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Ausgabe:

1968

Spalte:

430-431

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schwarz, Hans

Titel/Untertitel:

Das Verständnis des Wunders bei Heim und Bultmann 1968

Rezensent:

Lohse, Eduard

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der valentinianischen Gnosis (171-175), behandelt den Gebrauch in
der Kirche vom 2. Jahrhundert an, stellt die patristische Exegese
dar, die Behandlung vom Mittelalter bis zur Neuzeit und die heutige
Auslegungstendenz. Sehn, selbst will lieber „vorsichtig und
nüchtern als kühn und ungesichert vorstoßen, den theologischen
Aussagegehalt erschließen, ohne darum die vielen anstehenden
Einzelprobleme zu vernachlässigen; denn nur eine dem Literalsinn
verpflichtete, den Text untersuchende und abhörende Exegese
kann auch die tieferen Schätze heben . . ." (196).

Wer den Kommentar Schn.s mit der älteren katholischen Auslegung
des JE vergleicht, sieht sofort, wie weit sich die Exegese
der beiden Konfessionen seit dem 2. Vatikanischen Konzil genähert
hat: Das JE will - so hören wir jetzt auch von Sehn. -
ebenso wie die Synoptiker kein historisches Bild (im modernen
Sinn des Wortes „historisch"!) geben. Darum darf die Exegese
auch nicht, wie früher oft, zunächst solche historischen Angaben
anstreben, sondern muß sich um die theologische Botschaft des
Evangelisten bemühen. Dieser war nicht der Zebedaide - davon
ist man jetzt hier wie dort überzeugt, trotz der altkirchlichen
Tradition. Demgegenüber fällt es nicht ins Gewicht, wenn man
in umstrittenen Einzelfragen verschieden urteilt, zumal auch wir
protestantischen Excgeten hier oft nicht einig sind. Daß der Prolog
(wie immer man über seinen Umfang und seine Gliederung denken
mag) kein Lied der Täufergemeinde gewesen ist, sondern ein
christlicher Hymnus, darin stimmen heute die meisten protestantischen
Erklärer mit Sehn, überein. Die Bezeichnung „der Jünger,
den Jesus liebte" hält Sehn, für eine im Schülerkreis des Apostels
übliche Umschreibung für dessen Namen. Aber er stellt diese
Hypothese nur als „mittlere Lösung" zur Diskussion (88). (Ob
er sie im 2. Band mit Joh. 11, 3. 5 verbinden wird - es könnte
eine sehr kritische Verbindung sich ergeben -, wissen wir noch
nicht.) Vorsicht und Rücksicht bezeichnen seine Grundhaltung trotz
allen Neuerungen gegenüber früheren Stadien der katholischen
Exegese.

So ist es nicht verwunderlich, daß Sehn, auch da keine Lust
zur kritischen Unterscheidung zwischen Text und (hypothetischer)
Vorlage zeigt, wo der Text andere dazu anregt, wie in Kap. 4,
Vers 28 f. Die Samariterin begründet hier ihre Vermutung, Jesus
sei der Messias, damit, daß er ihr alles gesagt habe, was sie getan
habe. Dazu paßt nicht, daß Jesus ihr (4, 26) unmittelbar vorher
sich als der Messias offenbart hat. Wenn man auf diese Schwierigkeit
aufmerksam geworden ist, kann man sich freilich mit der
Auskunft helfen, Jesu eigne Aussage wäre für die Samariter nicht
so beweiskräftig gewesen wie der Erweis seines wunderbaren
Wissens. Aber damit trägt man eine psychologische Erwägung in
das Jesus-Bild der Frau - oder des Evangelisten - ein, die dem
Text fremd ist. Die ganze Schwierigkeit verschwindet, wenn man
erkennt, daß in der Vorlage - die Jesus als einen durch Wunder
ausgewiesenen öeto? av!>pto7roi; darstellte -, auf V. 18 sofort V. 27
gefolgt ist: Als Jesus sein wunderbares Wissen offenbart hat, läßt
die Frau ihren Krug stehen und eilt zu ihren Landsleuten. Der
Evangelist aber hat die Gelegenheit benutzt, um das Thema der
rechten Anbetung in V. 19-26 einzufügen, die das Gepräge seines
eigenen Stils (V. 28!) trägt. Selbstverständlich hat man V. 22
später eingeschoben, um die Gleichstellung der Juden mit den
Samaritern und das Versagen beider an der Gottesfrage zu verhindern
.

Auf eine solche Kühnheit hat sich Sehn, nicht eingelassen;
außerdem hätte dieses Ergebnis seinem Programm nicht entsprochen
. Seine Zurückhaltung gegenüber solcher kritischen Wagnisse
entspricht nicht taktischen Überlegungen, sondern seiner eigenen
Uberzeugung.

Wenn sich die evangelische Exegese auch nicht einfach mit der
s*n.s identifizieren wird, so kann sie doch die weitgehenden
Übereinstimmungen mit Sehn, dankbar begrüßen.

