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Ausgabe:

1968

Spalte:

470-472

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Renkewitz, Heinz

Titel/Untertitel:

Die Brueder-Unitaet 1968

Rezensent:

Schicketanz, Peter

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Seite 1, Seite 2

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Die historische Einordnung der Petrischen Schrift erfolgt durch
Holze mit dem Satz: „Pctris Schrift half der Missionsbewegung
dazu, sich als Lebensäußerung der Kirche, und half der Kirche, sich
als missionierende Kirche zu verstehen, und zeigt, wie von da
aus Kirche und Mission ihr Verhältnis zueinander zu ordnen hätten
" (S. 105). Es wird deutlich, dafj der Verfasser hierin nicht nur
ihren Platz in der Kirchcngeschichte sehen will, sondern auch
ihre aktuelle Bedeutung. So sehr es wünschenswert wäre, die Bei-
spiclhaftigkcit der hannoverschen Schrift aus dem Jahre 1841 festzustellen
, so sehr gewinnt man leider bei der Lektüre des Buches
von Holze den Eindruck, dafj dies eben bei Pctri nicht eigentlich
herauszuholen ist. Das würdigende und kritische Schlufjkapitcl
macht deutlich, dafj die wichtigsten Aussagen Pctris mehr das Verhältnis
von Mission und Bekenntnis betreffen als die Frage nach
der missionierenden Kirche. Vor allem aber werden im darstellenden
Teil das Profil der Gesprächspartner Petris und die Konturen
der „Missionswclt" vor und um Petri, besonders auch die außerhalb
Hannovers, zugunsten der Intention des Verfassers ein wenig
verzeichnet.

Die Frage des Verhältnisses von Kirche und Mission hat es
auch in den „Erwcckungsmissionen" gegeben. Für viele von ihnen,
auf jeden Fall für die Berliner Mission, kann man ebenso wie
für

Hannover sagen, dafj sie innerhalb der Kirche entstanden sind
(vgl. Holze, S. 30). Sogar die Entstehung um einen erweckten
Prediger ist keine niedcrsächsischc Eigenart. Zum Beispiel ist auch
in Berlin der Missionsgeist nur durch Jänicke und andere Prediger
gewachsen. Freilich ging es hier zunächst und vor allem um
die „Rcichsgottcsarbcit", die man geographisch und konfessionell
umfassend verstand. Aber die Kirche war ihre „Pflanzschulc" (so
Tholuck bereits 1825 in seiner „Lehre von der Sünde", S. 202). Und
das wurde nicht nur gesagt, sondern auch praktiziert. Man stand
nicht außerhalb der Kirche, weder im persönlichen Leben noch
lm Blick auf die Gesellschaften, um deren kirchliche, d. h. damals
staatskirchlichc Anerkennung stets nachgesucht wurde, nicht mehr
und nicht weniger als in lutherischen Kirchen. Weithin fühlte man
S1ch als inncrkirchlichc Vereinigung, einem Orden vergleichbar,
der der Kirche kritisch und vorwärtsweisend dienen wollte. Auch
wird man nicht sagen können, daß die Vorläufer des 18. Jahrhunderts
dafür wesentlich unterschiedliche Vorbilder geliefert haben.
Die Dänisch-Hallcschc Mission jedenfalls war ebenso ein freies
Werk wie die Gründungen der ersten Jahrzehnte nach 1800. Und
die Brüdermission hatte das gleiche individuelle crwecklichc Missionsmotiv
wie sie (gegen Holze, S. 19). Will man letztere wie
Holze als kirchliche Mission werten, so nur, wenn man ihren Ansatzpunkt
der Gemeinde oder Kirchengründung durch Sammlung
der Erweckten anerkennt. Das aber wird gerade von Petri theologisch
angefochten - und von Holze auch.

