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Ausgabe:

1968

Spalte:

684-685

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Lubecus, Franciscus

Titel/Untertitel:

Bericht über die Einführung der Reformation in Göttingen im Jahre 1529 1968

Rezensent:

Delius, Hans-Ulrich

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Schrift „In haereticis coercendis quatenus progredi liceat. Mini
Celsi Senensis Disputatio". Neben Castellios „De l'Impunite des
Hcretiques" (1555) und Coornherts „Proces van't Ketter-dooden"
(1590) ist sie die bedeutendste Reaktion auf Bezas „Anti-Bellius",
ihnen gegenüber aber schwächer und weniger konsequent durchdacht
. Celsis Vorlage ist Castellios „De haereticis an sint perse-
quendi" (1554) und Acontius' „Stratagemata Satanae" (1565). Über
sie hinaus zieht Celsi aber noch andere „Testes veritatis" heran:
Tertullian, Cyprian, vor allem Augustin und die Reformatoren,
dazu den „großen, nie genug zu lobenden" Erasmus. Sie alle werden
zu Gegnern oder mindestens zu Nicht-Befürwortern der Ketzer-
Lötung erklärt.

Für Celsi sind die Ketzer „homines pravae doctrinae", vom
Satan aufgestachelte Bibelverdreher, Bekämpfer der Wahrheit und
Opponenten der kirchlichen Autorität. Doch ist ihre Tötung
widerchristlich und barbarisch. Man muß sie geistig überwinden,
denn sie sündigen gegen das göttliche Gesetz bloß aus Unwissenheit
und nicht aus Bosheit. Schon an der Graubündner Synode von
1571 hatte Celsi betont, die bürgerliche Behörde habe kein Recht,
die Ketzer zu bestrafen, solange diese die sittlichen und bürgerlichen
Gesetze hielten. Aber die Häresie bleibt für Celsi doch ein
Delikt, das die göttliche Ordnung verletzt und die menschliche
Gesellschaft gefährdet. Doch unterscheidet er anders als etwa
Calvin zwischen Gottlosen und Verirrten, und nur diese sollen
wegen „Unzurechnungsfähigkeit" straflos ausgehen. Er will zwar
keinen Glaubenszwang; gleichwohl soll auch der freigesprochene
Ketzer zum Schweigen gezwungen werden, was deutlich im Widerspruch
steht zu Celsis Auffassung, dem Häretiker sei Wahrheitsstreben
zuzubilligen.

Celsi lebt noch ganz in der Welt des Einheitsgedankens „une
loi, une foi". Im Gefolge Zwingiis und des Berners Wolfgang
Musculus würdigt er das Staatskirchentum sehr hoch, womit er
und andere italienische Emigranten wie Scipionc Lentulo, Curione
und Ochino hofften, die traditionelle römisch-katholische Kirchlichkeit
am tiefsten zu treffen. Andererseits will er doch eine klare
Trennung zwischen bürgerlicher und kirchlicher Autorität und
rechtfertigt beispielsweise die Verurteilung des Valentin Gentile
mit dessen Ungehorsam gegen die Berner Gesetze. Mit dem Prinzip
der „Obrigkeitlichen Reformation" nähert er sich dem orthodoxen
Protestantismus und schaufelt sich so sein eigenes Grab.
Celsi konnte sich in der Schweiz nicht halten, denn diese war nicht
so freiheitlich, wie es das Wunschbild mancher italienischer religiöser
Humanisten erträumte. Die Vermutung ist nicht abwegig,
daß er am Ende seines Lebens wieder zum Katholizismus zurückgekehrt
ist.

Celsis rationalistische Exegese und Lehre von der Willensfreiheit
bringt ihn in die Nähe der Antitrinitarier, wenn er religiös
auch andere Konsequenzen zog als sie. Fimpel grenzt ihn gegen
Castellio und Acontius ab und skizziert schließlich Celsis Nachwirkungen
auf Coornhert und die Arminianer. Noch hundert Jahre
später ist sein Traktat in Deutschland neu aufgelegt worden, um
den Erasmianismus zu stützen. Der Sienese bleibt eindeutig eine
Figur des Übergangs. Er kennt weder eine universale Toleranz
noch eine Relativierung des Dogmas oder ein auf Fundamentallehren
reduziertes Christentum. „Celsi bekämpft in Bezas Thesen
den Mißbrauch eines Systems, Coornhert das System selbst" (S. 90).

Bcrn Kurt Guggisberg

Voßberg, Herbert: Im heiligen Rom. Luthers Reiseeindrücke
1510-1511. Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1966]. 160S. m. 2 Ktn-
Skizzen, 46 Abb. a. Taf. 8°. Lw. M 8.80.

Der Untertitel dieses Buches über Luthers Romfahrt spricht von
Rcisccindrücken. Diesen geht der Verfasser nach und erhebt sie
u. a. aus Luthers eigenen Zeugnissen in späterer Zeit, etwa aus
den Tischreden und Briefen. Voßberg beginnt mit dem Satz,
Luthers Romreise sei „in seinem Werdegang ein wichtiges Kapitel"
(S. 5). Wenn man das Schwergewicht des Begriffes „Werdegang"
nicht zuerst auf den theologischen Weg zur reformatorischen Er-
kenntnisfindung legt, mag das stimmen. Der Erfahrungswert der
Romreise ist bei Luther ablesbar an der Häufigkeit, in der er auf
sein Erlebnis 1510-1511 zu sprechen kommt. Die Rückschau hat
vieles verzeichnet, aber Voßberg bemüht sich, die particula veri
in Luthers späteren Äußerungen richtig abzuschätzen.

