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Ausgabe:

1968

Spalte:

519-521

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Breuning, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die hypostatische Union in der Theologie Wilhelms von Auxerre, Hugos von St. Cher und Rolands von Cremona 1968

Rezensent:

Molnár, Amedeo

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519

Theologische Litcraturzcitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 7

520

von Kidds „Documents illustrative of the history of the Church"
bzw. der Neubearbeitung von Stevenson11 in möglichst unmittelbaren
Kontakt mit der behandelten Zeit und ihren hauptsächlichsten
Erscheinungen zu bringen - oder aber sich ganz auf die
Herausarbeitung des paradigmatischen Charakters der alten Kirchengeschichte
zu konzentrieren (missionarische Durchdringung
fremder Kulturen, Auseinandersetzung zwischen Glauben und Denken
, Widerstreit zwischen Weltverneinung und Weltverantwortung,
Grundlegung des Dogmas usw.). Hierbei hätte sich Verfasser zunutze
machen können, daß sich die Entwicklung, geistesgeschichtlich
gesehen, heute einem Punkt zu nähern scheint, dem vergleichbar
, an dem sich die alte Kirche vor der vor allem von Augustin
und den Kappadokiern erarbeiteten Synthese von Christentum und
Piatonismus befand, was auch die Versuche der „Vorgänger" -
Justin, Klemens, Origenes u. a. m. - in einem etwas anderen
Licht erscheinen läßt, als es der klassischen protestantischen Dogmengeschichtsschreibung
entspricht.

Göttingen Adolf Martin Ritter

3 J. Stevenson, „A New Eusebius: Documents illustrative of the history of the
Church to A. D. 337", und „Crceds, Councils und Controversies: Documents illustrative
of the history of the Church A. D. 337-461", London (S. P. C. K.) 1966.

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Breuning, Wilhelm, Dr. theol.: Die hypostatische Union in der
Theologie Wilhelms von Auxerre, Hugos von St. Cher und Rolands
von Cremona. Trier: Paulinus-Verlag 1962. XXVIII, 476 S.
gr. 8° = Trierer Theologische Studien, 11. Bd. Kart. DM 54,-.
Die theologische Literatur der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts
liegt immer noch zum größten Teil in Handschriften begraben
und ist wenig erforscht. Doch handelt es sich um eine
theologiegeschichtlich höchst interessante Zeitspanne, innerhalb
deren wichtige Entscheidungen für die weitere Entwicklung gefällt
wurden. Eine an ältere Arbeitsmethoden anknüpfende Gruppe
von Theologen begnügte sich damals, das Erbe des Petrus Lom-
bardus aufrechtzuerhalten, eine zweite zog die philosophische
Argumentation in den Dienst ihrer eigenen theologischen Spekulation
ein. Die vortreffliche Studie von W. Breuning greift drei
Vertreter dieser zweiten Richtung heraus, um ihrer Lehre von der
hypostatischen Union quellenmäßig nachzugehen. Wir werden so
in die christologische Mitte der Theologie Wilhelms von Auxerre
(t 1231), Hugos von St. Cher (f 1263) und Rolands von Cremona
(f ca. 1259) eingeführt, und zwar unter steten Rückblendungen
in bezug auf die christologische Entwicklung seit den fünfziger
Jahren des 12. Jahrhunderts. Das macht die Lektüre zwar immer
belehrend, aber problemgeschichtlich um so unübersichtlicher, da
sich der Verfasser an die Aufbauschemata der behandelten Hauptwerke
der drei Theologen halten zu sollen glaubte. Es sei gleich
gesagt, daß er dadurch einen wichtigen Beitrag zur theologischen
Literaturgeschichte leistete, der auch deshalb schätzenswert ist, weil
er auf beinahe 200 Seiten im Anhang des Werkes (S. 285-476) im
Zusammenhang Texte bietet aus dem 3. Buche der Summa Wilhelms
, des Sentenzenkommentars Hugos und der Summa Rolands,
mit je einem Auszug zum Personenbegriff aus dem 1. Buch der
betreffenden Opera.

An Wilhelms Lehre von der hypostatischen Union wird deutlich
, wie sehr der Pariser Professor von der Heilsgeschichte ausging
. Von den drei christologischen Lösungsversuchen des Lom-
bardus, der Theorie von einem zweifachen Sein in Christus, der
anderen, die nur von einem einzigen Sein Christi wissen will,
und der dritten, der zufolge die göttliche Person in Christus Leib
und Seele angelegt hätte, entscheidet sich Wilhelm eindeutig für
die zweite, die Subsistenztheorie. Diese erlaubt es, die Vereinigung
von Sohn Gottes und Fleisch als ein Proprium des Sohnes zu verstehen
, der da vom Vater gegeben wurde, um deutlich zu machen,
daß Gott uns nicht mehr lieben konnte. Jedoch innerhalb der
Trinität nimmt die menschliche Natur nur der Sohn an sich in
seiner Personalität, also eben in dem, was ihn von den anderen
zwei Trinitätspersonen unterscheidet. Indem das christologische
Vereinigtsein nicht etwas über die göttliche Wesenheit, sondern
allein etwas über die Person des Sohnes aussagt, entfernt sich
Wilhelm nicht nur von einigen seiner unmittelbaren Vorgänger,

sondern besonders von der einstigen alexandrinischen Fassung der
einen fleischgewordenen Natur des Logos. Demgegenüber ist er
der Auffassung des Porretanus nähergerückt. Ist auch Wilhelm mit
seiner Subsistenztheorie nicht in allem originell und übernimmt
er bei der juristischen Lösung der Nicht-Personalität der menschlichen
Natur Christi das Gedankengut Präpositins, so hat er doch
den zweiten Lösungsversuch des Lombardus am konsequentesten
durchgeführt.