Es wäre also wohl besser gewesen, die Diskussion, in die Pctri
eingriff, weiter zurückzuvcrfolgcn und tiefer auszuleuchten, che
man Pctris Stellenwert festlegt. Freilich geht es vor allem um den
Kirchenbegriff. Aber man kann sicher nicht sagen, dafj Pctri darauf
überhaupt erst aufmerksam gemacht hat. Er mußte sich vielmehr
mit einem schon praktizierten und formulierten anderen Verständnis
von Kirche auseinandersetzen. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich
, daß bei Pctri der Versuch fast fehlt, die Beziehung
zwischen seinen Grundsätzen und einer seiner Zeit sichtbaren Gestalt
der Kirche herzustellen. Welche Kirche hat er gemeint? Weder
■m Blick auf die staatskirchlichen Organe noch im Blick auf die
Lokalgcmcindcn unterscheiden sich Werk und Wort Petris von
denen seiner Gesprächspartner. Bei ihnen handelt es sich fast
ausschlicfjlich um Vertreter der Missionen und deren Freunde, die
die Gemeinde nach dem Vorbild der Brüdergemeine als Träger
der Mission sahen. Und das Eintreten für die Anerkennung der
Hermannsburger Missionsanstalt durch das Konsistorium in Hannover
(vgl. Holze, Kapitel 7) hatte seine Parallelen in anderen
Gesellschaften, etwa der Berliner, übrigens mit dem gleichen Erfolg
bzw. Mißerfolg.

Leider gewinnt man den Eindruck, daß sich der Verfasser nicht
ausreichend um die Vor- und Nachgeschichte seiner Thematik be-
müht hat. Das offensichtliche Fehlen des Interesses für die Berliner
Mission muß vom Rezensenten nicht nur aus Lokalpatriotismus
angemerkt werden. (Julius Richters Geschichte der Berliner Mission
wird nicht erwähnt. Darum wird Hengstenbergs intensive,
auch theologicgeschichtlich interessante Verbindung zur Berliner

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Mission Seite 154 nicht erwähnt und der Missionsinspektor Wallmann
sowie sein Nachfolger Wangemann Seite 212 völlig falsch
datiert - Wallmann war 1857-1863 Inspektor der Berliner Mission
, Wangemann ab 1865.) Die konfessionelle Problematik hat
in dieser Mission während der zwanziger und dreißiger Jahre des
19. Jahrhunderts eine erhebliche Rolle gespielt. Dies war durch
die Gründung der Union durch Friedrich Wilhelm III. 1817 ausgelöst
. Auch in der Berliner Mission waren Erweckung und Konfession
verknüpft. Darum hatte man gute Beziehungen zur konfessionellen
Opposition und Separation in Breslau und Pommern.
Schcibcl, der sich später zu Dresden hielt, kam aus der Union.
Er war ein guter Freund der Berliner Mission. Die Diskussion um
Pctris Schrift wird von diesem Hintergrund her also differenzierter
zu sehen sein. Man kann im Rahmen einer Dissertation nicht
alles behandeln. Aber vielleicht wäre dieser Zusammenhang doch
nicht ganz unwichtig gewesen. Er scheint dem Verfasser entgangen
zu sein. Darum sei hier darauf hingewiesen. Das mindert natürlich
nicht die lokalgeschichtliche Bedeutung der Arbeit von Holze.

Im Rahmen kritischer Anmerkungen müssen bei diesem Buch leider auch einige
zum Teil sinnentstellende Druckfehler genannt werden: S. 26 und 27 ist zweimal
statt 1836 die Jahreszahl 1936 gedruckt worden. S. 74 Zeile 10 mufj es .Missionswissenschaft
" heifjen, nicht .Missionswirtschaft". S. 80 ist auf Zeile 20 .Union" statt
.Mission" gemeint. S. 91 letzter Absatz 1. Zeile steht .er" statt .es". Die Aufzählung
der Missionsfclder der Norddeutschen Mission auf S. 155 vorletzter Absatz nennt
nebeneinander .Ostindien" und .Indien". Beim zweiten Mal ist Westafrika gemeint.
Schließlich sollte man auf S. 195 vorletzter Absatz Zeile 1 sicher .Organismusvor-
stcllung" lesen, nicht .Organisationsvorstellung".

