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Ausgabe:

1968

Spalte:

45-46

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Nikolaus-Nektarios von Otranto 1968

Rezensent:

Petry, Ludwig

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 1

das realistische Vorverständnis im einzelnen Wyclifs Exegese
und die Einschätzung der Bibel bestimmt hat. Er hat auch Smal-
leys Datierung der Kommentare sichern und ergänzen können;
dabei ergab sich, daß W. die Apokalypse schon sehr früh ausgelegt
, also nicht die Reihenfolge des Kanons zugrunde gelegt und
das ganze Werk wohl 1378 abgeschlossen hat. Welches Gewicht
den biblischen und den politischen Motiven in der Entwicklung
und im Handeln des kühnen Reformers zukommt, das freilich
scheint noch einer weiteren Untersuchung wert zu sein.

In der gediegenen, gründlichen Arbeit sind nur wenige Einzelheiten
zu beanstanden. Wenn die Obersetzung eines lateinischen
Textes in eine Paraphrase übergeht (wie auf S. 153), sollte
sie nicht in Anführungszeichen stehen. S. 64 wäre propter evaga-
cionem parabolicam durch „wegen der Maßlosigkeit im Gleichnisgebrauch
" wiederzugeben, nicht »weil sie in gleichnishafte
Redeweise ausweiche". S. 387 ist irrtümlich (gegen S. 7) Kap. 24
statt 25 der Sprüche angegeben. S. 290, A.801 wäre besser zu
übersetzen: „die mehr auf äußeren Erfolg und Schein bedacht
sind als auf gute Sitten". Ist S. 151, A.233 Ende der Text der
Hs. richtig wiedergegeben?

Bonn Heinrich Kcrpp

Hoeck, Johannes M., OSB, u. Raimund J. Loenertz, OP.:
Nikolaos-Nektarios von Otranto, Abt von Casole. Beiträge zur
Geschichte der ost-westlichen Beziehungen unter Innozenz III.
und Friedrich II. Ettal: Buch-Kunstverlag 1965. VII, 256 S.,
3 Taf. gr. 8° = Studia Patristica et Byzantina, hrsg. v. J. M.
Hoeck, 11.

Der vorliegende Band ist ein bemerkenswertes Zeugnis wissenschaftlicher
Neulanderschließung im Nach- und Miteinander.
In der ersten Fassung durch H. gestaltet, doch jahrzehntelang
nicht zur Veröffentlichung gelangt, wurden vor allem die Kapitel
I, V und VT durch L. als „Entdecker" auf den heutigen Stand
gebracht und das Ganze durch einen Quellenanhar.g unterbaut,
der nun rund die Hälfte des Buches ausmacht. Ohne dafj man
daher den geistigen Anteil der beiden Verfasser scharf voneinander
scheiden kann_ sei der wesentliche Ertrag dieses Gemeinschaftswerkes
entlang der Kapitelfolge gekennzeichnet

In der Einleitung (S. 1-8) werden Gang und Stand der Forschung
über Nikolaos-Nektarios geschildert, die eine nochmalige
Beschäftigung mit den klärungsbedürftigen Teilfragen sowohl
nahelegten wie rechtfertigten. Kap. I (S. 9-21) trägt zusammen,
was aus der Geschichte des Klosters San Nicola di Casole bei
Otranto von seiner Gründung 1098/99 bis zur Zerstörung durch
die Türken 1480 bekannt ist. Kap. II (S. 22-24) erbringt den
Identitätsbeweis für Nikolaus von Otranto und Abt Nektarios
von Casole. Kap. III (S. 25-29) skizziert den Lebensgang dieses
am 9.2.1235 gestorbenen Mannes; er wird gekennzeichnet als
ein äußerlich Unierter unter römischer Jurisdiktion, der aber
innerlich durchaus griechisch fühlte und dogmatisch den Standpunkt
seiner schismatischen Landsleute verteidigte; seine Leistungen
sind nicht zuletzt in seiner Übersetzer- und Dolmetschertätigkeit
zu suchen. Kap. IV (S. 30-67) befaßt sich mit seinen
vier Reisen: von ihnen war die erste als Begleiter des päpstlichen
Legaten Benedikt nach Thessalonike und Konstantinopel
1205-1207 bisher am ehesten bekannt, die zweite als Begleiter des
Kardinals Pelagius nach Konstantinopel (1214/15) wird von N.
selbst auffallend verschwiegen; die dritte erfolgte selbständig
im Auftrag Kaiser Friedrichs II. etwa 1223/24 nach Nikaia, wahrend
die vierte 1232 zur Kurie ging, wo N. - mit vollem Erfolg
nach dem Urteil seiner Freunde - sich und seine griechischen
Landsleute in Apulien und Kalabrien vor allem wegen der griechischen
Tauf- und Firmpraxis verantwortete.

