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Ausgabe:

1968

Spalte:

496-498

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rietzschel, Claus

Titel/Untertitel:

Das Problem der Urrolle 1968

Rezensent:

Wagner, Siegfried

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Seite 1, Seite 2

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Die als Archäologin rühmlichst bekannte Verfasserin hat den
reichen archäologischen Stoff in Form einer geschichtlich-kulturgeschichtlichen
Überschau dargeboten. Das Buch liest sich gut,
flüssig und außergewöhnlich interessant, indem nicht nur der
Stoff, sondern vor allem eine Einführung in die vielschichtige
archäologische Problematik geboten werden. Die Besonderheit der
Schau der Verfasserin wird deutlich etwa in dem Kapitel über die
„proto-urbane Periode" (Kapitel IV, S. 84 ff.) oder in dem Kapitel
VI „Das Erscheinen der Amoriter" (S. 133 ff.), in dem die Verfasserin
ausführlich darlegt, aus welchen Gründen sie zwischen
Ende der Frühbronzezeit und der Mittelbronzezeit ein Übergangsstadium
„Frühbronze-Mittelbronze" einlegen möchte, eine These,
die sie schon in ihrem Buch „Amorites and Canaanites" (siehe
ThLZ 92, 1967 Sp 581 meine Besprechung) ausführlich begründet
hat. Die historischen Urteile, die die Verfasserin in Verbindung
mit einer literarischen Überlieferung, sofern eine solche zur Verfügung
steht bzw. stehen kann, fällt, sind weder übereilt noch unvorsichtig
, sondern klug und abgewogen, so daß man sich ihr in
der vorsichtigen Abwägung von Für und Wider gern anschließen
wird.

Der Ausgräberin von Jericho wird man es nicht verdenken
können, daß sie die Vor- und Frühgeschichte Palästinas besonders
gründlich darstellt. Das Kapitel über „Die Stadtstaaten der Frühbronzezeit
" beginnt mit Seite 100. Rund 76 Seiten, etwa ein Viertel
des Buches, sind der Vorgeschichte gewidmet, und hier liegt nach
meinem Dafürhalten der besondere Wert des Buches. Eine solche
gedrängte und doch anschauliche Darstellung der Vorgeschichte
Palästinas ist wesentlich für den Theologen, für den in der Regel
die Geschichte Palästinas erst mit der zweiten Hälfte der Mittelbronzezeit
interessant zu werden beginnt, denn hier geht es um
die Anfänge der Menschheit überhaupt. Für eine Neuauflage wäre
eine schematische Übersicht über die angenommenen Zeitabschnitte
innerhalb des großen Zeitraumes der Vorgeschichte wünschenswert.

Die innerhalb der Darstellung befolgte Methode der Verfasserin
besteht darin, daß sie jeweils nach den einzelnen Zeitabschnitten
auf die verschiedenen Schichten der wirklich sachgemäß ausgegrabenen
und sachgemäß referierten Ortslagen Bezug nimmt und
Querverbindungen zwischen den einzelnen Schichten in historischer
Hinsicht herstellt. Ob Jericho nun in seinem präkeramisch-
neolithischen Zustand als Stadt angesprochen werden kann, bleibt
freilich eine Frage, da die Spezialisierung in bestimmte Handwerke
, deren Vertreter von den anderen erhalten werden müssen,
sich nicht nachweisen läßt. Auch vom Handel, der für eine Stadt
typisch ist, läßt sich nichts feststellen. So wird man de Vaux in
seiner vorsichtigen Zurückhaltung gegenüber dem Begriff „Stadt"
für das älteste Jericho in diesem Zusammenhang vielleicht zustimmen
müssen.

Diese Methode, in der Regel nur solche Grabungsstätten als
Grundlage der Darstellung zu wählen, die bereits im wesentlichen
abgeschlossen sind, bedingt natürlich auch gewisse Grenzen.
Neuere Ausgrabungen, die schon große Bedeutung erlangt haben,
wie z. B. die Grabungen auf teil 'arad, sind nicht mehr berücksichtigt
worden, desgleichen nicht Mazars Ausgrabungen von Engcdi.
Auch die Grabungen auf teil esdüd und teil der-'alla sind nicht
mehr erwähnt worden. Hier hätte die deutsche Bearbeitung vielleicht
durch Literaturhinweise dem Buch eine notwendige Erweiterung
verleihen können. Die Papyrusfunde im wädi dalije
sind nicht zur Sprache gekommen. Auch Maders Grabungen in
rämet cl-chalil, so negativ sie für die Frühzeit sind, hätten eine
Erwähnung verdient wie auch die begonnenen amerikanischen
Ausgrabungen von Hebron auf dem dschebel er-rumöde (Hyksos-
Wall!). Aber bei der rasch arbeitenden Palästina-Archäologie wird
jedes Buch bei seinem Erscheinen nicht mehr alles Neue bieten
können, insbesondere wenn es sich um ein anderssprachiges Werk
handelt, das erst übersetzt werden mußte.

Lobend muß noch hervorgehoben werden, daß die Verfasserin bei
Besprechung der Lachisch-Briefe auch ausführlich die Interpretation
von Prof. Torczyner, Jerusalem, erwähnt hat. Seite 125 wird
eine glänzende Einführung in die relative und absolute Chronologie
der frühbronzezeitlichen Keramik Palästinas dargeboten.
Studenten der Archäologie können dieses Buch einer erfahrenen
Archäologin, die sich als Feldarchäologin einen großen Ruf erworben
hat, als Lehrbuch der Palästina-Archäologie benutzen, ehe
sie an das Studium der großen Grabungsberichte herangehen.

