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Ausgabe:

1968

Spalte:

27-30

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Eichrodt, Walther

Titel/Untertitel:

Der Prophet Hesekiel 1968

Rezensent:

Reventlow, Henning

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 1

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Eichrodt, Walter: Der Prophet Hesekiel. Kapitel 1-18 u.
19-48 übers, u. erklärt. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1959/66. V, 158 S. u. V, S. 159-421, 37* S. gr. 8° = Das Alte
Testament Deutsch. Neues Göttinger Bibelwerk, hrsg. v.
A. Weiser, Bd. 22,1 u. 2. Kart. DM 6.-; Lw. DM 8.60 u.
DM 11.80; Lw. DM 14.80.

Nachdem der erste Band der Hesekiel-Auslegung W. Eichrodts
(umfassend die Auslegung von Kapitel 1-18) bereits sieben
Jahre in den Händen der Leser war, wird nun in einem
2. Bande mit der Behandlung der restlichen Kapitel die Auslegung
des Buches abgeschlossen. Mit Recht ist mit der Besprechung
der Arbeit in der ThLZ auf das Erscheinen des 2. Bandes
gewartet worden, zumal erst hier in der Form eines Anhanges
(1* - 37*) unter der Überschrift „Der Prophet Hesekiel und
sein Buch" die grundsätzlichen Fragen des Buches zusammenfassend
besprochen werden.

Es ist sehr zu begrüßen, daß mit der Fertigstellung dieses
Werkes ein dritter wichtiger deutschsprachiger Kommentar neben
die bereits vorliegenden von G. Fohrer1 und W. Zimmerli2
(noch unvollendet) tritt. Charakteristisch für den heutigen Stand
der Ezechiel-Forschung ist es, daß W. Eichrodt ähnlich wie
G. Fohrer und W. Zimmerli im Hinblick auf die historischen
Probleme des Auftretens und Wirkens des Propheten zu einem
konservativen Standpunkt zurückkehrt. Die Situation hat sich
damit gegenüber der vor 30 Jahren grundlegend gewandelt.
Damals war sogar die überwiegende Mehrheit der Forscher
geneigt, den eigenen Angaben des Buches weder im Hinblick
auf den Ort des Auftretens des Propheten noch im Hinblick
auf die Zeit seines Wirkens Glauben zu schenken. So kam es
einmal zu der Auffassung des Buches als eines Pseudepigraphs
aus wesentlich jüngerer Zeit (Torrey, Messel, Browne, van den
Born) oder zu den verschiedenen Thesen, zumindest den Wirkungsort
Ezechiels ganz oder teilweise zu verlegen. Mehrfach
Nachfolge hat vor allem Herntrich mit seiner Annahme gefunden
, daß Ezechiel in Wirklichkeit ausschließlich in Jerusalem
gewirkt habe und erst nachträglich von einem Redaktor in die
babylonische Golah versetzt worden sei. Modifiziert wurde diese
Auffassung vor allem von Bertholet, der einen doppelten Wirkungsort
des Propheten zunächst in Jerusalem (mit der „Buch-
rollen vision* 2,3-3,9 als dazugehöriger Beauftragung) und
erst anschließend in Babylonien (mit der dazugehörigen „Thronwagenvision
" 1,4-2,2) annahm. Inzwischen ist die Erkenntnis
gewachsen, daß derartige Operationen nur einen Teil der
scheinbaren Anstöße des Buches beseitigen können, auf der anderen
Seite jedoch neue, nun unlösbare Schwierigkeiten auftürmen
. Eichrodt kehrt deshalb zu der traditionellen Auffassung
zurück, daß die eigenen Angaben des Buches über Wirkungszeit
und Wirkungsort des Propheten als zuverlässig anzusehen
sind (S. l*-9*). Man wird dieser Erkenntnis als der einzigen,
die eine befriedigende Lösung der Schwierigkeiten des Buches
bringt, dankbar zustimmen können. Das Hauptbedenken der
Vertreter einer Verlegung des Wirkungsortes Ezechiels nach
Jerusalem, daß sich nämlich der Prophet vor 587 fast ausschließlich
mit dem Schicksal dieser Stadt und nicht mit dem der Exulanten
beschäftige, fällt mit der bereits mehrfach betonten Erkenntnis
dahin, daß das Schicksal Jerusalems und seines Tempels
als des Mittelpunktes der Jahwe-Verehrung auch für die
Exulanten, vor allem im Hinblick auf eine noch immer erhoffte
Rückkehr nach Palästina, seine entscheidende Bedeutung behielt
. Diese Situation änderte sich erst mit der endgültigen Einnahme
und Zerstörung der Stadt durch Nebukadnezar. Hiermit
beginnt auch eine neue Periode in der Wirksamkeit Ezechiels.
Nach den eigenen Angaben des Buches ergibt sich also, daß der
Prophet Ezechiel im Jahre 594 v. Chr. im Babylonischen Exil
berufen wurde, in das er mit der ersten Deportation unter
König Jojachin, 598 v. Chr., gekommen war (1,1-3)3 und
daß er dort mindestens bis 571 v. Chr. (29,17) gewirkt hat.

') G. Fohrer, Ezechiel. Mit einem Beitrag von G. Galling, (Handbuch i. AT).
Tübingen 1955.

*) W. Zimmerli, Ezechiel. (Bibl. Komm. z. AT). Neukirchen 1956 ff.
') Das rätselhafte .30. Jahr" 1,1 wird In einer allerdings zweifelhaften Weite
wieder auf das Lebensalter des Propheten bei seiner Berufung gedeutet.

