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Ausgabe: | 1968 |
Kategorie: | Philosophie, Religionsphilosophie |
Titel/Untertitel: | Neuerscheinungen |
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453 Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 6 454
aber durchschlagenden Formulierung: „Allzuspät faßte er [Schleier- es schmerzlich, dag Barth erklärt hat, er wolle die Eschatologie
machcr) die Psychologie an" (32, 34). (KD V) nicht mehr schreiben. Könnte er das von seinem Ansatz
Nun hatten ohne Zweifel Schleiermacher und auch Dilthey einen her eigentlich noch?" (189).
weiteren „Begriff der Psychologie" als wir heute (auch die Unter- Originell ist diese Frage wahrhaftig nicht Sie wird als Melschede
zwischen beiden sind nicht zu übersehen), wie R. richtig nung herumgereicht. Und da zu erwarten steht, dag die Eschato-
betont (LVI), aber ebenso zweifelsfrei ist auch, dag Dilthey Schleier- logie der Kirchlichen Dogmatik von Barth tatsachlich nicht mehr
machers Denken auf eine Weise in der Problematik der „Struktur geschrieben wird, wird mit der Meinung „er konnte ja gar nicht
des Seelenlebens' begründet sein lägt (33 f.), wie es allenfalls für nicht viel riskiert. Nun soll eine Dissertation in der Regel wohl
den späten Schleiermachet zutreffend ist. Nicht ohne Grund schätzt gar nichts riskieren, und originell zu sein braucht sie auch nicht,
Dilthey gerade an der Dialektik ihre späteste, „reifste Gestalt" um die Wissenschaft zu fördern. Aber muß sie deshalb schon der
(XXXI). in der das reine Denken als die Bedingung der psychi- mehr oder weniger gelehrte Ausdruck eines desolaten Vorganges
sehen Rezcptivität wie ihrer Spontaneität, besonders des Äufjcr- werden? Und desolat ist der Vorgang, der sich mit der Hcrum-
lichwcrdens in der Sprache, klarer als zuvor herausgearbeitet rcichung jener Meinung vollzieht.
wird (79 ff) Bloß weil die Parole „Morgen, morgen, nur nicht heute" von
Es ist zu vermuten, daß diese Auffassung auch nur in bestimm- Barth nicht ausgegeben, sondern mit wohl erwogenen Gründen
ten Perioden des Diltheyschen Denkens vorherrschend ist. Für bestritten wird, sollte er eine Eschatologie nicht schreiben können?
diese Unterscheidungen bietet aber R.s Ausgabe keine hinreichen- Was hat man eigentlich von seiner Kirchlichen Dogmatik und ihrer
den Anhaltspunkte. Diltheys Schleiermacher-Deutung wird zu sehr Vorgeschichte verstanden, wenn man dies nicht verstanden hat,
als eine Einheit aufgefaßt. Zugleich wird ihr eine Autorität bei- daß sie ein Buch des im Glauben an das Geheimnis der
gemessen die der kritischen Rückfrage nach dem wirklichen, dem Auferstehung Jesu Christi begründeten Hoffens ist? Warum
historischen Schlcicrmachcr nicht genügend Spielraum gibt. nur soll die christliche Hoffnung durch die Proklamation Jesus
Gleichberechtigt neben Schlcicrmachcrs System als Philosophie i s t Sieger" in Frage gestellt sein? Sieg bedeutet ja wahrhaftig
und als Theologie stellt R. in einer Dritten Abteilung sein hermc- nicht, daß alles am Ende sei. Als ob Siege nur E n d p u n k t c
neutisches System. Darin spiegelt sich die große sachliche Bedcu- von Schlachten und Kriegen wären! Manchmal sind sie sogar für
tung, die die Hermeneutik Schleicrmachers für die Geschichte die- die Besiegten der Anfang von Hoffnung. Gerade als Endpunkt
ser Wissenschaft und für die gegenwärtige hermeneutische Dis- ist der Sieg zugleich - und keineswegs weniger „ontisch" -
kussion hat (s. LIII ff.). Diese Einordnung entspricht jedoch weder z u k u n f t s eröffnend und z u k u n f t s bestimmend. Jetzt
Schleiermachers eigener Intention noch der Intention der Schleier- kann man hoffen. Denn Jesus i s t Sieger. So etwa will nach
macher-Dcutung Diltheys. Das ergibt sich schon aus der sachlichen Barth das Geheimnis des Auferstandenen verstanden werden. Und
Thematik, die in dieser Abteilung dargeboten wird. R. druckt von diesem Geheimnis her will Barths Kirchliche Dogmatik ver-
hier den Text der bisher nicht als Ganzes veröffentlichten „Preis- standen werden, deren Skopus soeben im Leitartikel der Oster-
schrift" des jungen Dilthey ab: „Das eigentümliche Verdienst der ausgäbe der NZZ von ihm als „das Geheimnis des Ostertages" in
Schlciermachcrschcn Hermeneutik ist durch Vcrgleichung mit ältc- die einfachste Form gebracht wurde.
