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Ausgabe:

1968

Spalte:

605-607

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Engelland, Hans

Titel/Untertitel:

Die Wirklichkeit Gottes und die Gewißheit des Glaubens 1968

Rezensent:

Knevels, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 8

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Buch gute Anhalte zum Verständnis der katholischen Position
für jeden evangelischen Theologen, der sich mit dem Denken
der anderen Konfession näher beschäftigen möchte. Darüberhinaus
zeitigen die gründlichen Untersuchungen eine Fülle von
theologischen Ergebnissen, für die auch der evangelische Leser
nur dankbar sein kann.

Die Aufsätze des ersten Teils beschäftigen sich mit kosmolo-
gischen Problemen. Besonders hervorzuheben ist hierbei ein
Essay über Bonaventuras Zahlentheorie sowie ein Aufsatz über
die Leiblichkeit, von welcher ja auch der evangelische Biblizis-
mus Vieles und Tiefes zu sagen gewußt hat.

Der zweite Teil bringt eine Anzahl von Aufsätzen, die sich
mit Thomas von Aquin, Meister Eckart, Hegel, Nietzsche und
Heidegger beschäftigen. Besonders der zweite Thomas-Aufsatz
ist außerordentlich lehrreich, er bietet eine knappe und doch
vollständige Darstellung der thomistischen Lehre vom Sein und
vom Guten. Hervorzuheben ist auch der Essay über Nietzsche.

Der evangelische Theologe mit seiner skeptischeren Differenzierung
zwischen Geistlichem und Weltlichem empfindet freilich
oft deutlich den Unterschied zu der ihm etwas zu optimistischen
Synthetik katholischen Denkens. Dabei sei jedoch ausdrücklich
hervorgehoben, daß der Verfasser an keinem Punkt das hohe
Gesamtniveau, auf dem sich alle seine Aufsätze halten, unterbietet
.

Der dritte Teil enthält rcligionsphilosophische und theologic-
geschichtliche Aufsätze. Hierbei ist besonders zu nennen der
Essay über den Strukturwandel der katholischen Theologie im
19. Jahrhundert. Dieser Aufsatz bietet eine ausgezeichnete Übersicht
über diese wichtige Epoche der katholischen Geistesgeschichte
, aus der heraus ja erst die neuesten Bewegungen katholischer
Fundamentaltheologie und Dogmatik verständlich werden
.

Im vierten Teil wird die Christologie von Chalkedon auf
'hren philosophischen Gehalt untersucht; ein Aufsatz zur Eucharistie
schließt die Reihe ab.

Wenn auch der protestantische Leser, wie oben zu sagen
War, an einigen markanten Punkten die Strukturunterschiede
zwischen katholischem und evangelischem Denken nicht übersehen
kann, so überwiegt dennoch im großen und ganzen der
ökumenische Charakter der gründlichen und von ausgezeichneten
Kenntnissen unterbauten Darlegungen des Verfassers. Deutlich
ist zu erkennen, daß Bernhard Welte in mancher Hinsicht auch
v°n Schölling und Hegel beeinflußt ist. An diesem Punkt wird
der evangelische Theologe besonders aufmerken; er wird sich
nicht selten an die Religionsphilosophie von Paul Tillich erinnert
fühlen. Die schöne Aufsatzsammlung vermittelt so nicht nur
eine Fülle von Wissenstoff, sondern auch ein eindrucksvolles
Beispiel theologischen Denkens über die Grenzen der Konfessionen
hinweg.

Saarbrücken Ulrich Mann

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

El>gelland, Hans: Die Wirklichkeit Gottes und die Gewißheit
des Glaubens. Göttingen: Vandenhocck & Ruprecht [1966).
225 S. 8°. Kart. DM 12.80.

„Die Wirklickkeit Gottes" ist, ungeachtet aller philosophischen
Analysen über den Begriff Wirklichkeit, etwa seiner Verdoppelung
mit der Subjekt-Objekt-Spaltung, die legitime, einem
theologischen Axiom gleichkommende Bezeichnung für das wesentliche
Anliegen des Glaubens1. So hat Rez. seinem Buch, in
dem er die mit Bultmanns „Entmythologisierung" und „existen-
tialer Interpretation" einsetzenden und unter den verschiedensten
F'a9gen geführten Auseinandersetzungen auf das - durch sie bis
v°r kurzem geradezu verhüllte - Hauptproblem zurückführt.
Jenen Titel gegeben: W. Knevels: Die Wirklichkeit Gottes, Stutt-
9art: Calwer Verlag 1964 (vgl. S. 280ff), 2 Aufl. Hamburg:
Furche-Verlag (erweit. Stundenbuch) 1966 (vgl. S. 180 ff).

') Theologie ist wissenschaftliche Selbstbesinnung des christlichen Glaubens.

