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Ausgabe:

1968

Spalte:

704-705

Kategorie:

Psychologie, Religionspsychologie

Autor/Hrsg.:

Harsch, Helmut

Titel/Untertitel:

Das Schuldproblem in Theologie und Tiefenpsychologie 1968

Rezensent:

Haendler, Otto

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 9

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dogmatischen Voraussetzungen, welche der Bartschen Theologie
entnommen sind, finden in den praktisch-ethischen Ausführungen
kaum noch einen Widerhall. In ihnen steht nun doch der Mensch
allein mit seinen Entscheidungen, und er mufj es darauf wagen
anzunehmen, es sei Gott, der ihn zu diesen Entscheidungen ertüchtigt
. Wie weit L. menschliche und göttliche Entscheidung miteinander
identifiziert, wird aus der Beobachtung klar, mit welcher
er Hiroshima und Nagasaki als „Zeichen des Druckes, den Gott
mit dem Ziel einer umfassenden Verwirklichung der vollen
Menschlichkeit des Menschen ausübt, und so weit sind sie ethisch
bedeutsam und zu rechtfertigen" (241) einschätzt. Bei solchen Beobachtungen
läuft es einem kalt über den Rücken. Was man in
Harvey Cox' „The secular c i t y " ganz unbefangen ineinander
greifen sieht, Gottes und des Menschen Tun, das kündigt sich
bei L. schon ausgesprochen an und beide verraten einen humanistischen
Optimismus, der vielleicht kennzeichnend für die amerikanische
Mentalität ist. Daß das Evangelium die „Welt" auch noch
von einer ganz anderen Seite her bewertet, die mit Verfolgung,
Kreuz und Tod aufwartet, kann bei L. keine Verarbeitung in seinem
ethischen System finden. - Befremdend ist ebenfalls die Beobachtung
(S. 77f.), dafj die israelitische und rabbinische Frömmigkeit
eine Unfähigkeit aufweisen soll, ein enges Vertrauensverhältnis
zwischen Gott und Mensch auszudrücken. Wer sich auch nur
oberflächlich in die biblische z e d a k a vertieft hat, wird anders
urteilen müssen.

Basel Hendrik van O y e n

Marek, W. H. M. van der: Grundzüge einer christlichen Ethik,
übers, v. H. Zulauf. Düsseldorf: Patmos-Verlag [1967]. 168 S.
8° == Patmos Paperback. DM 14,80.

Das Buch ist aus dem Niederländischen übersetzt und mit kirchlicher
Druckerlaubnis erschienen. Es will eine Antwort geben auf
die dringende Frage nach einer Erneuerung der Ethik oder Moral,
eine Fundamentalethik, die noch eigentlich keinen Ausgangspunkt
für eine Erneuerung sein kann, eher eine grundsätzliche Zusammenfassung
dessen, was allmählich an neuer Einsicht in den konkreten
Lösungen der ethischen Einzelfragen hervorwächst, sein
müßte.

Verf. bejaht scheinbar eindringlich den Ruf nach einer christo-
zentrischen Theologie und Moral. Tatsächlich geht es aber um den
in aller Menschlichkeit präsenten Gott oder Christus, d. h., es läuft
auf eine autonome Moral der Mitmenschlichkeit aus, in der freudigen
Überzeugung, daß die menschliche Moral faktisch christlich
ist. Zwar unterscheidet der Verf. traditionsgemäß zwischen göttlichen
und sittlichen Tugenden. Es handelt sich aber dabei nur
um zwei reale Aspekte ein und derselben Realität. „Wenn deshalb
die theologische Tradition von eingegossener Tugend spricht, kann
man darunter zunächst verstehen, daft alle wahre Menschlichkeit
wirklich göttliche Gabe ist" (S. 93). „An die katholische Kirche glauben
bedeutet daher primär nicht: davon überzeugt sein, daft eine
bestimmte soziologische Organisation sich rechtens mit ihrer Heilsverkündigung
an alle Menschen aller Zeiten an allen Orten in der
Welt richtet, sondern faktisch, d. h. in der Tat, den Gott erkennen,
der in jedem Menschen und in aller Menschlichkeit als Gabe und
Aufgabe zugleich erscheint" (S. 23). Gott erscheint wirklich so im
Mitmenschen, „dafj die Tradition hier im Anschluß an die Heilige
Schrift von ,frui Deo' und ,videre Deum' spricht" (S. 93). Der Begriff
.eingegossener habitus' bezeichnet deshalb „nicht eine besondere
andere Realität neben dem eigenen menschlichen habitus,
sondern enthüllt den göttlichen Geschenkcharakter dieses besonderen
menschlichen habitus" (S. 88).