ren Bearbeitungen dieser Schrift, namentlich von Keil und Ernesti, Ich setze diese Bemerkungen voran, weil der Verfasser seine
ins Licht zu setzen." Die Schlcicrmachcrschc Hermeneutik wird Dissertation „nicht um eines öden Historismus willen" geschrie-
darin von Dilthey von ihren historischen und zeitgeschichtlichen oen haben will, „sondern um der theologischen Probleme der
Voraussetzungen her äußerst kenntnisreich und eindringend intcr- Gegenwart willen" (181). Das ist eine einer dogmatischen Unter-
Pretiert. suchung angemessene Absicht. Ein Jammer, daß das, was dann
Es ist hocherfreulich, daß diese wichtige Schlciermachcr-Arbeit für die Bewältigung dieser Probleme herausspringt, eine bereits
Diltheys im Rahmen der vorliegenden Veröffentlichung einen Platz umlaufende Meinung ist. Ein Schlagwort am Ende verdirbt die
gefunden hat. Sic bildet eine wesentliche sachliche Ergänzung zu ganze Sorgfalt der vorhergehenden Einzeluntersuchungcn. Mit
den übrigen Texten und bietet für die Erforschung der Geschichte Schlagwörtern lassen sich die „theologischen Probleme der Gegender
Hermeneutik eine Fülle sehr interessanten Materials. wart" zuweilen zwar (leider!) charakterisieren, niemals aber lösen.
Bad Godesberg Hcinz K i m m c r 1 c „Verlust der futurischen Eschatologie, ja vielleicht der Eschato-
- . logie überhaupt" (181) - der sich als Befürchtung aussprechende
Brandenstein, Bela von: Über die Zielhaftigkeit (WissWeisn Vorwurf könnte sinnvoll sein, wenn er den Versuch einschlösse,
31, 1968, S. 29-32). . , cincn theologischen Begriff von futurischcr Eschatologie bzw.
wi«n9CWiWal t J4°, 1Qfi8 s'l M^phyS'k d" ElnZd von Eschatologie überhaupt zu erarbeiten, um dann daran zu mes-
BüeTe^W^ (ThPh 43. sen. was man'vermißt. Daß Barth seinerseits in der Kirchlichen
1968, S. 242-246) Dogmatik einen kritischen Begriff von Eschatologie zu erarbeiten
carls, Rainer: Zwei Formen der logischen Analyse und ihre am Werke war, müßte als Instanz gegen jenen Vorwurf zumindest
Philosophischen Implikationen (ThPh 43, 1968, S. 207-236). erwogen werden. So aber erhebt sich der Einwand des Verfassers
Escripano-Albcrca, Ignacio: Die Geschichtlichkeit des (auch angCSichts der auf Seite 182 f. versuchten Bcgriffsbcstimmun-
Christentums und die Rcligionsphilosophic S. Radharkrishnans gcnj kaum ut)cr ^as Niveau eines Schlagwortes, mit dem man zwar
(MThZ 19, 1968, S. 35-45). schlagen, aber kaum treffen kann. Es entbehrt dabei übrigens nicht
iL hJm,a n n ' C F" Opcrationalismus und transzendentale Mc- ^ ^ ^ wenigstens in Sachcn Eschatologie Barth und
K ,° C'Zk? 90, 1968 S. 195-201). , .m|nn Bultmann'auf einen Streich erledigen bzw. (wie im vorliegenden
^aulbach, Friedrich: Phänomenologie der Wahrnehmung ■ » I 5«t auch
(ThRv 64 1968 Sp 85-94) Fall) sozusagen synckdochisch mit dem (sit venia verbo!) bacK aucn
Mcßner,'Rcinh'old: Zur Schlüssclfragc der Theodizceproblcma- gleich noch den Esel treffen zu können meint.
tik (WissWcish 31, 1968, S. 213-225). Schade, daß der Verfasser so sehr mit den Wölfen heult. Das
ukkola, Helge: Die ethische Existenz des Menschen im Den- Thema, dem sich der Verfasser gestellt hat, hätte einen glücklicheren
Sörcn Kierkegaards (NZSTh 10, 1968, S. 31-37). ren AUSgang verdient. Dabei ist dem Verfasser gehöriger Fleiß
und gründliche Belesenhcit durchaus und durchweg zuzuerkennen.
Auch die formale Gliederung der Untersuchung erscheint ange-
SYSTEMATISCHE THEOLOGIE messen. Zuerst wird die Theologie des jungen Barth (bis 1920)
nach dem Verhältnis von Geschichte und Eschatologie befragt, dann
S1 a d 11 a n d Tjarko- Eschatologie und Geschichte in der Theo- die Theologie Barths aus der Zeit von 1920 bis 1931, um schließlich
!ogie des jungen Karl Barth. Neukirchen: Neukirchener Verlag dieselbe Problematik in der Kirchlichen Dogmatik thematisch zu
d- Erziehungsvereins 1966 198 S 8° = Beiträge z. Geschichte u. machen, dort freilich in äußerster Beschränkung auf Gedanken
Lehre d Reformierten Kirche hrsg. v. P. Jacobs, W. Krcck, G. W. von KD III/2 und IV/3. Dabei ergibt sich als These, daß Barth sich
Locher u O Weber 22 DM 22 40; Lw. DM 24,80. in der Kirchlichen Dogmatik der 1. Auflage seines Romcrbncf-
Die Göttinger Dissertation schließt mit einer gängig geworde- kommentars wieder angenähert und dabei die „punktuelle Escha-
n<=n Meinung die zwar nur in Frageform geäußert, aber dennoch tologie" der 2. Auflage dieses Buches sowie den erst in der Auf-
aI* Fazit der ganzen Untersuchung angeboten wird: „Für viele ist erstehung der Toten" vertretenen Ansatz einer „futurischen Escha-