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Ausgabe:

1968

Spalte:

595-597

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Rouco Varela, Antonio María

Titel/Untertitel:

Staat und Kirche im Spanien des 16. Jahrhunderts 1968

Rezensent:

Konetzke, Richard

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zu sagen hat. Für den, der die schweizerisch-oberdeutsche theologische
Atmosphäre zur Zeit des Johannes Brenz ein wenig
kennt, ist es äußerst reizvoll zu beobachten, wie sie sich bei
Brenz immer wieder bemerkbar macht, z. B. in der Erwählungsund
Rechtfertigungslehre (das Stichwort für „gerechtfertigt"
heißt bei Brenz „frumm"!), in der Heilslehre, der Lehre von der
Obrigkeit und beim Problem Spiritus et litera, wo man bei
Brenz glänzende Gegenformulierungen aufblitzen sieht (vgl.
S. 82, S. 83 Anm. 2, S. 99). Außerordentlich gut gelungen ist
Brecht die Aufweisung der Probleme von Brenzens Verhältnis zu
Luther und Melanchthon. Mit Recht betont er, daß das Studium
des frühen Brenz Gelegenheit bietet, den Vorgang der Weitergabe
der wichtigsten Gedanken Luthers an seine Schüler zu
beobachten - ein wichtiges Problem der Forschung! Brecht
möchte Brenz „mit dem strengsten Maßstab" messen, „den es
hier gibt, an Luthers Theologie selbst" (S. 144). Es ist keine
Frage, daß dabei gewisse Verkürzungen festzustellen sind, etwa
in der Gotteslehre, und Brecht vermag dem Leser die Beschäftigung
mit dem späteren Brenz spannend zu machen damit, daß
er als das theologiegeschichtliche Kernproblem des späten Brenz
das Nebeneinander der melanchthonischen und lutherischen Elemente
bezeichnet (S. 247, 320). Zu fragen ist der Sicht Brechts
gegenüber, ob nicht Brenz in noch stärkerem Maße Gedanken
Luthers gefolgt ist - etwa in der Abendmahlslehre - bzw. ob
die aufgezeigten Abhängigkeiten wirkliche Abhängigkeiten sind.

Ein Einzelbeispiel: Ist die Aussage von der Selbstabsolution
des Glaubens wirklich von Luther angeregt (S. 31)? Oder stehen
hinter ihr Gedanken aus der Geisteswelt der oberdeutsch-schweizerischen
Theologie? In dem angeführten Beleg aus WA 6,64,10ff.
(Ein Sermon von dem Bann, 1520) sagt Luther lediglich, daß der
Unglaube des Menschen sich selbst den Bann und die Trennung
von Leben und Seligkeit zuziehe.

Zu fragen ist ferner, ob für eine theologiegeschichtliche Untersuchung
eines Theologen des 16. Jahrhunderts die Alternative
ontologisch-personal als Kanon der Beurteilung angemessen
ist, wie es bei Brecht immer wieder einmal der Fall ist (vgl.
S. 80/81,86/87,111).

Solche Anfragen vermögen keinesfalls die Bedeutung der
Maßstäbe setzenden Untersuchung Brechts sowie den Dank für
sie herabzumindern. Hat es Brecht doch verstanden, immer wieder
auf die Bedeutung des Johannes Brenz für die Gegenwart
hinzuweisen (vgl. S. 63), ja im Blick auf seine Heimatkirche
- nur auf seine Heimatkirche? - zu formulieren: „ Es ist nicht
zu verkennen, daß die württembergische Kirche sich in der Tat
weitgehend ihres reformatorischen Erbes begeben hat. Die Väter
des Pietismus haben die Reformatoren weit in den Hintergrund
gedrängt" (S. 4 f.). Brenz ist immerhin über seinen Enkelschüler
Jakob Andreae ein Stück Schicksal der lutherischen Kirchen
geworden. Möchte es dem Buche vergönnt sein, dabei zu
helfen. Versäumtes nachzuholen!

Körner/Thür. Ernst Koch

Rouco-Varela, Antonio M.: Staat und Kirche im Spanien
des 16. Jahrhunderts. München: Hueber 1965. XIX, 327 S. gr.
8° = Münchener Theologische Studien, hrsg. v. J. Pascher,
K. Mörsdorf, H. Tüchle. III. Kanonistische Abt., 23. DM 35.-.
Der Verf. stellt sich in seiner Dissertation die Aufgabe, das Verhältnis
zwischen Kirche und Staat im Spanien des 16. Jahrhunderts
„kirchenrechtsgeschichllich zu beleuchten". Er meint, stark
übertreibend, die Geschichte der Beziehungen zwischen Staat und
Kirche in Spanien sei fast „ein ungeschriebenes Blatt". Um hier
in der Forschung weiterzukommen, nimmt er sich vor, eine quellenmäßige
Untersuchung des rechtlichen Sachverhaltes, der juristischen
Regelung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche
jener Zeit durchzuführen, wobei er sich bewußt auf die veröffentlichten
Gesetzesquellen beschränkt, also nicht die Rechtsprechung
selbst einbezieht, noch die Behandlung der Probleme bei den
spanischen Juristen berücksichtigt oder den diplomatischen
Schriftverkehr zwischen dem Hl. Stuhl und den spanischen Königen
studiert. Hätte er sich an diesen Plan gehalten und eine
klar gegliederte Entwicklungsgeschichte oder einen systematischen