Hugos Christologie hält sich in ihrer Gliederung enger an die
Sentenzen des Lombardus, aber Wilhelm von Auxerre wird hier
zur literarischen Hauptquelle, wie Kilian Lynch 1953 gezeigt hat.
Auf dem spezifischen Gebiet der Christologie fehlt es bei Hugo
an einer Auseinandersetzung mit dem vordrängendem Aristotelis-
mus, wenn auch Aristoteles bei Erörterung metaphysischer Fragen
in Anspruch genommen wird. Man wird diese Feststellung berücksichtigen
müssen auch im Blick auf die allgemeinere Frage des
Verhältnisses der Theologie zur Philosophie. Soteriologische
Gründe patristischen Ursprungs beantworten bei Hugo die Frage,
warum der Sohn eine menschliche Natur annahm. Der Besitz dieser
menschlichen Natur macht das Proprium des Sohnes aus. Dieser
ist dem Fleisch durch sich selbst unmittelbar vereint. Das Personsein
wird aber von Hugo als etwas Akzidentelles aufgefaßt, so
daß die Gefahr droht, die hypostatische Union in einem etwas zu
sehen, das der menschlichen Natur akzidentell ist. „Nach dem Problem
, welche Klammer die menschliche Natur mit der Person des
Sohnes verbindet, ist gar nicht gefragt" (S. 184). Wohl aber wird
von Hugo neu das Problem der philosophischen Definition der
menschlichen Natur gestellt und eine Antwort vorgeschlagen, die
in der Richtung dessen zu suchen wäre, wodurch einer zum Menschen
wird. Durch Annahme und Verteidigung der christologischen
Subsistenztheorie half auch Hugo ein Christusbild zu festigen,
das die Einheit in Christus stark betont. Sehr aufschlußreich demonstriert
Breuning an Hugo die Tatsache, daß „nicht nur das
Eindringen des neu entdeckten Aristoteles in die Theologie eine
große Wende geschaffen hat, sondern daß auch schon eine Wende
notwendig war, um den neuen Aristoteles aufzunehmen" (S. 214).

Rolands christologischcr Aufbau weist nach des Verfassers Dar-
stellungen eine ganze Reihe neuere Themen auf, ohne den Themenkreis
des Lombarden und des Wilhelm von Auxerre unaus-
genützt zu lassen. Die Wendung zur aristotelisch gefärbten Metaphysik
ist bei Roland bewußt und stützt sich auf die Voraussetzung
, daß von einem gewissen Punkt an die Theologie sich in
ihrer Methode von den anderen Wissenschaften nicht unterscheidet.
Dieser Punkt ist dann erreicht, wenn man aus Glaubenssätzen mit
Hilfe der Dialektik neue Schlußfolgerungen zu ziehen gewillt ist.
Treu diesem Ansatz macht sich Roland zwar die Subsistenztheorie
zu eigen, äußert aber Bedenken gegenüber dem juristischen Personenbegriff
, mit dem diese Theorie bisher gearbeitet hatte. Wilhelm
wie Hugo hatten die Frage nach der Pcrsonhaftigkeit Christi
abgelehnt, indem sie meinten, das niemand als Mensch, sondern
nur als menschliches Individuum Person sein könnte. Nach Roland
bewirkt die menschliche Natur zwar kein personales Sein in Christus
, aber bei allen anderen Menschen bewirkt ihre menschliche
Natur auch, daß sie Person sind. Allein, als der Mensch Jesus ist
Christus doch Person. Seine „Jesuität" ist die mit den Akzidentien
bekleidete Personalität des Sohnes Gottes. Die Rolandsche Lösung
fußt „auf der Überzeugung, daß das Individuum Jesus nicht nur
durch seine individuellen menschlichen Eigenschaften bestimmt
ist, sondern dadurch, daß er der Gott-Mensch ist" (S. 275). „Bei
allen anderen Menschen wird dieser personale Seinsmodus dadurch
begründet, daß Gott die Existenz des Menschen wirkt, indem
er Leib und Seele verbindet. Die Existenz Christi als Mensch
wurde aber dadurch begründet, daß Leib und Seele mit der Person
des Sohnes Gottes vereint wurden" (S. 277).

Es liegt in der Natur der scholastischen Methode, daß auch die
drei hier behandelten Theologen nur durch eine Fülle von Einzelfragen
zu ihrem Zentralproblem schrittweise vorrücken. Alle diese
Einzelfragen werden vom Verfasser sorgfältig verfolgt, so daß der
bereits traditionelle Fragenkomplex der scholastischen Christologie
recht plastisch zum Vorschein kommt. Ein orientierendes Schlußwort
hilft dazu, „daß man trotz so vieler Bäume den Wald noch
sieht" (S. 284). Die Ergebnisse der Arbeit zusammenfassend, kann
man sagen: Gegen Ende des ersten Drittels des 13. Jahrhunderts
hat sich die Christologie zu einem verhältnismäßig einheitlichen