Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1968

Spalte:

737-739

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Perlitt, Lothar

Titel/Untertitel:

Vatke und Wellhausen 1968

Rezensent:

Wagner, Siegfried

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

737

rührender Pentateuch besäße doch mehr Autorität als von anonymen
Verfassern stammende Quellschriften. „Außerdem kann kein
Zweifel sein, daß die immer radikaler werdenden Thesen der kritischen
Schule über die Autorschaft des Pentateuchs mit dazu beigetragen
haben, de-; Bibelglauben überhaupt in weiten Kreisen
zu erschüttern" (S. 15). Ganz abgesehen davon, dafj ein solches
Urteil auf die moderne - zumindest protestantische - Bibelkritik
mitnichten noch zutrifft, gerät der Verf. damit in eine unechte,
der Sache abträgliche Alternative zwischen der kritischen Forschung
und den Glaubensfragen, die nach keiner Seite hin zum
Ziele führt. So bemüht sich der Verf., die Argumente für die mosaische
Herkunft des Pentateuch zusammenzutragen, die die Bibelkritik
widerlegen sollen. Einmal aber wirken diese Erklärungen
weithin gesucht und überholt, zum anderen muß der Autor selbst
zugestehen (S. 46, 58, 99,126 u. ö.), daß sich die „traditionelle
Schule" dem Gewicht der von der Kritik herausgestellten Tatsachen
nicht entziehen könne. Schließlich aber gerät er dadurch in unübersehbare
Schwierigkeiten, da er selbst ja in der Überprüfung der
kritischen Forschung von der wissenschaftlichen Öffentlichkeit
ernst genommen werden möchte. Am Ende wirkt er nämlich weder
traditionell verbindlich noch kritisch überzeugend.

In diesem Dilemma verbleibt der Autor auch während der übrigen
Analyse der alttestamentlichen (und apokryphen bzw. deu-
terokanonischen) Schriften, insbesondere aber bei der Darbietung
über die Prophetenbücher. Er meint beispielsweise die Reden des
Deuterojesaia der Zukunftsschau Jesaias nicht unbedingt aberkennen
zu müssen, wenn er auch die Zweifel an der jesajanischen
Herkunft dieser Kapitel nicht übergeht (S. 2261).

Unter solchen Voraussetzungen werden u. a. dann auch die
Psalmenüberschriften zum eigenartigen Gegenstand der Erörterungen
. „Nur wenn kritisch feststeht, daß eine bestimmte Oberschrift
auf den Autor des Psalmes selbst zurückzuführen ist, müßte
man ihr einen inspirierten Charakter zuschreiben, ein Nachweis,
der aber fast nie zu führen sein wird" (S. 303V In dieser Weise
nie Autorität (d. h. Inspiriertheit) von der Authentizität abhängig
zu machen, wäre allerdings ein überwundener Fehler der historisch
-kritischen Bibelwissenschaft. Aber der Raum reicht nicht dazu
aus, sich in allen Einzelheiten mit diesem Buch auseinanderzusetzen
, so interessant dies auch wäre.

Die zu den einzelnen Kapiteln aufgeführte Literatur wirkt wie
im ersten Band recht zufällig. So fehlt - um nur ganz wenige,
besonders frappierende Beispiele anzuführen - unter den Abhandlungen
über die Samuelis-Bücher: L. Rost, Die Überlieferung von
der Thronnachfolge Davids, (BWANTIII6, 1926 = Das Kleine
Credo und andere Studien zum Alten Testament, 1965. S. 119-253),
im Abschnitt über die Makkabäer-Bücher: K.-D. Schunck, Die Quellen
des I. und U. Makkabäerbuches, 1954, bei der allgemeinen
Einführung in das alttestamentliche Prophetentum: J. Lindblom,
Prophecy in Ancient Israel, 1962. Zum Buch Maleachi ist noch
immer A. v. Bulmering, Der Prophet Maleachi, I/II, 1926/32 zu
nennen. Bei der Literatur über die Psalmen sucht man vergebens
S. Mowinckel, The Psalms in Israel's Worship. I/II 1962. Die Zahl
der vermißten Titel ließe sich ohne Mühe beliebig erweitern, dies
besonders deshalb, weil durchaus entbehrliche Aufsätze angeführt
werden.

Bei aller Schätzung der Bemü'iiinaen um eine kritische Würdigung
der Bibelkritik und den zweifellos erwägenswerten Beobachtungen
und Hinweisen des Autors fällt es schwer, sein Werk zu
loben. Der Autor hat sich in seiner Einleitung mehr vorgenommen,
als er in diesem Rahmen zu leisten vermochte; oder aber er war
sich über die Tragweite seines Vorhabens nicht recht im klaren.
So dürfte dann weder der Einleihinaswi^srnschaft noch dem fragenden
und suchenden Studenten oder christlichen Laien - m. F..
auch auf katholischer Seite - heutzutage wirklich eine weiterführende
Hilfe geleistet worden sein.

Halle/Saale G. Wallis

P e r 1 i 11, Lothar: Vatke und Wellhausen. Geschichtsphilosophische
Voraussetzungen und historiographische Motive für die Darstellung
der Religion und Geschichte Israels durch Wilhelm Vatke
und Julius Wellhausen. Berlin: Töpelmann 1965. X, 249 S. gr. 8°
= Beihefte zur Zeitschrift f. d. alttestamentl. Wissenschaft, hrsg.
v. G. Fohrer, 94. Lw. DM42,-.

