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Ausgabe:

1968

Spalte:

407-412

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Cullmann, Oscar

Titel/Untertitel:

Oikonomia 1968

Rezensent:

Rogge, Joachim

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407

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 6

408

Leseart bei Rörer zu nehmen -: Noli buchen (pochen?) auff gots
wort, quod dictum sit.... so bedingt offenbar der menschheits-
gcschichtliche Aufrifs, der im Worte Gottes liegt und dessen Richtpunkt
Christus ist, neben einem Gelten von nun auf immer (seit
Christus) auch ein Gelten auf Zeit, ein jeweiliges oder auch vorläufiges
Gelten. Der heilsgeschichtliche Inhalt des Evangeliums
wird auch den Sinn für geschichtliche Unterschiede
wecken. Man wird dem durch Christus begründeten Gelten
für immer zutrauen, daft es auch hier wieder verstehen wird,
Zeiten und Aufgaben zu verteilen, hier wieder, wie wir es oben
kennenlernten, als das Beispiel der Heiligen und unser Verhältnis
dazu in Frage stand, zunächst etwa in Anwendung auf menschliche
Beschäftigungen.

Der Glaube an das Evangelium lehrt uns, das Wort recht zu
„unterscheiden". „Wenn ich mich des wolt annemen, das er (der
Hausvater oder Gott?) eynem andern bevolhen hat, und wolt
sprechen: du hast es doch gesagt, solt er sprechen: das danck dyr
der teuffei, hab es aber dyr nicht gesagt. Man muss eyn gutten
unterscheid machen, wenn das wort einen drifft odder alle zu
. mal" (WA 16, 389, 16). Und irgendwie werden in der durch das
Evangelium gesetzten Ökonomie der Zeiten ihre Stelle, oder jedenfalls
die Wurzel ihrer Bedeutung, ja auch das Römische Reich und
sein Recht oder der Sachsenspiegel haben und alle bedeutsamen
Gesetzgebungen und Verfassungen überall ebenso, und Moses also
auch in diesem Sinne als jüdisches Volksgesetz. Luther lobt ja
auch deren Bedeutung und Aufgabe, wenn auch diese Verbindung
von Naturordnung (besser Geschichtsordnung) und Evangeliumsordnung
bzw. hcilsgeschichtlicher Ordnung bei Luther vielleicht
nicht völlig deutlich herauskommt.

6. Die Abschaffung des mosaischen Gesetzes nach katholischscholastischer
und nach Luthers Auffassung
Hier dürfte noch wissenschaftliche Arbeit zu leisten sein, wie
sich ja auch an dem nicht ausgeglichenen Dissensus zwischen Holl
und Troeltsch bzw. R. Seeberg zeigt. R. Seeberg sagte z. B.: „Mit
dieser Beschränkung der Geltung des alttestamentlichen Gesetzes
auf das Judentum .. . folgt Luther nur dem Vorgang der Scholastik
" *. Schlägt man aber bei Thomas, den Seeberg anführt, nach,
so bläst der Wind bei diesem doch aus einer anderen Ecke. Gewiß

4 R. Seeberg: Lehrbuch der Dogmengeschichte IV.'l, Leipzig 19172, 3, S. 203.

sagt Thomas: „In betreff dessen, was das alte Gesetz von der lex
naturae enthielt, waren alle, nicht nur die Juden, zur Beobachtung
des alten Gesetzes verpflichtet, nicht weil es zum alten Gesetz,
sondern weil es zum Naturrecht gehörte. Aber in betreff dessen,
was das alte Gesetz darüber hinaus gebot, war lediglich das Volk
der Juden dazu verpflichtet." Aber die Begründung ist doch ganz
anders. Thomas sieht in dem Freisein der Heiden vom jüdischen
Gesetz eine Art von Dispens. Die Juden waren gleichsam die
Kleriker und die Heiden die Laien. Das deutet auf eine gewisse
Wahlverwandtschaft zwischen der katholischen Kirche und dem
alttestamentlichen Gesetz. Darüber sogleich noch mehr. Luther
sieht darin wohl eher einen anderen Beruf, wie er ja auch z. B.
die griechische Philosophie (insbesondere Aristoteles) zwar nicht
als Ethik, wohl aber als Logik und Wissenschaft durchaus geschätzt
hat. Und wenn Thomas sagt: Gentiles perfectius et securius salu-
tem consequebantur sub observantiis legis, quam sub sola lege
naturali et ideo ad cos admittebantur, sicut ctiam nunc laici
transeunt ad clericatum et saeculares ad religionem, quamvis
absque hoc possint salvari, so kommt hier der zwischen Mensch
und Mensch unterscheidende Zug der katholischen Ethik zutage.
Es steckt ein klerikales (und auch gesetzliches) Moment darin.
Der Vorzug, von Gott her „auserwähltes Volk zu sein", schillert
nach der Seite einer geistlichen Vorzüglichkeit hinüber, entsprechend
der Idee einer größeren Heilsnähe des Status perfectionis.

