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Ausgabe:

1968

Spalte:

530-531

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Stauffer, Richard

Titel/Untertitel:

Le catholicisme à la découverte de Luther 1968

Rezensent:

Beintker, Horst

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Theologische Litcraturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 7

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Gesetz und Evangelium, simul iustus et peccator, iustitia aliena,
sola fide nunquam sola, Heilsgewißheit, Alleinwirksamkeit Gottes
und unfreier Wille, wobei er auf die These von der menschlichen
Unfreiheit als den „cardo rerum" zustößt und mit Thomas, aber
auch mit Melanchthon und der Konkordienformel lieber von Gottes
„Zulassen" des sündigen Wirkens als mit dem Luther von „De
servo arbitrio" von einem aktiven „Treiben" Gottes im Sünder
sprechen möchte (S. 77). Abschlief3end formuliert er den Unterschied
zwischen Thomas und Luther sowohl hinsichtlich des theologischen
Ansatzes und der leitenden Perspektiven als auch hinsichtlich
des existentiellen Vollzuges. Luthers Theologie setze ein
bei der Heilsfrage unter dem Gegensatz: sündiger Mensch - rechtfertigender
Gott und stofje von dort aus zum weiten Schöpfungshorizont
durch; die Theologie des Aquinaten dagegen setze beim
Werk des Schöpfers ein und dringe von hier aus vor zum Erlösungshandeln
Gottes in Christus. Sie sei „sapientiale" Theologie
im Lichte der Gottesschau, Luthers dagegen sei „existentielle"
Theologie aus der Situation der Anfechtung heraus.

Der Rezensent hält diese Einsichten für überaus hilfreich und
fruchtbar, gelingt hier doch ein vorbildliches kontroverstheologisches
Gespräch, welches unbedingt fortgesetzt werden muß. Dazu
hätte er an die beiden Referenten drei Anfragen, welche die in
der Diskussion erhobenen Einwände von H. Beintker (S. 84) aufgreifen
.

1. In der abschließenden Zusammenfassung sowohl bei Pesch
als auch bei Kühn erscheint es so, als stünden uns ein sapicntiales
und ein existentielles Theologisieren als zwei „Strukturen christlicher
Existenz" nebeneinander zur Wahl. Dies wäre noch unge-
schichtlich gedacht gleichsam ohne ein Reflektieren über die eigene
Situation, dem widerspricht auch der faktische Vollzug der Interpretation
beider Referenten; beide sind insofern von Thomas durch
den Ansatz Luthers getrennt, als sie dessen „Aussagen über Gott
und seine Beziehung zu Welt und Menschen ... als Aussprache des
glaubenden Engagiertseins vor Gott" interpretieren (S. 34); als
methodischer Vollzug ist dies erst möglich, nachdem in der theologischen
Aussage der existentielle Ort des Bekennenden reflex
9eworden ist (S. 81). Insofern stehen Thomas und Luther für uns
nicht ungeschichtlich einfach nebeneinander; die Thomasinterpretation
ist bleibend geprägt durch den von Luther eröffneten Horizont
, d. h., eine Erneuerung des „sapicntialen" Ansatzes erfolgt
nicht mehr „naiv", sie hat das Wissen um die innere Teilhabe am
..existentiellen" Stehen vor Gott bleibend in sich. Im Unterschied
zu Luther und den meisten evangelischen Theologen gelingt es
dieser Interpretation jedoch, die „sapicntialen" Aussagen zu öffnen
für ein Verstehen aus dem Existenzbezug heraus und dadurch den
»Verfremdungseffekt" aufzulösen, welcher bisher jene sapientialen
Vollzüge als unexistentielle und verobjektivierende Pseudometa-
Physik erscheinen lief}.

2. Es ist problematisch, bei Luther eine soteriologisch zentrierte
Theologia crucis auf die Unfreiheit des Menschen unter der
Sünde zuzuspitzen und dabei abzulösen von seinen Einsichten in
Schöpfung und Ccschichte. Beintker sieht hier richtiger, wenn er
die Theologia crucis verbindet mit der eschatologischen Durch-
Setzung des weltumspannenden Schöpferwirkens Gottes (S. 84).
Luther hat eine Fülle ontologischer Einsichten in unser Mensch-
sein in dieser Welt, welche die Analogien „naturontologischer
Qualitäten" (S. 33) des Thomas ergänzen und vertiefen könnten;
Wilfried Joest hat sie in seinem neuen Werk zur Ontologie der
Person bei Luther (1967) entfaltet, wenn auch er sie leider noch
zu einseitig ausgerichtet sein läßt auf die Existenz vor Gott; Luther
kreist in seinen Überlegungen unermüdlich um den nichterzwing-
baren Geschenkcharakter des Lebens, welcher uns gerade nicht nur
a's Sünder, sondern als Geschöpfe Gottes prägt; für ihn ist nicht
allein unser Menschscin vor Gott, sondern letztlich auch unser
Menschsein in der Welt bestimmt durch diesen exzentrischen,
responsorischen und eschatologischen Charakter.

3. Diese Einsichten Luthers könnten uns eine Hilfe werden, die
Spannung zwischen Weltgott und Heilsgott, zwischen unserem
Geschöpfsein und unserem Christcnleben neu zu durchdenken. An
Thomas wäre hier analog die Frage zu stellen, wie er zur Sprache
9ebracht hat, da ß diese unsere Welt für den Glaubenden von Gott
dem Vater durch den Sohn in und mit dem Heiligen Geist geschaffen
ist und ständig auf die Neuschöpfung hin erhalten wird.

