, wobei aber H. Riesenfeld in
Neotestamentica et Patristica 51 ff. zu vergleichen wäre) oder die
Rückführung des Gegensatzes von „Knecht" und „Sohn" in Toh. 8 34
auf die Hagargeschichte (vgl. 8.37ff., S. 79). Aber die 125 Seiten
Einzelexegese führen kaum weiter, weil sie selten über Bultmann,
nur gelegentlich mit neueren Auffassungen garniert, hinausgehen.
Auch Bultmanns Quellentheorien und Umstellungen werden ohne
Diskussion vorausgesetzt, abqesehen von einer deutlicheren Unterscheidung
der von ihm rekonstruierten Vorlage des ersten Briefes
von der des Evangeliums (174-177). Die Aussonderung des „konservativen
" zweiten Briefs wird ähnlich vorgenommen wie in
Bultmanns seither erschienenem Kommentar; da dieser aber noch
nicht vorlag, ist im übrigen die Exegese bei den Briefen eher
eigenständig und fruchtbar als bei dem Evangelium. Gewiß zeigt
sich da und dort der Versuch, die von Bultmann übernommene
Auslegung hermeneutisch weiter auszuwerten; aber da es in einer
solchen Monographie natürlich unmöglich ist, eine Gesamtschau
des Evangeliums wie in Bultmanns Kommentar darzubieten, wird
auch dies nicht fruchtbar, da die 37- Seiten Zusammenfassung
(171-174) dafür entschieden zu knapp sind.

Zürich Eduard Schweizer

Gabathuler, Hans Jakob: Jesus Christus Haupt der Kirche -
Haupt der Welt. Der Christushymnus Colosser 1,15-20 in der
theologischen Forschung der letzten 130 Jahre. Zürich-Stuttgart:
Zwingli Verlag 1965. 186 S. gr. 8° = Abhandlgn. z. Theologie
d. Alten u. Neuen Testaments, hrsg v. W. Eichrodt u. O. Cull-
mann, 45. sfr./DM 22,80.

Die vorliegende Untersuchung wurde 1963/64 von der Theologischen
Fakultät Zürich als Dissertation angenommen und stellt

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 10