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Ausgabe:

1968

Spalte:

523-525

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Friedenthal, Richard

Titel/Untertitel:

Luther, sein Leben und seine Zeit 1968

Rezensent:

Schott, Erdmann

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Priester aufzuweisen hatte. Auf sicherer Grundlage beruht auch
die Schilderung des Haushaltes, der Dienerschaft, der Gebäude
und der Ländereien des Bischofs und seines Amtes.

Als Erzbischof von York (1388-1397) lief) sich A. in den ersten
sechs Jahren vertreten. Nur einmal hat er Ostern 1395 Priester in
York geweiht. Auch über diese Zeit fehlen weithin direkte Nachrichten
. Im Februar 1397 wurde er als Erzbischof von Canterbury
inthronisiert. Bereits am Ende desselben Jahres mußte er ins Exil
gehen.

In einem besonderen Kapitel des Buches werden die Kleriker
und Proteges charakterisiert, welche A. in seinen Ämtern begegnet
sind. Mit Sorgfalt versucht die Verfasserin A.s Haltung gegenüber
der von Wyclif ausgehenden Bewegung der Lollarden nachzugehen.
Auch hier sind primäre Quellen spärlich. Es muß angenommen
werden, daß direkte Begegnungen A.s mit den Häretikern, z. B.
bei Ehefragen, für die das bischöfliche Konsistorium zuständig
war, sowie bei Visitationen, wo eine der Visitationsfragen nach
den Lollarden fragte, stattgefunden haben. A. ist wohl auch als
Kanzler und Richter in einigen Fällen in Erscheinung getreten, wo
Kleriker wegen häretischer Predigten gefangengesetzt worden
waren. Pikant ist die Tatsache, da5 A. anläßlich der Beisetzung
der Königin Anna (1394) eine Predigt gehalten hat, die aus der
Feder eines angesehenen Lollarden stammte. Es scheint ferner,
daß A. eine führende Rolle in der Unterdrückung der Lollarden
gespielt hat, als diese ihre 12 Sätze an das Parlament (1395) gerichtet
hatten. Seine entscheidende Mitwirkung an der Akte Heinrichs
IV. (1399-1415) de herendo comburendo liegt außerhalb des
Rahmens dieses Buches.

Die Verfasserin behandelt im letzten Kapitel (12) die politische
Wirksamkeit A.s als Erzbischof von York, nachdem sie unter der
gleichen Überschrift die als Bischof von Ely (Kap. 5) geschildert
hat. Hier wäre eine Gesamtdarstellung förderlicher gewesen.
Sicherlich hatte die politische Tätigkeit als Erzbischof und Kanzler
(1386-1389, 1391-1396) ein erheblich stärkeres Gewicht gegenüber
der als Bischof. Unter Vernachlässigung seiner Aufgaben als Erzbischof
von York weilte er meist in London. Auch bei dieser Darstellung
spielen Hypothesen eine wichtige Rolle. A.s Tätigkeit
anläßlich des Merciless Parlamentes und der Vorbereitung der
zweiten Ehe Richards II. ist sicher.

Zahlreiche Appendices, u. a. die Wiedergabe einer Reihe von
Quellenbelegen, die große Zahl der in Archiven und Bibliotheken
benutzten Handschriften und primären Quellenwerken,
dazu die umfangreiche Sekundärliteratur machen die Darstellung
zu einem gewichtigen Beitrag der spätmittelalterlichen Kirchengeschichte
Englands. A. und seine Zeit sind bisher kaum Gegenstand
deutscher kirchengeschichtlicher Forschung gewesen, wie z. B.
auch das Fehlen eines Artikels in der RGG:i beweist. Schöne Bildtafeln
, ein Personen- und Ortsregister erhöhen den Wert des
Buches.

Berlin Walter D e 1 i u s

KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT

Friedenthal, Richard: Luther. Sein Leben und seine Zeit.
München: Piper [1967). 681 S. m. 38 Abb. i. Text, 11 Abb. a.
Taf„ 1 Kte. 8°. Lw. DM 28,-.

F. ist nicht Fachtheologe, sondern Kulturhistoriker. Seine Biographie
: „Goethe. Sein Leben und seine Zeit" (1963) hat vier Jahre
nach dem Erscheinen bereits eine deutsche Gesamtauflage von
351 000 Exemplaren erreicht. Sein jetzt erschienenes umfangreiches
Lutherbuch kann also auf einen großen Leserkreis rechnen.

Das Buch hat drei Teile. Der erste („Werdegang eines Rebellen
") behandelt den Weg Luthers bis 1517, der zweite („Feuersturm
") bis 1525, der dritte („Der Wittenberger Reformator") bis
zum Tod. Das Schwergewicht liegt auf dem zweiten Teil, der mit
370 Seiten weit mehr als die Hälfte der ganzen Darstellung ausfüllt
, dem Werdegang sind 120 Seiten gewidmet und ebensoviel
den letzten beiden Lebensjahrzehnten, wo allerdings allein die
Beschreibung des Sacco di Roma fast zwanzig Seiten beansprucht.
F. will in die Breite wirken und nicht Spezialforschung treiben.
Daher verzichtet er auf gelehrte Auseinandersetzungen und auf
den üblichen Anmerkungsapparat. Dieser Mangel wird zum Teil

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ausgeglichen durch ausführliche bibliographische Hinweise (S. 653
bis 667). Wertvoll für den Leser sind auch eine Zeittafel (S. 549 bis
651), eine Übersicht über die Herrscher in Europa und in Deutschland
, ein Verzeichnis der Bildvorlagen sowie ein ausführliches
Register. Eine Vorsatzkarte zeigt Europa zur Zeit der Reformation.

