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Ausgabe: | 1968 |
Spalte: | 36-38 |
Kategorie: | Neues Testament |
Autor/Hrsg.: | Schrage, Wolfgang |
Titel/Untertitel: | Das Verhaeltnis des Thomas-Evangeliums zur synoptischen Tradition und zu den koptischen Evangelienuebersetzungen 1968 |
Rezensent: | Schenke, Hans-Martin |
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Schriften pauschal dieser Gattung zuordnen können), noch im
Sinne bestimmter theologischer Motive (sonst hätte er nicht so
allgemein von der „urchristlichen Apokalyptik" sprechen können
). Wer die Dinge traditionsgeschichtlich so sieht, wie oben
beschrieben, war gerade hier zu gröfjter methodischer Sorgfalt
genötigt. Er durfte nicht voraussetzen - die „Kehre zur urchristlichen
Apokalyptik" (S. 255) -, was präzis definiert und
inhaltlich klar abgegrenzt allererst zu beweisen war. Denn
auch Käsemann, der hier durchweg als Kronzeuge berufen wird,
hat ja zunächst nur eine Skizze zur Diskussion gestellt. Angesichts
solcher methodischen Versäumnisse mag die These von
der Übernahme eines apk. term. techn. stimmen oder falsch
6ein: hermeneutisch wird sie vorerst unergiebig bleiben. Zuletzt:
Wie ist der angegebene Zweck dieses Abschnittes zu verstehen
: „ob sich unsere Deutung von (5.(9. auch religionsgeschichtlich
(bewahrheitet" (S. 101, von mir gesperrt)? Würde
denn das exegetische Ergebnis zur Lüge, wenn die Religionsgeschichte
nur Divergierendes böte? Niemals! Denn der religionsgeschichtliche
Vergleich kann doch unmöglich das Kriterium
der Exegese sein, sondern allenfalls ihr Diener. Es sei
denn, die „Kontinuität (des Paulus) zur Apokalvptik" ist die
nicht mehr zu beweisende Voraussetzung jeder Exegese seiner
Schriften!
Abschnitt E („Gerechtigkeit Gottes als Signatur und
Abbreviatur der paulinischen Theologie") will in einem raschen
Gang durch die „pln. Eschatologie" (S. 203-206), „Christologie"
(S. 207-210), „Ekklesiologie" (S. 210-217) und „Rechtferti-
gungslehre" (S. 217-236) die exegetische These erhärten, daß
,,S.ß. der Leitbegriff' für diese „Sachkomplexe" ist (S. 203).
Der Abschnitt besticht einerseits durch die Begabung des Vf's,
auf so knappem Raum seine These systematisch durchzureflek-
tieren. Die Theologie des Paulus erhält hier zum Teil neue Akzente
, die sie uns besser verstehen lassen. Andererseits brechen
kritische Rückfragen auf. Die m. E. wichtigste: Sind für Paulus
Christologie und Soteriologie (in dieser Abgrenzung!) wirklich
nur Interpretationsmodi der (5.0.? Und sollte Paulus wirklich
gemeint haben, daß die S.&. „Spezifikation" jener „Eschatologie
" sei, bei der es „(nur noch) darum geht, dafj Gott zu seiner
Zeit zu seinem Recht kommt'' (210)? Wird hier nicht eine
richtige Itheol. (Teil-)Erkenntnis in unerträglicher Vereinseitigung
verallgemeinert? St. läßt keinen Zweifel, wo sein eigentlicher
Gegner steht: dort, wo man das Wesen der pln. Theologie
in der Anthropologie sieht (S. 206, A. 2). Es steht nur
zu befürchten, dafj er nun seinerseits in der Bekämpfung dieses
Gegners übers Ziel hinausschiebt! Und daß er trotz dieser
Frontlage meint, Bultmanns Widerspruch nicht mehr diskutieren
zu müssen (S. 6), ist unverständlich.
Im letzten Abschnitt F („Ausblick", S. 237 -258) prüft
St. die Ergiebigkeit seiner These im Blick auf das wieder aktuelle
Thema Paulus und Jesus. Bei historischer Diskontinuität
bestehe doch sachlich eine „Identität" zwischen der fiaoäela ro3
Ocov (Jesu) und der S.O. bei Paulus. „Vom selben Gottesbegriff
aus" (S. 249) zeugen beide von „der verbindlichen, seinsgründenden
Treue des Schöpfers zu seiner Kreatur" (S. 247). „Die
Differenz zwischen Paulus und Jesus scheint dann in der Art
und Weise zu liegen, wie Jesus als Zeuge der verbindlichen
Treue Gottes [Lk. 18,9-14; Mt. 18,23-35 ; 20,1-16; Lk. 15,
11-32; Antithesen der Bergpredigt; Passionsgeschehen] in diesem
Anspruch und dieser Gabe gegenwärtig ist" (S. 249). Die
Lösung des Problems wird also in enger Anlehnung an Ebering
, Fuchs und Jüngel gesucht. Sie ist vor allem insofern
nicht neu, als sie bei den (oft sehr anfechtbaren!) Exegesen der
obengenannten Texte mit E. Fuchs davon ausgeht, dafj Jesu
Verhalten der Rahmen seiner Verkündigung ist. St. versucht
allerdings, hier und da in den Formulierungen des Sachverhaltes
noch präziser zu sein (z. B. S. 243. 251. 256, A. 1). Man
wir ihm für manche hermeneutische Anregung dankbar sein,
und zwar nicht zuletzt der praktische Theologe, der die Rechtfertigung
heute zu predigen hat. Aber es gibt auch gegenüber
diesem „Ausblick" der kritischen Bedenken genug. Z. B. wird
die „Kehre" vom unapokalyptischen Jesus zum apokalyptischen
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Paulus - so problematisch sie historisch ist! - nur schlicht
behauptet, aber nicht bewiesen (vgl. S. 240, A. 2; S. 255; 256).
