Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1968

Spalte:

743-744

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Strobel, August

Titel/Untertitel:

Kerygma und Apokalyptik 1968

Rezensent:

Holtz, Traugott

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

743

fordert und mein Leben gestaltet? Daß das bei den zentralen
neutestamentlichen Inhalten der Fall ist, kann nicht bewiesen,
sondern nur ausgesagt und bezeugt werden; und zwar ausgesagt
und bezeugt in dem weiten Sprechsaal der religiösen Erfahrung
der Menschen, in welchem die neutestamentlichen und nun auch
die qumranischen Klänge nebeneinander zu hören sind."

Das 1. Jahrzehnt der Qumranforschung hat reiche Erträge gebracht
, und es ist dem Verfasser zu danken, daß er in die Texte
und ihre so vielfältig umstrittene wissenschaftliche Bearbeitung
einführt und selber Stellung nimmt. Die versprochene Fortführung
der Arbeit wird hoffentlich nicht zu lange auf sich warten lassen.

Korrekturzusatz: In einem in ThR 33,2 (1968) S. 92ff. erscheinenden
Besprechungsaufsatz behandelt Hans öardtke, einer der eigenständigen Qumran-
forscher, die Frage einer späteren Ansetzung der Qumran-Überlieferung und die
damit sich ergebende andere Sicht sowie überhaupt die stark differenzierenden
Deutungen der Oumranproblematik.

Gießen Georg Bertram

S t r o b e 1, August: Kerygma und Apokalyptik. Ein religionsgeschichtlicher
und theologischer Beitrag zur Christusfrage. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht (1967). 206 S. gr. 8°. Kart.
DM 19,80.

Strobel legt mit seinem Buch „Kerygma und Apokalyptik" den
Versuch vor, die zentrale theologische Bedeutung der Apokalyptik
für die Verkündigung Jesu und die urchristliche Verkündigung von
Jesus darzustellen und darüber hinaus die Erkenntnis der apokalyptischen
Struktur der neutestamentlichen Botschaft für die
heutige Theologie fruchtbar zu machen. „Der Titel der Untersuchung
möchte eine exegetische Erkenntnis und ein exegetisches
Programm formulieren: Kerygma und Apokalyptik, Glaube
und Geschehen" (Vorwort).

Das Buch ist nicht völlig neu konzipiert, sondern baut die frühere
Arbeit des Verf. „Die apokalyptische Sendung Jesu" 1962' aus
unter Verwendung bereits in verschiedenen Vorträgen und Aufsätzen
erarbeiteten Materials. Dadurch ergeben sich einige Wiederholungen
und auch Abschweifungen; aber insgesamt ist das
Buch durchaus einheitlich und auf sein Thema ausgerichtet.

Nach St. ist in der gegenwärtigen Forschung die fundamentale
Bedeutung der Apokalyptik für das Verständnis Jesu durchweg
verkannt. Dabei ist Jesus nur als Apokalyptiker religionsgeschichtlich
zu verstehen, und gerade auch da, wo er die Grenze religionsgeschichtlicher
Analogie durchbricht, ist solcher Durchbruch doch
nur von der apokalyptischen Theologie her zu verstehen. Ohne
Zweifel leistet der Verf. der gegenwärtigen Arbeit an den Problemen
der Apokalyptik damit einen wichtigen und notwendigen
Dienst, dafj er so nachdrücklich die apokalyptische Komponente
im Denken Jesu und seiner Gemeinde betont. Seine scharfe Zurückweisung
eines verbreiteten Gebrauchs des Begriffes „Eschato-
logie" (da ihm „in der heutigen theologischen Debatte gelegentlich
schon nichts Endzeitliches mehr anhaftet. Man könnte mit dem
gleichen Recht auch von einer bloß ,soteriologischen' Botschaft
Jesu sprechen", S. 25; vgl. auch S. 35) ist gewiß nicht völlig unbegründet
. Denn dafj die Eschatologie Jesu apokalyptisch gewesen
ist, d. h. mit dem Erscheinen des Reiches Gottes in himmlischer
Größe und Herrlichkeit in naher Zukunft rechnet, kann historisch
nicht wirklich bestritten werden (St. weist S. 85ff. erneut überzeugend
nach, dafj das Theologumenon vom unbekannten Termin
des Endes zentraler Bestandteil der Apokalyptik ist).

Freilich ist mit dieser Feststellung nur ein sehr allgemeiner
Rahmen abgesteckt, und das eigentliche Problem beginnt erst,
nämlich die Beantwortung der Frage, welchen Platz und welche
Funktion Jesus sich und seinem Werk in dem endzeitlichen Geschehen
zugemessen hat und wie die frühe Gemeinde das aufnahm
und fort- oder umbildete. St. rekonstruiert eine jüdisch-apokalyptische
Menschensohnerwartung, nach der „in eschatologischer
Stunde ein exemplarisch-frommer Mensch der Vorzeit oder Frühgeschichte
Israels zu göttlicher Würde kommt, wobei er himmlischer
Bahnbrecher für die ,Frommen der Endzeit' sein wird. Der
Menschensohn muß sich aber vorher als ,Redivivus-Gestalt' noch
einmal in ,eschatologischer' Zeugnissituation bewähren" (S. 51).
Dieser Menschensohn zu sein sei Jesu Glaube gewesen, wobei

') Vgl. dazu die gründliche Besprechung von U. Wilckens ia ThLZ 89, 1964,
670-672; sie ist in manchem auch für dieses Büch gültig.

