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1968

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Systematische Theologie: Ethik

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Neuerscheinungen

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einer positiven Wertung als „Form des Evangeliums" und der
Gnade ist in den einzelnen Stufen nicht zu verkennen, verbunden
mit einer ausschließlichen Gründung auf die Schrift. Dies aber
wirft wieder Probleme der Paulus-Exegese auf, in denen der Vf.
Barth gegen die Einwände von E. Schlink im wesentlichen verteidigt
, obwohl B. nach ihm die Problematik von Gesetz und
Evangelium „ungeheuer verallgemeinert und radikalisiert hat".
Bei der Herausarbeitung des Ereignischarakters des Gebotes kann
dem Leser übrigens zu seinem Erstaunen einmal wieder deutlich
werden, wie stark das existentiale Moment bei Barth auf eine
eigene Weise - ohne Zuhilfenahme einer Fundamentalontologie -
durchschlägt, und er könnte von neuem darüber nachdenken, ob
nicht die Barth weithin abgesprochene „Geschichte" bei ihm nachdrücklicher
vertreten wird als bei den Autoren der doppelten Buchführung
von „Historie" und „Geschichtlichkeit". - Die aufgelaufenen
Fragen zur Schriftauslegung werden schließlich in einem
als Anhang betrachteten Abschnitt über „das Wort Gottes als
Aufgabe der Theologie" (S. 235-255) behandelt, der einen erstaunlich
innerprotestantischen Eindruck macht und von einer
katholischen Schriftlehre kaum etwas verrät.

Das Buch van Dijks ist als zuverlässiger Leitfaden durch die
Entwicklung der ethischen Problematik bei K. Barth unter entschiedener
Betonung der systematischen Aspekte anzuerkennen
und als eigene systematische Leistung des Vf. auf diesem noch
wenig beackerten Feld unter den oben bez. Voraussetzungen
und Selbstbescheidungen zu werten. Die Frage des Glaubens
nach der Ethik und umgekehrt der Ethik nach dem Glauben ist
durch diese Darstellung, in der das Gewicht des Barthschen Einsatzes
sich voll auswirkt, um einen Grad unüberhörbarer geworden
.

Zur äußeren Gestalt des Buches ist zu bemerken, daß eine
Reihe z. T. sinnstörender Druckfehler stehengeblieben sind
(S. 47, 66, 73, 83, 88, 98, 114, 137, 139, 141 f, 164, 235).

Hannover Martin Storch

Timm, Hermann: Theorie und Praxis in der Theologie Albrecht
Ritschis und Wilhelm Herrmanns. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte
des Kulturprotestantismus. Gütersloh:
Gütersloher Verlagshaus G.Mohn [1967]. 159 S. gr. 8° = Studien
zur evangelischen Ethik, hrsg. v. H. E. Tödt u. H.-D.
Wendland, 1. Lw. DM 24.-.

Man kann die Herausgeber der neuen Reihe „Studien zur
evangelischen Ethik" nur dazu beglückwünschen, daß sie mit
einer so aktuellen und bedeutsamen Veröffentlichung beginnen
konnten. Der Verfasser Hermann Timm wandte sich nicht nur
zwei wichtigen Gestalten der Theologiegeschichte zu und legte
neue Ergebnisse vor, sondern konnte in sorgfältiger historischer
Textarbeit einen bedeutsamen Beitrag für die theologische Gegenwartsproblematik
leisten. Das ist durch die Art des Hinblicks
auf die Vergangenheit erreicht worden, durch die thematische
Profilierung des Stoffes, die den Leser in eine Entwicklung mit
hineinnimmt, die frappante strukturelle Ähnlichkeiten mit unseren
theologischen Gegenwartsproblemen hat.

Welche Folge hat der große Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts
, das Ende des Deutschen Idealismus für die theologische
Entwicklung? Gehört Albrecht Ritsehl mit seiner Schule
diesseits oder jenseits dieses Bruches? Der Verfasser geht neue
Wege, wenn er feststellt, daß Albrecht Ritsehl dem Erbe des
Deutschen Idealismus verbunden bleibt, nicht in Nebensächlichkeiten
, sondern im Zentrum seines theologischen Ansatzes. Zwar
verläßt er die Position seines Lehrers Ferdinand Christian Baur,
vor allem dessen Lehre vom Absoluten, aber durch Ritschis „teleologisches
System des Gottesreiches . . . (wurde) die metaphysische
Theorie in das nachidealistische 19. Jahrhundert hinübergeholt
" (S. 24). Bis zurück oder besser hin zu Hegel wird
der Bogen gespannt, durchaus in historischer, aber auch systematischer
Konsequenz. Ritsehl konzipierte danach einen systematischen
Gesamtentwurf, „dessen Umfang und Wahrheitsanspruch
mit dem des Hegeischen Systems durchaus vergleichbar
ist, nur daß Ritsehl die Schlüsselfunktionen seines Systems mit