Oder: Wenn es wirklich stimmt, daß „die von Paulus herangezogene
Apokalyptik mit ihrem Begriff der Gottesgerechtigkeit
als Schöpfertreue im Blick auf die drohende Welt der historisch
einzig mögliche (!) Rahmen für eine Jesu Verkündigung aufnehmende
Christologie" war (S. 256), woher kommt und wie
paßt in diesen „Rahmen" der „apokalyptischen Gesamtschau" (?)
das existentielle Verständnis der eschatologischen Gegenwart, das
Paulus „weder der Apokalyptik noch dem Pneumatikertum entnehmen
konnte" (Bultmann, Haenchen-Festschrift S. 69)? Die
pln Christologie expliziert eben nicht nur „die kosmische Dimension
des Satzes, dafj Gott Jesus recht gegeben hat" (S. 256),
sondern auch die existentielle Dimension, dafj Gott um Christi
willen den Sünder rechtfertigt.
St. hat gewiß ein die Diskussion belebendes Buch geschrieben
. Was man aufrichtig bedauert: daß um einer einseitig
durchgezogenen These willen (vermeidbare) Gegensätze geschaffen
werden, die keine sind.
Bochum Erich G r ä ß o r
Schräge, Wolfgang: Das Verhältnis des Thomas-Evangeliums
zur synoptischen Tradition und zu den koptischen Evangelienübersetzungen
. Zugleich ein Beitrag zur gnostischen Synoptikerdeutung
. Berlin: Töpelmann 1964. VIII, 213 S. gr. 8° =
Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft
und die Kunde der älteren Kirche, hrsg. v W. Eltestcr, 29. Lw.
DM 48.-.
Schräges Kieler Habilitationsschrift aus dem Winter-Semester
1962/63, die jetzt im Druck vorliegt, ist ein unter Ausschöpfung
aller modernen Hilfsmittel und mit erstaunlicher Akribie gearbeiteter
(und gedruckter!) hilfreicher und die Forschung befruchtender
und weiterführender (vgl. bes. S. 65 oben; S. 148 unten;
S. 150 Anm. 1; S. 153 oben; S. 157 oben) Kommentar zum ThEv.
Ein gezielter Kommentar! Denn es geht ihm nur um die den
Synoptikern parallelen Partien des ThEv. Und ein Kommentar
mit (m. E. richtiger) Tendenz, insofern als es in ihm ganz wesentlich
um den Beweis geht, daß diese Stücke von unseren Synoptikern
abhängig sind und nicht aus der ihnen vorausliegenden
Tradition stammen. Dem dient auch die besondere Auswertung
der sozusagen normalen koptischen Evangelienübersctzun-
gen, die dem Werk Sch.s, bis ins Schriftbild hinein, die eigene
Note gibt. Nach der Reihenfolge ihres Erscheinens im ThEv werden
die in Frage kommenden Partien, d. h. die einschlägigen
Logien bzw. Logienteile, einer Erörterung unterzogen, die nach
einem gleichbleibenden Schema, dessen drei Hauptpunkte schon
der Titel des Werkes anzeigt, verläuft: Zunächst wird jeweils
der koptische Text des ThEv mit den entsprechenden Partien des
sahidischen NT synoptisch konfrontiert. Es folgt eine Erörterung
der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem betreffenden
Th-Logion und den oft auch unter sich differierenden Parallelen
des griechischen NT unter Voraussetzung literarkritischcr
und formgeschichtlicher Erkenntnisse und Problemstellungen und,
wie gesagt, unter der speziellen Frage, ob denn tatsächlich, wie
oft behauptet und vorausgesetzt, Th von den Synoptikern unabhängig
sei. Eine ähnliche Erörterung (unter derselben Frage) des
Verhältnisses von Th zur koptischen Obersetzung der Synoptiker,
die nicht bloß auf die sahidische beschränkt ist, sondern die anderen
(vor allem die bohairische) miteinbezieht, schließt sich an.
Und die geht dann über in eine textkritische Erörterung, wo unter
dem Ziel, Th seinen Platz in der Textgeschichte des NT anzuweisen
, die besonderen Beziehungen von Th-Wendungen zu mehr
oder weniger auffällig parallelen sekundären NT-Lesarten aufgezeigt
werden; hierbei spielt dann naturgemäß immer wieder die
Erörterung von Parallel-Einflüssen innerhalb der Synoptiker eine
große Rolle. Den Abschluß bilden jedesmal Erwägungen über
den gnostischen Sinn, den das betreffende (Synoptiker-)Logion
bei Th (gewonnen) hat, unter ausgiebiger Heranziehung bereits
vorliegender gnostischer Deutungen der betreffenden Schriftstelle
und überhaupt von ähnlichen und verwandten Aussagen in den
Nag-Hammadi-Texten und sonstigen gnostischen Primär- und
Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 1