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Ausgabe:

1968

Spalte:

412-414

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bornkamm, Heinrich

Titel/Untertitel:

Erneuerung der Einen Kirche 1968

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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den, wobei der Rezensent nur hoffen kann, angesichts der in dieser
Festschrift vorliegenden massierten Gelehrsamkeit nicht unsachgemäß
-willkürlich zu verfahren.
Die Skala des Verhandelten reicht

a) von einem Beitrag zur Konziliengeschichte der Alten Kirche
(Kötting) und Erwägungen zu einer „Geschichte der christlichen
Mission in der Spätantike" (Baus) über

b) mittelalterliche Themen wie das „ius divinum del cardina-
lato (1053-1087)" (Alberigo), Gregor VII (Spörl), Eugen IV und
die Beilegung des Basler Schismas (Bäumer), die Erfurter Universitätsgeschichte
am Vorabend der Reformation (Kleincidam), über

c) allein 33 Aufsätze zur Geschichte des Reformationsjahrhunderts
, innerhalb deren Lortz sich erneut Grundzügen der geistigen
Struktur Luthers zuwendet und Iserloh „Sacramentum et exem-
plum" als ein augustinisches Thema Lutherischer Theologie behandelt
, über

d) Themen der Neuzeit, wie Grotius „papizans" (Repgen), den
Jansenismus (Ceyssens), das Gnadenverständnis des Pietisten
Joachim Lange (Auer), die Vorbereitung des Vatikanum I (Aubert
und Lill) bis hin

e) zu Problemen neuzeitlicher Kirchen- und Dogmcngcschichts-
schreibung (Dolan, Stöhr, Stasiewski). Das für den neuzeitlichen
Katholizismus immer wieder instruktive Thema Staat und Kirche
wird in einem Schlußaufsatz an Nordrhein-Westfalen exemplifiziert
(Mikat).

Es fällt außerordentlich schwer, die beiden dickleibigen Bände
mit einem festgestellten Gesamteindruck aus der Hand zu legen.
Das ist schon deshalb so, weil sich aus manchem der in sich abgeschlossenen
Beiträge eine Theologie abzeichnet, die nicht unbedingt
in dem nächsten oder vorhergehenden Aufsatz eine Entsprechung
, an einem anderen Thema erläutert, erfährt. Der auch
verbotenus zugegebene Pluralismus in der katholischen Interpretation
von Lehrmeinungen drückt sich vielfältig aus, so etwa bei
der Zeichnung des Lutherbildes, das bei vielen Mitautoren durchaus
nicht die von Lortz gesehenen Konturen trägt. (Es gäbe angesichts
dieses Befundes allerdings nichts Unpassenderes als den
schnellen Hinweis evangelischer Theologen auf zutage tretende
Disparathcitcn in einzelnen Aufsätzen. Sic sind noch viel weniger
als ihre katholischen Kollegen im Stande der beati possidentes,
etwa hinsichtlich der Einmütigkeit in der Lutherinterpretation.)

Die Luther gewidmeten Beiträge der Festschrift zeigen, wenn
auch in keinem Falle den Weg nach Wittenberg, so doch eine jahrhundertelang
nicht vorhandene Öffnung für die Zentralfragen des
Reformators. Der Sachgemäßeste Dank für die vorliegende Fundgrube
katholischer Kirchengeschichtswissenschaft wäre eine Aufnahme
dieser deutlichen Bereitschaft zur Mitarbeit an Themen, die
die evangelische Theologie seit der Reformationszeit in Bewegung
gehalten haben. Kaum einer der Festschriftautoren versäumt eine
Beleuchtung der je eigenen Fragestellung durch das II. Vatikanische
Konzil. Es wird viel von Ökumenismus geredet, allerdings noch
nicht in jedem Falle deutlich in Zusammenhang einer Klärung
dieses so mißverständlichen terminus, dem in Zukunft gemeinsame
Bemühungen zu gelten haben.

Es ist sehr auffällig und sei sehr dankbar vermerkt, wie stark
die einzelnen Verfasser von den Fragen und Themen evangelischer
Historiker Kenntnis nehmen und sie weiterführen oder korrigieren
. Das gilt vornehmlich für die Aufsätze von Baus (I, 22 ff.)
und Stöhr (II, 598), die besonders Harnack in den Blick nehmen,
dessen Überwindung ein gemeinsames Unternehmen sein könnte,
wenn auch nicht mit den gleichen Ergebnissen. Letzteres ist schon
deshalb nicht leicht möglich, weil fortgesetzt offenkundig ist, daß
viele Autoren der Festgabe in der unterschiedlichen Ekklesiologic
die Differenz zu den anderen christlichen Gemeinschaften sehen.
Wenn Stöhr für seine Vorschläge zu Modellvorstellungen im Verständnis
der Dogmenentwicklung die Heilige Schrift, die Enzyklika
„Mystici Corporis" (1943) und die „Constitutio dogmatica de Eccle-
sia des Vatikanum II" (1964) - und sei es auch nur in Sachen
gemeinsam für das Reich Gottes verwendeter Bilder - undifferenziert
zusammen nennt (II, 615), so bleiben viele Fragen des Kirchenbegriffs
für evangelisches Verständnis erschwerend im Raum.
„Dogmenentfaltung" und „Lehramt" werden im gleichen Aufsatz in
einer Weise aufeinander bezogen, die zu den gebliebenen Gräben
zwischen römischem Katholizismus und anderen Kirchen gerechnet
werden muß: „Wenn die Dogmenentfaltung als Lebensfunktion des