Kap. V (S. 68-116) behandelt die Werke des Abtes, zuerst die
von ihm selbst als Hauptwerke herausgestellten drei („Die Kunst
des Meißels", etwa zwischen 1175 und 1200, eine Sammlung
Seomantisch-astrologischer Traktate - eine Sammlung liturgischer
Übersetzungen wohl vor 1198, und ein Judendialog um
1220 oder wenig später), dann die drei Streitschriften gegen die
I^teiner über die wichtigsten kirchlichen Differenzpunkte (zwischen
1222 u. 25), von einer relativ weiten Verbreitung, belegt

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durch 12 Handschriften, unter denen P( (in der Vaticana) und N
(in Paris) als Urschriften des Verfassers erwiesen werden (hierzu
die Tafeln am Ende des Bandes mit entsprechenden Schriftproben
). Kurz behandelt werden in diesem Kapitel schließlich einige
Nachträge zu den genannten Streitschriften (Syntagmata) über
weitere Streitpunkte, ebenfalls zwischen 1222 u, 25 anzusetzen, zwei
ganze Briefe und einige Bruchstücke aus einem Briefcorpus von
vermutlich erheblichem Einfluß, sowie die Gedichte; deren Bedeutung
ist vor allem in der Wirkung auf den kleinen Otrantiner
Dichterkreis von Freunden und Schülern zu erblicken, für welchen
Kap. VI (S. 117-128) einige Angaben bietet. Der bedeutendste
dieser Freunde, der Metropolit Georgios Bardanes von
Kerkyra, überragt den Abt von Casole „dermaßen an geschichtlicher
Bedeutung, daß eine erschöpfende Auswertung der verfügbaren
Quellen ihn zum Hauptgegenstand dieser Arbeit machen
würde" (S. 117). So üben die Verfasser hier eine freiwillige
Beschränkung, räumen B. allerdings im Quellenanhang (S. 129
bis 246) den breiten Mittelteil (S. 147-235) ein; hier werden nach
einer ausführlichen Einleitung (S. 148-174) 27 Briefe, darunter 2
griechische, 1 Urkunde und 1 Apologie mit Carmen jambicum
aus den Jahren 1220-1240 im Wortlaut wiedergegeben, jedes
Stück versehen mit Auskünften über den Adressaten, über die
Entstehungsvoraussetzungen und den Inhalt (mit einem ausführlichen
Kopfregest also). Dabei erfahren 16 Briefe ihre Erstpublikation
. Die kürzeren Anhänge I (S. 129-141) und III (S.
237-246) bieten das kleine Briefwerk des Nikolaos-Nektarios
nebst 23 griechischen Gedichten sowie 11 vatikanische Urkunden
zur Geschichte des Klosters San Nicola di Casole zwischen 1347
und 1438.

Ein Verzeichnis der Handschriften und ein kombiniertes, auch
die benutzten Autoren einschließendes Sach- und Namenregister
stehen am Ende des aufschlußreichen Bandes, der willkommene
Aufschlüsse für ein bisher wenig beachtetes oder nur einseitig
beleuchtetes Kapitel lateinisch-griechischer Wechselbeziehungen
in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts vermittelt.

Mainz Ludwig Petry

Anselme de Havelberg: Dialogues. I. Rcnouveau dans
l'Eglise. Texte latin, note preliminaire, traduetion, notes et
appendice par G. Salet. Paris: Les Editions du Cerf 1966.
158 S. 8° = Sources Chretiennes, red. H. de Lubac, J. Danie-
lou, C. Mondesert, 118. Serie des Textes monastiques
d'Occident, XVHI. Fr. 13.50.

Der als Erzbischof von Ravenna 1158 verstorbene Anselm
von Havelberg, so benannt nach dem Bistum, dem er 1129 bis
1155 vorstand, spielt in der politischen und religiösen Geschichte
des 12. Jahrhunderts eine nicht unbedeutende Rolle. Er ist bekannt
als Legat des allerdings wenig ruhmvollen Wendenkreuzzuges
von 1147, der unter anderem auch dazu dienen sollte,
Havelberg, die selten genug benützte Residenz des Bischofs
und Legaten, von slawischer Bedrängung zu befreien. Berühmter
ist Anselm durch seine „Dialogi" geworden, die er 1136 als
Reichsgesandter in Byzanz mit orthodoxen Theologen führte
und die er dann um 1149 auf Wunsch Papst Eugens III. aus der
Erinnerung niederschrieb.

Die vorliegende zweisprachige Publikation des 1. Buches der
Dialoge in der durch manche gediegene Quellenausgaben bekannten
Reihe „Sources Chretiennes" der Lyoner Jesuitenfakultät
basiert auf der alten Edition im 188. Band der „Patrologia
latina" von Jacques Paul Migne (1855), woher auch alle textkritischen
Anmerkungen übernommen wurden. So modern und
gewissermaßen auch notwendig heutzutage das Nachdruckverfahren
ist, so sehr muß doch um eines echten wissenschaftlichen
Fortschrittes willen bedauert werden, daß die Mühe einer kritischen
Neuedition gescheut wird. Indessen ist das Anliegen der
Publikation in erster Linie kein wissenschaftlich-historisches,
sondern ein theologisches. In der richtigen Erkenntnis, daß Anselm
auch der heutigen Zeit manches zu sagen hat, wenden
sich Editor und Herausgeber auch an ein weiteres interessiertes
Publikum.