Engelland hat sein Buch entsprechend betitelt und läßt alle
seine Ausführungen um die Wirklichkeit Gottes kreisen, ohne
über diesen Ausdruck zu reflektieren. Auf dem Deckel ist jedoch
als Thema angegeben: „Ist Gott?" Diese Formulierung besagt
an sich nichts, denn schließlich „ist" ja auch eine Illusion. Soll
aber „Gott ist" bedeuten „Es gibt einen Gott" oder: „Gott existiert
", so würde Gott als ein Seiendes neben anderem Seienden
gefaßt, weshalb Paul Tillich „Existenz Gottes" als einen „nahezu
blasphemischen und gefährlich mythologischen" Begriff- bezeichnet
. „Wirklichkeit Gottes", das ist zugleich Wirkensmächtigkeit
Gottes, umspannt dagegen alles, was wirklich genannt werden
kann, und transzendiert alles, was ist3.

E. behandelt zunächst die „Bestreitung der Wirklichkeit
Gottes" seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts (S. 7-63). Bis
dahin, meint E., habe eine gemeinsame Überzeugung von der
Wirklichkeit Gottes geherrscht (S. S)'1. Das trifft nicht zu. Auch der
von E. so genannte „titanische Glaube Hegels an die Einheit des
endlichen Geistes mit dem absoluten Geist" (S. 8) läßt sich nicht
auf diesen Nenner bringen. Die „Bestreitung der Wirklichkeit
Gottes" ist jahrtausendealt. Allerdings, ein „Generalangriff" startet
etwa um 1850 und setzt sich geradlinig bis heute fort. Ihn
schildert E. im Anschluß an die vom Rez. vorgeschlagene Unterscheidung
von Atheismus, der die Wirklichkeit Gottes nicht anzunehmen
vermag, und Antitheismus, der sie aus einer feststehenden
Einstellung heraus ablehnt; doch stellt E. neben
diese beiden als ein drittes den Nihilismus, der doch mit dem
Atheismus (weniger mit dem Antitheismus) auftritt. E. arbeitet
u. a. klar heraus, daß die Bestreitung der Wirklichkeit Gottes
ebenso auf Glauben beruht wie ihre Anerkennung und daß beide
eine „geistige Existenzmöglichkeit" bzw. „Denkmöglichkeit"
(S. 17) sind.

Einige Bemerkungen: Camus ist kein Antitheist. - Der
Marxismus-Leninismus „setzt" nicht „die Materie absolut" und
„ordnet ihr" nicht „das Ich unter". Schon Lenin stellte fest,
daß „die Materie eine philosophische Kategorie zur Bezeichnung
der objektiven Realität" ist, „die dem Menschen in seinen Empfindungen
gegeben ist . . . und unabhängig von ihnen existiert"
(Materialismus und Empiriokritizismus, S. 128). Wenn E. das Ich
als eigene Dimension statuiert („der Mensch" ist „in seinem Ich
nicht weniger Mensch als in seinem körperlichen Dasein", S. 53),
so widerlegt er damit weder den Marxismus-Leninismus, noch
stützt er die Wirklichkeit Gottes, da sich deren Leugnung mit
jenem Standpunkt E s genauso vertragen würde. Heidegger und
Sartre werden unter dem Begriff des „Nichts" allzu summarisch
dargestellt; spielt doch das Nichts bei beiden eine entgegengesetzte
Rolle, und werden beide von Bemerkungen wie: „Es ist
nicht zu begreifen, warum das Sein dem Nichts nicht ebenso verfallen
muß wie das aus ihm geborene Einzelsein" (S. 59) nicht
betroffen.

Der sehr gute zweite Teil (S. 64-101) lehnt die Versuche
einer innerweltlichen Begründung der Wirklichkeit Gottes ab,
gesteht ihnen jedoch an einigen Stellen noch zu viel zu („leqi-
time theologische Motive", „Unentschuldbarkeit des Menschen",
„der Gott leugnet", S. 68). E. zeigt, daß „der Gottesbeweis in allen
seinen Gestalten kein Heimrecht in dem Glauben an die Wirklichkeit
Gottes" hat (S. 69), weder in bezug auf die Natur
(S. 76 ff) noch auf den Geschichtsverlauf (S. 82 ff), noch auf das'
Wesen des Menschen (S. 85 ff).

Hier eine Auseinandersetzung mit der Auffassung Gottes als
Mitmenschlichkeit (S. 94 ff). Daß „Gott auch selbst geliebt sein
will", „ganz unmittelbar er selbst" (S. 95), müßte näher erläutert
werden, um eine geschichtslose Mystik auszuschließen.

Dritter Teil: „Wie gibt sich Gott zu erkennen?" (S. 102-137) t
Gottes Verborgenheit sei sowohl eine Gestalt des Zornes Gottes
als auch die mildeste Form seiner Reaktion und der Hintergrund
, auf dem Gottes Selbstkundgabe ihre innere Notwendig-

?) Ges. Werke Band V. S. 133. Vgl. auch Band IV, 1961, S. 102. Wie weit
Helmut Gollwitzer diesem Verdikt zu entgehen vermag, sei dahingestellt.

J) Sehr scharf im Titel der italienischen Obersetzung des obigen Buches von
Knevels: Dio e realtä. Trad. die Germane Re. Brescia: Paideia, 1966.

') Auch Dorothee Solle (Stellvertretung) meint fälschlicherweise, „der Tod
Gottes" sei ein Ereignis der letzten zwei Jahrhunderte.