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Ausgabe:

1968

Spalte:

682-683

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Fimpel, Ludwig

Titel/Untertitel:

Mino Celsis Traktat gegen die Ketzertötung 1968

Rezensent:

Guggisberg, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 9

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Lutheraner, auch nicht nur die anderen Evangelischen, ... sondern
alle Christen" angeht (9). Aber Luther kann man dabei „nicht
feiern, wenn man weift, daß auch er nur in demütiger Dankbarkeit
dieses Evangelium als Geschenk und Gabe Gottes annehmen
konnte", denn »bei dem Erbe, das zu bewahren ist", geht es eben
„um das Evangelium, und das ist älter als Luther und ist die
eigentliche Autorität der Kirche" (8f).

Diese Einsichten bestimmen das verhältnismäßig schmale, aber
sachlich gewichtige Buch mit vier Beiträgen lutherischer Theolo-
9en. F. Lau behandelt die gegenwärtige Diskussion um Luthers
Thesenanschlag. Dem kommt eine besondere Bedeutung zu, weil
Lau „die voreilige Meinung", es sei alles bereits zugunsten der
«Legende vom Thesenanschlag" entschieden, in ihre Grenzen
verweisen kann. Mit genauer Dokumentation schildert Lau zunächst
den Streit darüber, ob die 95 Thesen (am 31. 10. oder 1.11.)
angeschlagen oder nur versandt worden sind. „Strittig ist also
(anscheinend) nur eine Winzigkeit. Die psychologische Wirkung
der Bestreitung des Thesenanschlages ist offenbar viel belangvoller
als die Sachfrage, um die es geht" (17). Die „Kuriositäten"
dieses Streites, der „in der Öffentlichkeit fast noch stärker als
Rudolf Bultmanns gesamte Entmythologisierungstheologie" gewirkt
, aber positiv die erforderliche „Entmythologisierung Luthers"
gebracht habe (16), sind in mancherlei Hinsicht aufschlußreich.
Von katholischer Seite ist es eine „Inschutznahme Luthers" (19),
freilich verbunden mit dem Anspruch auf Luther. Lau zeigt, daß
deshalb „mit der Debatte um den Thesenanschlag" auch die Frage
nach dem Zeitpunkt der reiormalorischen Entdeckung Luthers
zusammenhängt. Was ist mittelalterliches Erbe bei Luther? Womit
führt er über die Tradition hinaus? Liegt „dem Streit, der die
Reformation ausgelöst hat, möglicherweise eine innerkatholische
Kontroverse zugrunde"? Oder handelt es sich bei Luther eben
doch um einen neuen und grundsätzlichen Ansatz zur Besinnung
auf Gottes eigentliche Sache? Lau entscheidet diese Fragen nicht
durch Einzeluntersuchungen, neigt aber deutlich zu bejahender
Antwort auf die an zweiter Stelle stehenden Fragen. Die bis ins
einzelne gehende Untersuchung und Neuinterpretation von 28 Dokumenten
und Texten, die nach dem 31. 10. 1517 liegen und auf
die Frage des Thesenanschlages Bezug haben, beleuchtet Luthers
Verantwortung als Doktor der Hl. Schrift und Seelsorger. Aus der
Meisterlich geführten Auseinandersetzung mit den bisher geäußerten
Argumenten ergibt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit, daf)
Melanchthons Angabe von Datum und Faktum des Thesenanschlages
zuverlässig und zutreffend ist. - Da im Lutherjahrbuch
^967 nahezu der gleiche Beitrag veröffentlicht ist - auch im
Symposium der Theologischen Fakultät der Marün-Luther-Uni-
ve$titiLt Halle-Wittenberg wurde er in Auswahl vorgetragen -,
dart ich als Rezensent anmerken, daß die spätere, verbesserte Fassung
im hier besprochenen Buch vorliegt. Neu sind die Zwischen-
ubernchriften. Für eine endgültige Sicherstellung des Thesenanschlages
hält Lau die Entdeckung weiteren Quellenmaterials für
möglich.

Dafj Reformation als neuansetzende Besinnung auf Gottes Sache
in Kirche und Welt „beständige und dauernde Verpflichtung bedeutet
" (8), sucht J. Rogge mit seinem Beitrag „Reformation als
Problem und bleibende Aufgabe der Kirche" (73-124) deutlich zu
machen. Dem Thema entsprechend werden Problem und Aufgabe
„reformatorischer Theologie (74) konfrontiert. Problematisch
ist der Sicht des Historikers nicht nur die Selbstbestätigung vorhandenen
Kirchenlums, ebenso nicht nur „bedingungslose, unreflek-
tierte Repristination". Sie wäre „eine besonders verhängnisvolle Un-
tieue gegenüber den Reformatoren". Auch „das Neudurchden-
* e n reformatorischer Zentralfragen" als an sich „sachgemäfjes Re-
'ormationsgedenken" bliebe hinter der eigentlichen Verpflichtung
~ »Erneuerung der Kirche" I - zurück, wenn es „nichts weiter aus-
foste als die intensivierte Forschung" (75). Hauptproblem bleibt
darüber hinaus die „Frage nach dem Subjekt des Reformations-
Werkes", Luther selbst hat nicht sich, sondern dem Herrn der
Kirche dieses Werk zugeordnet (82). - An der Frage nach Gott
entscheidet sich also auch die Frage „alte" und „neue" Reformation,
die heute laut gefordert wird, aber m. E. nicht mit Luthers Auftrag
vergleichbar ist. Rogge entwickelt die bleibende Aufgabe der Reformation
dann aus Luthers Schrifttum „als Wirkung des Wortes
G°ttes". Kritische Fragen an die „Reformationsfreudigkeit" im
Krisenzeitalter, das heute katholische ebenso wie anglikanische

