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Ausgabe:

1968

Spalte:

433-435

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Kelly, John N. D.

Titel/Untertitel:

The Athanasian creed 1968

Rezensent:

Andresen, Carl

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 6

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Die Klammer für den Band oder doch für dessen erste Hälfte
liefert die Beschäftigung mit Augustin. A. bietet tiefschürfende,
aber immer auch gut lesbare Beiträge zu den bereits genannten
Themen sowie zu Augustins Methode der Quellenbenutzung
(Studium der Väterliteratur), zur Frage der bibliotheca ecclesiae
Hipponensis und zum schriftstellerischen Schaffen des Hipponen-
ser Bischofs (dabei werden nicht nur Anlässe, Zielsetzungen und
Umfang der literarischen Tätigkeit beleuchtet, sondern auch wichtige
Exterieurs, wie die Zusammenbringung der Fachliteratur, die
Hilfe durch Stenographen oder die Nachtarbeit, erörtert). Die Untersuchung
des Nachlcbcns Augustins in der griechischen Kirche (bis
auf Photius) ergibt die doch überraschende Tatsache, daß der bedeutendste
Kirchenvater des Westens schon zu Lebzeiten im christlichen
Orient fast ausschließlich als Bckämpfcr des Pelagianismus
bekannt geworden war. Später wird er zwar des öfteren zitiert,
aber meist nur in oder vermittels Florilcgicn und seltener als
Ambrosius. Von seinen Schriften ist lediglich „De gestis Pelagii"
ms Griechische übersetzt worden.

In einer Reihe qucllcnkritischer Untersuchungen zeigt A., daß
Augustins Beeinflussung durch verschiedene Väter des Ostens
(Philo, Irenäus, Origcnes, Eusebius, Athanasius, die Kappadokier
usw.) zum Teil stärker, zum Teil anders ist, als man bisher meist
annahm. Einigen wichtigen westlichen Kirchenschriftstellcrn, so
Augustins Zeitgenossen Hieronymus, Orosius und Avitus (von
Braga), werden ebenfalls Untersuchungen gewidmet, oder sie werden
doch innerhalb anderer Themata mit behandelt. Gerade in
dieser Hinsicht geht der Band noch über das hinaus, was das
Inhaltsverzeichnis verspricht.

Abschließend sei noch angedeutet, daß die Fülle des Gebotenen
über rein theologisches Terrain hinausgeht. Es werden auch
einige historisch orientierte Themen (War Petrus in Rom? - Der
*■ Clemensbrief und der römische Primat) aufgegriffen, und sogar
ein chronologisches Problem (Zur Datierung der Ep. 106 des
Hieronymus) wird erörtert. In dem (erstmals 1939 veröffentlichten
) Aufsatz „Paganus" bietet A. eine bedcutungsgeschichtliche Studie
, die auch die spätrömischc Militär- und Sozialgcschichtc berührt
.

Halle/Saale Hans-Joachim Dicsncr

Ke,1y, J. N. D., D. D.: The Athanasian Creed. London: Adam
& Charles Black [1964]. XI, 140 S. 8° = The Paddock Lectures
for 1962-3. Lw. 18 s.
Die Untersuchungen zum sogenannten Athanasianum sind von
dem Verfasser nicht als Ergänzung zu seiner allseitig anerkannten
Monographie .Early Christian Creeds" (1950) i9602 geschrieben
worden, sondern sie sind aus seiner Vorlesungstätigkeit in
Oxford und als konkreter Anlaft aus den Paddock Lectures 1962/63
hervorgegangen; letztere wurden im General Theological Seminary
zu New York gehalten. Nur cap. 2, das den Text des Glaubensbekenntnisses
mit einer englischen Übersetzung, einer textkritischen
Erörterung und den Abdruck von Tcxtparallelen aus Am-
rosius. Augustin, Vinccnz v. Lcrinum, südgallischcn Autoren, (Fau-
stus v. Riez, Caesarius v. Arles) und Fulgcntius von Rüspe bringt, ist
sozusagen reine Schreibtischarbeit. Das gilt auch für die Appen-
>ces A (Zitat des Athanasianum durch Caesarius v. Arles in dem
von Morin 1931 entdeckten Homiliar Zwiefalten), B (Text des
Konzilscrcdo von Toledo I, 400 n. Chr.), C (libellus fidei des
regor v. Elvira, auch Fides Phoebadii genannt) und D (sogenannte
Fides Damasi = Hahn nr. 200), die den Beschluß des
uches ausmachen. Sicher werden gerade diese Teile von der wissenschaftlichen
Forschung geschätzt werden; sie machen die vorlegende
Monographie zu einem wertvollen Arbeitsinstrument,
amit ist jedoch nicht der wissenschaftliche Wert der anderen
apitel abgewertet, zumal der Autor in seinem Vortrag sich einer
sehr zuchtvollcn Redeweise befleißigt, die sozusagen druckfertig
'st. Auch der gelehrte Leser wird sich von ihm belehrt fühlen. Er
0l9t dem Gang eines Vorlesungszyklus, der ihm Bekanntes und
ncu Erkanntes in breiter Entfaltung vor Augen führt.

