Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1968

Spalte:

700-703

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Lehmann, Paul Louis

Titel/Untertitel:

Ethik als Antwort 1968

Rezensent:

Oyen, Hendrik

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

699

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 9

700

der Vergöttlichung auf die Gottesschau verleiht ihr aber nun ein
personales Gepräge: »In der Mitteilung des lumen gloriae vollzieht
sich ... die Aufnahme der Kreatur in die personale Intimität
Gottes" (377). Für den späteren Scheeben gilt die Gnade als „gnädige
Aufnahme in das ürgeheimnis seliger Gemeinschaft von
Vater, Sohn und Hl. Geist" (3). In seinem Tun und Sein wird der
Mensch hineingenommen „in die Familiengemeinschaft der drei
göttlichen Personen" (361). Das „innertrinitarische Vermittlungsspiel
wird.. . durch den hl. Geist in die Kreatur hinein weitergeführt"
(363). Die Personalität der Gnade kommt aber nicht nur in ihrer
trinitarischen Abzweckung (379f), sondern auch in ihrem Kindschaftscharakter
zum Ausdruck: Die Gnade erhebt den Menschen
„aus der Knechtschaft zur Kindschaft Gottes" (97). Die „Ausrichtung
" des Menschen auf die Gottesschau wird vom „Zeugungs- und
Kindschaftsgedanken" her „einsichtig" gemacht (111). Die Gnade
ist kein neutraler Kraftstoff, sondern eine personale Begegnung.
Wie ein Vater auf sein Kind „geht" Gott „als unendliche Person
auf eine endliche Person zu" (103). Die „Übernatur" ist der „Kristall
", die .Kindschaft" ist das „Licht, in dem er erstrahlt" (100).
Wie stark Scheeben darauf abhebt, die Gnade personal zu begreifen
, erhellt auch daraus, daß er sie nicht nur als „Akzidens" (94)
- d. h. als „Qualität" (95) und „habitus" (96) -, sondern zugleich
als Substanz begreift (94), wodurch ihr persönliches Gegenüber
zum Menschen gewahrt bleibt. Die Gnade ist kein Medikament,
das getrennt vom Arzt existiert. Das Medikament ist der Arzt selbst:
Scheeben unterstreicht, „dafj die unerschaffene Substanz Gottes
selbst sich der Kreatur mitteilt", und zwar „nicht nur als Vorbedingung
übernatürlichen Erkennens und Liebens, sondern als eine
da9 Gesamt sein der erhobenen Kreatur mitkonstituierende
quasi-causa-formalis" (361f), m. a. W. Gott ist Inhalt, nicht nur als
Ursprung der Begnadung. Nicht nur die gratia creata, auch die
gratia increata ist causa formalis des Begnadeten, eine innerhalb
der römisch-katholischen Tradition ungewöhnliche Sicht der Gnade!
Die „göttliche Substanz" wird selbst „eingesenkt" in den Menschen
(363). .„Gnade' meint in ihrer Sinntiefe nichts anderes als
den sich mir schenkenden Gott: Gott selbst wird zur Gnade, zur
sich gnädig gewährenden gratia increata" (376), „die ungeschaffene
Gnade schenkt sich nicht als etwas Sachhaft-Anonymes, als
göttliche Wesenheit oder Natur, als gesichtlose .Gottheit'; sie tut
sich uns auf als Person" (376). Die Gabe ist der Geber selbst,
weil sie letztlich in der visio beatifica besteht: „Das aber, worin
sich die Einheit von geschaffener und ungeschaffener Gnade innerhalb
der Wirklichkeit des begnadeten Geschöpfes als organischlebendige
erweist und auswirkt, ist der kreatürliche, gottartige
Lebensakt, die visio zuhöchst" (368). Dabei schaut Scheeben die
griechische und die lateinische Tradition in eins: „Wenn nun die
Mitteilung der Substanz Gottes das von den Griechen betonte, die
Verleihung der geschaffenen Gnade das von den Lateinern am
meisten beachtete Moment ist, dann schließt Scheeben beide Konzeptionsweisen
dahin zusammen, dafj die griechische die Transzendenz
, die lateinische die Immanenz der einen .Gnade' andeutet
" (368). - Interessant ist die abschließende Beurteilung
Hoffmanns: „Scheebens Vergöttlichungslehre" „gefällt durch einen
Zug imponierender Geschlossenheit" (367). Dabei wahrt er den
Geheimnischarakter der Wahrheit, die er nur u m schreibt, nicht
beschreibt. Seine Theologie „rationalisiert nicht"; ihr „Dunkel"
ist „das Dunkel des Geheimnisses" (374). Vor allem ist es Scheebens
„unsterbliches Verdienst", dafj er versucht hat, „die geschlossene
Kugel der Trinität auf die begnadete Kreatur hin aufzubrechen
, die ,immanente' zur .ökonomischen' Trinität werden zu
lassen" (378). Scheeben wird als Vorläufer und Vorkämpfer einer
personalen Theologie gewürdigt, wie sie im gegenwärtigen Katholizismus
vertreten wird (377). Freilich bemängelt Hoff mann
Scheebens Tendenz zum Piatonismus und die dadurch bedingte
Umrifjlosigkeit seiner Theologie (369,373). Scheeben denkt bildhaft
, nicht begrifflich, intuitiv, nicht rational (373). „Selbst wenn er
von Thomas Formuliertes wiedergibt, verliert es unter seinem
Zugriff die geistige Schärfe der Prägung, wird es ins .Organische'
. . . abgedunkelt" (373).