Entsprechend wird der Mensch nicht im alten Sinne als Leib und
Seele, sondern als Leiblichkeit und Intersubjektivität verstanden,
so daft die Leiblichkeit als Mittel und die Intersubjektivität als
Zweck bezeichnet wird. Die Menschen sind auf Mitmenschlichkeit
angelegt, und sie sind „im allgemeinen trotz ihrer Fehler
und Gebrechen doch wirklich guten Willens" (S. 113). Deshalb
bringt auch die christliche Verkündigung nicht eine eigene Ethik,
sondern enthüllt den Heils- und Unheilscharakter des menschlichen
Ethos. Die christliche Verkündigung bringt keine eigenen Tugenden
, die der Heiligen Schrift entnommen wären, sondern beleuchtet
den göttlichen Charakter des konkreten menschlichen Kulturideals
" (S. 149). Die Offenbarung macht klar, dafj Gott sich in seiner
Welt offenbart, „und dadurch erweist sich mein Umgang mit

dieser Welt als ein Umgang mit Gott selbst, d. h. als Glauben"
(S. 146). Der Mitmensch ist „nicht ein unvermeidlicher Schritt hinauf
zu Gott, sondern .imagoDei': Gottes menschliche Gestalt. Auf
dieser Wirklichkeit beruht primär die Tatsache des Glaubens oder
des Ungläubigseins" (S. 147). Und .meritum' oder Verdienst bedeutet
somit auch wesentlich nichts anderes „als eine Verbesserung
der persönlichen Beziehungen" (S. 132). „Überall, wo der Mensch
versagt, wird Gottes menschliches Antlitz verdunkelt" (S. 114).

Eine reine Religion und Ethik der Mitmenschlichkeit? Doch wohl
nicht. Es wird auch hier von Heil und Heillosigkeit gesprochen.
Sakramente und Gebet werden erwähnt usw. Es wird aber, wie
es scheint, alles letztlich hineingesogen in „die faktische Religiosität
der Mitmenschlichkeit" (S. 165). Und schließlich soll das alles
als eine Analyse des heiligen Thomas gelten. Freudig behauptet
der Verf., dafj die vier Kardinaltugenden sachlich mit der pauli-
nischen Liebe identisch sind (S. 140). Seufzend denkt der Leser
an Sören Kierkegaards ,Werke der Liebe' oder etwa auch daran,
was H. J. Iwand über Gesetze und Evangelium ausgeführt hat.
Und man fragt sich, ob dieses Buch typisch für eine neue Entwicklung
in der katholischen Ethik ist. Trotz allem, was man etwa
gegen die augustinische Lehre von der Caritas einwenden kann,
wäre das m. E. einfach verhängnisvoll. Wie weit sind wir eigentlich
hier von der berüchtigten amerikanischen Gott-ist-tot-Bewe-
gung entfernt? Den Ausdrücken nach weit, aber der Sache nach?

Gentohe N. H. S 0 e

D e m m e r , Klaus: Gebet und Entscheidung (ThGl 58, 1968 S. 213
bis 235).

Kerber, Walter: Neue Entwicklungen in der kirchlichen Eigentumslehre
(StZ 182, 93. Jg. 1968 S. 27-38).

Lötz, Martin: Der Begriff der Revolution in der ökumenischen
Diskussion (DtPfrBl 68, 1968 S. 265-268).

Mackay, Donald Maccrimmon: Technik der Information und
die Manipulierbarkeit des Menschen (ZEE12, 1968 S. 147-156).

Menzel, Eberhard: Völkerrecht und Friedenssicherung (ZEE 12,
1968 S. 129-146).

Rideau, Emile: La sexualite selon le Pere Teilhard de Chardin
(Nouvelle Revue Theologique 100, 1968 S. 173-190).

Schmidt, Ernst Walter: Zur Frage der Unbedingtheit ethischer
Normen (NZSTh 10, 1968 S. 190-203).

Visser't Hooft, Willem A.: Dienen und Versöhnen (ZdZ 22,
1968 S. 41-48).

Vogel, Friedrich: Ist mit einer Manipulierbarkeit auf dem
Gebiet der Humangenetik zu rechnen? Können und dürfen wir
Menschen züchten? (ZEE 12, 1968 S. 157-174).

Ziegler, Josef Georg: Moraltheologische Überlegungen zur
Organtransplantation (TThZ 77, 1968 S. 153-174).

PSYCHOLOGIE
UND RELIGIONSPSYCHOLOGIE

Harsch, Helmut, Dr. theol.: Das Schuldproblem in Theologie
und Tiefenpsychologie. Heidelberg: Quelle & Meyer 1965. 208 S.
8° = Beiträge zur Praktischen Theologie, hrsg. v. W. Uhsadel,
3. Kart. DM19,50.

Das Schuldproblem ist in der Theologie an sich wohl als das
meistbehandelte Thema anzusprechen. Auch in der Psychologie
gehört es zu den dringendsten Problemen, und in beiden Bereichen
wird es heute nicht nur von den Fachvertretern als solches
erfahren, sondern auch beiderseits als überfachlich erkannt und
anerkannt. So ist eine Studie über das Schuldproblem in Theologie
„und" Tiefenpsychologie nicht nur ein zeitgemäßes, sondern
auch ein verheißungsvolles Thema.

Beide Bereiche werden mit gleicher Sorgfalt untersucht sowie
umsichtig und übersichtlich vor Augen geführt.

Gegenüber der weitverbreiteten primitiven Auffassung, im Alten
Testament gehe es eben um „Gesetz" und im Neuen um „Evangelium
" - und gegenüber der Meinung, damit habe man nun „verstanden
" -, bietet der Autor eine gründliche Analyse des jeweils
speziell ausgestalteten Verständnisses des Schuldproblems in nicht
weniger als sechs Epochen: Frühzeit Israels, Priestertum, Propheten
, Jahwist, Weisheitsliteratur, Judentum. Für das Neue Testament
bietet die Analyse vierfach verschiedenes Verständnis der
Schuld als Schulden, Auflehnung gegen Gott, Leben nach dem
Fleisch, und Schuld am Nächsten, dann in weiterer Ausformung