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Ausgabe:

1968

Spalte:

658-659

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kuhn, Heinz-Wolfgang

Titel/Untertitel:

Enderwartung und gegenwärtiges Heil 1968

Rezensent:

Wächter, Ludwig

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657

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 9

658

Rudolph, Wilhelm: Hosea. Gütersloh: Gütersloher Vcrlagshaus
Gerd Mohn 1966. 271 S., 11 S. Tab. gr. 8° = Kommentar zum
Alten Testament, hrsg. v. W. Rudolph, K. Elliger u. F. Hesse,
XIII, 1. Lw. DM 42.-.

Das Nebeneinander zweier Kommentarreihen braucht nicht
ermüdende Wiederholung zu bedeuten, sondern kann Gewinn sein,
wenn die Verschiedenartigkeit der Betrachtungsweise stark genug
ausgeprägt ist. Nach H. W. W o 1 f f s intensivem „Biblischen
Kommentar" zu Hosea greift man darum erwartungsvoll nach der
neuen Auslegung dieses Prophetenbuches von W. Rudolph,
um Obereinstimmung und Unterschied der Auffassungen festzustellen
. Ohne den Vorgänger - die 2. Auflage 1965 konnte nicht
mehr berücksichtigt werden - ist dieser «Kommentar zum Alten
Testament" kaum denkbar, wie die vielfachen positiven oder auch
kritischen Verweise zeigen. Die Auseinandersetzung mit Wolffs
Deutung in Aufnahme und Widerspruch durchzieht das ganze
Buch.

Die Differenzen treten gleich im Verständnis der beiden „Ehe"-
Kapitel 1 und 3 klar hervor; hier löst R. die exegetischen Probleme
mit einem Streich. Der schwierige Vers 1,2 ist sekundär
; Kap. 3 handelt überhaupt nicht von einer Heirat, sondern
der „Einsperrung" einer Dirne. Die dafür angeführten Gründe
sind mannigfach und eigentlich überzeugend, so daß man, wenn
auch nicht ganz beruhigt, zustimmen möchte. - So scharf die Unterschiede
in der Auffassung von Hos 1 und 3 hervortreten, in
der übrigen Auslegung bestehen erstaunlich viele Gemeinsamkeiten
, wenn man bedenkt, welche Schwierigkeiten der Textzustand
des Hoseabuches macht. Die Exegese hat im Laufe der Geschichte
doch schon ein gutes Stück festen Bodens gewonnen. Trotz Hoseas
Radikalität der Gerichtsankündigung, die Arnos nicht nachsteht
0.9: .Ihr seid nicht mein Volk"; 5,4: „Ihre Taten erlauben ihnen
nicht, zu ihrem Gott zurückzukehren"), wird die Echtheit der Heils-
sprüche (ll,8ff; 14,2ff) nicht mehr angezweifelt. Auch der Aufbau
des Buches mit der mehrfach wiederkehrenden Folge von Unheil
und Heil ist anerkannt. Er ist das Werk judäischer Redaktion,
deren Absicht R. (S. 56.59 u. a.) betont herausarbeitet

R. bietet zunächst eine ungewöhnlich ausführliche und sehr
lehrreiche Textkritik. Manchmal scheut er auch vor recht gewagten
Korrekturen (z. B. in 6.5) und Vcrsumstellungen nicht zurück.
Besonderheiten im Sprachgebrauch versteht er oft als nordisrae-
htische Spracheigentümlichkeiten (S. 20ff), obwohl natürlich solche
Annahmen meist hypothetisch bleiben, weil Parallelen fehlen. Da
R- in den Worterklärungen über die Kommentare hinaus nur selten
weitere Literatur nennt, gewinnt er einen flüssig lesbaren
Text, der auch volkstümliche, „lebensnahe" Alltagssprache (S. 46.92)
zur Verdeutlichung benutzt. Formgeschichtliche Beobachtungen treten
zurück, fehlen aber nicht völlig. Den gerade bei Hosea interessanten
rcligionsgcschichtlichen Bezügen begegnet R. nur mit
Srößtcr Zurückhaltung.

R- scheint aus formgeschichtlichen und wortstatistischen Beobachtungen
ungern Konsequenzen zu ziehen (z. B. S. 56f zu dem
Ausdruck „lebendiger Gott"). Obwohl das erste Kapitel in der
3- Person verfaßt ist, möchte er es vom Propheten selbst herleiten
(S. 39). Desgleichen die Einführung von Hos 4,1, die nicht
nur deuteronomistische Sprache zeigt, sondern auch in ihrer Stellung
zwischen Einleitungskapiteln und Redeteil an den sekundären
Uberlcitungssatz Am 3,1 erinnert. Warum soll man 8,14 trotz der
^ezuge zum Amosbuch Hosea zuschreiben, während man dem
Propheten aus demselben Grund 4,15 abspricht? Die „Echtheit"
der Verheißung 2,lff wird (abgesehen von 2,3) nicht mehr begründet
, bleibt aber umstritten, so daß 2,2 kaum als Argument
tUr Hoseas Auffassung vom Königtum dienen kann (S. 244).

In der Aufdeckung religionsgcschichtlicher Bezüge ist R. sehr
zurückhaltend (S. l22H.13<j#. u. a.), wenn er nicht auf die Belege
Wolff verweist (S. 67). Gewöhnlich nimmt man an, daß Hosea
erster das Ehebild auf Gott übertragen und zugleich durch
d'e Ansage des Ehebruchs zerstört habe; nach R. (S. 49) war die
Vorstellung dem Propheten bereits vorgegeben, obwohl es dafür

einen Beleg gibt. Mehrfach argumentiert R. von der Schöpfung
~f* (S. 79.82f). Einerseits spielt aber der Schönfungsglaube bei
^osca kaum eine Rolle (8,14 ist umstritten), andererseits scheint
a'e kanaanäischc Religion zwischen Schöpfung und Erhaltung
Setrennt zu haben. Der Kampf ging um das zweite, die creatio
^ontinua: Wer spendet Israel die Güter des Landes?, und der
Prophet fand die Antwort doch wohl in der Geschichte, nicht der

Schöpfung. Im Bereich der creatio wird im Alten Testament kaum
eine Auseinandersetzung spürbar.