744

freilich unsicher sei, ob er sich als eine bestimmte Redivivus-Ge-
stalt angesehen habe (am ehesten dann Henoch) oder aber sich
als die Zusammenfassung und Erfüllung all dieser speziellen
Hoffnungen betrachtete (S. 65). Von daher kann St. alle drei Gruppen
von Menschensohn-Worten in den Evangelien als wenigstens
im Kern historisch ansehen, wobei allerdings etwa die Worte vom
leidenden Menschensohn durch die Überlieferung eine sehr starke
Umbildung erfahren haben. Sie sind in ihrer jetzigen Form Ausgestaltungen
der Gemeinde von der konkreten Erfahrung der Jesusgeschichte
her, ihnen zugrunde aber liegt eine Niodrigkeits-
thematik, die in Jesu Sendungsbewufjtsein eine Rolle gespielt
haben mufj und der - „es lag in der Natur der Sache" - auch eine
gewisse Leidenstheologie virtuell inhärent war (S. 83). Jesus habe
bis zuletzt an den plötzlichen Einbruch des Reiches und seine damit
verbundene Erhöhung geglaubt. Das eigentliche Offenbarungsgeschehen
ist nach St. Jesu Tod. In ihm offenbart sich Gottes
Wirklichkeit. Jesus wirft sich angesichts der Erfahrung der nihilistischen
Abgründigkeit Gottes im Tode doch seinem Gott in die
Arme. Daher darf der Glaube wissen, „dafj Gott gerade dort
gegenwärtig ist, wo nur der Nihilismus des Todes die einzige er-
tahrbare Wirklichkeit zu sein scheint" (S. 160). Auch historischexegetisch
bemüht sich der Verf. zu zeigen, dafj nicht erst Ostern,
sondern bereits Karfreitag für die erste Gemeinde der Zeitpunkt
der apokalyptischen Aonenwende gewesen ist. Das Osterereignis
ist die Bestätigung dessen.

Wir haben nur einige wesentliche Linien hervorgehoben. Sie
sind durch ausführliche religionsgeschichtliche und auch exegetische
Erörterungen unterbaut und ausgeführt. Vornehmlich hat
die Kritik anzusetzen bei den religionsgeschichtlichen Aufstellungen
des Verf. und seinem Gesamtbild der Person Jesu. Denn davon
ist sein exegetisches Urteil über die Einzelüberlieferung der
Evangelien abhängig. Dafj er überhaupt versucht, durch die Formung
und Verformung der Tradition hindurchzustofjen zu ihrem
Grund in der Geschichte Jesu, ist m. E. berechtigt und notwendig.
Nur dürfte die religionsgeschichtliche Plattform des Verf. dafür,
nämlich der Menschensohn sei eine Redivivus-Gestalt, nicht tragfähig
sein, da die Quellen das schwerlich hergeben. Aber selbst
wenn sich das tatsächlich erweisen ließe, dann wäre damit doch
keinesfalls zureichend erklärt, wie die Gegenwartsbedeutung zu
verstehen ist, die Jesus seinem Wirken offenbar zumaß. St geht
auf diese Seite der Überlieferung denn auch kaum ein (die Bemerkungen
S. 151 reichen schwerlich zu, wie ebensowenig die
kurze Behandlung der Gleichnisverkündigung S. 153f.). Jesus hat
sich bereits in seinem Wirken vom Täufer offenbar grundlegend
unterschieden.

St. will seine historisch-exegetischen Ergebnisse auch für die
heutige Theologie fruchtbar machen. Indessen zeigt er doch nur,
daß das Gottvertrauen Jesu Grund und Vorbild gegenwärtigen
Glaubens sein soll und daß dieser Glaube zu bewahren ist angesichts
der Ausweglosigkeit und Katastrophensituation der Welt,
die einem Ende entgegengeht. Wie der Glaube Jesu und seiner
Jünger, daß das Eschaton im Kreuz bereits hereingebrochen ist,
daß das Christusgeschehen also wirkliches Heilsgeschehen ist, zu
interpretieren ist, bleibt dabei offen.

Trotz der Einwände und Fragen ist das Buch wichtig und anregend
. Vor allem imponiert, wie hier ein Einzelgänger, der keiner
der heute gängigen Richtungen angehört, kraftvoll sich einen Weg
durch schwierigstes Gelände bahnt.

Greifswald Traugott H o 1 t z

Marie, Rene, S. J.: Bultmann und die Interpretation des Neuen
Testamentes. 2., erweit. Aufl., übers, v. J. K r e m e y e r u.
R. M. Zadow. Paderborn: Verlag der Bonifacius-Druckerei
[1967]. 231 S. gr. 8° = Konfessionskundl. u. kontroverstheologische
Studien, hrsg. v. Johann-Adam-Möhler-Institut, 1. Lw.
DM 20,-.

Es handelt sich um die Übersetzung der erweiterten Neuausgabe
des 1957 erschienenen Buches, „Bultmann et Interpretation du
Nouveau Testament" (von Bultmann besprochen, ThLZ 83, 1957,
241-250).

In einem ersten Teil (S. 11-42) bestimmt der Verf. Bultmanns
Standort innerhalb der neueren protestantischen Theologie,
in Zusammenhang und Gegensatz zum Liberalismus und zur dia-

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 10