Hoffmann hat durch seine detailgetreue Abhandlung das schwer-
durchdringbare Dunkel, das sich über Scheebens Theologie lagert,
aufgehellt. Diese minutiöse Arbeit, die der Theologie Scheebens
bis in ihre feinsten Verästelungen nachspürt, macht deren verblaßte
Urschrift wieder lesbar. Der Verfasser gibt „Zitationshäu-

fungen", „Widerholungen" und die „ermüdende, wenig flüssige
... Art der Darstellung" seiner Arbeit selbstkritisch zu (7f). Es ist
zweifellos das Hauptverdienst dieser Arbeit, den Kristallisationspunkt
Scheebenscher Gnadenlehre, die visio beatifica, sichtbar gemacht
zu haben. Das Buch ist aber auch insofern ein vorwärtsweisender
Beitrag, als es Scheebens Soteriologisierung der Trinität
herausarbeitet und für unser heutiges theologisches Gespräch
fruchtbar macht, ökumenisches Gewicht kommt den Ausführungen
des Verfassers über das personale Gnadenverständnis Scheebens
zu. Hier wird wirklich eine Brücke geschlagen zwischen der
ostkirchlichen, römisch-katholischen und reformatorischen Gnadenlehre
. Andererseits hätte man sich aus der Sicht des nachkon-
ziliaren Katholizismus eine kritisechre Beurteilung Scheebens erwartet
. Man müßte die kritische Sonde vor allem an den romantischen
Monismus der Theologie Scheebens ansetzen, der das Böse
in seiner Abgründigkeit mifjkennt und die unerbittliche Spannung
zwischen Sünde und Gnade, Zersetzung und Neusetzung, altem
und neuem Aon, die im Tridentinum noch durchgestanden wird,
ausbalanciert. Scheeben steht in Gefahr, vor der Wirklichkeit in
eine konfliktlose Idylle auszuweichen und sich in das Glasperlenspiel
endloser Analogien zu verlieren.

Marbach üb. Bad Kissingen Horst Georg Föblnaofl

B o s c, Jean: L'eucharistie dans les Eglises de la Reforme

(Verbum Caro22, 1968 S. 36-47).
C o n g a r , Yves: L'idee du sacerdoce dans les textes de Vatikan II

(Verbum Caro22, 1968 S. 11-15).
Coreth, Emmerich: Die Gottesfrage als Sinnfrage (StZ 181,

93. Jg. 1968 S. 361-372).

F a i v r e , B.: Eucharistie et memoire (Nouvelle Revue Theolo-
gique 100, 1968 S. 278-290).

L e j e u n e, Jeröme: Adam et Eve ou le monogenisme (Nouvelle
Revue Theologique 100, 1968 S. 191-196).

Malevez, L.: Foi existentielle et foi doctrioale (Nouvelle
Revue Theologique 100, 1968 S. 137-154).

Marsch, Wolf-Dieter: Logik des Kreuzes. Über Sinn und Grenzen
einer theologischen Berufung auf Hegel (EvTh 28, 1968
S. 57-82).

Oesch, W. M.: Von Barth zu Bultmann (Lutherischer Rundblick
15, 1967 S. 194-213).

Pos seit, Hans: Das Auferstehungs-Erlebnis bei LH. Fichte
und R. Otto (NZSTh 10, 1968 S. 204-209).

S o u c e k , J. B.: Einheit des Kanons - Einheit der Kirche (ZdZ 22,
1968 S. 219-225).

T i 11 a r d , J. M. R.: L'Eucharistie et le Saint-Esprit (NouveUe
Revue Theologique 100, 1968 S. 363-387).

Weger, Karl-Heinz: Erbsündentheologie heute. Situation, Probleme
, Aufgaben (StZ 181, 93. Jg. 1968 S. 289-302).

ETHIK

Lehmann, Paul L.: Ethik als Antwort. Methodik einer
Koinonia-Ethik. Übers, v. D. Lange. München: Kaiser 1966.
385 S. gr. 8°. DM23,-; Lw. DM26,50.

Dieser Band bringt als erster einer auf 2 Teile berechnete»
Ethik die Methodenlehre. Das Gesamte steht unter dem Titel
einer „Koinonia-Ethik" und ist in 3 Hauptstücke aufgeteilt, von
denen die beiden ersten gleich lang sind, während der dritte nur
die Hälfte ihres Umfangs hat und eigentlich eine monographische
Abhandlung über das „Gewissen" bildet. Die beiden erstgenannten
Teile sind überschrieben: „Christlicher Glaube und christliche
Ethik" und „Christliches und philosophisches ethisches Denken"-
Das Vorwort enthält bereits in nuce das Programm des Buches.
L. geht von dem Gedanken aus, daß seit Schleiermacher fast ein
Jahrhundert lang nichts Originelles und Provozierendes auf dem
Gebiet der Ethik mehr erschienen sei. Erst Brunners „Das Gebot
und die Ordnungen" haben eine neue Phase der ethischen DiS"
kussion eingeleitet. Es sei dabei auch auf Troeltsch und R. Niebüll
hinzuweisen. Die eigene Position beschreibt der Verf. folgendermaßen
: „Die vorliegende Arbeit sucht darzutun, daß Glaube und
Denken der Reformation Einsichten in die Ethik und Möglich"
keiten, sie zu interpretieren, bieten, die dem Verhalten schöpfe"