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Ausgabe:

1968

Spalte:

604-605

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Welte, Bernhard

Titel/Untertitel:

Auf der Spur des Ewigen 1968

Rezensent:

Mann, Ulrich

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als die „sich ereignende Sprache" begriffen (354). Das Ich-Du
löst das Ich-Nicht-ich ab. Nicht die in sich ruhende Ichheit, sondern
die unruhige Schwebe zwischen Ich und Du macht das Sein
aus. Dabei verstehen die Dialogiker das sich in die Zwiesprache
bringende Sein als „Offenbarung" (365), während das „Seinsverständnis
der Neuzeit" „mit Offenbarung im Grunde nichts mehr
anfangen" konnte (367). - Unter den drei Dialogiken „kommt
ohne allen Zweifel Rosenzweig eine Vorrangstellung zu" (356).
Nach Rosenzweig wird „Sein" nur hell als „Sprache", die sich „je
neu zwischen zweien im Ereignis des Gesprächs" vollzieht (127).
„'mein Ich entsteht im Du'" (165). Der „schöpferische Geist" des
idealistischen Denkens „setzt" „sein Anderes aufier sich für sich"
(168). Das dialogische Denken ist nicht „zeitlos" wie das idealistische
, sondern es bedarf „des anderen" und der „Zeit" (170). Es
ist nicht autark, sondern bedürftig. Im dialogischen Denken
schafft nicht das Ich das Nicht-ich, sondern das Ich wird geschaffen
im Du. Das Ich setzt nicht das Nicht-ich aus sich heraus, sondern
es wird mit dem Du, dem es sich aussetzt, gesetzt. Das Ich
verfügt nicht über das Nicht-ich, sondern es fügt sich ins Du:
„Wahrheit" ist nicht „von dem einen transzendentalen Ego her
verfügbar", sondern sie ereignet sich „zeitlich und im Zwischen"
(170). „Sein" ist „das unverfügbare, zeitlich sich ereignende",
nicht mehr das „zeitlos vorliegende". Sein ist „je neue Offenbarung
" (177). Gott wird erfafjt als der unsägliche Grund des Sagens
, der unverfügbare „je neu Sprache gewährende Ursprung"
(18). „Das Denken, das seinen Grund in dem Verhältnis des Glaubens
zu dem unsagbaren Ursprung von Sprache findet, weil es
erst von diesem her sein gelassen ist, ist in sich selbst religiös,
so wie auch alles alltägliche, werktägliche Leben, das um seinen
Sinn in der Feier des Festtages weifj" (195). - Auch für Ebner
und Buber ereignet sich das wahre Sein im Dialog: Nach Ebner
ist „alles Sein Gnade" und „alle Gnade des Seins im Wort" (217).
Die monologische „Icheinsamkeit" des Idealismus wird entsprechend
als defizienter Modus des Daseins, das wesenhaft Zwiesprache
ist, angesehen (219ff). Diese monologische Selbstvermauerung
des Ich stellt die Ursünde des Menschen dar (228 ff).
Von dem spracheschenkenden Ursprung kann man nur in der
zweiten, nicht in der dritten Person singularis reden. Man kann
nur zu, nicht über Gott sprechen (236). Aber Ebner steht in
Gefahr, „das menschliche Du in dem Du des gebenden Geheimnisses
aufzulösen und es damit als es selbst zu übersehen"
(261 f). Ebners Denken ist so letztlich „ananthropisch" (262) und
akosmisch (263). Kultur und Dichtung versteht er als Formen
sündhafter Icheinsamkeit (263). - Buber, der Popularisator dialogischen
Denkens, läfjt sich von der Alternative des „Ich-Du"
und „Ich-Es", d. h. der „Begegnung" und „Erfahrung" (281) leiten.
Dabei wird die Ich-Es-Beziehung, die im Unterschied zur Ich-
Du-Relation kein „wahres Sein" verwirklicht (304), zu sehr abgewertet
. Indem nach Buber das Ich hinhorcht auf das Du,
horcht es hinunter in den sprachlosen Ursprung von Zwiesprache
. Gott blitzt auf im Nu des Ich-Du-Ereignisses. „,Dcr
Augenblick ist Gottes Gewand'" (326). Diese Begegnung stellt ja
„,etwas, was nicht erwartet wird, sondern plötzlich geschieht'",
dar (325). Gott ist das geheimnisvolle Metaxy zwischen den
Gesprächspartnern, Gott ist das „.Zwischen allen Zwischen'"
(275). „Wo zwei gleich auf gleich beieinander und einander ohne
Vorbehalt zugetan sind, ist Gott" (305). Der Dialog ist numinos.
- Casper setzt nun das dialogische Denken in Korrelation zum
Christentum: „Versteht man Theologie in einem allerweitesten
Sinn als Ansage" des „zeitigenden Ursprungs, so zeigt sich, dafj
das Denken überhaupt von sich her auf Theologie . . . verwiesen
ist" (367). In das „reine Phänomen von Offenbarung", das
die Dialogiker in den Blick bekommen, „kann sich . . . die
christlich verstandene, heilbringende . . . Offenbarung durchaus
eintragen" (368). Casper tritt im Anschlufj an das Denken der
drei Dialogiker für eine dialogische Theologie ein: Der „Grundvorgang
der christlichen Theologie" besteht darin, „daß aus einem
je neuen Seinsverständnis heraus ein verstehendes, übersetzendes
, herüberholendes Gespräch sich ereignet, in dem eben dies
eine Bedeutsame, das sich in Jesus von Nazareth ereignet
hat, i m m e r. n e u geglaubt und verstanden wird" (373 f). Die
Wahrheit von Schrift und Tradition darf nicht nachgesagt, sie
mufj neugesagt werden, sie darf dem modernen Menschen nicht

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unverstanden angequält werden, sie mufj seinem Seinsverständnis
angepafjt und in seine Sprache je neu übersetzt werden
(374 f). Das Christentum mufj vor allem „in einem ganz anderen
Mafje als bisher das Gespräch mit den Weltreligionen" aufnehmen
(377).

