Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1968

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

549

Apologetisch antwortet Mithobius in der dritten seiner Musikpredigten
(S. 99 ff.): „Gewiß folgen Organisten und Sänger zuweilen
einem, unfrommen Ehrgeiz, aber wegen solcher zeitweiligen
Mißstände ist nicht die Kunstmusik als solche abzuschaffen"
(S. 103). Hinter Großgebauer verberge sich ein „calvinischer Geist".
Kol. 3, 16 gelte auch zur Begründung der Figuralmusik, die
Orgeln seien herrliche Gaben Gottes (S. 107); die Kantoren und
Chöre vollzögen stellvertretend für die Gemeinde das Lob Gottes,
wodurch die Gemeinde zu eifrigem Beten angeregt würde (S. 108);
nirgends sei in der Schrift geboten, daß die Gemeinde an der
Aufführung der Kirchenmusik aktiv beteiligt sein müsse (S. 111).
In der vorausgehenden 2. Musikpredigt (S. 23-56) hatte Mithobius
die theologische Bedeutung der Musik grundsätzlich entfaltet. Sic
sei 1. mandatum divinum im Sinne der positiven Erfüllung des
2. Gebotes (S. 30 ff.); 2. sie geschehe auf Grund des exemplum
sanetorum (S. 37 ff.), hier werden David, Maria, Zacharias, Simeon,
die christlichen Kaiser und die Reformatoren genannt; 3. sei
Kirchenmusik nostrum debitum auf Grund der erlösenden und
heiligenden Tat Gottes (S. 43 ff.); 4. zeigt er das insigne commo-
dum, die „Freude und den herrlichen Nutzen, den wir davon
haben" (S. 48 ff.), hier wird die heilende Wirkung der Musik auf
Saul eingeordnet; schließlich erwägt er 5. das consequens dam-
num, die negativen Folgen einer Abschaffung der Kirchenmusik
für den Menschen (S. 54 ff.). Bunncrs bemerkt, daß in dieser
grundlegenden Musikpredigt von einem Dienst der Kirchenmusik
an der Verkündigung nicht die Rede ist. Er will darin einen Unterschied
gegenüber der Reformationszeit erkennen. „Für die Reformation
ist die Überzeugung grundlegend, daß die Musik die
Aufgabe habe, das Wort Gottes auszubreiten, für die Orthodoxie
ist die Kirchenmusik in erster Linie doxologischc Sinnverwirklichung
der Gemeinde und der gläubigen Existenz" (S. 48 f.).
Stimmt das? Einerseits wäre hier eine stärkere qucllenkritischc
Kenntnis des Musikverständnisses der Reformatoren notwendig.
Verfasser bezieht sich bei der Musikthcologic Luthers allein auf
die Arbeit von Söhngen, andererseits wäre zu berücksichtigen, daß
nicht im Gottesdienst der Reformationszeit, wohl aber im Gottesdienst
der Orthodoxie Evangclicnmotctte und Evangelicndialog
gezeugt wurden.

Jenseits der Kontroverse Großgcbaucr-Mithobius, jedoch in
sachlicher Nähe steht Heinrich Müllers „Scclcnmusik". Auf dem
Boden reformatorischer Rechtgläubigkeit will H. Müller als weitere
Stufe eine Verinncrlichung lutherischer Frömmigkeit aufstocken
(S. 113 ff.). Er folgt darin der mystischen Tradition von
Bernhard und Johann Arndt. Nicht nur in „toter Wissenschaft",
sondern in emotionaler „Gemütserwärmung" und subjektiver Erregtheit
(S. 126) möchte er die erlösende Macht des Glaubens erfahren
. Dabei dient der Begriff „Scclcnmusik" dazu, das irrationale
gefühlsmäßige Element zu kennzeichnen: „die durch Empfindung
erschlossene Kundgabe Gottes in der Tiefe der Einzelscelc" (S. 142).
Dabei ist die metrisch-lyrische Form des Liedes zum Ausdruck
innerseclischer Zuständlichkcitcn geeigneter als die auf klare

.350

Aussagen abzielende Prosa (S. 160). Seelenmusik ist aufgeschlossen
gegenüber den Kunstformen des Liedes, die unter dem Begriff
der „Lieblichkeit" abgehandelt werden (S. 148). Seelenmusik ist
zuerst ein Singen im Herzen, sie kann auch ohne Worte geschehen
(S. 144), doch kommt es oft zu einem „Ausbrechen", „Überfließen",
„Übermanntwerden vom Heiligen Geist", einem Singen aus dem
Berauschtsein in Gott", „aus dem Orgasmus der geistlichen Trunkenheit
" (S. 152 ff.). Aus dieser von starkem innerem Erleben getragenen
Seelenmusik sind Impulse auf die Kirchenmusik der
Periode von 1650 bis 1710 ausgegangen. Bunners denkt an die
zunehmend freiere Satzweise des Orgelchorals und nennt insbesondere
Dietrich Buxtehude (S. 162 f.). Der Musikhistoriker wird
beim Lesen der Studie zunächst stärker an die Form der geistlichen
Arie bei Heinrich Albert und Adam Krieger und an die
Elmenhorst-Lieder von Johann Wolfgang Franck denken. Bunners
sieht richtig, daß bei H. Müller kein eigentlicher Angriff auf die
Kunstmusik geführt wird wie bei Großgebaucr (S. 157). Es geht
gar nicht mehr um die Reinigung des herkömmlichen Gottesdienstes
, sondern um die subjektive Andacht, die höher geschätzt
wird als der Gemeindegottesdienst (S. 140 f.). Seelenmusik bedeutet
also Ablösung des Singens von der Gemeinschaft (S. 166) und
zugleich die Gefahr einer Entwirklichung des Musikalischen
(S. 157).