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Nur ein Versehen ist mir aufgefallen. Räs el-'en im Quellgebiet
des Yarkon-Flusses liegt nicht südwestlich, sondern nordwestlich
von Jerusalem (S. 115). Aber das ist das einzige sachlich
feststellbare Versehen in einem Buch, aus dem sehr viel Sachliches
und Methodisches gelernt zu haben der Rezensent hier gern
dankbar bekennen will.

Leipzig Hans Bardtke

Rietzschel, Claus: Das Problem der Urrolle. Ein Beitrag zur
Redaktionsgeschichte des Jeremiabuches. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn [1966]. 142 S., 1 Falttaf. gr. 8°.
Lw. DM 12,80.

Die im Sommersemester 1964 in Münster als Dissertation angenommene
Arbeit hat sich viel vorgenommen. Ihr ist es eigentlich
nicht primär um das Spezialproblem der Urrolle zu tun, sondern
vielmehr um die im Untertitel angedeutete Redaktionsgeschichte des
Jeremiabuches, bei deren Analyse dem Autor gleichsam als reife
Frucht, freilich nur als eine unter anderen, die Herausarbeitung
der Urrolle (S. 127-136) in den Schoß fällt. Zunächst durchmustert
Claus Rietzschel die Forschungsgeschichte nach Lösungsversuchen
zum Problem der Urrolle (S. 9-24). Aber die bisher unter literar-,
Stil- und quellenkritischen Gesichtspunkten vorgenommenen
Untersuchungen gehen in ihren Ergebnissen so weit auseinander,
daß befürchtet werden muß, die Rekonstruktion des Ur-Jeremia
aus dem Bestand des jetzigen kanonischen Prophetenbuches sei
überhaupt nicht mehr möglich. Demgegenüber versucht R., metho-
tisch einen neuen Weg zu beschreiten, den der redaktionsgeschicht-
lichen Analyse. Er hofft, auf diesem Wege die Urrolle im heutigen
Jeremiabuch namhaft machen zu können. Doch bis dahin ist eine
lange Strecke zurückzulegen.

Zur exemplarischen Durchführung seiner Methode wählt der
Verfasser den Komplex der Fremdvölkerorakel (Kap. 46-51), zu
deren Untersuchung er - der LXX-Version folgend - Kapitel 25
hinzuzieht (S. 25-90). Zunächst steht dieses ganz im Vordergrund
seiner Abhandlung. In 25, 1-14 will R. noch die Spuren von vier
Redaktionsstufen verfolgen können (S. 25). Die erste möchte er
im Grundbestand der Verse 1 bis 11 wiedererkennen, die als levi-
tische Predigt aus der Zeit unmittelbar nach 587 v. Chr. (im Sinne
von E. Janssen, Juda in der Exilszeit) definiert werden (S. 36). Die
Verse 12 bis 13a (b) stellen einen Nachtrag zur deuteronomistisch
gefärbten Prosarede dar und verklammern diese redaktionell mit
dem Orakel gegen Babylon. Dieser Vorgang gilt als zweite Redaktionsstufe
, deren zeitliche Ansetzung ungewiß ist, möglicherweise
aber um 539 v. Chr. liegt (S. 42). Bezeichnet R. 25, 1-11 als
„Überlieferungsstück", so wird das aus der zweiten Redaktionsstufe
hervorgegangene Literaturcorpus „Überlieferungskomplex"
benannt. In der dritten Redaktionsstufe wird zwischen Prosatext
und Babylonorakel eine selbständige Sammlung von Fremdvölkersprüchen
eingeschoben (S. 47), die in sich einen „Überlieferungskomplex
" darstellen (S. 49) und nun mit all den anderen Materialien
zu einem „Überlieferungsblock" zusammengefügt sind. Er
enthält folgende Abschnitte: 25, l-13b (c); 46, 1-49, 33; 49,
34- 39; 50, 1-51, 64; 25, 15-38 (S. 50). Die Becherperikope unterzieht
R. einer eigenen Analyse (S. 61 ff.), aus der er Anhaltspunkte
für die Bestimmung von Zeit und theologischer Zielsetzung der
Redaktion innerhalb des Überlieferungsblockes zu gewinnen sucht
(S. 61 ff.). Die Verse 25, 18-26 zeigen sich nämlich als Komposition
aus zwei Listen, einer Völkerliste (terminus a quo 582 v. Chr.)
und einer Königsliste (zwischen 521 und 517 v. Chr.) (S. 64 ff.).
Wenn nun die Becherperikope der originale Schluß des Überlieferungsblockes
ist, wie R. annimmt (S. 77), dann darf der Redaktor
als Zeitgenosse des Darius betrachtet werden, dem es
darum zu tun war, zu zeigen, „wie zielstrebig die Weltgeschichte
seit dem Untergang von Juda und Jerusalem verlaufen war", und
wie alles eingetroffen ist, was Jeremia vorausgesagt hatte: Strafgericht
über Jerusalem, Untergang der syrisch-palästinensischen
Staatenwelt, Zerfall des Babylonischen Reiches, Aufkommen der
Perser, „und nun auch die Wirren der Endzeit, in die seit dem
Ägyptenfeldzug des Kambyses immer mehr Völker der weiten
Erde hineingerissen wurden" (S. 79).

Zur Erfassung der vierten Redaktionsstufc untersucht R. den
Tatbestand, daß die Fremdvölkersprüche in der LXX zwar im
Gegensatz zum masoretischen Text (= MT) an der ursprünglichen

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 7