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Ausgabe:

1968

Spalte:

625-627

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hoekendijk, Johannes Christiaan

Titel/Untertitel:

Kirche und Volk in der deutschen Missionswissenschaft 1968

Rezensent:

Vicedom, Georg F.

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 8

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denden Unterschied zu Luthers Auffassung derselben anmerkt
(172). Aber das scheint ihm offenbar wenig zu bedeuten, was
sich dadurch erklärt, dar) Kimme im Unterschied zu Barth, Andersen
und Goldammer die „christliche Religion" ganz aus der
Frage nach den „Religionen" heraushält. Dafür bleibt er - was
bei diesem Ansatz nicht zu verwundern ist - ganz im Bereich
des orthodox-rationalistischen Stufenfeldes einer natürlich-übernatürlichen
Offenbarung. Das Phänomen der „Geschichte" bleibt
nahezu unbedacht.

In gewisser Weise steht der Beitrag von K. Goldammer diesen
drei Beiträgen ein wenig gegenüber (55-135). Er besticht
durch den Mut zum Ergebnis der eindeutig historis.-h gesicherten
Fakten. Indem er damit ernst macht, daß die Bibel ein Dokument
der allgemeinen Religionsgeschichte ist, vermag er in der
Gottesfrage wie in der Bedeutung der Offenbarung das innerbiblische
Ringen von Universalismus und Exklusivität deutlich
zu machen und zu demonstrieren, daß die Bibel „im Ganzen
kein komperatives Denken" im Sinne einer Religionsvergleichung
kennt (64). Er kommt zu einem „Versuch einer theologischen
Deutung: die Christologie als Muster (pattern) einer Theologie
der Religionen" (129), wobei er von alten und modernen Versionen
der Logos-Spermatikos-Theologie abruckt und dafür an
c-ie „Kenosis-Vorstellung" anknüpft, wobei er auf die „Religions-
Werdung" der Offenbarung und des Evangeliums hinweist. Denn
..die biblische Offenbarung nimmt teil an der Rätselhaftigkeit
aller Religion" (131). Diese „Christologie der Religionsgeschichte"
(133) enthält genügend Elemente, mit Hilfe derer das nötige
Gespräch mit der Theologie der Religionen, die in New-Delhi in
Erscheinung trat, ernsthaft fortzuführen wäre. Auf die Bedeutung
einer Erneuerung einer Theologie der Religionen aufmerksam
gemacht zu haben, ist das unbestreitbare Verdienst des 16.
der Fuldaer Hefte.

Wien Wilhelm D a n t i n e

Hoekendijk, Johannes Christian: Kirche und Volk in der
deutschen Missionswissenschaft, bearb. u. hrsg. v. E.-W. Poll-
mann, übers, v. G. Finkenrath, H. H. Mehrhoff, M. Quaas
u. E.-W. Pollmann. München: Kaiser 1967. 354 S. 8° = Theologische
Bücherei. Neudrucke u. Berichte aus d. 20. Jahrhundert.
Mission u. Ökumene, 35. Kart. DM 20,-.

Das vorliegende Werk ist eine Übersetzung der 1948 unter
dem Titel „Kork en Volk in de Duitse Zendingswetenshap" erschienenen
Dissertation des Verfassers, die großes Aufsehen erregte
. Dennoch haben sich nur wenige mit ihr ernstlich auseinandergesetzt
, darunter: H. W. Gensichen, Grundfragen der
christlichen Kirchwerdung in der Mission, EMZ 1951; S. Knak,
ökumenischer Dienst in der Missionswissenschaft, Theologia
Viatorum, 1950; H. J. Marguli, Theologie der missionarischen
Verkündigung, 1959; G. F. Vicedom, Missio Dei, 1957. Die vorlegende
Übersetzung nahm manche Kürzungen vor. Es fehlt
die Darstellung der Missionstheologie von J. Josenhans,
R- Grundemann, E. Johanssen. Manche Zitate sind weggelassen.
Sowohl die Einteilung des Buches als auch der Text wurden gestrafft
, manche Urteile wurden gemildert, was der Verfasser sehr
begrüßt (S. 298f). Er gibt zu, dafj seine gegen die deutsche evangelische
Missionstheologie gerichteten Urteile auch auf Mis-
sionsarbeiter anderer Nationen zutreffen würden. Er weiß, dafj
das Buch neu geschrieben werden müßte (S. 301), und hat es
darum mit einem Anhang ergänzt, um die Thematik in Relevanz
2ur Gegenwart zu bringen, was nach seinem Urteil ein nahezu
inmögliches Unterfangen ist (S. 297f). Das Werk wurde auf
Wunsch der deutschen Sektion der ökumenischen Studiengruppe
-Die missionarische Struktur der Gemeinde" übersetzt. Ob es auf
die Reform der Kirchen einen Einfluß ausüben kann, bleibt abzuwarten
.

