Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1968

Spalte:

435-437

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Drijvers, Hendrik J. W.

Titel/Untertitel:

Bardaiṣan of Edessa 1968

Rezensent:

Colpe, Carsten

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

435

Nicht ohne gewisse Genugtuung hält der Verfasser in seinem
Vorwort fest, wie seine New Yorker Vorlesung, die in einem
Kapellenraum abgehalten wurde, damit ausklang, daß das Auditorium
ohne seine Initiative stehend das A. gesungen habe. Solche
spontane Reaktion hängt zweifelsohne mit der liturgiegeschichtlichen
Kontinuität zusammen, derer sich das A. im Anglikanismus
erfreut. Selbst wer sich ihr nicht verpflichtet fühlt, wird einen
Dozenten um solches Echo auf sein Kolleg beneiden. Er wird nicht
ohne gewisse Melancholie darüber nachsinnen, daß mit dem
Schwinden eines lebendigen Geschichtsbewußtseins auch wertvolle
Impulse für die wissenschaftliche Analyse desselben und seiner
geschichtlichen Traditionsgüter verlorengehen.

Göttingen Carl Andrcscn

Drijvers, H. J. W., Dr.: Bardaisan of Edessa. Assen: Van Gor-
cum 1966. VIII, 267 S. 8° = Studia Semitica Neerlandica, ed. by
M. A. Beek, J. H. Hospers and Th. C. Vriezen, 6. Lw. hfl. 34,50.

Im Zusammenhang mit der syrischen Kirchengeschichte, der
Geschichte der spätantiken Philosophie und der Gnosisforschung
ist Bardesanes von Edessa in den letzten Jahren so oft unter
neuen Fragestellungen diskutiert worden, dafj von ihnen aus eine
neue Aufarbeitung des weitverstreuten Quellenmaterials dringlich
wurde. H. J. W. Drijvers, durch Ausgabe und Übersetzung des
„Buches der Gesetze der Länder" (Assen 1965) bereits gut empfohlen
, hat sich dieser schwierigen Aufgabe unterzogen. Damit das
wichtige Buch verständlich gewürdigt werden kann, ist eine Inhaltsangabe
geboten.

Kap. 1 (S. 1-59) enthält eine Forschungsgcschichte in drei
Perioden. Die erste beginnt 1855 mit W. Curetons Spicilegium
Syriacum aus der Handschrift Brit. Mus. add. 14658, die das
„Buch der Gesetze .. ." enthält. Dadurch wurde die bisherige Forschung
, die im wesentlichen auf die Widerlegungen der Kirchenväter
angewiesen war, überholt. Die Literatur der folgenden Jahre,
beginnend mit Ewald und Land, beschäftigte sich vor allem damit
, die Authentizität der neuen Schrift gegen das in Ephräms
Hymnen Erhaltene zu erweisen (Merx) oder abzuwerten (Hilgcn-
feld, Lipsius). Veröffentlichungen weiteren Materials (Prosawerke
Ephräms durch J. J. Overbeck, syrische Thomasakten durch
W. Wright, Moses von Choren durch V. Langlois, Ibn an-Nadim
durch G. Flügel, Georg der Araberbischof durch V. Ryssel) folgten
Versuche, Vorsehungslehre und Astrologie auf Philo und Karnea-
des zurückzuverfolgen (P. Wendland, F. Boll) oder die Lehre des
Bardesanes von der Theologie von Edessa (R. Duval) oder der
Gnosis (A. Harnack) aus zu erklären. G. Krüger faßte die bis dahin
zu keinem anerkannten Ergebnis gelangte Forschung in seinem
Bardesanes-Artikel im Herzog-Hauck 3. Aufl. Bd. 2 (1897) zusammen
und eröffnete damit zugleich eine zweite Periode der
Forschung. Im gleichen Jahr veröffentlichte F. Nau eine legendäre
Bardesanes-Biographie aus Michael dem Syrer, nach welcher von
Nau selbst und vielen anderen dieselben Probleme diskutiert wurden
wie in der ersten Periode. Schaeders Versuch einer Gesamtcharakteristik
des Bardesanes in ZKG 51 (1932) eröffnete durch
die Pointicrung des griechischen Elements die letzte Periode der
Forschung, die nach Vermehrungen des Materials durch Baumstark
und Rehm sowie durch religionsgeschichtliche Arbeiten von Amand,
Simone Petrement, Schoeps, Strecker und Widengren auf die neue
Zusammenschau hinauslief, die wir jetzt vor uns haben.

Kap. 2 untersucht das „Buch der Gesetze der Länder" zunächst
vom literargeschichtlichen Standpunkt aus (S. 60-76). Nach wörtlicher
Zitierung der Angaben aus Eusebius' Kirchengeschichte und
praeparatio evangelica (mit dem davon abhängigen Hieronymus,
vir. inl. 23), Theodoret von Cyrus und Epiphanius und Zustimmung
zu der These, daß das „Buch der Gesetze" ursprünglich auf
Syrisch verfafjt worden sei (von Bardesanes' Schüler Philippus),
kommt Drijvers vom Inhalt der Schrift her (freier Wille, Verantwortlichkeit
des Menschen, Schicksal) zu dem Schluß, daß alle drei
Autoren es vor sich hatten. Der von B. Rehm zwischen diesem
und der von der pseudoklementinischen Grundschrift (rec. 9,
19-29) und Diodor v. Tarsus (nach Photius, MPG 103, 829C-832B
und 876A-877A) zitierten Schrift gesehene sachliche Unterschied
wird nicht anerkannt. Der Autor der Grundschrift hat eine griechische
Übersetzung des „Buches der Gesetze", die nach dem Tode
des Bardesanes (um 220) angefertigt worden sei, aber es haben
nicht beide eine gemeinsame Quelle exzerpiert (gegen Schoeps).