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Corpus Christi verstanden wird, dann folgt auch, daß kein Organ
davon nur oberflächlich betroffen wird. Deshalb hat z. B. das Lehramt
eine viel aktivere Rolle als Veränderungen des religiösen
Volksempfindens zu registrieren und zu formulieren" (II, 630).
Stasiewski, der zu einer intensiveren Ernstnahme von Studien zur
„Zeitgeschichte" aufruft und die Abstandsuche des Historikers mit
einem Fragezeichen versieht, führt auf seine Weise Kriterien ein,
die weder deutlich noch kontrolliert sind, auch nicht, wenn man
den Kontext des folgenden Satzes befragt, der im Anschluß an
Apoc. 2, 13 auf Gedanken Schliers zurückgeht: „Etwas von dieser
Schau des Apokalyptikers müßte jedem christlichen Forscher der
Zeitgeschichte innewohnen, um die Mythen unserer Tage als unvereinbar
mit dem christlichen Mysterium zu erkennen" (II, 644).

Ob wohl ein evangelischer Rezensent vielen katholischen Autoren
zu nahe tritt, wenn er die Aufsätze von Lortz und Iserloh
abschließend besonders heraushebt? Was Lortz als Maß von Verständnis
für Arbeitsweise und Ergebnisse evangelischer Forscher
zeigt, macht zu gemeinsamer Weiterarbeit Mut: „Daß wir Katholiken
die Bewertungskategorien des Cochläus (die über 400 Jahre
bei uns vorherrschend waren), des großen Denifle und des (übrigens
im Detail beneidenswert versierten) Grisar hinter uns gelassen
haben, .. . darf als bekannt vorausgesetzt werden" (I, 218).
Auf die evangelische Seite bezogen, macht Lortz zur Arbeit an
Luther geltend, was sehr wohl als Wunsch für eine künftige allgemeine
und wechselseitige Verständnisbereitschaft auszuweiten
wäre: „Bei den evangelischen Christen und Theologen ist die Lage
gänzlich verschieden; sie leben seit Generationen von Luther...
Das ergibt von Haus aus, daß sie - wenn ich so sagen darf - in
der lutherischen Haut wie von selbst wohnen, in die wir erst hin-
cinschlüpfcn müssen, um die Dinge von innen zu betrachten, nachdem
wir sie zu lange von außen ansahen" (I, 218). Angesichts des
Streites um das Rechtfertigungsverständnis innerhalb der heutigen
lutherischen Theologie selbst weist Lortz auf seine seit 25 Jahren
vorgetragene These hin, daß Luther mit dem „,articulus stantis
et cadentis ecclesiae' von der Rechtfertigung fidc sola" „eine alte
katholische Lehre wieder entdeckt (sie allerdings für sich und
vereinseitigend neu entdeckt)" habe. Dieses „für sich" fragt sofort
nach der Ekklesiologic, und die ganze These fragt nach dem Verständnis
von Katholizität!

In gleicher Intensität wie Lortz greift Iserloh in die inner-
evangelische Debatte ein (I, 250 f. u. ö.). Sakramentsverständnis
und Worttheologie kommen für Iserloh und Bizer gemeinsam in
den Blick, wenn auch ohne sichtbare Gemeinsamkeit in den Ansichten
.

Die offene Charakterisierung von Schäden der Kirche in einzelnen
Beiträgen der Festgabe ist erstaunlich. Schon deshalb wird
der evangelische Leser nicht darauf aus sein können, die Fehlleistungen
von Vertretern römisch-katholischer Hierarchie - man
vergleiche etwa die Ausführungen über den Münchener Nuntius
Meglia zeitlich vor dem Vatikanum I (Lill, II, 506 u. ö.) - besonders
zu registrieren. Mindestens ebenso wertvoll wie gut fundierte
Ergebnisse vieler Beiträge ist die sich oftmals daraus ergebende
Aussicht, daß hier nichts Abschließendes, sondern katholische
und evangelische Forscher gemeinsam Weiterführendes, das
Gespräch Suchendes in reichem Maße angeboten ist. Für solchen
Pluralismus des Angebots muß herzlich gedankt werden.

Berlin Joachim R o g g c

(Bornkamm, Heinrich:) Erneuerung der Einen Kirche. Arbeiten
aus Kirchcngcschichtc und Konfessionskunde. Heinrich Bornkamm
zum 65. Geburtstag gewidmet, hrsg. v. J. L c 11. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht [1966]. XI, 323 S. gr. 8° = Kirche
und Konfession. Veröffentl. d. Konfessionskundl. Instituts d.
Evang. Bundes, hrsg. v. H. Bornkamm, J. Lell, W. v. Loewcnich,
M. Schmidt, R. Stupperich, W. Sucker, 11. Kart. DM 38,-.
Der Reihe „Kirche und Konfession", in der diese Festschrift
erschien, ist es angemessen, daß sich fast sämtliche Beiträge mit
konfessionskundlichen Themen befassen. Elf der siebzehn Aufsätze
behandeln Catholica. Das Hauptarbeitsgebict des Jubilars,
die Luther- und Reformationsgeschichtsforschung, wird nur in dem
Beitrag von W. Maurer, Ecclesia perpetuo mansura im Verständnis
Luthers (S. 32-45), eingehender berührt. M. zeigt, wie
Luther die Kirche im Widerspruch von Sieg und Niederlage, Heiligkeit
und Sünde in der Bindung an Christus als die bleibende
versteht.

Theologische Litcraturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 6