738

Wer wissenschaftsgeschichtlich gearbeitet hat, weiß, wieviel
Mühe aufgewandt werden muß und wieviel entsagungsvolle Arbeit
notwendig ist, ehe das Mosaikbild sich fügt, das dem Betrachter
verständlich werden soll. Immer begleitet die Sorge den Gang
der Untersuchungen, ob auch wirklich das festgehalten ist, was für
die Auffassung des zu Untersuchenden charakteristisch ist. Immer
steht die Frage daneben, ob man seinem Gegenstand auch gerecht
wird und nicht eigene Gedanken, Interpretamente und Vorverständnisse
einführt und dem System des anderen unterlegt. Der
Wissenschaftsgeschichtler hat der Versuchung zu widerstehen,
sich selber sprechen zu lassen, bevor der andere sich genügend
ausgesprochen hat.

Ähnliche Gedanken müssen L. Perlitt bei seiner hier anzuzeigenden
Arbeit gekommen sein; denn eigentlich ging es ihm primär
nicht um Vatke und Wellhausen, sondern um Wellhausen
allein. Er bemerkt in der Wissenschaftsgeschichte eine gewisse „Unsicherheit
in der theologiegeschichtlichen Einordnung und Wertung
Wellhausens", in die er Klarheit zu bringen hofft. Aber sobald
er nach „Kriterien für eine angemessene Beurteilung" sucht,
muß er über den enggesteckten Rahmen einer Analyse des Well-
hausenschen Werkes hinaus Leben und Werk des großen Gelehrten
in dessen Umwelt stellen (S. 1 u. ff). Die bunte Skala der Ansichten
über Wellhausen ist auf die Richtigkeit ihrer Gradeinteilung
hin zu überprüfen. „Wo Namen wie Hecrel und Mommsen, wo
Begriffe wie Geschichtsphilosophie, Aufklärung oder Evolutionis-
mus verhandelt werden", müssen die „nomenklatorischen Voraussetzungen
" untersucht werden, „um dem zu entgehen, was die
Wellhausen-.Beurteilungen' weithin kennzeichnet: dem Bereich der
unkontrollierbaren Meinungen" (S. 4). Daß Vatke nun neben Wellhausen
in die überarbeitete Dissertation (Kirchl. Hochschule Berlin
1962) P.s geriet, liegt an der stereotyp wiederholten Behauptung
, daß Wellhausen über Vatke unter den bestimmenden Einfluß
der Hegeischen Philosophie gekommen und von dorther zu begreifen
sei CS. 3). Zwar hat sich Wellhausen wiederholt zu Vatkes
.Biblischer Theologie' bekannt, und zwar hat Vatke nie ein Geheimnis
daraus gemacht, daß er in seinem Denken Hegel stark
verpflichtet ist, deshalb braucht aber die daraus konstruierte geistesgeschichtliche
Abfolge Hegel-Vatke-Wellhausen, auf der alle
neuere Wellhausen-Kritik beruht, nicht richtig zu sein (S. 3). P.
fragt mit Recht: „Sollte der Weggefährte eines H. Cohen und Ed.
Schwartz, der vertraute Freund eines Wilamowitz und Verehrer
Mommsens um seiner Vatke-Lektüre willen wirklich nur von der
Hegeischen Geschichtsphilosophie her zu verstehen sein?" (S. 4).
So ergibt sich die Gliederung der P.schen Studien: Ein Erster
Teil geht den geschichtsohilosophischen und historiographischen
Voraussetzungen nach, die in der neueren Geschichtsbetrachtung in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu berücksichtigen sind
(S. 6ff). Aufklärung und Präromantik (im Sinne Fr. Meineckes)
werden in ihrem Verhältnis zur Geschichte untersucht. Dabei dienen
Lessing, Herder und Kant als Beispiele. Unmittelbar daran
schließt sich eine Darstellung der Grundlinien Hegelscher Geschichtsphilosophie
(S. 31ff), der gegenüber die Grundlagen der
deutschen Historiographie des 19. Jahrhunderts entfaltet werden
(S. 57ff). Nach der Skizzierung der Entwürfe von B. G. Niebuhr,
L. v. Ranke und Th. Mommsen erörtert P. die vom historischen
Realismus, Positivismus und Evolutionismus ausgehende Gegen-
Seweguna geoen die von Hegel weithin bestimmte Geschichts-
hilosophie (S. 71ff). Auf diesem differenzierteren Hintergrund
And zunächst die Gedanken Vatkes und später die Wellhausens
zu definieren (S. 86ff.l53ff).

Der Zweite Teil des Buches wendet sich darum der Geschichts-
schreibuna Vatkes zu. deren Darstellung ausführlicher sein muß,
als dies für das Verständnis von Wellhausen an sich notwendig
wäre, weil Vatke heute weithin in Vergessenheit geraten bzw.
völlig unbekannt ist. Die theologiegeschichtlichen Werke von
K. Barth und I. Hirsch nennen nicht einmal mehr seinen Namen
(S. 3.4). P. gelingt es in diesem Abschnitt seines Buches, das Bild
Vatkes differenzierter darzustellen, als es im Gedächtnis vieler
Wellhausen-Kritiker haftet. Neben Hegel muß der bestimmende
F.infhifi de Wettes namhaft gemacht werden, auch wenn zum Schluß
die Feststellung steht: „Vatkes Anschluß an die spekulative Philosophie
Hegels hat zu einer vollständigen Oberlagerung ssiner bemerkenswerten
historisch-kritischen Einsichten geführt." Hegels
Geschichts- und Religionsphilosophie haben ihm „entscheidende

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 10