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Ausgabe:

1968

Spalte:

687-688

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Healy, James

Titel/Untertitel:

The just wage 1968

Rezensent:

Schrey, Heinz-Horst

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Seite 1

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687

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 9

688

bekanntlich die Schrift und die damit verbundene Inspirationslehre
an die Spitze ihres dogmatischen Systems stellte (Cf. RGG IV,
1724).

R's These wird wohl manche Kritik auf sich ziehen. Einigen
v/ird seine Definition des Fundamentalismus zu eng scheinen.
Andere werden einen tieferen Einfluß dieses Fundamentalismus
auf die Synode behaupten. Man wünscht, Vrf. hätte sich die Mühe
gegeben festzustellen, in welchem Maße englische fundamentalistische
Bücher in der Lehre und Praxis der dreißiger Jahre gebraucht
wurden, z. B. Predigtbücher. Im Rahmen seiner Definition freilich
wird wohl des Verf.s These im wesentlichen aufrechterhalten
werden können.

Die Hauptquclle des missourischen Konservatismus wäre dem-
aemäß nicht im amerikanischen Fundamentalismus, sondern in
der lutherischen Orthodoxie zu suchen. Auf der Stärke wie auf
den Schwächen der traditionellen missourischen Lehre sieht R.
deutlich den Stempel: Made in Germany.

St. I.oiiis. Miss., USA William J. Danker

Healy, James, S. J.: The Just Wage, 1750-1890. A Study of
Moralists from Saint Alphonsus to Leo XIII. The Hague: Nij-
hoff 1966. XVIII, 510 S. gr. 8°. Kart. hfl. 68.50.
Der Autor hat sich einer wahren Sisynhusarbeit unterzogen, indem
er nicht weniger als 56 italienische, 41 mitteleuropäische.
25 französische. 16 holländische, 7 amerikanische, 2 spanische
und einen irischen Moraltheolooen aus der Zeit von 1750-1890
nach ihrer Stellung zum Problem des gerechten Lohnes befragte.
Kr hat gerade dieses Datum gewählt, weil 1891 die große Sozial-
enzykhka Leos XIII. Rerum novarum erschien und er wissen
wollte, auf welche kirchlichen Autoren sich der Papst außer der
Hl. Schrift und Thomas berufen konnte. Waren die Lehrer der
Kirche in der Zwischenzeit stumm geblieben? Waren die alten
Handbücher nur weitertradiert worden, ohne sich mit den neuen
Geqebenheiten der industriellen Arbeitswelt auseinanderzusetzen?
Gibt es eine Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen klassischen
Nationalökonomen? Um mit dem letzten zu beginnen: eine
solche gibt es so gut wie nicht; erst in den 80er Jahren tauchen
solche Bezugnahmen in der Literatur auf. Healy führt diesen Man-
ctel auf die weitabgewandte Seminarausbildung der katholischen
Theologen zurück, welche die Welt nicht aus der gegenwärtigen
Erfahrung, wohl aber aus den Lehrbüchern der Väter kennenlernten
. Er hat aus diesem Grunde den ursprünglichen Plan einer
Verqleichung mit der zeitgenössischen Nationalökonomie aufgegeben
.

Das von den Moraltheologen vertretene Weltbild ist statisch
und familiaristisch. Es fällt auf, daß die moderne Industriesitua-
tion kaum auftaucht; man beschäftigt sich mit der Situation der
Sklaverei und schärft den Herren ein, daß sie die Sklaven anständig
behandeln sollen, oder man macht Aussagen über den Unterhalt
der Geistlichen. Erst um die Mitte des 19. Jhs. taucht die
Lohnfrage bei Industriearbeitern vereinzelt auf. Es machen sich
auch nationale Differenzen bemerkbar, insofern vor allem die
mitteleuropäischen Autoren für die Lohnfrage aufgeschlossen sind
im Gegensatz zu den südländischen. 1888 taucht zum erstenmal
das Streiknroblem auf, zur selben Zeit auch die Frage der Monopole
und der Gewerkschaften. Man ist sich ziemlich einig in der
Verwerfung von Arbeiterassoziationen zur Erlangung „ungerechter
" Löhne, wobei die Kriterien für den gerechten Lohn völlig
unsicher sind. Meist wird unter Lohn eine zusätzlich zum Lebensunterhalt
gegebene Barvergütung verstanden. Es wird also im
Grunde eine vorkapitalistische und vorindustrielle Sozialsituation
vorausgesetzt. Healy stellt fest, daß die Moraltheologen des
19. Jahrhunderts, die über gerechten Lohn geschrieben haben,
sich mehr auf das Gleichgewicht von Sachen als auf die Durchführung
von Aktionen konzentrierten. Sie setzten in ihren Begriffen
von Gerechtigkeit eine unabhängig von ihren Beziehungen
zu anderen Personen sich selbst konstituierende Person voraus
. Healy fordert darum dringend eine Revision des Gerechtigkeitsbegriffs
. Die grundsätzlichen Positionen und Erkenntnisse,
die der Verfasser gewonnen hat, haben allgemeines Interesse.
Was Healy tatsächlich entdeckt hat, allerdings nicht mit diesem
Begriff bezeichnet, ist der Ideologieverfall der Theologie. Man
bemüht sich, anerkannte Größen der Tradition, vor allem Alfons

