Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1968

Spalte:

616-617

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bohren, Rudolf

Titel/Untertitel:

Geheimnis der Gegenwart 1968

Rezensent:

Kiesow, Ernst-Rüdiger

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

615

kürzung der biblischen Botschaft. „Den Satz, daß Christus in das
Kerygma hinein auferstanden sei, habe ich nie für etwas anderes
halten können als für eine nicht einmal besonders anziehende
Umschreibung der nüchternen Feststellung, daß Christus nicht
auferstanden ist" (107). In der Betrachtung zum 10. p. Trin. stehen
Worte voll Ironie über die „heute lautstark herrschenden
Kreise der Theologen", die im Zeichen der christlich-jüdischen
Verständigung das Evangelium preisgeben. „Ein Protestantismus
, der beredt ist, in seiner ,Konversion zur Welt' den eigentlichen
Inhalt des christlichen Glaubens um das Linsengericht der
Zeitgemäßheit zu verkaufen, versteht sich selber als die legitime
Fortsetzung des alttestamentlichen Gottesvolkes" (200). Wer ist
gemeint? Bei solchen Andeutungen ist eine Auseinandersetzung
schwierig.

Solche polemischen Ausfälle sind immerhin selten und sollen
uns nicht die Freude an dem verderben, was St. an guter Beobachtung
und aus reicher geistlicher Erfahrung in Fülle zu bieten
hat. Als Beispiel sei die Betrachtung zum 4. Advent: „die
Mutter des Herrn" genannt. Sie spricht einer biblisch-evangelischen
Marienverehrung das Wort. Hier läßt man sich auch den
Angriff gegen eine spiritualistische Verengung der Theologie gefallen
und merkt sich die kühne Formulierung: „Ideen haben
keine Mütter; sie werden bestensfalls gezeugt, aber eben nicht
geboren."

Die Darlegung ist im übrigen stark an Luther und an seiner
Auslegung des Magnifikat orientiert. Die Kritik an der Übersetzung
im Gruß des Engels: „Holdselige", das sei eine ins
Ästhetisch-Anmutige spielende Vokabel, wird freilich Luther
kaum gerecht, der ja in seinem Brief über das Dolmetschen selbst
die Interpretation gibt: Du liebe Maria! Sprachlich-inhaltliche
Beobachtungen zu humilitas (Demut und Niedrigkeit), benedeien,
symballein (im Gegensatz zu diabolos) sind hilfreich, auch die
Heranziehung von Offenbarung 12: Die Mutter des Herrn nicht
mater ecclesiae wohl aber mater ecclesia! Die Ausdeutung mittelalterlicher
Darstellungen: „Maria auf der Mondsichel, eingekleidet
in den Strahlenkranz der Sonne" zeigt freilich wieder
die Neigung, das Bild als „mystisch-symbolische Chiffre" zu nehmen
(so in dem Abschnitt über die Engel S. 233) und tiefsinnig
zu deuten: „Der Mond verkörpert hier alle rhythmische Ordnung
des naturlichen Lebens, auch den periodischen Wechsel der
Gezeiten; diese naturhafte Wirklichkeit ist die Basis auch für
das Leben der Kirche, die ja nicht im leeren Raum schwebt, sondern
eben mit beiden Füfjen auf der Erde stehen muß; aber sie
ist bekleidet mit der Sonne als dem Symbol des Christuswesens,
und hier, wie überall, ist das Kleid nicht eine äußere Umhüllung,
sondern Ausdruck und zugleich Verwandlung des eigentlichen
Seins." Solche Auslegung ist bestimmt von einer Theologie, die
auf dem Satz des Thomas fußt: gratia naturam non destruit, sed
perficit - St. zitiert ihn wiederholt (z. B. 130). Zumindest mißverständlich
erscheint auch der folgende Satz vom mütterlichen
Amt der Kirche: „sie hat nicht nur zu reden, sondern Leben weiterzugeben
." Ist sie nicht Kirche des Worts, und ist nicht im
Wort das Leben beschlossen? Wenn schließlich einer marianischen
Frömmigkeit das Wort geredet wird, in der „das Verlangen nach
mütterlicher Geborgenheit gegenüber bloß männlicher Belehrung
und Erziehung" seine Erfüllung finde, dann scheint mir sowohl
die Alternative falsch gestellt als auch dies „Verlangen" allzu
schnell bejaht. Aber gerade auch im Widersprechen kann man
lernen, und fruchtbar sind oft gerade die Bücher, die nicht unsere
eigenen Gedanken bestätigen, sondern uns herausfordern.

Vielleicht kommt in diesem Bande die persönliche theologische
Ausrichtung und Stellungnahme des Verfassers noch stärker
zum Ausdruck als in den vorausgehenden. Das bringt es mit
sich, daß man sich immer wieder gern belehren läßt und immer
wieder zum Widerspruch herausgefordert fühlt. Bedenkenswert
ist die Übersetzung des Lobgesangs der Engel zu Weihnachten:
„Herrlich ist Gott in der Höhe, und Heil auf Erden bei den Menschen
seiner Gnade". Aber sagt „Wohlgefallen" nicht dasselbe wie
„Gnade"? Und so wahr „Heil" die Fülle von schalom gut zum
Klingen bringt, so entschieden ist doch dem zu widersprechen,
„daß das Wort ,Friede' an dieser Stelle mit irgendwelchen
menschlichen politischen Friedensbestrebungen rein nichts zu tun

