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Ausgabe:

1968

Spalte:

487-491

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kaftan, Theodor und Julius

Titel/Untertitel:

Kirche, Recht und Theologie in vier Jahrzehnten 1968

Rezensent:

Trillhaas, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 7

488

als Bruch empfunden haben. Kein Wunder, daß Ostern sogar traditionsgeschichtlich
in den genannten Überlieferungen zunächst
kaum eine Rolle gespielt hat. Ein empfindliches Desiderat der
Forschung ist es, daß wir die Begrifflichkeit dessen, was wir
pauschal Osterglauben nennen, nicht scharf genug an den Nuancen
des Stoffes ausrichten.

Die Annahme eines Osterbruches hatte einen theologischen Reiz
eigener Art. Sie erlaubte, überspitzt gesagt, die Behauptung, der
Mensch Jesus sei durch den Osterglauben zum Gottessohn adoptiert
worden. So wurde die liberale Hypothese wenigstens noch
in die eigene philologische Methode hineingerettet. Nun wird niemand
bestreiten, dafj zwischen den verschiedenen Christologien
ein Bruch konstatiert werden kann, indem die einen Jesus als
Mensch besonderer Begabung und die anderen als eine Person
ansprechen, die mehr auf die Seite Gottes gehört. Aber mir gelingt
es nicht mehr, diesen Bruch im Osterdatum anzusiedeln. Ich
würde vielmehr mit Markus systematisch zwischen den Jesusbildern
des Unglaubens (Mark. 8, 27 f.) bzw. des Glaubens (v. 29)
differenzieren. Denn so viel ich sehe, besitzen wir für die Differenzierung
der Jesusbilder bis zur Stunde noch kein besseres
Kriterium als Markus.

d) Die mehrgliedrige christologische Formel.

Fragt man die bisherige kritische Forschung nach dem Recht
mehrgliedriger christologischer Formeln, so dürfte das negative
Urteil gewiß sein, diese seien als sekundäre Stufe der Entwicklung
am Älteren als ihrer Norm zu messen. Wenn man das Ältere
jedoch nur auf dem systematischen Wege gemeinsamen Bedenkens
mehrerer alter Formeln bestimmen kann, bieten sich für das Verständnis
der mehrgliedrigen Formeln neue Möglichkeiten an. Wie
nun, wenn diese Formeln den Prozeß einer ältesten systematischen
Vergleichung als deren Produkt begleitet hätten?

Die übliche Reduktion des christologischen Credos auf die
scheinbar älteste Formel „Jesus ist Kyrios" übersieht, um nur ein
Beispiel zu nennen: (a) dafj die ersten Creden der Urchristenheit
potentiell simplifizierende Versuche und kaum schon zeitlos gültige
Gefäße der Wahrheit waren, weil die erste Stunde vermutlich gar

nicht fähig war, die ganze Wahrheit zu erfassen; (b) daß die
Kurzformeln „Kyrios", „Gottessohn", „Menschensohn" usw. wahrscheinlich
in ältester Zeit nur Teile des Bedeutungsgehaltes gedeckt
haben, den diese Formeln in jüngeren Traditionsschichten
zeigen; (c) daß die Erweiterung des Bedeutungsgehaltes auf die
Aufnahme von Aspekten zurückzuführen ist, die ursprünglich
anderen Kurzformeln eigneten, und (d) daß Männer wie Paulus
oder Markus in dieser Hinsicht auf dem gleichen Wege sind, wenn
der Apostel zwar noch keine umfassende christologische Formel
kennt, wohl aber die meisten für das spätere Credo charakteristischen
Sätze als Teilformeln22, oder wenn der Evangelist die Bilder
vom wiederkommenden Hingerichteten und vom Wundermann
und vom Auferstandenen zu einem Gesamtbild Jesu zu vereinen
sucht. Die Tendenz dieser Entwicklung ist eindeutig: Man strebt
von den divergierenden Kurzformcln fort auf die mehrgliedrige
Formel und das einheitliche Gesamtbild Jesu zu. Da die Tendenz
aber von der Dissonanz weg zur bekenntnismäßigen Einheitlichkeit
strebt, auch wenn eine solche faktisch nicht erreicht worden
sein sollte, liegt die Folgerung nicht allzu weit ab, daß die Frage
nach der mehrgliedrigen Formel auf den Versuch zurückzuführen
ist, aus den Gemeindewurzeln (oder Urgemeindcn, wie man bisher
sagte) zu einer umfassenderen Kirchenbildung vorzustoßen. Daher
könnte das Motiv für die Umsetzung der Kurzformeln in mehrgliedrige
Bekenntnissätze der Wille gewesen sein, die glaubens-
mäßige Einheit der versprengten Anhänger Jesu zu suchen. Daß
man dabei eine gewisse Aufhebung dessen erzielte, was wir oben
die Flächigkeit der Jesusbilder nannten, mag uns auf das Recht
dieser Entwicklung aufmerksam machen. Ich möchte dem noch
hinzufügen, daß der Wille zur Einheit, den ich hinter der aufweisbaren
Entwicklungstendenz vermutungsweise erkenne, ein
Element ist, das meines Erachtens zu den verpflichtenden Momenten
der Auslegungsnorm gerechnet werden sollte.