von Liguori, zu zitieren und sich in Einklang mit den Entscheidungen
des Hl. Stuhles und der Zivilgesetzgebung zu bringen,
übersieht dabei jedoch völlig, daß die Verhältnisse sich über die
Jahrhunderte hin ändern und die alten Nutzanwendungen für die
neuen Situationen nicht mehr zutreffen. Durch den geschichtlichen
Wandel werden die unveränderlichen und ewigen Prinzipien des
Naturrechts nicht mehr verstanden. „Die Autoren sagen . . ., diese
Formel... ist die Art einer täuschenden Phrase, die wir nicht
länger beziehungslos (sc. ohne Bezug auf die geschichtliche Situation
) akzeptieren" (S. 464). Healy stellt fest, daß wir heute ein
feineres Gefühl für die Geschichte haben, als es im allgemeinen
den Theologen des 19. Jahrhunderts eigen war.

Das Bedeutsame dieser von der Gregoriana in Rom mit höchster
Anerkennung ausgezeichneten Dissertation liegt nicht nur in der
Aufarbeitung eines riesigen Materials, sondern in der Gewinnung
grundsätzlicher Erkenntnisse für die Neuorientierung der
katholischen Moraltheologie in bezug auf das Verhältnis von
Naturrecht und Geschichte. Es wäre zu begrüßen, wenn auf evangelischer
Seite eine parallele Studie in Angriff genommen würde,
welche die Sozialcthik der Orthodoxie und der Aufklärung zum
Gegenstand haben müßte Wahrscheinlich würde diese Arbeil ein
ähnliches Ergebnis zeitigen wie die Studie Healys.

Heidelberg Heini Horst S e h r e y

Ott, Günther: Ernst Moritz Arndt. Religion. Christentum und
Kirche in der Fntwickhma des deutschen Publizisten und Patrio-
ten. Düsseldorf: Presseverhand d. evang. Kirche im Rheinland:
Bonn: Röhrscheid 1966 388 S.. 24 Abb., a. Taf. 8° = Veröffrnll.
d. Stadtarchivs Bonn, beqründet v. E. Enncn, fortgeführt v. D.
Höroldt, 2. Kart. DM 14,80.

Ernst Moritz Arndt hat auf der Schaukel der urteilenden Nachwelt
so ziemlich alle Schwungphasen erfahren. Der enthusiastische
Patriot wurde ebenso gelobt wie der kerndeutsche, gläubige Christ,
nach dem man Kirchen benannte und dem man im Ev. Gesangbuch
einen Platz einräumte. Es kamen andere Zeiten, in denen
man von seinem Gott, der Eisen wachsen ließ, genug hatte, und
sein Donnerwort: das ganze Deutschland soll es sein, ebenso eindruckslos
vernahm wie die Diplomaten des Wiener Kongresses
Den charaktervollen vaterländischen Publizisten, der einst die
Gemüter bewegt hatte, fanden viele als verworren quälend, wie
auch der spätere rehabilitierte Bonner Geschichtsnrofessor von
seinen Studenten mit sehr gemischten Gefühlen beurteilt wurde.
Während Heinrich v. Treitschke sich nicht genugtun konnte, die
geistige Frische, auch die „liebenswürdige Geschwätzigkeit" zu
preisen, meinte zur gleichen Zeit Jacob Burckhardt: „Arndt ist als
Gelehrter sehr unbedeutend; ich möchte wissen, was der gute
Mann die letzten Jahre über getan hat." Die Literatur über seinen
christlichen Glauben zeigt ebenfalls alle erdenklichen Schwankungen
des Urteils.

Das vorliegende, aus der Schule von Ernst Barnikol [f], Halle,
hervorgegangene Buch von Günther Ott ist keine Biographie im
eigentlichen Sinne, aber eine von biographischen Linienführungen
bestimmte Monographie über das Problem, das Theologie und
Kirche angeht: Arndts Christentum. Wenn auch hierüber, wie eben
gesagt, eine besonders umfangreiche Literatur bereits vorliegt und
Arndt gegenwärtig auch nicht Gegenstand eines besonderen historischen
Interesses ist, so mag gerade die heutige Diskussionsruhe
den Studien des Vf. besonders förderlich gewesen sein. Er legt
nicht das Ergebnis einer Aufarbeitung der zahlreichen Bücher.
Schriften und Aufsätze zu diesem Thema vor, sondern geht in
einer überaus besonnenen, kritischen Weise der Frage nach Entwicklung
und Charakter des Glaubens bei Arndt nach und kommt
zu Urteilen, wie sie bisher in der Arndt-Literatur nicht zu finden
waren. Der Vf. stellt damit zugleich einen Abschnitt deutscher
Geistesgeschichte dar, indem er das Biographische verknüpft mit
allgemeinen religiösen Zeitströmungen. Schon die Abschnitte über
die Jugendentwicklung Arndts bringen ein klares Zeitgemälde der
geistig-religiösen Situation seiner pommerschen Heimat, das die
traditionelle Auffassung, nach der Arndt „ungestört in den altehrwürdigen
Formen eines bibelgläubigen kirchlichen Luthertums"
aufgewachsen sei, von Grund auf korrigiert. Was er hierzu an
Material und sonstigen Beweisen beibringt, ist überzeugend. Arndt
bleibt auch in seinen Bildungsjahren ein Sucher und Zweifler, und