Konservativ ist auch die Auffassung über die Entstehung
des Buches. Eichrodt ist der Meinung, daß der als echt nachzuweisende
Text (s. u.) in der Hauptsache von dem Propheten
selbst schriftlich niedergelegt worden ist (S. 10*); ja, daß er
selbst schon Sammlungen seiner Worte veranstaltet hat (S. 14*f.).
Hierfür sind vor allem die Daten wichtig, von denen eine zusammenhängende
Reihe die gesamte Wirksamkeit von der Berufung
(1,1 f.) bis zu den Visionen vom neuen Tempel (40 f.)
in Form eines Selbstberichtes umfaßt. Daneben steht eine ebenfalls
datierte Reihe von Fremdvölkerorakeln (Kp. 26-32). Hier
werden Beobachtungen von Rabenaus und Eißfeldts übernommen
. Dazu gehört auch die schon ältere Erkenntnis, daß sich
die Daten nur auf das jeweils unmittelbar folgende Stück beziehen
. Eichrodt ist aber doch der Meinung, daß auch noch
weitere nicht datierte Stücke ähnlichen Charakters (wie 37,1 f.;
12,1 f.; 37,15f.; Kp. 6; 36,1-15; 14,1-11; 24,15-27; Kp. 33)
zu dieser '..Denkschrift" Ezechiels gehört haben. Aber auch
außerhalb dieser „Denkschrift" sind echte Stoffe Ezechiels überliefert
worden, z. B. Kp. 13,18; 33,10-20; 16; 23; 21; 22; 15; 17
(wobei die Grenzen des Echten fließend bleiben). Ihre Einordnung
in das jetzige Buch geht auf eine Redaktion zurück, die
außerdem die Fremdvölkerorakel zwischen 24,26 f. und 33,21
einschob, mehrfach Stücke aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang
herausriß (z. B. 3,24-26 und 4,4-8 von ihrer ursprünglichen
Stelle in Kapitel 24 und 3,16b-21 aus 33,7-9)
und schließlich auch für die Hinzufügung verschiedener „unechter
" Ergänzungen verantwortlich gemacht wird. Als letzter
Schritt kommt dann noch die bekannte späte Dreiteilung des
Buches in Gerichtsreden über Israel (Kt>. 1-24), Fremdvölkerverkündigung
(Kp. 25-32) und Heilsverkündigung (Kp. 33 - 48)
hinzu.

In all diesem werden heute vielfach anerkannte Positionen
vertreten. Auch der Erkenntnis, daß der Ezechiel-Text an verschiedenen
Stellen durch nachträgliche Zusätze ergänzt worden
ist, wird man grundsätzlich zustimmen können (vgl. bes. S. 32*).
Über den Umfang solchen sekundären Materials kann man
allerdings verschiedener Meinung sein. Daß solche Ergänzungen
größeren Ausmaßes z. B. in Kp. 40-48 vorliegen, ist allgemein
anerkannt. Aber auch im übrigen Buch heben sich vielfach
spätere Erweiterungen deutlich heraus. Nicht gerechtfertigt erscheint
mir dagegen die Unechterklärung der gesamten Gog-
Perikope, Kp. 38-39 (in der Eichrodt früheren Auslegern wie
Herrrmnn, Hoelscher. Cooke folgt). Offensichtlich hst diese
Frophetie zu mannigfachen späteren Erweiterungen Anlaß qe-
geben. Aber für den Grundbestand wird man sich doch dem
Urteil Zimmeriis anschließen müssen: „Wirklich zwingende
Gründe, das Wort von Gog in seiner ursprünglichen Fassung
dem Propheten Ezechiel . . . abzusprechen, wird man nicht vorbringen
können."4 Seinen traditionsqeschichtlichen Hintergrund
wird man in der mythischen Vorstellung vom „Feind aus dem
Norden' (vgl. Jer. 4-6, Zeph. 1) sehen müssen, seinen historischen
Ort findet es am besten in der Snätverkündiqung Ezechiels
. Bei der Beqründunq seiner Annahme eines Einschubes
dieser Kapitel scheint Eichrodt zudem das literarische Prinzin
zu überspitzen, indem er von einer „Zerreißung des Zusammenhanges
zwischen 37,28 und 40 f. durch Kp. 38 und 39" spricht
(S. 364) Steht hier die alte Auffassung Smends noch irgendwie
im Hinterqrund, daß Ezechiel das Buch „in einem Zuge niedergeschrieben
" habe? Indem man der Redaktion einen größeren
Anteil bei der Anordnung der Stoffe zubilliqt, wird ihr
Recht auf Urheberschaft entsprechend geringer. Auch der Sonderthese
Eichrodts, daß alle Erwähnungen des Sabbatgebotes
in Kp. 20 u. a. sekundär seien5, wird man mit Fragen qegen-
übertreten müssen.

Dies führt schon auf das Urteil über die Person und Botschaft
Ezechiels. Hier steht Eichrodt in der Nachfolge derer,
die seit Wellhausen das Hauptproblem der Person Ezechiels in
dem Nebeneinander und der Spannung zwischen den beiden
Lebenskreisen des Priesters und des Propheten sehen. Das
starke Auftreten priesterlicher Denk- und Redeformen in der

«) A.a.O., S. 946.

5) Vgl. auch Lex tua veritas, 1961, S. 65 ff.