und protestantische Stimmen zu Programmen und Aktionen herausfordert
, finde ich im Zuge der Besinnung auf Luthers Kirchenverständnis
und „reformatio" (83-111) sehr sinnvoll. Rogge schließt
sich dabei an Rudolf Hermanns „heilsame evangelische Konzentration
des Kirchenbegriffs" an (97f). Ebenfalls nicht als Selbstbestätigung
reformatorischer Theologie dürfen die beiden Beiträge
gewertet werden, die sich bewufjt an die „anderen Kirchen"
wenden. G. Voigt tut es mit dem Beitrag „Rechtfertigungspredigt
als ökumenischer Auftrag" (125-166), U. Kühn mit seiner evangelischen
Beurteilung katholischer Deutungen Luthers und der
Reformation unter der Überschrift „Die Reformation im Lichte
der gegenwärtigen katholischen Theologie" (167-212). Beide wenden
sich vor allem dem katholischen Gesprächpartner zu. Sie
stehen bei ihren Ausführungen im ständigen Dialog mit den
Bemühungen der anderen und fordern zum weitergehenden Gespräch
heraus. M. E. wird mit der Bemerkung Voigts, es sei „kein
Unglück, daß im säkularen Denken der modernen Welt eine vorgegebene
Gottesidee nicht oder wenigtens weithin nicht mehr vorhanden
ist" (136), die reformatorische Verkündigung ermutigt.
Und mit dem dennoch gleichfalls von Voigt erhobenen Anspruch,
„daß der Artikel von der Rechtfertigung die ihm gebührende Bedeutung
in der ganzen Christenheit bekommen muß", weil eine
„Teilwahrheit", wie man uns vorwirft, in Wahrheit, „die alles
andere tragende Mitte" ist (125), wird die Verheißung der Sachlage
deutlich erhellt. Die Rechtfertigungspredigt muß in der Ökumene
„vernehmbar" werden (140). Küngs Zugeständnisse seien
erstaunlich, „auch der Formel: .gerecht und Sünder zugleich'
vermag Küng einen katholisch legitimen Sinn abzugewinnen"
(144.146). „Und doch besteht ein erheblicher Unterschied". Ihn
arbeitet Voigt heraus. Es geht eben um den wirklich angefochtenen
Menschen, „um die Tröstung dessen, der im Angesicht Gottes mit
dem, was er ist, nicht zufrieden sein kann. Es geht um seine Heils-
gewißheif (150). In ihr schafft Gott uns neu (cf. 154-158).

Auch U. Kühn, der einen guten Überblick über die gewandelte
Lutherinterpretation seitens der katholischen Theologie vermittelt,
hat berechtige Kritik an der „Grundtendenz" katholischer Lutherforscher
. Sicher beeindruckt das Bemühen um ein besseres Verständnis
„um die Gestalt Luthers" (169-176) bei Lortz und seinen
Schülern. Jedin, Tüchle, Hessen suchen Luthers Persönlichkeit zu
verstehen. Doch keiner läßt den „.katholischen' Vorbehalt" fallen.
Es wird sogar die „Konfrontation mit Luthers Theologie (177-193)
gefordert. A. Brandenburgs Buch stellt „trotz aller gegen es zu
erhebenden Einwände. .. einen Schritt nach vorn dar" (181).
R. Kösters nennt die „Lutherinterpretation Rudolf Hermanns die
,bis heute . . . umfassendste und scharfsinnigste Analyse der zentralen
Formel Luthers!", was ihn jedoch nicht hindert, ohne Bezug
auf Luthertexte „theologische .Einigkeit durch Interpretation" zu
versuchen und „bestimmte Spitzen in den Aussagen des reformatorischen
Luther" - etwa die „iustitia extra nos posita" - abzuschleifen
(183). - Es können nur Proben sein aus diesem konzilianten
und doch jede Verniedlichung der wirklichen Fragen
vermeidenden, höchst nützlichen Buch.

Jena Horst Beintker

Fimpel, Ludwig: Mino Celsis Traktat gegen die Ketzertötung.

Ein Beitrag zum Toleranzproblem des 16. Jahrhunderts. Basel-
Stuttgart: Helbing & Lichtenhahn 1967. IV, 96 S. gr. 8° = Basler
Beiträge z. Geschichtswissenschaft, hrsg. v. E. Bonjour u. W. Kaegi,
106. Kart. sfr. 14.-.

Der Sieneser Diplomat, Humanist und Philosoph Mino Celsi,
Mitglied der „Accademia degli Intronati", der wegen seiner Glaubensansichten
nach Graubünden emigrierte und sich auch in Basel
und Wien aufhielt, hat in Buissons Castelliobiographie eine strenge
Note erhalten, und viele haben dieses abschätzige Urteil übernommen
. Cantimori und Friedrich Heer bieten ein günstigeres
Bild, und jetzt nimmt Fimpel eine Art Ehrenrettung vor: Celsi
habe in manchem doch einen originalen Beitrag zur Toleranzkontroverse
seiner Zeit geboten. Freilich vermag auch e r sich nicht
zu verhehlen, daß sein „Held" in Inkonsequenzen steckenbleibt.

Über Celsis Leben kann auch Fimpel nicht mehr zutage
fördern, als was uns Cantimori in seinen „Italienischen Haereti-
kern der Spätrenaissance" mitteilt. Der Nachdruck der Untersuchung
Fimpels liegt auf der Interpretation und geistesgeschichtlichen
Einordnung von Celsis 1577 erstmals im Druck erschienenen