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Ausgabe:

1968

Spalte:

534-536

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Nicolas, Jean-Hervé

Titel/Untertitel:

Dieu connu comme inconnu 1968

Rezensent:

Knevels, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 7

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ist Inhalt eines dritten Kapitels (Das Weib der Offenbarung,
pp. 90-116). Vom Protevangelium, das seit dem 12. Jahrhundert
verstärkt auf Maria gedeutet wurde, ist hier der Bogen zum
Sonnenweib der Apokalypse geschlagen, ausmündend im Thema
der Immaculata. Sollten die drei ersten Kapitel den Umriß abstecken
, so werden in einem vierten Kapitel (Die neue Eva,
Pp. 117-158) einige ausgewählte antithetische Bildprogramme abgehandelt
. Als gröfjere, wenn auch primär landschaftlich gebundene
Gruppen schälen sich heraus: die auf Dante zurückgehende
Darstellung Evas zu Füßen Marias; die von den Alpenländern
ausstrahlende Gegenüberstellung Evas und Marias, die die Frucht
des Todes bzw. Christus als die Frucht des Lebens pflücken; Sor
Isabels Vision, nach der der Auferstandene die erlösten Ureltern
seiner Mutter präsentiert; schließlich eine auf Vasari zurückgehende
Komposition, in der die Schlangcntretcrin über den an
den Baum der Sünde gefesselten Protoplasten erstrahlt. (Die vom
Verfasser in einem besonderen Abschnitt behandelte Trumeau-
Madonna über Genesisszenen kommt an französischen Kathedralen
so selten vor, da5 kaum von einem Typ gesprochen werden
kann.)

Der Verfasser entfaltet ein geradezu enzyklopädisches Wissen,
und dieses erstreckt sich nicht nur auf die Denkmäler und die
kunsthistorische Literatur, sondern gleicherweise auf die theologischen
Quellen und Darstellungen. Eine andere Frage ist es, ob
es dem Verfasser auch gelungen ist, die gewaltige Stoffülle, die
er zusammengetragen hat, zu bewältigen. Eine Kritik hat es deswegen
so schwer, weil im Grunde alles gesagt ist, jedoch nicht
Präzis genug und ohne daß aus den Erkenntnissen jeweils die
Konsequenzen gezogen würden. Es ist nicht leicht, den roten
Faden zu finden, noch schwerer, ihn zu behalten.

Unklar bleibt, nach welchen Gesichtspunkten das Werk angelegt
ist. Offenbar liegen zwei verschiedene Konzeptionen im
Streit: eine kunsthistorischc und eine dogmatische. Am deutlichsten
wird das am 2. Kapitel. Dessen heterogene Bestandteile (s. o.)
können nur unter der Bedingung einander zugeordnet werden, daß
Maria und Kirche in eins gesetzt werden. Dies geschieht jedoch
Weder in den bildlichen Darstellungen, die die Geburt der Kirche
aus der Seite Christi zeigen, noch in den ihnen beigegebenen
Texten. Die Meditation dogmatischer Themen anhand kunst-
nistorischer Denkmäler ist durchaus legitim, doch sollte sie von
der kunsthistorischen Untersuchung geschieden werden. Die gleiche
Unklarheit macht sich auch an anderen Stellen bemerkbar.

So leidet die Interpretation oft an der unkritischen Zuordnung
von Bild und Texten. Wird ein Denkmal mit Hilfe zeitgenössischer
Zitate interpretiert, so klingt das verführerisch überzeugend,
'st aber keineswegs schlüssig im Sinne eines Beweises. Die Man-
n'gfaltigkeit verschiedenartiger Aussagen in einer Zeit erfordert
zusätzliche Kriterien dafür, daß eine bestimmte Meinung auf einem
Kunstwerk intendiert ist. Auch ein Kunstwerk will in der Regel
eine bestimmte Aussage machen. Man wird einem Bild nicht gerecht
, wenn man in ihm alles wiederfinden will, was die Zeit über
das Thema zu sagen wußte. Übcrintcrprctationcn entstehen auch
dort, wo versucht wird, geläufigen Darstellungsweisen aus dem
speziellen Bildzusammcnhang einen besonderen Sinn abzugewinnen
.

Zum Beispiel: Wenn auf gotischen Madonnenbildern Mutter
und Kind mit einem Apfel spielen, soll in letzterem Christus als
Frucht vom Baum des Kreuzes (und eventuell als Frucht des jungfräulichen
Leibes) versinnbildlicht sein (pp. 110 ss), wobei unbe-
rücksicht igt bleibt, daß auch andere Früchte in diesem Zusammenhang
vorkommen, für die die Antithese zur Paradiesesfrucht nicht
zutrifft. Oder es soll in der Umschrift zu einem Kruzifixus mit
Schlange „Per pomum suave mortem suseepimus Adae / per crucis
^xicium reditus datur in paradisum" die „von Ambrosius über-
leferte Vorstellung, daß Christus als der neue Apfel am Holz des
Kreuzes hing", angedeutet sein (pp. 112 s). Hier sind offenbar bild-
iche wie schriftliche Quellen überinterpretiert, auch wenn man un-
erücksichtigt läßt, daß die Bestimmung der Paradiesesfrucht als
APfel jünger als Ambrosius ist, Christus also bei diesem nicht der
»neue" Apfel sein kann (vgl. Leder, ZnW 52 (1961) 176 ss). Oder
der Engel, der auf Mcmlings Wiener Johanncsaltärchcn dem Kind
einen Apfel reicht, soll, weil er die Dalmatik des Diakons trägt,
™* °ei der missa solemnis dem Priester dient", folgenden Sinn
der Szene offenbaren: „Durch seine Inkarnation und Selbstaufopferung
erscheint Christus als Priester und Opfer in einer Person
; der mütterliche Schoß wird zum Altar, auf dem sich das erste
feierliche Hochamt des Neuen Bundes vollzieht. Im Aptel verdichten
sich die Sinnbezüge auf Menschwerdung und Kreuztod
des Gottessohnes für die erlösungsbedürftige Welt" (p. 115). Hier
sind die Grenzen legitimer Interpretation weit überschritten.
Engel wurden übrigens üblicherweise in Diakonskleidung dargestellt
, und die Dalmatik wurde auch nicht ausschließlich zum feierlichen
Hochamt getragen. Gegen einen solchen Bezug spricht auch
das Saiteninstrument in der Hand des Engels.