F. stellt seinen Lesern einen Luther vor, der als Rebell begann
und als Reformator endete. Dem Rebellen gehören seine Sympathien
, dem Reformator begegnet er mit nachsichtigem Verstehen.
Luthers große Zeit waren die Jahre von 1517 bis 1525, vom Thesenanschlag
bis zum großen deutschen Bauernkrieg. Was vorher geschah
, war der Werdegang des Rebellen; was nachher kam, war
Resignation eines Gescheiterten. Die Eheschließung mit Katharina
von Bora „war seine letzte große Protesthandlung". Sie „bedeutete
zugleich schon eine Resignation. Sein Eingreifen in die
Welthändel hatte mit einer Katastrophe geendet, wie Luther deutlich
spürte" (S. 530). Die Schrift gegen Erasmus „zu Ende des
Bauernkriegs- und Schicksalsjahres 1525" „ist Luthers letzte bedeutende
Abhandlung" (S. 549). „Luther hat niemals mehr mit
solcher Konzentration und auf so hoher Warte gesprochen; er hat
auch keinen Gegner mehr gefunden, der ihm wie Erasmus solchen
Respekt abnötigte" (S. 556). Trotzdem: „Tiefe Resignation liegt als
Schatten über dem Buche" (S. 555). Auch von dem Luther auf der
Veste Koburg heißt es: „Im Grunde hatte er weitgehend resigniert
und es dem Freunde überlassen, die Verteidigungsschrift aufzusetzen
. Melanchthon wurde zunehmend der Sprecher der Protestanten
" (S. 598). Luther griff „mit widerspruchsvollen Mahnungen
aus der Ferne" ein (S. 599). Sein Humor ist ihm „fast abhanden
gekommen" (S. 607). Luther „ist resigniert geworden bis fast zur
Zaghaftigkeit" (S. 625). Auch aus Luthers letzten Zeilen: „Wir sind
Bettler, das ist wahr" scheint F. Resignation herauszulesen (S. 647).

Die Grundkonzeption F.s ist nicht neu, wenn auch die Verarbeitung
der Details originell ist. Überzeugend ist F.s Lutherbild nicht.
Sicher wird F. viele Leser, besonders solche, die Luther wenig
kennen, durch seinen glänzenden Stil bestechen. Aber sobald man
etwas genauer hinsieht, bleibt er uns die Antworten schuldig.
F. will Luther als Rebellen zeichnen, und zwar als Rebellen in
einer Zeit, in der viele an den gesellschaftlichen Zuständen scharfe
und schärfste Kritik übten. Aber warum wurde gerade Luther ihr
Wortführer? Warum nicht einer von den anderen? F. sagt: „Nichts
lag Luther ferner, als ein Rebell zu werden. Er war eine von
Grund auf konservative Natur und ist das in vieler Beziehung
stets geblieben" (S. 129). „Aber er lebte in einer rabiaten, rebellischen
Zeit und wurde ihr größter Sohn, ein Umstürzler, wie ihn
die Welt kaum je gesehen hatte" (S. 129 f.). Wodurch? Er war
„kein großer Systematiker, was oft genug bemerkt worden ist. Er
las mit Gefühl, mit Leidenschaft, was ihn .ansprach'" (S. 66). Doch
Gefühl und Leidenschaft hatten auch andere, etwa Ulrich von
Hutten. Überzeugte Luther vielleicht durch das Neue, was er zu
sagen hatte? Gewiß, er hat seine Gedanken nicht in einem schulmäßigen
System vorgetragen, aber Stoßkraft konnten sie nur
haben, wenn sie zielgerichtet und in sich zusammenstimmend
waren. F. jedoch sagt: „Das .allein mit Gott' ist schon die innerste
Zitadelle seines Glaubens; nur da fühlt er sich ganz sicher, wenn
er auch ständig seine Anfechtungen bestehen muß. Sobald er
heraustritt vor die Welt, um zu verkünden, was auch für ihn eine
unbedingte Forderung bedeutet, wird er unsicher und laut; er
schreit oft, bereut dann seine Übereilung und Heftigkeit, gar nicht
selten bis zum Extrem, widerruft unbedenklich kühn Gesagtes und
das macht seine Schriften so widerspruchsvoll und auch anfällig
für die verschiedensten Auslegungen" (S. 221). Sind die Zeitgenossen
denn durch Luthers Lautstärke über seine Unsicherheit hinweggetäuscht
worden? Oder hat er vielleicht durch besonders
kluge politische Ratschläge gewirkt? O nein! „Wir müssen immer
wieder seine Unwissenheit in weltlichen Dingen betonen" (S. 175).
„Der weltfremde und unpolitische Luther" (S. 612) sticht deutlich
ab von dem Politiker Zwingli. „Luther ist nur und ausschließlich
der religiöse Kämpfer" (S. 611). Aber wie dieser religiöse Kämpfer
einen weltgeschichtlichen Durchbruch erzielen konnte, darauf bleibt
uns F. die Antwort im Grunde schuldig. Vielleicht war Luther
v/eder so konservativ noch so unsystematisch noch so unsicher
und so voller Widersprüche noch auch so weltfremd, wie F. will
(immerhin war er weit in der Welt herumgekommen und hatte
keineswegs nur in seiner Klosterzelle oder seiner Studierstube
gesessen).

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 7