Hoekendijk geht in dem Buch der Frage nach, welche entscheidende
Rolle im deutschen Missionsdenken der von der Romantik
her aufgeladene Begriff „Volk", die volksgcmäßen Ge-
'Ueinschaftsformen als Ausgangs- oder Grundformen der Gemeinde
bzw. die Synthese von Kirche und Volk bei dem Aufbau
JUngcr Kirchen gespielt haben und von der deutschen Missionswissenschaft
ihre Rechtfertigung erfuhren. Nach Darstellung
der geschichtlichen Voraussetzungen behandelt er N. L. von Zin-
zendorf, A. G. Spangenberg und F. Fabri, für die die Gewinnung
von Erstlingen für das kommende Reich entscheidend war
(S. 11-43). Obwohl der Reichsgedanke nicht aufgegeben wurde,
bildet sich dann das Missionsziel bei F. Ehrenfeuchter, K. Graul,
L. Harms und W. Löhe in Volkschristianisierung um (S. 44-79).
Bei C.H.C. Plath und E. Büß verbindet sich das Ziel mit Kulturpropaganda
. Durch G. Warneck wird die Mission aus der Isolierung
gerissen und die Fragestellung Einzelbekehrung und Volkschristianisierung
zum Thema der deutschen Missionstheologie
gemacht (S. 87-110). Die Mission wird zum Wachstumsprozeß
der Kirche, wobei die Eigenart der Völker nicht verlorengehen
soll. Der Begriff Volk wird dabei kritiklos gebraucht (S. 78). Die
Mission verliert ihren eschatologischen Aspekt. Warneck wird
zum Lehrer der ethnopathetisch-pädagogischen Zielsetzung
(S. 89). Durch den ersten Weltkrieg entsteht eine vollständig veränderte
Lage. H. Frick versucht das Missionsmotiv zu reinigen,
den „Nationalismus" zu durchstoßen und versteht das Evangelium
als Kraft zur Reinigung des Volkstums (S. 132-138).
B. Gutmann bekämpft den Individualismus der Moderne und
sieht in den urtümlichen Bindungen die Grundformen der Gottesbeziehung
, die er in den Dienst der Gemeinde stellt. So werden
Kirche und Volk eine Einheit (S. 139-179). S. Knak liefert
für Gutmann den Theologischen Unterbau, auch wenn er im einzelnen
mit ihm nicht einig ist (S. 165-171). Daneben setzt sich
Chr. Keyßer von der Erfahrung her für die am A.T. ausgerichtete
volkspädagogische Methode eines organischen Gemeindeaufbaus
ein, wobei von der Gemeinde her das Volk durchdrungen
wird (S. 171-189). Demgegenüber stellt G. Rosenkranz für Japan
und China den Volksnomos als den entscheidenden Faktor
heraus, der vom Evangelium aus bestimmt werden müsse
(S. 190-201). Die Lösung der Problematik kommt durch
W. Freytag, der die Mission als Aufrichtung des Glaubensgehorsams
bestimmt und die Gemeinde als Einbruchstellc des Heiligen
Geistes bezeichnet. Bei ihm wie bei K. Hartenstein bricht
wieder die eschatologische Sicht durch. Das Volkstum wird wieder
in Verbindung mit dem Heidentum gesehen. Die Mission
wird im 3. Glaubensartikel verankert (S. 202-2181. Hoekendijk
weiß, daß diese Exponenten missionswissenschaftlichen Denkens
nicht die gesamte deutsche Missionstheologie verkörpern.

Der anthropologisch-theologischen Fundierung der Mission
gegenüber legt nun Hoekendijk seine eigene Konzeption dar.
Dabei ist bedauerlich, daß in der Übersetzung die Dynamik seiner
Apostolatstheologie nicht so zum Ausdruck kommt wie im
Original. Mission ist nach ihm selbst apokalyptisches Geschehen,
das nach der Verwerfung des Herrn durch die Juden in der Auferstehung
gründet und durch den Heiligen Geist im Apostolat
seine Verwirklichung findet. Dieser fügt die Apostel in Gottes
Heilsplan ein (S. 232 ff). Panta ta ethne bedeutet nach ihm die
Menschheit ohne Rücksicht auf ihre differenzierten Gemeinschaftsformen
(S. 238 ff). Der Begriff „Gottes Volk" darf daher
nicht völkisch bestimmt werden. Dieses ist eine Größe sui gene-
ris, der auserwählte Rest. Das Wesen der Kirche ist daher escha-
tologisch zu bestimmen. Es geht nicht darum, die Ordnungen
theologisch zu begründen, um ihnen mehr Autorität zu geben
(S. 247 ff). Der Ordinologie gegenüber ist die Ökologie von entscheidender
Bedeutung, weil die Gemeinde immer auf ihre vielfältig
struktuierte Umgebung zu wirken hat. Von hier aus setzt
sich der Verfasser mit dem volkskirchlichen Denken auseinander,
das immer eine Begrenzung des Missionszieles bringt (S. 260 ff).
Nicht das Volk, sondern die Ökumene als bewohnter Raum seien
der Ort der kirchlichen Verkündigung. Darum hat das Volk für
die Kirche keine konstitutive Bedeutung. Das Gegenüber der
Kirche sei heute die Great Society (S. 281 ff), deren Probleme
nur durch einen Comprehensive Approach bewältigt und unter
die Herrschaft Jesu gebracht werden können. Unter ihr hat sich
die Gemeinde als soziales Integrationszentrum zu bewähren
(S. 289 ff).

Im Anhang (S. 297 ff) versucht der Verfasser nach einer Situationsanalyse
die Frage nach der missionarischen Existenz in