Sachliche Schwierigkeiten birgt der Begriff „Antithese". Verfasser
schreibt pp. 55 s über die Zusammenstellung von Genesisszenen
mit der Verkündigung: „In allen diesen Varianten handelt
es sich nicht um Typologie im strengen Wortsinn, da die Grundlage
des Vergleichs stets eine Antithese ist, keine Parallele . . .
Dennoch ist die Gegenüberstellung . . . aus typologischen Elementen
aufgebaut, die sich spiegelbildlich entsprechen ... So wird die
erste Mutter zum ,typus per oppositionem' der zweiten . . ." Wendet
man diese Prinzipien auf die vorliegende Arbeit an, dann
ergibt sich, daß der Ertrag im Sinne ihres Titels mager ist. Die
meisten der behandelten Bildthemen (Ureltern-Maria, Schlangen-
treterin) zielen auf die Darstellung des heilsgcschichtlichen Gegensatzes
, ohne die Eva-Maria-Antithese zu betonen. Diese ist (von
Unica abgesehen) dort gegeben, wo nur Eva der Madonna zugeordnet
ist: Maria, auf die Schlange tretend, die Evas Züge angenommen
hat (sehr selten); Eva zu Füßen Marias (Italien, 14. bis
15. Jahrhundert); Gegenüberstellung der Verführung Evas und
der Verkündigung (häufiger im 15. Jahrhundert). In letzterer Gruppierung
tritt Entsprechungssymbolik im Sinne eines Situationsreimes
auf. Das ist weiterhin in besonderem Maße bei jener Gruppe
von Bildwerken der Fall, auf denen die den Apfel pflückende Eva
neben Maria steht, die Christus vom Baum des Lebens pflückt.
Dieses im 15. und 16. Jahrhundert dargestellte Motiv kann als die
eigentlichste Verbildlichung der Eva-Maria-Antithese gelten. Schließlich
stellt noch die Darstellung von Sor Isabels Vision Maria und
Eva kompositorisch gegenüber. Die Zusammenfassung der Heils-
geschichte in den Personen Evas und Marias ist offenbar stärker
in der Literatur als in der Bildwelt beheimatet gewesen.

Völlig richtig erkennt der Verfasser, daß die Verbildlichung
seiner Thematik im wesentlichen erst im 12. Jahrhundert einsetzt.
Leider ist er auch hier der Inkonsequenz verfallen, frühere Denkmäler
, etwa frühchristliche Sarkophage, in diesem Sinne zu interpretieren
.

Wer die Mühe nicht scheut, sich durch die Fülle des Materials
durchzuarbeiten, wird über mangelnden Gewinn nicht zu klagen
haben.

Ganz besonderes Lob verdient die etwa 500 Titel umfassende,
in 40 Sachgruppen gegliederte Bibliographie, die den Rahmen
des Buches weit überschreitet (pp. 327-345). Die Qualität der mit
ausführlichen Beschreibungen und Dokumentationen versehenen
197 Abbildungen ist vorzüglich (pp. 159-324). Im Abkürzungsverzeichnis
p. 11 ist zu ergänzen: LMK - Lexikon der Marien-
kundc, Regensburg 1957 ss.

Greifswald Hans Georg Thümmc!

PHILOSOPHIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Nicolas, J.-H., O. P.: Dieu connu comme inconnu. Essai d'une
critique de la connaissance theologique. Paris: Desclee de
Brouwer [1966]. 432 S. 8° = Bibliotheque francaise de Philosophie
. Collection dirigee par O. Lacombe. Lw. bfr. 390,-.

Ungeachtet des Titels zielt das Buch dahin, Gott in die Erkennbarkeit
und Beweisbarkeit zu rücken - so sehr auch der Verfasser
versichert, dies nicht zu wollen. Das „inconnu", die Unerkennbar-
keit Gottes reduziert sich auf eine Dosis Mysterium und auf das
Zugeständnis, daß die Erkenntnis Gottes keine adäquate und erschöpfende
sei, daß es also darum gehe, nach Thomas von Aquino
(dem der Titel entnommen ist) Deum tanquam ignotum cogno-
scere.

Wiewohl in den Teilüberschriften auseinandergehalten, findet
sich durchgehend eine Verkoppelung bzw. Vermischung des philo-