Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1968

Kategorie:

Naturwissenschaft und Theologie

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

695

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 9

696

tion über die Problematik der biologischen Entwicklungslehre im
allgemeinen sowie über die Darwinsche und moderne Selektionstheorie
und evolutionstheoretische Auffassungen von römisch-katholischen
Autoren und von Vertretern des dialektischen Materia-
Iismus. In einer anschließenden erkenntnistheoretisclien und methodologischen
Betrachtung wird die kausalanalytische Arbeitsmethode
der Naturwissenschaft als methodischer Atheismus bezeichnet
. Dieser Terminus sollte vermieden werden, da er entgegen
der Absicht des Vf.s im Sinne eines Werturteils mißverstanden
werden kann, zumal im Schrifttum des dialektischen Materialismus
die Denkweise der Naturwissenschaft als atheistisch bezeichnet
wird (vql. z. B. O. Klohr fHrsg.l: Moderne Naturwissenschaft
und Atheismus. VEB Deutsch. Verl. d. Wiss. Berlin 1964V

Der umfangreiche Teil B (28-242) bringt in Klassifizierung nach
den obengenannten fünf Tvpen deutsche theologische Äußerungen
zur Evolutionstheorie, und zwar mit Untergliederung in die beiden
Zeitabschnitte seit Erscheinen des Darwinschen Hauptwerkes
1859 bis nach dem ersten Weltkrieg und von dort bis zur Gegenwart
. Besonders im ersten Abschnitt wird die Auffassung einzelner
Autoren mehr kursorisch dargestellt, im zweiten z. T. ausführlicher
, so z. B. unter III Teilhard de Chardin. in IV Schlink, Heim,
Brunner, Tillich, in V Schumann, Barth, Bultmann, Gogarten. An
diese notwendigerweise sehr konzentriert dargebotene weitreichende
Übersicht schließt Verf. eine erste Beurteilung der Problemlage
an, und zwar zunächst im Hinblick darauf, wieweit die theologischen
Stellungnahmen der naturwissenschaftlichen Methode
gerecht werden. Er stellt dabei zwei polar orientierte Denkweisen
heraus: 1. weltanschaulich-obiektivierendes Denken mit Zusammenordnung
von Theologie und Naturwissenschaft auf einer gemeinsamen
ontologischen Ebene zu einer christlichen Weltanschauung
; letztlich monistische Tendenz des Wirklichkeitsverständnisses
; 2. existentiell orientiertes theologisches Denken ohne Par-
allelisierung oder Harmonisierung mit der Naturwissenschaft; existentielles
Daseinsverständnis Beide Denkweisen überschneiden
und durchdringen einander in den obigen Typen T-TV. wobei das
weltanschaulich-objektivierende Denken in den ersten Typen dominiert
, so daß Widcrsorüche zur Naturwissenschaft auftreten. Bei
Typ IV kommt es trotz sauberer Abgrenzung Her Bereiche von
Theologie und Naturwissenschaft an einzelnen Stellen, z. B. beim
Finalprinzip, zu eine Überfremdung naturwissenschaftlichen Denkens
, Im Typ V wird unter Verzicht auf eine weltanschauliche Kombination
die Zusammengehörigkeit der beiden Bereiche existentiell
im Lebensvollzug gesehen. Ort der Begegnung von Theologen und
Naturwissenschaftlern und einer möglichen Einheit ihrer verschiedenen
Denkweisen und Sprachen ist das mitteilende Gespräch.

Vor Entfaltung dieser letztgenannten, vom Verf. befürworteten
Sicht wird in C (243-291) ein Exkurs über die Theologie Fmil
Brunners seit 1938 eingeschaltet, um von hier aus ein theologisches
Kriterium zur Beurteilung der Stellungnahmen in T bis V
zu gewinnen. Verf. legt dabei Brunners Begriff der Wahrheit als
Begegnung" zugrunde und erörtet den Personalismus als theologisches
Kriterium. Aus Brunners Theologie ergibt sich eine Ablehnung
der Stellungnahmen T-ITI und V. Da für Brunners nach IV
tendierende Einstellung sein Verständnis von Analogie von Bedeutung
ist, schließt Verf. eine Darstellung dieses Begriffes an Hierbei
sowie in der nachfolgenden Erörterung über theologische Begrifflichkeit
als Sprach- und Gesprächsanweisung stellt er eine
dialektische Zweipoligkeit in Brunners Denken heraus, wobei der
dimensionale Bruch nicht im Denken zwischen Theologie und Philosophie
liegt, sondern zwischen Glauben und Theologie. Verf.
kennzeichnet Brunne-',- theologisches Denken als objektivierend
und formal an dem der Naturwissenschaft orientiert. Er weidet
sich gegen alle Objektivierungen im theologischen wie im weltanschaulichen
Denken, da sie das echte Gespräch mit der Naturwissenschaft
erschweren.

