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Ausgabe:

1968

Spalte:

585-586

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Mattern, Lieselotte

Titel/Untertitel:

Das Verständnis des Gerichtes bei Paulus 1968

Rezensent:

Schmithals, Walter

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Seite 1

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Vers und zu jeder Perikope der Apostelgeschichte die einschlägige
Literatur verzeichnet wird.

Beide Bibliographien begnügen sich mit der bloßen Titelaufnahme
. Dem Benutzer liegt es ob, aus der Fülle des Gebuchten
das ihm wichtig und brauchbar Erscheinende herauszufinden. Dieses
Verfahren der Bibliographien ist objektiv und insofern unanfechtbar
. Die Bearbeiter waren in der Auswahl der Literatur
auch eher zu großzügig als zu kleinlich. So findet man in den Abschnitten
, in denen die übergreifende Literatur zusammengestellt
ist, manche Publikation genannt, die man nicht ohne weiteres gerade
in einer Bibliographie zu den Evangelien oder zur Apostelgeschichte
suchen würde. Dennoch - oder gerade deshalb - können
einen angesichts der in den beiden Büchern angehäuften
Hekatombe von Literatur Zweifel beschleichcn, ob der erhebliche
Aufwand an Arbeitskraft und an Mitteln wirklich in einem befriedigenden
Verhältnis zum Ergebnis steht Spreu und Weizen
ruhen in den beiden großen Scheuern eintrachtig beieinander,
und die Spreu überwiegt, wie es nicht anders sein kann. Ob
eine behutsam und kundig getroffene kritische Auswahl letztlich
der Forschung und Lehre nicht doch ersprießlichere Dienste leisten
kann, als es diese so objektiven und alles Erreichbare umfassenden
Kompilationen tun können - diese Frage mag man
wohl aufwerfen, ohne damit den Anstrengungen der Bearbeiter
die gebührende Anerkennung versagen zu wollen.

Tübingen Hans-Dietrich A I t e n d o r f

Mattern, Lieselotte: Das Verständnis des Gerichtes bei Paulus
. Zürich-Stuttgart: Zwingli Verlag 1966. 235 S. 8° = Ab-
handlgn. zur Theologie d. Alten u. Neuen Testaments, hrsg. v.
W. Eichrodt u. O. Cullmann, 47. Kart. DM 24.-.

Die Verfasserin geht von der Tatsache aus, da5 Paulus sowohl
die eschatologischc Rechtfertigung des Christen behauptet
als auch vom bevorstehenden Gericht über die Christen spricht.
Sie will klären, ob und wie dies Nebeneinander zu verstehen ist.

Die Untersuchung kommt zu folgendem Ergebnis: Paulus
schränkt die bereits heute eschatologisch gültige Rechtfertigung
des Sünders in keiner Weise ein. Die Rede vom Gericht über die
Christen macht auf der Grundlage der Rechtfertigungsichre Ernst
damit, daS der Glaubende zum Gehorsam gerufen ist und dieser
Gehorsam verschieden gut sein kann.

Paulus addiert also keineswegs das apokalyptische Gerichtsverständnis
, das dem Gerechten Freiheit vom Gericht zusichert,
mit dem rabbinischen, das jeden Menschen nach seinem Tun geachtet
werden läßt - mit dieser unterschiedlichen Bestimmung
schliefst sich die Verfasserin an die stark angefochtenen Thesen
D- Röfilers an -; denn bei Paulus sind die analogen Vorstellungen
einander zugeordnet: die iustificatio impii stellt in
verantwortlichen Gehorsam.

Man wird der Verfasserin in diesem Ergebnis ihrer klar auf-
9ebauten und flüssig geschriebenen Untersuchung im wesentlichen
zustimmen können. Man muß dem freilich hinzufügen,
dafi solches der paulinischen Dialektik von Indikativ und Imperativ
angehörende Gerichtsverständnis bei Paulus nicht in ähnlicher
Weise systematisiert ist wie in der Arbeit Mattcrns. Die
Lösung der genannten Aporie ist ja in Wahrheit nicht so logisch,
w>e die geschickte Darstellung unserer Untersuchung suggeriert.
Bezeichnenderweise muß Paulus sich nicht nur über den Ort des
eschatologischen Gerichtes über die Chrisjen ausschweigen;
er kann auch nicht angeben, welche Folgen der zukünftige Schuldspruch
für den Glaubenden haben würde.

Hätte die Verfasserin diese - nicht verschwiegene - Problematik
schärfer bedacht, hätte sie nicht zu bestreiten brauchen,
daß Paulus nicht selten eher vertraute religiöse Vorstellungen
des Judentums ad hoc aufnimmt, als daß er einem System christlicher
Dogmatik folgt. Auch brauchte sie dann nicht jeden Text
ln dies dogmatische System zu zwängen. Da6 der Apostel in
R°m. 2,5 ff. von der Scheidung zwischen Glauben und Unglauben
spricht, wird z. B. schwerlich jemandem einleuchten.