Münster/Westf. Ernst Haenchcn

Ricca, Paolo: Die Eschatologie des Vierten Evangeliums. Zürich -
Frankfurt a. M.: Gotthclf-Verlag (1966). 196 S. 8°. DM/sfr. 15,80.
In einer längeren Einleitung (S. 9-62) bespricht der Verfasser
das religionsgeschichtlichc und theologische Problem des 4. Evangeliums
, die Eschatologie des Neuen Testaments überhaupt sowie
den „heutigen" Stand der Debatte um die Eschatologie des Joh.
(A. Schweitzer, Dodd, Bultmann, Corell, Preiß). In drei Kapiteln

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entfaltet er sodann seine eigene Sicht der joh. Eschatologie, nämlich
Kap. 1 „Das eschatologische Ereignis - consummatum est"
(S. 63-129), Kap. 2 „Der Jüngste Tag - et veniet consummatio"
(S. 130-166), Kap. 3 „Das eschatologische vuv - continuum escha-
tologicum" (S. 167-178). Abgeschlossen wird das Buch durch eine
kurze Zusammenfassung (S. 179-180) und ein Literaturverzeichnis
(S. 181-196).

Nach Ricca muß die joh. Eschatologie streng von der Christo-
logie her verstanden werden. Er geht deshalb folgerichtig von den
christologischen Aussagen des Joh. aus. Obwohl aber das eschatologische
Ereignis in Christus bereits Wirklichkeit geworden ist,
behält es eine Zukunft, da für Joh. die Heilsgeschichte nicht aufgehoben
ist, wenn sie auch in dem Menschen Jesus geradezu personifiziert
ist (z. B. S. 152). Deshalb hat Joh. auch die Erwartung
einer zukünftigen Parusie nicht preisgegeben, obwohl „der Kern
der joh. Auffassung der Parusie. . . die Gewißheit (ist), daß
Jesus nie abwesend ist" (S. 165). Die Gegenwart ist bestimmt durch
den Geist, der die eschatologische Tragweite des Christusereignisses
aktualisiert (S. 171); „der Geist ist die Person, welche den zeitlichen
Abstand zwischen den verschiedenen cschatologischen
Epochen aufrechterhält und zugleich ausfüllt und die deren christo-
logische Kontinuität aufzeigt" (S. 172). Für den Menschen ereignet
sich das eschatologische Jetzt im Glauben. „Mit dem Glauben tritt
man ins Eschaton ein auf Grund einer persönlichen Gemeinschaft
mit dem, der das Eschaton verkörpert" (S. 177).

Die Arbeit bietet weniger exegetisch-historische Textanalysen
als vielmehr den Versuch, ein Gesamtbild der joh. Eschatologie
zu entwerfen. Bedauerlich ist, daß die Literatur zum Thema in
diesem 1966 erschienenen Buch nur bis zum Jahre 1961 berücksichtigt
worden ist. Das liegt daran, daß es sich bei ihm um den
offenbar unveränderten Abdruck einer Basler Dissertation handelt
, die im Dezember 1961 abgeschlossen war. Wenigstens der
Abschnitt über den heutigen Stand des Problems hätte kurz fortgeführt
werden sollen. Dieser Mangel hebt freilich m. E. nicht
auf, daß das Buch von Ricca ein beachtenswerter Beitrag zum Gespräch
über die joh. Eschatologie ist.

Grcifswald Traugott H o 1 t z

Schwarz, Hans: Das Verständnis des Wunders bei Heim und
Bultmann. Stuttgart: Calwer Verlag [1967]. 227 S. gr. 8° = Arbeiten
zur Theologie, hrsg. v. Th. Schlatter mit A. Jepsen u.
O. Michel, II. Reihe, Bd. 6. Lw. DM 22,-.

Diese von W. Künneth angeregte Erlanger Dissertation möchte
einen Beitrag zur Theologie des Wunders leisten, indem sie vom
Verhältnis der gegenständlichen Wirklichkeit zur Gottesoffenbarung
sowie von dem Konflikt zwischen Wunderglauben und wissenschaftlicher
Naturerkenntnis handelt. Zunächst wird von den Voraussetzungen
des Wunders gesprochen, indem das jeweilige naturwissenschaftliche
Weltbild, die mit der Betrachtung verbundenen
philosophischen Aspekte und die Bedeutung der Christologie für
das Wunderverständnis dargestellt werden. Dann wird das Wesen
des Wunders beschrieben, indem einerseits das Verständnis der
biblischen Wunder, andererseits die Bedeutung eines Wunder-
creignisses für die menschliche Existenz erörtert werden.

Schon der Aufriß der Untersuchung läßt erkennen, daß der
Verfasser bei der vergleichenden Gegenüberstellung der Theologie
Karl Heims und der Rudolf Bultmanns der ersteren entschieden
den Vorzug gibt. Heim habe gezeigt, daß das Weltgeschehen nicht
als lückenloser Kausalmechanismus gedeutet werden dürfe, der
Weltlauf wesensmäßig unberechenbar sei und daher als Ausfluß
eines persönlichen, d. h. göttlichen Willens betrachtet werden
könne. Sei damit die Denkmöglichkeit der Offenbarung gegeben,
so könne von naturwissenschaftlicher Seite auch die Möglichkeit
oder gar Wahrscheinlichkeit von Wundern zugestanden werden.
Erkennbar und erfahrbar werde das Wunder freilich erst in der
Gottesbegegnung im Gebet. Im Unterschied zu Heim baue Bultmann
auf den naturwissenschaftlichen Anschauungen des 19. Jahrhunderts
auf und mache das Weltverständnis des durchschnittlichen
Menschen zum Kriterium der Gültigkeit eines Weltbildes. Indem
er einen rein subjektiven Wunderbcgrilf vertrete - das eigentliche
Wunder ist die Vergebung der Sünden -, gebe er den Wundergedanken
faktisch preis. Ja, insgesamt könne man zu Bultmanns
Position sagen, „daß seine Prämissen in theologischer Hinsicht
jedem kirchlichen Glaubensbekenntnis widersprechen, das

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 6