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Ausgabe:

1968

Spalte:

610-611

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Dijk, Joseph van

Titel/Untertitel:

Die Grundlegung der Ethik in der Theologie Karl Barths 1968

Rezensent:

Storch, Martin

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 8

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bestand der Geschichtlichkeit jeder Kultur noch als zusätzliche
Dimension eingeführt werden müßte" (53). Eine absolute Legitimation
der Normen „ist aus dem interkulturellcn Vergleich
nicht zu gewinnen" (54). Von da her ist der spätscholastische
Naturbegriff nicht mehr zu halten. „In ihm wird Natur mit dem
erkennbaren und aussagbaren Wesen des Menschen und der
Dinge gleichgesetzt, das von Gott als Ordnungsprinzip in die
Welt gesetzt wurde" (56). Da aber „der Mensch ,von Natur aus'
auf Kultur hin angelegt ist", kann man sein jeweiliges Wesen
nur im Rahmen der jeweiligen Kultur feststellen. Natürlich ist
das kulturell Selbstverständliche (57). - A.G.M. Van Meisen,
Natur und Moral, spricht als Naturphilosoph. Er zeigt, dafj für
unser Verständnis der Natur als eines Kausalnexus die Naturordnung
„nicht mehr wie früher ohne weiteres gleichzusetzen
(ist) mit Gottes Schöpfungsordnung". Die Naturordnung ist desa-
kralisiert; die Natur „ist sozusagen nur noch rohes Material für
menschliche Bearbeitung" (76). Natura humana kann daher
-nicht mehr bedeuten, daß dem Menschen in der zweckmäßig
von außen her geordneten Natur ein bestimmter Raum zugewiesen
ist, innerhalb dessen er seinem Leben frei Gestalt geben
muß in Übereinstimmung mit den Naturfinalitäten. Denn diese
tatsächliche Naturordnung hat ihren normierenden Charakter
verloren" (77). Natura humana ist vielmehr „selbst Aufgabe,
keine Gegebenheit" (83). Und zwar eine immer neu gestellte
und sich wandelnde Aufgabe. „Die Zukunft ist unbekannt, die
Ethik muß offen bleiben", wenn auch das Grundprinzip bleibt:
-Es geht immer um die Selbstrealisierung des Menschen" (84). -
Jos. Th. C. Arntz: Die Entwicklung des naturrechtlichen Denkens
innerhalb des Thomismus, vertritt die These, daß Thomas im
Unterschied zu den Thomisten das Naturgesetz nicht als „in unserer
Natur promulgiert" ansah, sondern von einem Naturrecht
als Aufgabe wußte (116). „Die natürlichen Neigungen bieten sich
dem Menschen nur dar als Materie, in der er selbst eine vernünftige
Ordnung zu schaffen hat!" (100). Vier verschiedene Auffassungen
von Naturrecht zeigt Arntz auf: 1) das Naturgesetz
als kosmische Ordnung („,quod natura omnia animalia doeuit'"
Ulpian), 2) das Naturgesetz gegründet auf die psychophysische
Natur des Menschen (die Moralisten Ende des 19., Anfang des
20. Jahrhunderts), 3) das Naturgesetz gegründet auf das metaphysische
Wesen des Menschen (Vasquez), 4) das Naturgesetz gegründet
auf die ratio ut natura (Wilhelm von Auxerre und Thomas
). „Wie immer es auch um die Umwandelbarkeit des Naturgesetzes
selbst beschaffen sein mag, die Auffassungen darüber
haben sich jedenfalls sehr gründlich gewandelt" (117). Einen
möglichen neuen Ansatz im Naturrechtsdenken sieht Arntz in
der Urevidenz der Mitmenschlichkeit (119 f.). - Fr. Böckle, Rückblick
und Ausblick, zieht eine Art Zwischenbilanz. Rückblickend
unterscheidet er in der Geschichte der Moraltheologic einen vierfachen
Begriff „Natur": 1) Natur als das „Angeborene" in der
Menschlichen Erkenntnis (ratio ut natura). Er verwahrt sich dagegen
, den eigentlichen Sinn des Naturrechts in diesem Verständnis
in der Formulierung oder Tradierung immer gültiger Rechtssätze
zu sehen, „sondern die Idee des Naturrechts liegt a) im
Gedanken des unbedingten Verpflichtetseins einer Rechtsordnung
und b) in der Begründung dieser Verpflichtung aus dem Sinn
des menschlichen Daseins" (127). 2) Natur als metaphysische
Wesensnatur (natura metaphysica hominis). Die aus dem metaphysischen
Wesen des Menschen sich ergebenden Forderungen
bringen „ein apriorisches Gesetz für das Menschscin schlechthin
Zum Ausdruck" (127). Dazu sagt Böckle kritisch: „Wir müssen
dem Entwicklungsfaktor, der Zeitlichkeit und der Geschichtlichkeit
der in unseren Aussagen erfaßten Wirklichkeit ein größeres
Gewicht beimessen" (133). 3) Natur als „intelligible Wesensstruktur
der menschlichen Handlung" (natura metaphysica actus
humani), z. B. des ehelichen Aktes. Hier müssen „alle Bedingtheiten
im Aufweis intelligibler Strukturen" vom Moraltheologcn
beachtet werden. 4) Natur als vorgegebene biologisch-physiologische
Ordnungen (138). „Aber diesen Strukturen an sich kommt
keine ethische Normkraft zu" (140). Ausblickend fordert B. von
der Kirche die Bereitschaft, u. U. Lehraussagen zu korrigieren,
2- B. die Lehre von Casti connubii.