22 Dem kommt auch das Ergebnis von W. Kramer, Christos, Kyrios, Gottessohn:
Untersuchungen zu Gebrauch und Bedeutung der christologischen Bezeichnungen bei
Paulus und den vorpaulinischen Gemeinden. 1963, nahe, der gelegentlich über die
vorpaulinische Bedeutungsgeschichte eines Titels bemerken kann (S. 189 f.), dafj „der
Gebrauch der Bezeichnungen im Laufe der Entwicklung an Präzision verloren" habe.

ALLGEMEINES

[K a f t a n , Theodor u. Julius:] Kirche, Recht und Theologie in vier
Jahrzehnten. Der Briefwechsel der Brüder Theodor und Julius
Kaftan, hrsg. u. kommentiert v. W. Göbell. I: 1891-1910. II:
1910-1926. München: Kaiser 1967. VII, 1001 S., 2 Taf. gr. 8°.
DM 62,-; Lw. DM 68,-.
Die Brüder Theodor und Julius Kaftan sind in der Erinnerung
des heute lebenden Theologengeschlechts ganz in den Hintergrund
getreten. Theodor, am 18. März 1847 in Loit bei Apenrade geboren,
wurde 1886 mit 39 Jahren Generalsuperintendcnt für Schleswig,
welches Amt er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1917, also
31 Jahre lang, führte. Er diente als Ruheständler dann noch jahrelang
der lutherischen Gemeinde Baden-Baden und starb, 85jährig,
am 26. November 1932. Er war einer der markantesten, ebenso
kräftigen wie theologisch besonnenen kirchlichen Führer, eine
bischöfliche Gestalt. Sein jüngerer Bruder Julius, am 30. September
1848 am gleichen Ort geboren, wurde unmittelbar nach seiner
Habilitation 1873 in Leipzig Professor in Basel und zehn Jahre
später, erst 35jährig, Ordinarius für systematische Theologie in
Berlin. Er gehörte der dortigen Fakultät in deren glanzvollster
Periode als Vertreter seines Faches neben Harnack, Schlatter, Holl,
Seeberg, Kleinen u. a. an. 1921 wurde Arthur Titius sein Nachfolger
. Kaftans Dogmatik erschien noch 1920 in 8. Auflage. Gleichzeitig
war Julius Kaftan seit 1904 Mitglied des Evangelischen
Oberkirchenrates, seit 1919 dessen Vizepräsident. Er starb am
27. August 1926.

Die beiden Brüder, altersmäßig nahe beisammen, der eine im
kirchenleitenden Amt, aber mit eigenen, geprägten theologischen
Vorstellungen und reicher literarischer Produktion, der andere
scharfsinniger, stark philosophisch orientierter Ritschlianer in
kirchenregimentlicher Funktion, wenn auch im Nebenamt, standen
miteinander in einem vereinbarungsgemäß geregelten Briefwechsel
. Der Reiz dieser Briefe, in dichter Folge verfaßt und nicht für
die Veröffentlichung bestimmt, liegt nun darin, daß die Verfasser

bei enger brüderlicher Verbundenheit in vielen Fragen verschiedener
, oft geradezu entgegengesetzter Meinung waren. Theodor
war bewußter Lutheraner bis in seine kirchenpolitischen Entscheidungen
über die schleswigischen Grenzen hinaus. Julius bekannte
sich entschieden zur preußischen Union. Theodor urteilte kirchlich-
pastoral im besten Sinne und hing dem Gedanken einer staatsfreien
Volkskirche an. Julius hingegen dachte unionistisch und in
Kirchenfragen demgemäß pragmatisch; seine Briefe erzählen aus
dem Alltag der kgl. preußischen Präsidenten, Wirklichen Geheimen
Räte, Generalsupcrtntcndenten, eine heute bis ins Vergessen der
Namen hinein untergegangene Welt. Theodor mißtraut in theologischen
Fragen den Liberalen, wo sie an die Fundamente kirchlicher
Lehre zu rühren scheinen, Julius ist hingegen anfangs bei
den Freunden der „Christlichen Welt", verkehrt mit deren einzelnen
Vertretern, z. B. A. Bonus, auch freundschaftlich, um sich
allerdings später zu distanzieren. Der Berliner Professor vermag
sich oft in das kirchliche Denken seines Bruders nicht einzufühlen
und begegnet ihm mit harter Kritik. Erstaunlich ist aufs Ganze
gesehen die beweglichere Art, in der der „konfessionelle" Theodor
den Erfordernissen der Gegenwart begegnet. Er studiert Troeltsch,
kennt und versteht ihn bereitwilliger als Julius. Diese grundsätzliche
Offenheit nimmt im Vergleich mit dem professoralen Bruder
sogar mit den wachsenden Jahren zu. Während Julius Kaftan
über Karl Barth geradezu wegwerfend kritisch urteilt, sieht der
alte Generalsuperintendent, der sich ins schlichte Pfarramt der
(freikirchlichen) lutherischen Gemeinde in Baden zurückgezogen
hat, in Barth und seinem Kreis geradezu einen heraufkommenden
Bundesgenossen seiner eigenen tiefsten Anliegen.

Der Briefwechsel, der unter solchen Umständen nirgends langweilig
wird, gibt natürlich Anlaß zu den mannigfachsten Beobachtungen
. Man kann nicht eigentlich sagen, daß man die Theologie
der beiden Männer aus den Briefen einfach ablesen kann. Ihre
ausgebreitete literarische Produktion, die überall im Hintergrund
steht und deren Kenntnis die Schreiber auf Gegenseitigkeit voraussetzen
, erschließt sich durch diese Briefe nicht; weder Theodor