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Ausgabe:

1968

Spalte:

439-441

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Horváth, Tibor

Titel/Untertitel:

Caritas est in ratione 1968

Rezensent:

Vorster, Hans

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 6

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durch ihre Bestimmung als aretalogie orientee Rechnung zu
tragen.

Es bleibt die Frage, ob es geraten ist, den Begriff der Aretalogie
, der im engeren Sinne als huldigende Gebetsanrufung verstanden
wird (so Crusius in P.-W. II. 670 ff.), in erweitertem Gebrauch
Berichte über wunderbare Geschehnisse bezeichnet (seit
Reitzenstein, Hellenistische Wundererzählungen, 1906, S. 9 ff.), durch
die Einführung der aretalogie orientee noch einmal abzuwandeln.

Halle/Saale Wolfgang Wiefel

A a g a a r d , Anna Marie: Christus wurde Mensch, um alles
Menschliche zu überwinden (Athanasius, Contra Arianos III, 33,
393 C. Versuch einer Interpretation) (StTh 21, 1967, S. 164-181).

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Horväth, Tibor, S. J.: Caritas est in ratione. Die Lehre des
hl. Thomas über die Einheit der intellektiven und affektiven
Begnadung des Menschen. Münster/W.: Aschendorff [1966].
XI, 293 S. gr. 8° = Beiträge z. Geschichte d. Philosophie u. Theologie
d. Mittelalters. Texte und Untersuchungen, hrsg. v. M.
Schmaus, Bd. XLV, 3. Kart. DM 38,-.

Ausgehend von der These, daß es zum Wesen des Geistes gehöre
, sich in einem einzigen Satz auszusprechen, ist der Verfasser
bestrebt, die thomanische Theologie als eine Denkbemühung darzustellen
, in der um die Einheit von Erkenntnis und Liebe gerungen
und als deren Inbegriff die Seligkeit gefunden wird, die
in Gott ihr Wesen und sich in der hypostatischen Union des Gottmenschen
Christus vollkommen offenbart hat.

Das Grundmotiv allen theologischen Denkens bei Thomas lasse
sich zwar nicht einfach in einer Formel vorzeigen. Wer der Funktion
der Caritas im Ganzen des Systems nachfrage, stoße aber
darauf, daß diese, indem sie sich in der Seligkeit erfüllt, das
einigende Band alles Erkennens und Wollens sei, und zwar sowohl
in Gott wie von ihm her im Menschen. Werde die Caritas als
Stifterin der Affinität zwischen ratio und voluntas erkannt, wie
es uns die Theologie des hl. Thomas vorzeichne, so könne von
dieser Einsicht aus die einheitliche Sinndeutung menschlicher Existenz
gewonnen werden, nach der der heutige Mensch, bedroht
vom Erstickungstod in den Einzelheiten seines Wissens, hungere.

Als Ausgangspunkt seines Versuches, das Urmotiv thomanischer
Theologie zu eruieren, wählt der Verfasser den Abschnitt S. Th.
II/II 24 a 1 ad 2. Zur Darlegung des corpus articuli, Untergrund
(subjectum) der Caritas sei der Wille, ergänzt Thomas dort, daß
die Trägerschaft des Willens die Gottesliebe dem Verstand nicht
entfremde; denn durch eine bestimmte Affinität des Willens mit
dem Verstand sei die Caritas eben damit, daß sie im Willen sei,
auch im Verstand. Der Interpretation der Aussage „Caritas est
in ratione per quandam affinitatem voluntatis ad rationem" ist
die gesamte Untersuchung gewidmet.

Da Verstand und Wille Vermögen der Seele sind, ergibt sich
im Anschluß an eine „einleitende Kontext-Interpretation" (3-27)
ein erster Teil, in dem die thomanische Seelenlehre unter dem
Gesichtspunkt des Ineinandergreifens von Verstand und Wille
entfaltet wird (28-110). Ergebnis ist, daß beide Vermögen aus
der Wesenheit der Seele mit dem Auftrag entstehen, die vollkommene
Seligkeit für die Seele zu erlangen. Das Erkennen und
Wollen ist damit von Anfang an zweckbezogen, und zwar auf
einen gemeinsamen Zweck. Während aber alles endlich Seiende
in den Vermögen nur die Tendenz zur Annäherung aneinander
anreizt, verwirklicht sich diese Tendenz, wenn die Seelenvermögen
dem unendlichen Sein begegnen, in dem das Wahre und das
Gute ein und dasselbe ist, also in der Begegnung mit Gott. Die
Zusammengehörigkeit des Willens mit dem Verstand ist demnach
für Thomas von der Seligkeit her bestimmt.