In diesem ausgezeichneten Werk wurden die GrundMnien
des Denkens der drei bedeutsamen Dialogiker präzis nachgezogen
und der Dialogismus erstmals einer umfassenden theoloai-
schen und rcligionsphilosophischen Würdigung unterzoaen. Dem
Verfasser kommt außerdem das Verdienst zu, Roscnzweiq aus
dem Winkel der Nichtbeachtung hervorgeholt und als den w;ch-
tigsten Dialogiker, ja als einen der bedeutendsten Philosophen
unseres Jahrhunderts herausgestellt zu haben. Im Zuge des nach-
konziliaren Katholizismus, der seinen früheren mono1ooue Interieur
bewufjt aufgegeben hat, wird das dialogische Denken im
erstaunlichen Umfang von Casper rezipert. Es wird in eine dialogische
Theologie umgemünzt, die frei ist von dem Wortkult
und der Apotheose des Je und Je des Dialogismus. Man vermißt
freilich eine Auseinandersetzung mit dialogischen Systemen innerhalb
der ev. Theologie, wie etwa mit der dialektischen Denkstruktur
des frühen Barth, mit der Eristik Emil Brunners, mit
dem Entmythologisicrungsprogramm Bultmanns, mit der Korrc-
lationsmethode Tillichs, aber auch mit den hermeneutischen Entwürfen
von Ebeling und Ernst Fuchs. - Aus evangelischer Sicht
wären vor allem Bedenken anzumelden gegen die These Cas-
pers, die christliche Heilsoffenbarung könne in das „reine Phänomen
von Offenbarung" der Dialogiker eingetragen werden.
Gewiß steht der postlapsarische und prächristliche Mensch
unter einer - wenn auch vagen - Gotteserfahrung (Rom. 1,
18-21). Er ist aus dem Ja-Wort Gottes, nicht aus dem Wort Gottes
herausgefallen. Aber diese unverlierbare Formalimago, dieses
unverlorene Urgegenüber des natürlichen Menschen zu Gott, ist
kein weifjes Blatt, auf das die Christusoffenbarung einfachhin
eingezeichnet werden könnte, sondern sündhaft qualifiziert. Dieses
natürliche Wort-Antwort-Verhältnis ist keine neutrale Apparatur
, die außer Betrieb war und wieder eingeschaltet werden
könnte, sondern ein Nein-Wort-Verhältnis, das erst in Christus
wieder zum Ja-Wort-Verhältnis wird. Der Verfasser hätte deutlicher
Christus als das einzige Heils-Wort geltend machen müssen
gegen den Verbalismus der Dialogiker, für die ja das Wort
qua Wort Heilsmittel ist. Der Dialog ist nicht als solcher Gnade,
sondern nur, insofern sich in ihm Christus zur Sprache bringt.
Ohne den Logos endet jeder Dialog am Zorn des deus abcon-
ditus. Das Ich erreicht im menschlichen Du das ewige Du, aber
blofj als den das Wort zeitigenden Ab-Grund, nicht als den das
Heils-Wort zeitigenden Grund. Hier hätte das discrimen legis
et evangelii in Anschlag gebracht werden müssen.

Maßbach üb. Bad Kissingen Horst Georg P ö h I m a n n

Welte, Bernhard: Auf der Spur des Ewigen. Philosophische
Abhandlungen über verschiedene Gegenstände der Religion
und der Theologie. Freiburg-Basel-Wien: Herder [1965]. 470 S.
8°.

In diesem Werk legt der Verfasser Aufsätze aus den letzten
zwei Jahrzehnten vor, die durchweg dem Problem gewidmet
sind, welches der Titel des Sammelbandes andeutet. Bernhard
Welte geht in religionsphilosophischer und theologischer Suche
den Spuren des Ewigen und Unendlichen in der Schöpfung nach,
er beschäftigt sich mit Denkern, die denselben Weg vor ihm
gegangen sind, und zeigt zugleich dem theologischen Systematiker
mancherlei wenig bekannte Pfade.

Die Darlegungen lassen bei entschiedenem Festhalten an den
Grundstrukturen katholischer Fundamcntaltheologic immer wieder
erkennen, wie sehr die katholische Religionsphilosophie und
Dogmatik in den letzten zwei Jahrzehnten nach neuen Wegen
strebte und wie weit sie dieselben auch schon begangen hat. An
diesen Stellen findet sich der protestantische Leser dem Verfasser
sehr nahe; besonders erfreulich ist auch das Fehlen jeder
kontroverstheologischen Schärfe. Da der Verfasser dennoch einen
klar profilierten dogmatischen Standpunkt vertritt, bietet das

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 8