436

Abweichungen aller dieser Fassungen voneinander gehen auf die
literarische Tradition zurück.

Eine genaue Beschreibung von Bardesanes' Vorstellungen von
Gott, Mensch und Welt (S. 76-95) nach dieser Schrift wird nun zu
einem Lehrstück komponiert, dessen Vereinbarkeit mit anderen
Lehrstücken nach anderen Quellen zum Kriterium für die Echtheit
der letzteren dienen soll. Freiheit kommt nur der menschlichen
Seele zu und damit auch den itje/ouoiai, aus denen auch
die kosmische Natur (Lehnwort cpuan;, davon zu unterscheiden
die kjänä des Menschen) besteht. Vermischungen der Itje miteinander
lassen jedoch die Freiheit zum Teil verlorengehen; der
preisgegebene Bereich wird vom Schicksal (helqä) besetzt, welches
das, was von Natur aus geschehen würde, manchmal fördert und
manchmal hindert. In die kosmische Natur wirkt das Schicksal
stärker ein als in die menschliche, wie die Fähigkeit der Völker
zeigt, voneinander ganz verschieden nach ihren eigenen Gesetzen
zu leben.

Die kosmologischen Traditionen nach syrischen Autoren (Kap. 3,
S. 96-126), bei denen Drijvers ganz neu Barhadbesabba 'Arbaia
heranzieht, läßt sich nach Drijvers mit der des „Buches der Gesetze
" harmonisieren; dasselbe gilt für die Nachrichten Ephräms
(Kap. 4, S. 127-165), sowohl nach seinen Hymnen wie nach den
Prosastreitschriften. Details siehe unten.

Der im wesentlichen einheitliche syrische Befund wird in Kap. 5
(S. 166-212) mit weiteren griechischen und syrischen sowie mit
den arabischen und armenischen Nachrichten verglichen. Die Griechen
bringen über die Lehre des Bardesanes praktisch nichts -
und führen, wo sie ihn zum Valentinianer machen, sogar in die
Irre - und bezeugen nur die Allmählichkeit, mit der man ihrer
als Häresie gewahr wurde. Die syrischen Chroniken zeigen mit
ihrer legendarischen Verbrämung der Bardesanesvita, in der sich
immerhin einige wertvolle Daten gewinnen lassen, wie die Barde-
saniten durch die syrische Kirche eingeschätzt wurden, oder sie
bringen die Bardesaniten mit den Audianern in Verbindung, woraus
für den historischen Bardesanes nichts folgt. Am Schluß des
Kapitels werden die Versuche abgelehnt, die Apologie des Melito
von Sardes, die Oden Salomos und die Thomasakten, insbesondere
das Perlenlied, dem Bardesanes zuzuschreiben. Dies schließe Verwandtschaft
in manchen Gedanken und Gebrauch insbesondere der
Hymnen der Thomasakten in bardesanitischen Kreisen natürlich
nicht aus.

Kap. 6 (S. 213-228) zieht die Summe unter bewußtem Verzicht
auf religionsgeschichtliche Parallelen, da diese die Funktion der
Gedanken im System des Bardesanes nicht zu erhellen vermögen.
Es wird statt dessen ein alles Wesentliche enthaltendes Bild der
möglichst auf Edessa konzentrierten „Umwelt" gezeichnet, aus der
sich Bardesanes als selbständiger Interpret des Überkommenen
erhebt.

Nur wenige kritische Fragen kann ich stellen, ohne daß der
Raum für eine Rezension es mir erlaubt, aus deren von Drijvers
etwa abweichender Beantwortung Konsequenzen für eine - allerdings
nur in Nuancen - andere Sicht des Bardesanes zu entwickeln
. Es wird S. 72-75 nicht recht klar, ob der Verfasser der
Meinung von B. Rehm, Bardesanes in den Pseudoklementinen
(Philologus 93, 1938, S. 218-247) S. 241-247 zustimmt, daß außer
in rec. 9, 19-29 auch in rec. 3, 15; 5, 13 (= hom. 10, 5); 5, 25
(= hom. 11, 8); 5, 27 (= hom. 11, 10); 8, 44; 8, 56 Spuren des
„Buches der Gesetze ..." zu finden sind. Damit zusammen hängt,
daß auch die Exzerpte des Ps.-Caesarius, des Bruders von Gregor
v. Nazianz, aus dem griechischen Text der Rekognitionen, die
Drijvers außer im forschungsgeschichtlichen Teil nur S. 62 und 74
kurz erwähnt, nicht berücksichtigt sind. Sie verdienen m. E. Beachtung
; auch in der wohl während der Drucklegung erschienenen
Ausgabe der Rekognitionen von B. Rehm f und F. Paschke (GCS 51,
Berlin 1965) sind sie mit Rufins Übersetzung, den Stücken aus der
praeparatio evangelica und dem „Buch der Gesetze" (syrisch und
deutsch) synoptisch gedruckt. - Auf die quellenkritischen Erörterungen
des hier in Rede stehenden zweiten Kapitels sind die des
fünften nicht gut abgestimmt. Dort fällt auf, daß ein Abschnitt
über Eusebius von Cäsarea S. 169-173, der auch aus der sonst
eingehaltenen Chronologie der Zeugen herausfällt (er steht vor
Porphyrius), substantielle Erörterungen zu den Problemen bringt,
die in Kap. 2 behandelt werden. Falls hier ein Grundsatz befolgt
wurde, dürften andererseits in Kap. 5 die Pseudoklementinen nicht

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 6