Auf die Entfaltung der naturhaften Bestimmung von Verstand
und Wille folgt im zweiten Teil (111-262) unter dem Titel „Caritas
est in ratione", inwiefern sich diese Bestimmung in den Gehaben
(habitus) entwickelt und vervollkommnet. An jedem Gehaben
sind Verstand und Wille gemeinsam beteiligt und entwickeln
mit ihm einen Baustein für den Menschen als ganzheitliche
Person. Entsprechend dem thomanischen Verhältnis von

Natur und Gnade verstärkt und vervollkommnet sich dabei im
Gehaben der Gottesliebe, was sich als naturhaftc Bestimmung
bereits abgezeichnet hat. Weit entfernt, den Zusammenhang von
Verstand, Wille und Liebe zu zerreißen, verbinden sich durch die
Eingießung übernatürlicher Tugenden Verstand und Wille noch
inniger. Dabei vollzieht sich die rationale Erhellung der Caritas
zwar auch auf dem Weg über den Glauben, auf den die Liebe zu
Gott als auf ihre Basis angewiesen ist. Der Glaube ist die Verstandestätigkeit
, mit der das Kommen Gottes geistig angenommen
werden muß, auf das die Liebe als Willenstätigkeit der Hingabe
antworten kann. Die Caritas ist aber nicht nur als übernatürliche
Tugend, sondern ebenso als Geschehen des Liebesdialogs mit Gott
im Verstand. Das führt freilich zu einer Umformung der Apperzeption
wie des Affekts. Unter dem Geleit der Liebe gelangt der
Wille nämlich nicht mehr nur zu bestimmten Formen, die ihm die
Erkenntnis darreicht, und sie will ihn auch nicht mehr nur zu
einem bestimmten Werk veranlassen. Die Liebe geleitet den Willen
vielmehr direkt zu dem geliebten Gegenstand, also zu Gott.
Das wirkt dann auf das liebende Erkennen zurück, das unter dem
Einfluß der Liebesverbindung zwischen Wille und Gegenstand von
seiner Erkenntnisvorstellung - also hier seinem Gottesbild -
abstrahieren kann. Durch den Willen auf den Gegenstand selber
bezogen, füllt sich der menschliche Geist mit dem Wesen Gottes.
Die zunehmende Ausschaltung der Gottesvorstellung zugunsten der
Begegnung und Erfüllung mit Gott selbst reinigt den Akt der
Gottesliebe von aller Selbstliebe; denn Grund des menschlichen
Liebesaktes ist dann nicht mehr, daß der Geliebte dem Liebenden
angenehm ist und ihn bestätigt, sondern daß der in sich liebenswerte
und als solcher erkannte Gott die ihm gemäße Liebe hervorruft
. In der Gottesliebe, in der sie sich bestimmungsgemäß
verbinden, sind Verstand und Wille Gott am stärksten ausgesetzt
und erschaffen aus der ihnen zuteil werdenden Gotteserfahrung
den Menschen zur Ganzheit der Person. Weil erst die Caritas die
Vermögen zur Ganzheit zusammenfaßt, bleibt sie auch in Ewigkeit.
Sie bewirkt in eins damit, daß sie Gott und dessen Seligkeit zur
Erfahrung bringt, auch die Seligkeit des Menschen. Das geschieht
so, daß sie die Fülle Gottes dem Menschen mitteilt.

Neben Verstand und Wille ist also auch der thomanische Liebesbegriff
ganz von der Seligkeit her bestimmt, wie sie sich als Erfahrung
des wahren Seins in seiner Güte ereignet. Jenseits alles
bloßen Intellektualismus und Voluntarismus ist die Existenz
„nichts anderes als eine Bewegung, in der man sich zum Erkennen
in der Liebe und zu der Liebe im Erkennen bewegt, um die Erfahrung
des Seinsvollzugs zu gewinnen" (265).

Die Beurteilung wird zunächst anerkennen, daß im ersten Teil
die komplexen Leitlinien und die diffizilen Verästelungen der
thomanischen Psychologie nicht nur akurat dargestellt, sondern in
ihrer theologischen Intention erfaßt sind, nämlich darin, die
Lebensmomente zu beschreiben, kraft deren der Gnadenempfang
als solcher sowie Glaube, Hoffnung und vor allem die Gottesliebc
als Existenzbewegungen verifiziert werden können. Auch im zweiten
Teil ist dasselbe Bemühen unverkennbar. Der Verfasser verliert
jedoch über einer Unzahl nachgetragener Definitionen und
Zwischenstücke allzuoft den Faden; statt auf einem gesicherten
Weg sieht man sich unvermittelt auf zahllosen Nebenpfaden, um
nicht zu sagen in einem Labyrinth, durch das man kaum hindurchfindet
. Dieser Eindruck wäre zu vermeiden gewesen, wenn die
minutiösen Untersuchungen der Begriffe und die Darstellung des
theologischen Gefälles stärker gegeneinander abgegrenzt worden
wären.

Neben diesen methodischen Bedenken (eine Anzahl sinnentstellender
Druckfehler sei nur am Rande erwähnt) ist an die Untersuchung
vor allem eine prinzipielle Anfrage zu richten. Was vorgelegt
wird, nennt sich Interpretation. Interpretieren aber heißt
doch wohl, das geschichtliche Sprach- und Denkgefälle überwinden
oder wenigstens einen Versuch in dieser Richtung anstellen. Das
ist restlos unterblieben. Was geboten wird, ist nicht Interpretation
, sondern Meditation, die nachzuvollziehen zudem nur imstande
ist, wer das Ganze der aristotelisch-thomistischen Psychologie
als metaphysische Vorgegebenheit übernehmen kann. Es muß
sich rächen, wenn die geschichtlichen Abstände zwischen Thomas
und dem Neuen Testament, aber auch Thomas und uns nirgends in
Sicht genommen werden, sondern wenn statt dessen das Urmotiv
der Frömmigkeit eines Theologen als «Inbegriff philosophischer,