Im letzten Teil D (292-318) (Recht und Überwindung der Trennung
von Theologie und Naturwissenschaft) wird nach kurzer Gegenüberstellung
der Analogia entis und Analogia fidei bei Brunner
und Barth das Problem Theologie - Naturwissenschaft unter Bezugnahme
auf Bultmann und Gogarten (Rechtfertigungslehre) mit
dem Begriff des Paradoxes formuliert: die objektivierende Ver-
stehensweise der Naturwissenschaft und die existentielle der Theologie
gelten paradoxerweise zugleich trotz Inkommcnsurabilität
ihrer Denkebenen mit ihren jeweils spezifischen Sprachformen. Die

Zusammengehörigkeit ist allein im Vollzug der menschlichen Existenz
vor Gott gegeben.

Gegen den Versuch von Schrei', den Zusammenhang der beiden
Bereiche durch den Begriff der Komplementarität zu erfassen, erhebt
Verf. die gleichen Bedenken einer unzulässigen Objektivierung
wie beim Analogiebegriff.

Nach kurzem Hinweis auf Günter Altner (Antithese zu den Stellungnahmen
I-IV) wird abschließend unter Bezugnahme auf Gerhard
Ebeling (theologische Entfaltung mit Hilfe von Luthers Zweireichelehre
) und Arthur Rieh (Entfaltung vom Begriff der Verantwortlichkeit
her) noch einmal die Art der Zusammenordnung der
beiden Bereiche formuliert, auf die hin die ganze Arbeit ausgerichtet
ist: Wahrung der Eigenständigkeit von Theologie und Naturwissenschaft
. Zusammengehörigkeit im Vollzug der menschlichen
Existenz vor Gott, Ort der Begegnung von Theologen und Naturwissenschaftlern
die Gemeinschaft des Gesprächs.

Das Buch, das weithin in Form eines I.iteraturberichtes mit zahlreichen
wörtlichen Zitaten abgefaßt ist, wird seiner Aufgabe, einer
Orientierung über das Gespräch zwischen Theologie und Naturwissenschaft
, in vollem Maß oerecht. Die klare Gliederung und
mehrfach eingeschaltete Erläuterungen des Arbeitsqanges lassen
trotz der Vielschichtigkeit der zitierten Ansichten die Gedanken
führung deutlich hervortreten. Auch wer der Konzeption des Vf.s
nicht zu folgen vermag, wird aus der Entfaltung der Problematik
und der Fülle des in B vorgelegten Materials wertvolle Informationen
entnehmen. Das Autorenregister bietet einen Schlüssel zur
raschen Orientierung über die Einstellung einzelner Forscher. Die
zahlreichen, dem Text als Fußnoten angefügten Literaturangaben
vermitteln Hinweise zum eigenen Quellenstudium, das besonders
in den Fällen wünschenswert ist, in denen einzelne Autoren
sich der obigen Klassifizierung nicht recht einfügen lassen.

Entsprechend der Tntention des Buches stehen rein theologische
und naturwissenschaftliche sowie methodologische Fragen im Vordergrund
. Philosophische Bezüge werden weithin berücksichtigt,
iedoch nicht in extenso entfaltet. Der naturwissenschaftliche Leser,
der die sachgemäße Darstellung der biologischen Fragen insbesondere
in A sowie die klare Herausstellung der kausalanalytischen
Arbeitsmethode und ihre Abgrenzung gegenüber mctanhvsischen
Gedankengängen erfreut zur Kenntnis nimmt, wird jedoch einige
Bedenken bezüglich der Terminologie anmelden Z. B. setzt der
Begriff der Komplementarität in der Physik (S. 305) nicht zwei einander
ausschließende Denkstrukturen miteinander in Beziehung,
sondern zwei verschiedene Aspektr (Kornuskel und Welle) derselben
Gegebenheit (z. B. des Lichtes), die nicht gleichzeitig realisier
bar sind. Theorien sind nicht exakt zu beweisen (S. 29), sondern
lediglich zu verifizieren und damit als gültig zu belegen, solange
nicht neue Befunde auftreten, die ihnen widersprechen. Für d;is
den theologischen Entfaltungen von Ebeling und Rieh (S. 311 bzw.
313) zugrunde liegende Beziehnngsphänomen ist Sachverhalt wohl
kein adäguater Begriff. Diese kritischen Anmerkungen sollen
aber den Wert des Buches, das wohl erstmalig in der Literatur die
verschiedenen Formen der Zusammenordnung von Theologie und
^ltiirwissenschaft, insbesondere biologischer Entwicklungslehre
in dieser weitgespannten Übersicht zur Darstellung bringt, in keiner
Weise schmälern.

Wittenberg Chnrlcllc B tu o » t

Degenhardt. Karl Heinz.: Ist der Mensch genetisch beeinflußbar
oder gar manipulierbar? (St7! 181 03. Jg. IPfifi s. 246-2581

Overhage, Paul- Die komplexe Frage nach Gewußter Steue
rung der Evolution des Menschen (ThPh 43, 1968, S. 191-206)

R u f f, Wilfried: Das embryonale Werden des Individuums
(StZ 181, 93. Jg. 1968 S. 107-119).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Till ich , Paul: Perspectives on 19th and 20th Century Protestant
Theology, cd and with an Introduction by C. E. Braa-
tcn. London: SCM Press [19671. XXXV, 252 S. 8°. Lw. 35 s.
Dieses Buch bringt eine Vorlesung P. Tillichs, die er im Frühjahr
1963 in der Divinity School of the University of Chicago gehalten
hat. Ihr Gegenstand ist eine Geschichte der Lcitidccn, welche