Ist nicht gerade auch hinsichtlich der Schöpfung sowie der Vollendung
eine vertiefende Neuinterpretation erforderlich? Die antike
Vorstellung von Gott als Arche und Telos aller Dinge ist doch
nicht co ipso identisch mit dem Zeugnis der Schrift und der Kirche
vom Dreieinigen Gott als dem Schöpfer, Erlöser und Neuschöpfer
aller Kreaturen.

Diese weiterführenden Anfragen wollen jedoch nur den tiefen
Dank des Rezensenten für das gewichtige Heft zum Ausdruck
bringen und zur Fortsetzung des kontroverstheologischen Gespräches
anregen.

Heidelberg A. Peters

Stauffer, Richard: Le catholicisme ä la decouverte de Luther.

L'evolution des recherches catholiques sur Luther de 1904 au
2me Concile du Vatican. Neuchätel: Delachaux et Niestie [1966],
130 S. gr. 8° = Bibliotheque Theologique.

„Der Katholizismus bei der Entdeckung Luthers" überschreibt
Stauffer von der Faculte de Theologie protestante de Paris seinen
Berichtsband, der im Original englisch in Lutherworth Press,
Londres, mit dem Titel „Luther as seen by the Catholics" erschienen
ist. Der Untertitel der französischen Ausgabe „Die Entwicklung
der katholischen Forschung über Luther von 1904 bis zum II. Vatikanischen
Konzil" gibt den Rahmen des Berichts präziser an.
Stauffer teilt das katholische Lutherverständnis dieses Zeitraumes
in zwei Hauptrichtungen ein. Je drei Kapitel ordnen die Entwicklung
im einzelnen. „Eine destruktive Kritik" herrscht in der Nachfolge
der beiden „Ankläger": Denifle und Grisar, deren Positionen
das 1. Kapitel auf acht Seiten skizziert. Kapitel 2 behandelt
deren französische Schüler Cristiani, Paquier, Lagrange und
Maritain, Kapitel 3 „les disciples anglo-saxons" Ganss, O'Hare,
Evennctt, Clayton und Hugues. Im zweiten Teil, „Eine ehrerbietige
Annäherung" betitelt, lernt man die „Anfänger einer Neueinschätzung
Luthers" kennen. In zeitlicher Reihenfolge werden jeweils
die deutschen, die französischen und die englischen Forschungen
abgehandelt. Kapitel 4 würdigt Kicfl, Merkle, Fischer, Jedin, Lortz,
Herte, Hessen, Adam, Zeeden, Richter, Sartory, Brandenburg, Rahner
und Seibel; Kapitel 5 würdigt Imbart de la Tour, Vignaux,
Bernanos, Congar, Strotmann, Bouyer, Tavard und Biot; Kapitel 6
würdigt den auch im englischen Sprachraum wirkenden Tavard,
McDonough, Quealey, Swidlcr und Todd. Imbart behandelt bereits
1914 „l'evangelisme" und Luther positiv. Ebenso beurteilt
Kiefl 1917 die „religiöse Psyche" Luthers freundlich. In den zwanziger
Jahren bahnen schon Merkle und Fischer die Wende in der
katholischen Lutherdeutung an, aber noch 1947 sehen Hugues
(4. Aufl. 1960) und Cristiani, der seit 1908 gegen Luther polemisiert
, 1961 „Die protestantische Empörung" schreibt, Luther vorwiegend
negativ. Also haben wir den Tatbestand, daß ernsthafte
katholische Lutherkenner fast ein halbes Jahrhundert hindurch sehr
voneinander abweichende Urteile über Luther abgeben. Doch ist
der Trend zur positiven Einschätzung deutlich. Ob die Einteilung
feindlich-freundlich allerdings für sachlich richtige Beurteilung des
Reformators und seines Werkes viel einträgt, kann man bezweifeln.
Stauffer selbst äußert eine Meinung über die freundlichen katholischen
Stimmen, die den von ihm erwünschten Dialog mit der
katholischen Lutherdeutung zu ziemlich einseitigen Integrationen
führen würde. Doch dazu unten. Im einzelnen bringt Stauffer
überall einen guten Einblick, auch in einige weitere Literatur.
Interessant ist, daß für die englisch schreibenden Forscher erst
1959 Tavard, dann 1963 McDonough, die übrigen 1964 als positive
Beurteiler zu nennen sind.

Mit 1964/65 bricht der Forschungsbericht in Würdigung von
Congars letzten Arbeiten, von Swidlcr und von Todd ab. Wie weit
wichtige Stimmen im außerdeutschen Sprachraum, auch gegnerische
Stimmen, ungehört blieben, vermag ich nicht zu sagen.
Vielleicht ist einem einzelnen die Erfassung der Urteile über
Luther jetzt auch nicht mehr möglich. Bereits 1965 sind größere
Werke von Dolan und von Weinstein in englisch, von Maritain
(französisch; 1964 ins Italienische übersetzt), von Heer und Tüchle
deutsch erschienen, und das wächst nun erst noch an. Aber Dettloff
und Bläser, Pfürtner, Pesch und Kösters durften als die über Lortz
zum Teil hinausgehende Forschergruppe nicht übergangen werden.

Den Ertrag der Information, den Stauffer vorlegt, stellt jedoch
dieser Mangel keineswegs in Frage. Es ist sehr nützlich, den ein-