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.praktischen' Begriffen besetzt" (S. 35). Albrecht Ritsehl ist also
nicht nur der neukantianische Werturteilstheoretiker bzw. -prak-
tiker, der die Systemgrundlage der Theologie zugunsten einer
dualistischen Gesamtkonzeption zerstört hätte, sondern ein Systemdenker
(Weltanschauungsdenker), der vom Gottesbegriff
und Gottes Selbstzweck her (nach der 1. Auflage von „Rechtfertigung
und Versöhnung") an der „kosmisch-universalgeschichtlichen
Rationalität des christlichen Heilsglaubens" an der „Frage
nach der einen Wahrheit" (S. 33 ff) festhält. Es wäre eine Art
Gestaltwandel des Absoluten hin zur „Reich-Gottes-Praxis" bei
Ritsehl erfolgt. Damit ist die am „Antimetaphysiker" Ritsehl der
späteren Auflagen seiner Hauptwerke orientierte Interpretationstradition
verlassen worden, die Kontinuität bis zu Hegel hin tritt
stärker hervor.

Der eigentliche Bruch in der Theologiegeschichte, der dann
sozusagen in einer Phasenverschiebung 50 Jahre nach dem Bruch
der philosophischen Entwicklung erfolgte, hätte dann
erst beim bedeutensten Ritschischüler Wilhelm Herrmann stattgefunden
. Die ersten Werke Herrmanns liegen noch im Einflußbereich
Ritschlschen Systemdenkens. Erst die Spätphase der
Herrmannschen Entwicklung bricht mit dem systematischen
Wahrheitsanliegen seines Lehrers, mit dessen vom Reich Gottes
her konzipierten „Sozialdogmatik". „Herrmann überging . . .
den materialen Gehalt des Ritschlschen Systems und setzte an
die Stelle des Gottesreiches den Begriff der Persönlichkeit"
Iß. 151). Welt und Gesellschaft fallen dadurch aus dem theologischen
Ansatz heraus. „Wo die Weltmächtigkeit des Geistes erlosch
, begann eine neue Epoche der Herrmannschen Theologie"
(S. 152). Es geht dann nicht mehr, eine im Glauben gelegene Anschauung
des Weltganzen zu explizieren, sondern eine kantisch
verstandene Sittlichkeit soll „mit innerer Folgerichtigkeit bis
an den Rand des unaussprechlichen Erlebnisses der Religion
heranführen" (S. 153).

Der eigentliche theologiegeschichtliche Bruch liegt dann in
der „Entweltlichung", im beginnenden „Akosmismus", den der
Verfasser in der Theologie Rudolf Bultmanns kulminieren sieht,
der aber schon bei Bultmanns Lehrer Herrmann präformiert ist.
Gegen diesen „problematischen Geschichts- und Weltverlust in
der bisherigen Theologie des 20. Jahrhunderts" (S. 20) richtet
sich das systematische Grundanliegen des Verfassers.

Zweifelsohne hat Hermann Timm durch seine quellenmäßig
wohl fundierte Arbeit einen zentralen Punkt anvisiert, an dem
eine grundlegende Weichenstellung für die theologische Entwicklung
erfolgte. Jeder an einer theologischen Verankerung von
Sozialethik oder auch Religionssoziologie interessierte Forscher
wird ihm für dieses historische Modell einer prinzipiellen und
aktuellen Problematik Dank zu sagen haben.

Leipzig Hans Moritz

B ö c k 1 e, Franz: Sexualität und sittliche Norm (StZ 180, 92. Jg.
1967 S. 249-267).

- Was ist das Proprium einer christlichen Ethik? (ZEE 11, 1967
S. 148-159).

Borovoi, Vitali: Herausforderung und Relevanz der Theologie
in der sozialen Revolution unserer Zeit (ZdZ 21, 1967
S. 293-296).

Cardenas, Gonzalo Castillo: Die Herausforderung der lateinamerikanischen
Revolution (Die Kirche als Faktor einer kommenden
Weltgemeinschaft, Berlin/Stuttgart: Kreuz-Verlag 1966
S. 180-194).

- Christen und der Kampf um eine neue soziale Ordnung in
Lateinamerika (ZdZ 21, 1967 S. 286-293).

Chauchard, Paul: Untugend der Tugenden - Tugend der
Untugenden, übers, v. G. Kurz u. S. Summerer. Düsseldorf
: Patmos-Verlag [1967]. 188 S. 8° = Patmos Paperback.
DM 15.80.

Dubarle, Dominique: Gefährdet die Art und Weise, in der
der Mensch mit sich selbst verfährt, sein Menschsein? (Conci-
lium 3, 1967 S. 469-475).

Dumas, Andre: Die Suche nach einer neuen Ethik für die
neuen Gesellschaften (ZdZ 21, 1967 S. 328-332).

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 8