Die Abgrenzung der Einzelsprüche fällt im Hoseabuch besonders
schwer. Hier machen sich am ehesten unterschiedliche Auffassungen
bemerkbar, die sich dann auf die Datierung und Interpretation
auswirken. Oft werden aber die gleichen Deutungsmöglichkeiten
erwähnt, nur die Gründe anders gewogen. Wolff
hat den Versuch unternommen, den Aufbau des Buches - stärker
als bisher üblich - vom Propheten selbst herzuleiten, indem er
„Auftrittsskizzen" vermutet, deren einzelne Worte ohne die Einwürfe
der Hörer festgehalten wurden. R. lehnt diese Theorie ab,
die sowohl bestimmte Zusammenhänge in Thema und Sprachgebrauch
wie Neueinsätze mit Stilwechsel erklärt (S. 174. 187f. 190);
er selbst zerlegt das Hoseabuch stärker, nimmt aber ebenfalls
nicht nur rhetorische, sondern auch thematische Einheiten an
(z. B. 4,1-10; 5,1-7; 13,1-14,1). Die Komposition leitet er meist aus
der Redaktion (6,7-7,16; 9,10-17 u.a.), gelegentlich auch vom Propheten
(8,1-14) her; Hosea soll selbst Worte niedergeschrieben
haben (S. 187. 190). Bleibt aber diese Lösung nicht unbefriedigend
(vgl. dieselbe Begründung S. 144 und 161), zumal einzelne Einheiten
miteinander verzahnt sind (bes. 5,13ff)? Möchte man aus
diesem Grund nicht doch Wolffs These in irgendeiner Form aufnehmen
, wird man der Redaktion einen größeren Anteil an der
Gestaltung des Buches zusprechen müssen. Dafür spricht, daß
prophetische Redeformeln zur Ein- und Ausleitung der Sprüche
durchweg fehlen und die verschiedenen Redeabschnitte mehrfach
durch Obergangsfloskeln, wie „und" (S. 140f), miteinander verwoben
wurden. Die „Redaktoren" scheinen also bei der Zusammenstellung
der Worte stellenweise in den Text eingegriffen zu
haben - wie es in späteren Prophetenbüchern (Jeremia, Ezechiel)
in weit höherem Maße geschieht

Die eigene theologische Intention des Exegeten erscheint nur
versteckt. Christologische Erklärungen wie alle „Ziel"-Angaben
fehlen, überhaupt finden sich höchst selten Bemerkungen, die
über eine streng historische Textauslegung hinausgehen (vgl. etwa
S. 218.227.259). Durchweg deutet R. den Text vom Leben Hoseas her,
bzw. er schließt vom Text auf die Wirklichkeit des Propheten
(etwa S. 180). Macht aber eine Interpretation, die hauptsächlich
nach der Person des Propheten fragt, nicht im Grunde rückgängig,
was mit der Sammlung und Bearbeitung der Worte begonnen und
mit der Kanonisierung geendet hat? Diese Nachgeschichte will
doch eigentlich nach Verlust der historischen Situation - hier: dem
Untergang des Nordreiches - die Gegenwartsbedeutung der prophetischen
Botschaft erhalten. Hat denn eine Textauslegung nur
die Aufgabe, die Ursprungssituation festzuhalten? Jedenfalls vertritt
R. oft eine anregende, ja pointierte oder gar provozierende
Meinung, so daß das Nebeneinander zwei so verschiedener Kommentarwerke
zum Hoseabuch den Leser lockt, die Ansichten zu
vergleichen und selbst Stellung zu nehmen.

Wien Werner H. Schmidt

Kuhn, Heinz Wolf gang: Enderwartung und gegenwärtiges Heil.

Untersuchungen zu den Gemeindeliedern von Qumran mit einem
Anhang über Eschatologie und Gegenwart in der Verkündigung
Jesu. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1966.
242 S. gr. 8° = Studien zur Umwelt des Neuen Testaments,
hrsg. v. K. G. Kuhn, 4. Kart. DM39.-.

Die Arbeit, deren größerer Teil im Wintersemester 1963/64 der
Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation
vorgelegen hat, setzt sich das Ziel, bei der Gemeinschaft von
Qumran neben der rein futurischen Enderwartung die Vorstellung
eines eschatologisch-gegenwärtigen Heiles zu erweisen. Sie konzentriert
sich dabei auf die stets ein soteriologisches Bekenntnis
enthaltenden „Gemeindelieder" bzw. „Bekenntnislieder des Frommen
", wobei auch der formal und inhaltlich diesen Liedern nahe
verwandte Schlußteil der Sektenschrift (1 OS 10,9-11,22) mit hinzugezogen
wird.

Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in der gründlich durchgeführten
„Einzelexegese von Liedern, die von eschatologisch-gegen-
wärtigem Heil handeln" (S. 44-112), 1 QH 3,19-36 11,3-14 ll,15ff.
und 15. Die Exegese von 1 QH 3,19-36 wird durch drei Exkurse
erweitert: „Die Gemeinschaft mit den Engeln in den Qumran-
texten"; „Erbe' und ,Los' als eschatologische Termini im Spätjudentum
"; „Neuschöpfung im palästinischen Judentum". Der