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Überblick der publizierten Kirehengesetzgeibung in dem betreffenden
Zeitabschnitt vorgelegt, würde er eine nützliche monographische
Studie zu einem weiten Thema beigetragen haben,
wie es im allgemeinen der Sinn einer wissenschaftlichen Anfängerarbeit
sein wird. Aber der Vf. hat den falschen Ehrgeiz gehabt
, „an erster Stelle die geistes- und zeitgeschichtlichen Voraussetzungen
" aufzudecken, „welche die raum-zeitlich konkrete Problematik
des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche im Spanien
des 16. Jahrhunderts umgrenzen" (S. 5). Natürlich muß auch die
Geschichte des Kirchenrechtes in die allgemeine Geschichte eingeordnet
werden, aber als Anfänger sollte man sich an ein so
schwieriges Unternehmen nicht wagen. Jedenfalls ist offenkundig
der Vf. in den Geschichtswissenschaften methodisch und fachlich
zu wenig vorbereitet, als daß ihm eine solche Aufgabe gelingen
könnte.

Der Vf. geht von der Behauptung aus, daß „die Interessenbereiche
des Heiligen Stuhles und der spanischen Kirche einerseits
und die von Spanien andererseits" sich beinahe identifizierten
, daß der spanische Staat des 16. Jahrhunderts im Dienst
„des mittelalterlichen katholischen Universalismus" stand. Als
Begründung führt er insbesondere an, daß für das mittelalterliche
Spanien die Reconquista und die Cruzada gleichbedeutend
waren und daß die spanische Regierung seit den Katholischen
Königen bedingungslos das Kreuzzugs ideal bejahte und von ihm
sich in ihrer Politik leiten ließ. Derartige altbekannte und gern
wiederholte Behauptungen beruhen auf unklaren Vorstellungen
von Reconquistakriegen und Kreuzzügen, die in Wirklichkeit keineswegs
miteinander identisch sind. Die Maurenkriege wurden
nicht für religiöse Ziele geführt, die für Kreuzzüge bezeichnend
sind. Wenn der Vf. diese Erkenntnis aus der internationalen Geschichtswissenschaft
, z. B. aus den Werken des hervorragendsten,
aber von ihm nicht zitierten Kenners der spanischen Geschichte
des Mittelalters, Claudio Sänchez Albornoz, nicht entnehmen
kann, hätte er einen Zeitgenossen, den Infanten Juan Manuel,
einen Enkel Ferdinands des Heiligen, befragen können, der in
seinem Libro de los Estados aus dem 14. Jahrhundert schrieb:
„Es gibt Krieg zwischen den Christen und den Mauren, und es
wird ihn geben, bis die Christen die Länder zurückgewonnen
haben, die die Mauren besetzt haben. Denn wegen des Gesetzes
und der Religion, die sie haben, würde zwischen beiden kein
Krieg geführt. Christus hat niemals befohlen, daß man jemand
töte oder unterdrücke, damit er seinen Glauben annehme, denn
er will keinen erzwungenen Dienst". Stattdessen benutzt der Vf.
die von den spanischen Königen vorgebrachten Begründungen
für die päpstliche Bewilligung der Cruzada, des Kreuzzugsablasses
, um den Kreuzzugscharakter der spanischen Maurenkriege
zu belegen, wobei er ohne weiteres Argumente und Motive gleichsetzt
, deren kritische Prüfung und Unterscheidung ein Hauptanliegen
der historischen Quellenkunde ist. Die Cruzada bedeutete
eine beträchtliche Steuereinnahme für die kastilischen Könige.
Heinrich IV., der Vorgänger Isabellas der Katholischen, erlangte
sie mit den gleichen religiösen Begründungen, verwendete sie
aber nicht für den Krieg gegen das Maurenreich Granada, sondern
für Ausgaben des Hofes und Zuwendungen an seine Günstlinge
. Weder Staat noch Kirche machten sich Sorgen um das Seelenheil
der Mauren und Juden, die in ihren besonderen Stadtvierteln
ihren religiösen Glauben praktizierten. Selbst Burgos,
seit etwa 500 Jahren eine christliche Stadt, besaß noch eine zahlreiche
maurische Bevölkerung, die frei ihre mohammedanische
Religion ausüben durfte. Die Äbtissin des reichen Nonnenklosters
Las Huelgas bei Burgos setzte sich dafür ein, daß die muslimischen
Arbeitskräfte des Klosters den islamischen Gottesdienst in
Burgos weiter besuchen konnten, was der Stadtrat aus Steuergründen
behindern wollte. Isabella die Katholische verbot 1481
unter Androhung schwerer Strafen, daß einzelne Personen in Burgos
, wie gerüchtweise verlautete, kleine Kinder gegen den Willen
ihrer maurischen Eltern oder Erzieher zu taufen versuchten.
Wenn 1492 die Katholischen Könige ihre jüdischen und maurischen
Untertanen vor die Alternative der Bekehrung oder Vertreibung
stellten, dann war das ein grundsätzlicher Wechsel der
bisherigen Religionspolitik, der nicht einfach aus einer plötzlich
erwachten Sorge um das Seelenheil der Andersgläubigen zu et-
klären ist.

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 8