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Ausgabe:

1968

Spalte:

731-732

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lagrange, Marie-Joseph

Titel/Untertitel:

Le père Lagrange 1968

Rezensent:

Bardtke, Hans

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Seite 1

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ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

Le Pere Lagrange: Au Service de la Bible. Souvenirs
personnels. Preface de P. Benoit. Paris: Les Editions du Cerf
[1967], 381 S. kl. 8° = Chretiens de Tous les Temps, 22. ffr. 16.50.
Neunundzwanzig Jahre nach dem Tod des Pater Lagrange wird
nun pietätvoll die persönliche Aufzeichnung seiner Lebenserinnerungen
herausgegeben. Daß der äußerst arbeitsame und literarisch
so fruchtbare Autor auch die Zeit gefunden hat, seine Lebenserinnerungen
niederzuschreiben, kann ihm von der wissenschaftsgeschichtlichen
Forschung nicht genug gedankt werden, hat er
doch eine kostbare Geschichtsquelle geschaffen, auf die nach
Abschluß des Zweiten Vatikanischen Konzils nunmehr in großer
Dankbarkeit zurückgeblickt werden darf - stammen sie doch
von einem Mann, der sich der historisch-kritischen Bibclforschung
verschrieben hatte, ohne daß seine Kirche ihn dabei gewähren
ließ. Er tritt als ein seiner Zeit vorauseilender Geist vor uns
hin, der die Irrtümer seiner Kindheit und Jugend darstellt und
nichts beschönigt. Ein gütiger Realismus liegt über seiner Schilderung
insbesondere der des „petit seminaire d'Autun" und über
dem Eingeständnis, dafj er mehr seiner eigenen Neigung als
seinen lateinischen Studien nachgegangen sei, indem er die
„letzten Tage von Pompeji" von Bulwer Lytton und „Ivanhoe"
von Walter Scott gelesen habe. Und am 22. September 1936 fügt
er hinzu, dafj man nach seinem Tod von seiner „activite" sprechen
würde, aber diese habe erst im Seminaire begonnen, und dann
zitiert er aus einem an ihn gerichteten Brief seiner Mutter, in
dem sie ihn vor der Weichheit, dem Trägesein warnt, Fehler,
die sie an ihm während seiner Ferien wahrgenommen habe.
Diese Ehrlichkeit gegen sich selbst sichert diesen Lebenserinnerungen
auf alle Fälle ihren Platz in der Weltliteratur, speziell
der autobiographischen Literatur. Er schreibt selbst in einer abgedruckten
Vorbemerkung, daß man nach seinem Tod in einer
exakten Weise von ihm sprechen sollte, daß nicht die Wahrheit
unwillentlich dabei verletzt werden dürfte. Aus diesem Grund
verfasse er diese Lebenserinnerungen. Die Jugenderinnerungen
umfassen die Jahre 1855-1873, umschließen also auch noch den
Deutsch-Französischen Krieg. An diesen Erinnerungen hat der
Verfasser von 1930-1936 geschrieben. Die Erinnerungen an die
Jahre 1889-1913 sind im März/April 1926 niedergeschrieben
worden. Nach diesen Daten der Niederschrift sind daher die
Stücke geordnet worden. Erst kommen die Aufzeichnungen, die
seine Wirksamkeit bei der Gründung der „Ecole Biblique" und
dann in ihrem Bestehen betreffen sowie seine Gründung der
„Revue Biblique" mit allen Anfeindungen und Verdächtigungen,
denen er ausgesetzt war, und dann kommen die erst später aufgezeichneten
Jugenderinnerungen. Der Benutzer tut gut daran, erst
die Jugenderinnerungen zu lesen, um von da aus den Schlüssel
zu gewinnen zu dem Mann, der der Gründer und erste Leiter
eines katholischen bibelwissenschaftlichen Instituts auf dem Boden
Palästinas in Jerusalem und einer der Vorkämpfer der historischkritischen
Erforschung der Bibel innerhalb der katholisch-theologischen
Wissenschaft geworden war.

Freilich ist derjenige Teil der Erinnerungen, der die Zeit in
Jerusalem umfaßt, insofern der wichtigere, als er die Anklagen
gegen Lagrange und die Darstellung seiner völligen Unterwerfung
unter den Papst enthält. Dieser Abschnitt ist überschrieben
„L'Annee terrible" (1912) (S. 200). Der Abschnitt „Soumission du
P. Lagrange" (S. 203-205) ist vielleicht der menschlich größte und
schönste in diesem Buch, die Sprache gewinnt in ihm einen
singulären Charakter und läßt etwas von der ernsten und menschlich
großen Stimmung ahnen, die das Herz dieses Mannes Lagrange
in jener Zeit erfüllte. Und dazu möchte ich jenen „Nunc dimittis"
überschriebenen Abschnitt stellen vom Jahr 1926 (S. 215), in dem
der Greis Lagrange diese Unterwerfung unter das Urteil „du
Vicaire de Jesus-Christ" wiederholt. Fast dreißig Jahre später ist
durch die Entscheidung des 2. Vatikanischen Konzils dieser fromme
und kritische Bibelwissenschaftler gerechtfertigt.