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Aber diese Ausstellungen sollen nicht von der Empfehlung
dieses Buches abhalten, das ein wesentliches Problem paulinischer
Theologie in einer Weise klären hilft, die unmittelbar der Predigt
über die Paulusbriefe zugute kommt.

Marburg Walter Schmithals

Schille, Gottfried: Die urchristliche Wundertradition. Ein

Beitrag zur Frage nach dem irdischen Jesus. Berlin: Evang.
Verlagsanstalt u. Stuttgart: Calwer Verlag [1966). 56 S. gr. 8°
= Aufsätze u. Vorträge zur Theologie u. Religionswissenschaft,
hrsg. v. E. Schott u. H. Urner, 35.

Darstellung und Kritik dieses Heftes stellen sich als besonders
schwierig heraus, weil die Fülle der auf engem Raum vorgetragenen
Vermutungen und spekulativen Kombinationen verwirrend
wirkt. Immerhin ergeben ja Sch.s Kombinationen „eine
radikale Veränderung aller gegenwärtig gültigen Hypothesen
über die Vorgeschichte der urchristlichen Gemeinde" (50). Seh.
stößt nämlich bei seiner Konstruktion der Geschichte der Wundertradition
zu der Vermutung vor, daß am Beginn der Entwicklung
dieses Traditionskomplexes eine in Nordgaliläa beheimatete
, vorösterliche (49 f.) Traditionsbildung steht, in der der Missionsgedanke
„nicht vom Erhöhten, sondern vom Wundermann"
(40) abgeleitet war. Dieser Traditionskomplex (zu dem Sch. die
Speisungsgeschichten als Kultätiologien für ein „sättigendes Gemeinschaftsmahl
Nordgaliläas" - A. 115 - rechnen möchte und
dessen Bekenntnis in Mt 11,5 nachklinge - S. 43 -) bildet eine
eigene theologiegeschichtliche Größe, die sich ganz auf den irdischen
Jesus gründete und berief. Von diesem Traditionskomplex
her muß auch die Berücksichtigung des irdischen Jesus in der
Evangelienbildung verstanden werden, so daß diese nicht länger
als Spätphase einer einlinigen christologischen Evolution begriffen
werden kann (S. 45.12 f.). Vielmehr ist die Evangelienbildung
die endgültige Aussöhnung (S. 52) zwischen dem nordgaliläischen
Bekenntnis zum Wundcrmann und dem „täuferischen, radikalen
Osterglauben" (53), der die Erweckung als Äonenwende verstand
und „sich aller Erinnerungen an den irdischen Jesus entschlagen"
(21) hatte (weswegen Sch. in ihm den Träger der „Wunderkritik"
in der synoptischen Tradition vermutet - S. 21 f.).

Im Angriff gegen die Konstruktion einer einlinigen christologischen
Evolution, als deren jüngster Repräsentant F. Hahn
attackiert wird (A. 12 u. A. 17), dürfte das eigentliche Interesse
der Untersuchung zu suchen sein. Allerdings überspielt Sch., dafi
gerade Hahn versucht hat, die Wunderstoffe auf eine alte Tradition
, die Jesus als eschatologischen Propheten ,wie Mose' begriff
, zurückzuführen. Vergleicht man diesen Versuch, so muft
man wohl sagen, dafi Sch.s Konstruktion eines nordgaliläischen
Bekenntnisses zum Wundcrmann Jesus eigenartig schemenhaft
bleibt, weil sie mögliche Bezüge zu den Ideen der Umwelt nicht
berücksichtigt.

Erst auf der letzten Seite folgt überraschend eine nähere
christologische Bestimmung: „Jesu Auftreten ist die Epiphanic
Gottes", die anschaulich wird „nur als die Erscheinung eines exor-
zisierenden Wanderlehrers", den die .Glaubenden' „als ihren
.Kyrios'", „im Sinne des Wundermannes und Missionsherren",
„bezeichnen, weil er ihnen geholfen hat" (54 u. A. 191). Ebenso
überraschend merkt Sch. (A. 171) an, da5 Nordgaliläa „von Anfang
an von der Gegenwart des Herrn überzeugt ist".

Dafi die entscheidende christologische Bestimmung ohne
nähere Begründung nachgetragen werden mu5, diskreditiert den
Entwurf Sch.s im Ganzen. Dagegen enthält seine formgeschdeht-
liche Erörterung der Wundertradition (25- 37) insofern fruchtbare
Hinweise, als sie die Frage einleuchtend macht, ob nicht
schon vor Mt, ja vor Mk, eine paradigmatische Aktualisierung
der Wunderstoffe stattgefunden hat. Da Sch. sich bei diesen analytischen
Thesen auf frühere Veröffentlichungen (ZDVP 1957;
ZNW 1965) beruft, rauft auf ihre Darstellung und Kritik hier
verzichtet werden.

Potsdam Christoph Demke

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 8