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Der Verf. schreibt für weitere Leserkreise. Er erzählt und versucht
, das emotionale Moment der Romerfahrung Luthers mit
einzufangen. Wenn dabei manches mehr Vermutete als sicher
Belegte zwischeneingekommen sein mag, so ist doch im wesentlichen
die Tendenz spürbar, auf der Quellengrundlage aufzubauen.
Anmerkungsteil und Bibliographie (auf den Seiten 132-158) zeugen
davon. Voßberg hat nicht nur die Weimarer Ausgabe befragt,
sondern auch zeitgenössische Quellen zur Romtopographic und
die zur Romreise bisher erschienene Literatur, vornehmlich Böhmer
und Scheel, die über Elze, Hausrath, Köstlin, Kawerau u. a. hinausführen
.

Es wird zunächst über die Veranlassung der Reise gehandelt.
Der Streit zwischen Observanten und Konvcntualen im Augustincr-
eremitenorden wird ohne wesentlich neue Gesichtspunkte geschildert
. Luther, der sich für die strengeren observanten Konvente
- d. h. vornehmlich für Nürnberg und Erfurt - bei seinem Ordensgeneral
in Rom verwenden sollte, wird von Nürnberg aus mit
deutlichen Direktiven als Begleiter eines älteren Bruders auf den
Weg geschickt. Der Verhaiidlungsspielraum war gleich null, im
Grunde handelte es sich um die Überreichung einer Eingabe und
das Abwarten der Antwort. Da die Bearbeitung der Sache länger
auf sich warten ließ, hatten die beiden Ordcnsleute etwa einen
Monat Zeit, sich in Rom umzusehen.

Voßberg verfolgt die Reiseroute der zwei Mönche durch Süd
deutschland, die Schweiz, Oberitalien über Bologna in die ewig-.;
Stadt. Luther, der sich vorgenommen hatte, in Rom eine General-
beichte abzulegen, und die Stätten der frühen Christenheit kennenlernen
und verehren wollte, hat die Zeit genutzt. Er nahm
nach dem üblichen Schema an regelrechten Führungen durch
das antike Rom teil und besuchte außer den sieben Hauptkirchen
die Apostelgräber, Katakomben und andere als heilig
verehrte Orte, darunter die „Scala santa" (S. 60), mit der er in Übereinstimmung
mit der Frömmigkeitspraxis seiner Zeit Ablaßwünsche
, ja sogar die Purgatoriumsbefreiung für seinen Großvater,
verband.

Luther kehrte über Florenz, Bologna, Trient, Innsbruck, Augsburg
, Nürnberg wieder nach Erfurt zurück. Eine Skizze gibt den
Reiseweg bekannt (S. 114). Überhaupt vermitteln gute Bildwiedergaben
einen Eindruck von den Stätten, die der Reformator besucht
hat.

Zweierlei muß man nach Voßberg aus Luthers Beteiligung am
Observantenstreit festhalten: 1. sein 'Herzenswunsch', Rom zu
sehen, ist ihm erfüllt worden, 2. seine Versetzung von Erfurt
nach Wittenberg ist durch Luthers Haltung im Unionsstreit mitinauguriert
worden (S. 122). „Von der Erkenntnis her, die ihm in
Wittenberg geschenkt werden sollte, lernte er dann auch sein
Romerlebnis richtig werten." Voßberg sagt abschließend: „Als
Luther von Rom zurückkehrte, war er noch nicht am Ende des
Weges, den Gott ihn 'wie einen blinden Gaul' führte, aber er
befand sich auf dem Wege, der ihn zum Ziel, der Erkenntnis des
Evangeliums, bringen sollte. Wenn wir die Dinge so sehen, hatte
auch die für Luther so unbefriedigend verlaufene Romreise eine
positive Bedeutung für die spätere, so notwendig gewordene
Reformation der christlichen Kirche" (S. 130).

Berlin Joachim R o g g e

Lubecus, Franz: Bericht über die Einführung der Reformation
in Göttingen im Jahre 1529. Anläßlich der 450jährigen Wiederkehr
des Reformationstages im Auftrage der Stadt Göttingen
bearb. v. H. V o 1 z , hrsg. vom Geschichtsverein für Göttingen
und Umgebung. Göttingen: Reise 1967. 68 S. 8°.
Franz Lübeck's oder latinisiert .Franciscus Lubecus' (1533-1595)
Bedeutung liegt nicht in seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als
Pfarrer, sondern allein in seiner Arbeit als Chronist. Mit großem
Eifer hat er an beiden Hauptplätzen seiner Wirksamkeit, Göttin
gen und Northeim, beträchtliches historisches Material zusammengetragen
. Er verwendete dabei neben mündlicher Tradition auch
schriftliche, heute nicht mehr erhaltene oder cruierbare Quellen,
die sich nur durch seine hier erstmals historisch-kritisch edierte
Darstellung erhalten haben. Seine Hauptarbeit ist eine umfangreiche
Braunschweig-Lüneburgische Chronik von 645 Folioblättern.
Im Buch 6, Kapitel 13 beschreibt er darin, „Wie das Heilige euan-
gelion vnd in welchem Jahre erstlich zu Göttingen gekommen vnd
angenommen wurden" ist. Diese lebendige und bis ins einzelne

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 9