Einunddreißig Briefe, zum Teil in französischer Übersetzung,
zum Schluß angefügt (S. 295-368), belegen als Originaldokumente
aus jenen Jahren des Kampfes um die Durchsetzung einer kritischen
Bibelwissenschaft im wissenschaftlich-katholischen Raum
die Einzelangaben der persönlichen Lebenserinnerungen. Diese
Originaldokumente sind um so wichtiger, als der Pater Lagrange

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bekennt, daß er keine Tagebücher geführt habe, sondern nur Ein-
zelaufzedchnungen gemacht habe, im übrigen sich auf sein Gedächtnis
und seine Briefsammlungen stützen müsse.

Ein sehr warm geschriebenes Vorwort von Pierre Benoit, dem
derzeitigen, berühmten Leiter der Ecole Biblique und führenden
katholischen Neutestamentier, weist darauf hin, daß diese Erinnerungen
, speziell jener zuerst niedergeschriebene Teil, nur für
die Brüder des Konvents bestimmt gewesen sei, und nur für sie
wollte der Pater Lagrange darlegen, was ihn bewogen hätte,
jenen Kampf für eine historisch-kritische Bibelwissenschaft zu
führen. Nunmehr glaubten aber die Brüder des Konventes die
Stunde für gekommen, einem größeren Kreis diese Lebenserinnerungen
durch den Druck zugänglich zu machen. Pater Benoit
benutzt die Gelegenheit zu unterstreichen, daß Lagranges Kritik
ebenso wahr und ehrlich gewesen sei wie sein Glaube und seine
Unterwerfung unter das Lehramt der Kirche (S. 13). Eine Mitteilung
überrascht und stimmt dankbar gegenüber dem menschlichen
Schicksal des verstorbenen Pater Lagrange. Am Ende der
Vorrede sagt Pater Benoit, daß die sterblichen Überreste von
Lagrange nach Jerusalem gebracht und im Zentrum der von ihm
gegründeten Ecole Biblique beigesetzt worden sind. Licht des
Geistes und Wärme des Herzens mögen, so wünscht es Pater Benoit,
von diesem Grabe ausgehen.

Leipzig Hans B a r d t k c

[Baetke, Walter:] Festschrift Walter Baetke. Dargebracht zu
seinem 80. Geburtstag am 28. März 1964, hrsg. v. K.Rudolph,
R. Heller, E. Walter. Weimar Böhlaus Nachf. 1966. 391 S.,
11 Taf. 4°. Lw. M63,-.

Zum 80. Geburtstag des bekannten Leipziger Forschers Walter
Baetke hat eine stattliche Zahl von Gelehrten sich zusammengetan
, um ihn mit einer Festschrift zu ehren. Da es unmöglich
ist, im Rahmen einer Besprechung den mehr als dreißig Beiträgen
allen gerecht zu werden, muß der Rezensent sich größtenteils
beschränken, darüber kurz zu referieren.

Die Festschrift wird eröffnet mit einem langen Beitrag von
P. Aebischer über die Komposition des Rolandliedes, worin er
eine neue Lösung vorschlägt für eine alte Frage. F. B e h n informiert
kurz über Kultdenkmäler mit einer Darstellung des reitenden
Mithras. Er interpretiert diese Darstellung als Symbole des
Sieges des Lichtes über die Finsternis und sieht hierin eine
Verquickung von Mithras mit Wodan. W. B e t z schreibt über Andersen
und Kierkegaard, zwei große Männer, die einander, wie es
scheint, nicht gerne hatten. S. Beyschlag denkt nach über das
Bild des 12. Jahrhunderts in Norwegen, wie es uns in dem Werk
von Snorri Sturluson geschildert wird. Im Rahmen seiner Untersuchungen
über den Dualismus gibt U. B i a n c h i einen Beitrag
über den .trickster' in Jägerkulturen, welche eine Art Nachtrag
zu seinem Buch über den Dualismus ist und der sich beschränkt
auf Feuerland und Südostaustralien. Reich an Gedanken und
interessant für die Vergleichende Religionswissenschaft ist der
kurze Aufsatz von A. C 1 o s s über ,Das Heilige und die Frage
nach einem germanischen Totemismus'. Von großem Interesse für
die Symbolforschung ist die Studie von C. M. E d s m a n über
den ,Arbor inversa' im christlichen Mittelalter, in der Antike und
im Orient. Den umgekehrten Baum, wohlbekannt aus der Vorstellungswelt
des Schamanismus, findet er wieder in einer der
Visionen der holländischen Mystikerin Hadewych. Sein Beitrag
verfolgt den größeren ideehistorischen Zusammenhang dieser
eigenartigen Vorstellung. O. E i ß f e 1 d t geht der Frage nach,
welche symbolische Bedeutung Gottesnamen in Personennamen haben
mögen, und meint, daß die unter Israels Nachbarvölkern gebräuchliche
Verbindung von ,Sohn und .Tochter' mit einem Gottesnamen
„weniger die Gestalt der betreffenden Gottheit im Auge
hat, als vielmehr die Eigenschaft, die sie repräsentiert". J. Erben
berichtet kurz darüber, wie wir den Schluß des zweiten Merseburger
Zauberspruchs verstehen müssen, und S. Gutenbrunne
r bietet unter dem Titel ,Ostern' einige neue Materialien zutn
Synkretismus der Merowingerzeit. P. Hallberg schreibt über
Replik und Dialog in der Njals Saga. F. Heiler hat einen Beitrag
gestiftet unter dem Titel .Vom Naturwunder zum Geisteswunder',
worin er, wie gewöhnlich, viel Material zu dieser Frage gesammelt
hat. H. M. Heinrichs, J. Helgason und R. Heller
behandeln einige Fragen der altnordischen Literatur. Über die heute

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 10