Von den drei Schriften ist die H. Müllers zeitlich die früheste,
jedoch sachlich die späteste, die am stärksten von der Orthodoxie
wcglenkt und den Pietismus einleitet. „Kirchenmusik - Gemeindemusik
- Seelenmusik", eine hilfreiche frömmigkeitsgeschichtliche
Studie, um den Weg zu verstehen, der von den geistlichen Konzerten
Heinrich Schütz' zu den geistlichen Arien Heinrich Alberts
und den Kantaten Dietrich Buxtehudes führt.

Hatlc/Saalc Eberhard Schmidt

Goltzen, Herbert: Das neue Vaterunser (ZW 39, 1968, S. 471
bis 477).

Honemeyer, Karl: Grundsätzliches zum Standort der Orgel

(MuK 38, 1968, S. 97-106).
Krause, Gerhard: Endstation Amen. Etymologisch-philologisch-

theologisch-musikologisch (DtPfrBl 68, 1968, S. 277-279).
Lehmann, Theo: Gottesdienst - einmal anders (DtPfrBl 68,

1968, S. 234 - 237).
Reitz, Rüdiger: Gottesdienst als Drama. Die Wiederentdeckung

christlichen Dramas im amerikanischen Kirchenlcben (DtPfrBl

68, 1968, S. 231-233).
Schulz, Frieder: Gottesdienst zwischen gestern und morgen

(ZW 39, 1968, S. 377-388).
Thurian, Max: Le canon romain (Vcrbum Caro 22, 1968, S. 64

bis 89).

Uh8ade 1, Walter: Gottesdienstliche Experimente? (ZW 39, 1968,
S. 370-376).

Wolff, Christoph: Die Tradition des vokal-polyphonen Stils in
der neueren Musikgeschichte (MuK 38, 1968, S. 62-80).

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 7

REFERATE ÜBER THEOLOGISCHE DISSERTATIONEN IN MASCHINENSCHRIFT

Heller mann, Dicthcr: Die Priesterschrift von Numeri 1, 1
bis 10, 10 literarkritisch und traditionsgcschichtlich untersucht.
Diss. Tübingen 1967. XI, 240, 36 S.
Da einerseits alle Analysen der Priesterschrift in Numeri
das Gewicht auf die Herauslösung der Grundschrift legten,
andererseits jedoch durch den Kommentar zu Leviticus von
K. Elliger (HAT I, 4) gezeigt wurde, daß zum Verständnis von
f alle Schichten gleichberechtigt untersucht zu werden verdienen,
'st es notwendig, die literarkritische und traditionsgcschichtlichc
Untersuchung für Numeri fortzusetzen.

Der Abschnitt 1, 1 bis 10, 10 wurde gewählt, weil diese Kapitel
lnsgesamt zum Komplex der Priesterschrift gehören, so daß die
^rage nach der Ausscheidung der anderen Qucllenschichten im
pcntateuch entfällt. Außerdem bildet der Abschnitt inhaltlich den
Schluß des Aufenthalts der Israeliten am Sinai, während mit 10, 11
Schilderung der Wanderung ins Ostjordanland beginnt. Daß

innerhalb von Nu 1, 1 bis 10, 10 sehr disparates Material verhältnismäßig
spät noch untergebracht wurde, erklärt sich aus dem
Bestreben, den einzelnen Anordnungen größeres Gewicht und
größere Bedeutung zu verleihen durch die Herleitung aus der
Sinaigesetzgebung.

Am Anfang jedes Unterabschnittes wird eine Übersetzung geboten
, die durch farbige Unterstreichungen das Ergebnis der
Analyse veranschaulichen soll. Die Gliederung des Textes im Anschluß
an die Übersetzung soll den Überblick über den jetzigen
Text erleichtern. Die Analyse behandelt zunächst jeden Textabschnitt
für sich; dabei ergibt sich eine Unterglicderung durch
die Untersuchung der kleineren Sinncinhcitcn. Die Zusammenfassung
am Ende eines Kapitels will neben der gerafften Darstellung
des Ergebnisses der literarkritischen Arbeit vor allem
die traditionsgeschichtlichen Linien weiter ausziehen.

Ein Schlußkapitel faßt die Teilanalysen zusammen. Hier wer-