616

hat" (30). Welch fragwürdige Zwei-Reiche-Lehre steckt hinter
dieser Behauptung? - Der 4. Sonntag nach Epiphanias gibt
mit dem Leitbild: „Der Herr der Naturmächte" Anlaß zu Ausführungen
über das kosmische Verständnis des Christus-Glaubens
, über den Unterschied der Begriffe natura und creatura,
über die „elementaren Mächte" des Kolosserbriefcs, es sind „Wirklichkeiten
", und „die Leugnung ihrer Realität ist ebenso ungehorsam
wie der Rückfall in ihre religiöse Verehrung" (63). In
ähnlicher Richtung geht die Besinnung zum Sonntag Jubilate
(die neue Schöpfung) mit der Klage über „die schreckliche Unfähigkeit
, das Geschaffene von dem Gemachten, das Werk der
göttlichen Hände von dem Werk des Menschen zu unterscheiden,
den Mangel an Ehrfurcht vor allem schöpfungsmäßig Gegebenen
und die brutale Ausnützung und Zerstörung der in der Erde uns
anvertrauten Kräfte" (130). Zu dem Leitbild „der gute Hirte"
(Mis. Dom.) finden sich wichtige Ausführungen über die congre-
gatio als das Geschehen und Ereignis der Eingliederung in die
Herde, die etwas radikal anderes als Vermassung bedeutet. Eben
so wesentlich sind zu „Himmelfahrt" die Bemerkungen über ein
dynamisches Verständnis von „Himmel": „Der Himmel ist für die
Alten immer der symbolische Ort der wirkenden Kräfte gewesen,
die unser Erdenschicksal bewegen und bestimmen, nicht nur die
Welt des Unsichtbaren im Gegensatz zu aller sichtbaren und
greifbaren Wirklichkeit, sondern zugleich das Zukünftige, das,
was auf uns zukommt, der Ort, in dem alles, was „im Gange"
ist, seinen Ursprung hat". - Daß die reiche Erfahrung St.s auf
dem Gebiet der Liturgie auch in diesem Buche ihren Niederschlag
findet, ist selbstverständlich. Das Leitbild „In weißen Kleidern"
(Quasimodogeniti) führt (oder verführt?) zu Spekulationen über
Farbsymbolik und Farbenpsychologie, zu Kantate werden eine
Reihe beherzigenswerte Regeln geltend gemacht, z. B. daß dem
gesprochenen Wort des Pfarrers die Gemeinde sprechend antwortet
, und entsprechend dem gesungenen singend. Beachtlich
ist auch die Kritik an der „unguten Neuerung" des gemeinsam
gesprochenen Credo und Vaterunser, beachtlich (zu Rogate) die
Warnung vor der Verfälschung des allgemeinen Kirchengebets
durch die „Neigung, im angeblichen Gebet Gott Gedanken vorzutragen
, die im Grunde doch eine verkappte Ansprache an die
Gemeinde darstellen", und ebenso beachtlich (zum Gedenktag
der Heiligen, 1.11.) die Unterstützung des Vorschlags, den Gedenktag
der Reformation gleichzeitig mit dem Gedenktag der
Heiligen zu begehen und damit „den Gedenktag der Reformation
in den großen Zusammenhang der ganzen Kirchengeschichte und
aller von Gott erwählten und geliebten Heiligen hineinzustellen
und auch damit den ökumenischen Sinn der Reformation zu Ehren
zu bringen" (263). - Der Büß- und Bettag wird gewürdigt in
seiner Abzielung auf das öffentliche Leben, die politische Führung
, die bestimmenden Mächte des sozialen und kulturellen
Lebens, die Mitverantwortung aller Staatsbürger. „Warum sollten
an einem solchen Tage nicht einmal die Regierung, die Minister
, die Parlamente dem Volk und sich selbst eine aus ernster
Selbstbesinnung geborene Bußpredigt halten?" (279) - wobei
auch die sprachliche Beobachtung hilft, daß „Buße" mit „besser"
(Besserung) zusammenhängt.

Genug der Beispiele. Sie zeigen etwas von der Fülle der Anregungen
und Denk-anstöße (im doppelten Sinne des Wortes),
die der Leser empfängt, und wollen Mut machen, sich solchen
Anstoß gefallen zu lassen.

Leider wimmelt das Buch von Druckfehlern. Ich vermerke: S. 22 Z. 5: Gefahr.
S. 26 Z. 17: das statt als. S. 26 Z. 19: daß statt das. S. 77 Z. 7 v. u.: Gleichnisbild
. S. 115 Z. 4: Die göttliche Potenz. S. 115 Z. 5: aqua. S. 128 Z. 9 v. u.:

S. 129 Z. 1 v. u.: Anlagen statt Anliegen. S. 156 Z. 11 v. u.:
trinitas statt trinitatis. S. 340 Z. 8 v. u.: Schöpfung.

Düsseldorf-Kaiserswerth Robert F r i c k

Bohren, Rudolf: Geheimnis der Gegenwart. Predigten über
Taufe, Abendmahl und Beichte. Zürich/Stuttgart: Zwingli Verlag
(1965). 151 S. kl. 8°. Kart. DM 8.80.

Hier werden nicht „Kasualreden", sondern wirkliche Gemeindepredigten
vorgelegt, von denen jede einzelne wegen ihrer
theologischen und homiletischen Qualität eigentlich eine eingehende
Analyse verdiente.

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 8