Halle/Saale Erdmann Schott

D i j k, Joseph van, OP: Die Grundlegung der Ethik in der
Theologie Karl Barths. München: Manz Verlag [1966]. 286 S.
8° = Reflexion, 4. Kart. DM 16.80.

Der Vf., zeitweise Assistent bei Hans Küng und also unter
seiner Anregung, unternimmt es, die bisher weniger beachtete
(oder doch nur in aktuellen Äußerungen zur Lage beachtete)
ethische Front der Theologie K. Barths mit gesammelter Aufmerksamkeit
abzuhören und zu bedenken. Man spürt es dem
Buche an, daß durch die Kraft einer objektiven und intensiven
Darstellung das Gespräch mit einer in mancherlei Sackgassen
geratenen katholischen Moraltheologic neu eröffnet bzw. dieser
ein Spiegel vorgehalten werden soll, in dem sie ihre eigene Position
prüfen und verantworten muß. Diese Tendenz wird freilich
nur andeutungsweise ausgezogen, hervortretend etwa auf
den S. 218-229 in einer Vergleichung mit v. Balthasar, Th.
Steinbüchel, J. Fuchs, K. Rahner sowie der Stimme des Offizium-
Dckrets von 1956 zum Fragenkomplex einer „Wesens- oder
Situationsethik", schlicht gesagt: zum Problem der Kasuistik.
Auf katholischer Seite wird offensichtlich die Notwendigkeit
stark empfunden, diesen ganzen Bereich wieder in die Grundlagen
des theologischen Denkens hincinzunehmen. Die tiefere
Absicht des Buches van Dijks besteht wohl darin, durch das
„Hören" auf Barth einer weithin zweifelhaft und trocken gewordenen
ethischen Kasuistik frisches Blut zuzuführen. Darum
kommt auch in ihm die Kraft des Barthschen Denkens mit einer
durchaus erstaunlichen Ungebrochenheit zur Geltung, ohne daß
- über Andeutungen hinaus - eine systematische Kombination
mit der katholischen Lehrform versucht wird, wie sie Hans Küng
betr. „Rechtfertigung" immerhin dargeboten hatte. Was an kultischer
Beleuchtung Barths gegeben wird, ist eigentlich durchaus
„innerprotestantisch" gedacht. So bleibt der Aufruf an die
katholische Besinnung wesentlich hintergründig und dürfte so
um so besser der Sache dienen. Für den evgl. Leser ist es der
Vorteil, daß er hier eine zuverlässige Darstellung der ethischen
Problematik Barths vorfindet, die zwar nicht die Breite der
ethischen Sachgebiete (KD III'4!) umfassen, aber den roten Faden
der zentralen Verbundenheit von Dogmatik und Ethik bei
Barth verfolgen will. Mit Recht stellt der Vf. fest, daß in der
mehr als 40jährigen theologischen Arbeit Barths neben den bekannten
„tiefgreifenden Veränderungen" doch die „erstaunliche
Kontinuität" nicht übersehen werden darf. Mit sachkundicrem
Griff drängt er die systematische Front der Barthschen Ethik
auf die Komplexe „Evangelium und Gesetz" und den „Ereiqnis->
Charakter des göttlichen Gebots" zusammen. Besonders zu dem
letzteren steuert er Erkenntnisse bei, wie sie nur aus einem intensiven
und hinqebenden Studium des ausgebreiteten Schrifttums
erwachsen können.

Der Verf. spannt den Bogen seiner Darstellung zwischen den
Pfeilern des Römerbriefs von 1921 und der Kirchl. Dogmatik
aus. Noch einmal ziehen die heute schon fernen, damals so schneidenden
Formulierungen des Römerbriefs mit ihrer „negativen
Möglichkeit" der Ethik an einem vorüber (S. 12-47). Von rückwärts
sieht man so, daß bei aller Geltendmachung einer
verzehrenden Transzendenz doch die „Demonstration", die
„Transparenz" und die „Gleichnisfähigkeit" des ethischen Handelns
schon auf die späteren Positionen hinweisen. Diese werden
dann in einem Referat von KD II/2 („Gottes Gebot"), das
an Ausführlichkeit über die entsprechenden Partien in O. Webers
Leitfaden weit hinausgeht, dargelegt (S. 48-121). Daraus
ergibt sich dann das Problem einer „speziellen Ethik", die von
Barths Grundverständnis her nur als ein Aspekt des von der
„Geschichte" des Wortes Gottes begleiteten Menschen aufgefaßt
werden kann. Als Beispiel solcher speziellen Ethik wird aus
III/4 das Problem der Selbsttötung aufgeführt (S. 122-148). Es
folgt „Rückblick und Ausblick" (S. 149-234), in denen als Brennpunkte
das bekannte Thema „Evangelium und Gesetz" und das
weniger bekannte und bedachte vom „Ereiqnischarakter des Gebotes
" herausgehoben und an ein'oen wichHaen Zwischcnnfci-
lern der großen Brücke zwischen 1921 und KD erläutert werden
(„Das Halten der Gebote" - „Das erste Gebot als theoloq. Axiom"
u.a.). Eine Abwandlung des Gesetzes Gottes aus einer überwiegend
negativen Struktur (samt philosophischem Beiwerk) hin zu