Was Petri im Gegensatz zu den aus der Erweckung kommenden
Missionen betont hat, faßt Holze Seite 82 zusammen mit dem
Satz: „Kirche kann nach Petris Meinung nie ohne ein Bekenntnis
existieren, weil der Glaube zum Bekenntnis drängt und das Bekenntnis
Menschen desselben Glaubens in der Kirche sammelt."
Daß das Bekenntnis sammelt, indem es unter einem gemeinsamen,
schriftlich fixierten Schriftverständnis einigt, ist sein eigentlicher
Beitrag. Demgegenüber hatte man auf dem Boden der Erweckung
die Sammlung der Erweckten und im Glauben Tätigen, am Wort
und Sakrament Orientierten als Entstchungsort der Kirche herausgestellt
. Die Diskussion über diese beiden Aussagen ist noch
nicht zu Ende, am wenigsten im Zusammenhang der Bemühungen
um die Integration von Kirche und Mission. Was verstehen wir
unter einer missionierenden Kirche? Was hat der Ökumenische
Rat darunter verstanden, als er seine „Integration" 1961 vollzog?
Wenn man Holzes Buch im Blick darauf liest, ist es aktuell und
wichtig, auch wenn die Intention vielleicht anders gemeint war,
wie es den Anschein hat, und der Stellenwert der Petrischen
Äußerungen anders bestimmt werden muß als bei Holze. In diesem
Sinne wird die Beschäftigung mit Pctri gern empfohlen und
Holze für die Einführung gedankt.

Berlin Johannes Alfhausen

Renkewitz, Heinz (Hrsg.): Die Brüder-Unität, übers, v. U. Gaßmann
, G. Gaßmann, G. Ovcrlach. Stuttgart: Evang. Vcrlagswcrk
[1967]. 288 S. 8° = Die Kirchen der Welt, hrsg. v. H. H. Harms,
H. Krüger, F. Sigg f. G. Wagner, H.-H. Wolf, 5.
Der „ökumenische Mikrokosmos", wie Martin Nicmöllcr die
Brüder-Unität genannt hat, stellt sich im Rahmen der Reihe „Die
Kirchen der Welt" vor, nachdem bisher die griechisch-orthodoxe
Kirche, die Baptisten, die Altkatholiken und die Anglikaner in dieser
Reihe zu Worte gekommen sind. Ist die Brüder-Unität mit
ihren 326 607 Mitgliedern nach dem Stand vom 31. Dezember 1965
eine „Kirche der Welt"?

Das Buch beginnt mit zwei grundsätzlichen Kapiteln des Herausgebers
: Modell einer freien Dienstgruppc - Bruderschaft und
diakonische Gemeinde (S. 11-28) und Christozentrischc Praxis und
Theologie - Dienst für die Einheit der Christen (S. 29-55). Diese
Kapitel wie auch das übrige Buch sind frei von irgendwelchen Ansprüchen
darauf, als eine „Kirche der Welt "angesehen zu werden.
„Von den Anfangszeiten her ist der Brüder-Unität oder Brüdergemeine
ein Bewußtsein dafür erhalten geblieben, daß sie nicht
dazu ins Leben gerufen wurde, ein eigenes Kirchentum zu konservieren
und auf alle Fälle am Leben zu erhalten" (S. 54). Zinzcn-
dorf selbst hat mit einer Dauer von fünfzig Jahren gerechnet
(S. 170). Dementsprechend hat die Brüdergemeine in ihrer Geschichte
und zum großen Teil auch in der Gegenwart auf Prosc-

Theologischc Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 6