So bietet des 1. Kapitel eine Geschichte des Athanasianum seit
der Reformationszeit bis in die Gegenwart, die man so anderswo
nicht findet. Dasselbe gilt für die Darstellung der Entstehungsgeschichte
und das weitere Schicksal des A. zunächst als Symbol
k °rtnodoxic, hernach als liturgischer Hymnus und Meßkanon,
aber auch für seine Geschichte als polemisches Instrument der

abendländischen Papstkirche gegen die griechisch-orthodoxe Geist-
lchrc, ferner seine unterschiedliche Aufnahme in den Reformationskirchen
bis hin zum Streit um seine Stellung im Common
Prayer-Book innerhalb des neuzeitlichen Anglikanismus (cap. 3).
Sorgfältig werden „External Characteristics" (cap. 4), wie die
Namensgebung, der Aufbau, Stil und Wortschatz, bis hin zu den
Wortklauseln erörtert. Gerade am letzten Punkt erweist sich die
Kollcgsituation auch für den Leser als Vorteil. Sie verlangt eine
Einführung in diese abseitige, nur den Philologen bekannte
Materie, von der auch der professionelle Theologe profitieren kann.
Entsprechend der Zweiteilung des A. wird die theologische bzw.
theologiegeschichtlichc Analyse des Glaubensbekenntnisses auf
zwei getrennte Kapitel verteilt. Das eine (cap. 5) weist einen
„scholastischen Augustinismus" (S. 81) als positive Quelle der tri-
nitarischen Formeln des A. nach, die in ihren antisabellianischen
und antiarianischen Wendungen gegen den Arianismus bei den
Westgoten und Vandalcn zielen. Bei der eingehenden Erörterung
der Inkarnationstheologie (cap. 6) plädiert K. mit bemerkenswerten
Argumenten dafür, daß nicht der Apollinarismus die
Gegenfront sei, sondern der Nestorianismus, und zwar in jenen
vagen Vorstellungen, wie man sie allgemein im Westen von ihm
hatte; hier spielen die seit 1940 bekannten, aber für diesen Zweck
noch nicht ausgewerteten Excerpta Vinccntii Lirinensis (Madoz)
eine gewichtige Rolle. Beide genannten Kapitel nutzt der Verfasser,
um zwei interessante Querschnitte zu bieten, die besonders hervorgehoben
zu werden verdienen: 1. zur voraugustinischen Geschichte
der Lehre von der „processio Spiritus a patre c t filio",
die Augustin nicht durch Ambrosius, sondern durch Hilarius
v. Poiticrs und Marius Victorinus vermittelt worden sei (S. 86 ff.);
2. die Geschichte der Anwendung der anthropologischen Geistleib-
lichkcit im Vergleich auf die inkarnative Christologie vom 3. Jahrhundert
bis ins 7. Jahrhundert.

Dem Kundigen ist durch diese Inhaltsangaben bereits deutlich
geworden, welchen Standpunkt K. in der vielvcrhandclten For-
schungsproblcmatik hinsichtlich der Entstehungszeit und dem Ent-
stchungsort bzw. der Autorschaft einnimmt. Dieser wird im Abschlußkapitel
(cap. 7) in eingehender Auseinandersetzung mit
anderen Auffassungen begründet. Ich fasse die sorgfältig abgewogene
Argumentation dahin zusammen, daß das A. in der letzten
Hälfte des 5. Jahrhunderts, eher um 500 n. Chr., in Südgallien,
und zwar im Umkreis des Bischofs Caesarius von Arles, vielleicht
sogar in seinem Auftrag, zu katcchctischcn Zwecken von einem
anonymen Kleriker geschaffen worden ist. Er selber kam aus der
theologischen Welt des Klosters von Lerinum. Ähnliches hatte bereits
F. Kattenbusch in seiner Anzeige von A. E. Burn, der für die
erste Hälfte des 5. Jahrhunderts eingetreten war, vermutet, vgl.
ThLZ 22, 1897, 138-146. Es ist doch recht interessant, wie sechs
Jahrzehnte hernach, nicht zuletzt durch neuere Funde (Excerpta!),
ein zustimmender Rezensent bestätigt, ein postum aber gegenüber
der Kritik revozicrender Autor (vgl. A. E. Burn, JThSt 27,
1925, 19- 28, wonach Ambrosius der Verfasser des A. sei) des-
avouriert wird.

Natürlich sind auch an A. N. D. Kelly Fragen zu richten. Sein
Exkurs über die „Soul-Flcsh Analogy" (S. 98 ff.) ließe sich noch
philosophicgcschichtlich ausweiten, in erster Linie in Richtung auf
den Ncuplatonismus, vgl. H. Dörrie, Porphyrios' Symmikta Zete-
mata, Zetcmata 20, München 1959, spez. 18 ff. (zu Nemesios), der
einen analogen Vergleich kannte. Ferner empfinde ich persönlich
seine Ausführungen über die Trinitätsthcologic eines Marius Victorinus
(S. 87 f.) als unzureichend, nachdem ich die ihm allerdings
unbekannte Einleitung Pierre Hadots zu seiner Neuausgabe der
„Theologischen Traktate" in der Bibliothek der Alten Welt (Artemis
), Zürich 1967, gelesen habe. Wünschenswert wäre außerdem
eine Begründung der Zählwcisc für die Verse, die von der Turners
in seiner kritischen Ausgabe des A. (JTh St 11, 1910, 401-411)
abweicht, zumal jener die im deutschen Bereich verbreitete Ausgabe
in den Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen
Kirche, Göttingen 19522, 28 ff., darin folgt (Abweichungen: Turner
v. 19b = Kelly 20; Turner 25b = Kelly 27, so daß Turner
auf 40 Verse, Kelly aber auf 42 hinauskommt). Doch bewegen sich
solche monita an der Peripherie und beeinträchtigen in keiner
Weise das Urteil, daß nach dem derzeitigen Qucllenbcfund die
vorliegende Untersuchung das letzte, weil überzeugendste Wort
zum Athanasianum sei.