Übrigens sei hierbei erwähnt, daft in der Summa des Thomas
die symbolische Ausdeutung des mosaischen Gesetzes, und gerade
des Zeremonialgesetzes, auf Christus und auf uns - in einer zwar
Himmel und Erde mit Bedeutung umspannenden, aber uns doch
gänzlich fremdartigen Weise - einen recht erheblichen Raum beansprucht
. Nein, Mose hat seine Zeit gehabt, sagen wir mit Luther
und versagen Mosi dabei nichts an Ehre und Achtung, die ihm
gebührt.

Aber nun ist der Schlufigedanke ja durchaus klar. Durch die
Aberkennung der bindenden Autorität des Moses rütteln wir nicht
an dem klaren Gotteswillcn, im Gegenteil in keiner Weise - und
davon ist der Zeuge doch das natürliche Gesetz -: „ ,Totus mundus
est meus' (sagt Gott), sed volo lassen ghen in naturlichen gsetz . .."
- „Ubi lex (sc. Mosis) stymmet mit dem naturlichen gsetz, sequitur
naturalem": „. . . quod in naturali non invenimus, et in Mose, ghet
uns nit an" (WA 16, 380, 3; 390, 4).

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

[Cu 11 mann, Oscar:] Oikonomia. Heilsgeschichte als Thema der
Theologie, hrsg. v. F. C h r i s t. Oscar Cullmann zum 65. Geburtstag
gewidmet. Hamburg-Bergstedt: Reich (1967). XI, 394 S. gr.
8°. Beilage: Tabula gratulatoria 24 S. 8°. Lw. DM 40,-

Diesem Bande gesammelter Aufsätze, die 36 Schüler Oscar Cull-
manns ihrem Lehrer zu seinem 65.Geburtstag gewidmet haben
und dem eine umfangreiche tabula gratulatoria beigegeben ist, ist
ein anspruchsvolles Ziel gesetzt: „Es handelt sich", wie der Herausgeber
eingangs formuliert, „nicht um eine .Festschrift' im gewöhnlichen
Sinn . . ., sondern um eine thematisch einheitliche Zusammenstellung
einzelner Aufsätze, die alle die OIKONOMIA Gottes
in der Geschichte zum Gegenstand haben". Damit soll herausgestellt
werden, wie die Richtung heilsgeschichtlichen Denkens,
die Cullmann in diesem traditionsreichen Begriff markiert hat, ihre
allgemeine Fruchtbarkeit nicht nur in den exegetischen, sondern
auch in allen anderen theologischen Disziplinen hat.

Nur ein Aufsatz ist thematisch dem Werk Cullmanns selbst gewidmet
: K. Fröhlich sucht nachzuzeichnen, wie „Kontingenz
und Kontinuität" auch in der Geschichte der Arbeit Cullmanns
selbst kooperieren, sofern sich ihm Einzelthemen, zuerst als solche
aufgegriffen, dann in der weiteren Arbeit aufmerksam festgehalten
, wie von selbst zu Bausteinen einer werdenden Gesamtsicht
gefügt und bewährt haben. Ein Pendant dazu ist die kritische
Würdigung der Theologie R. Bultmanns von W. Rordorf, der
deren strukturelle Nähe zur Gnosis des 2. Jahrhunderts und damit
ihre nur beschränkte Fähigkeit, dem Neuen Testament als ganzem
gerecht zu werden, aufzuweisen sucht. Beide Beiträge zusammen
bilden wohl nicht zufällig die Mitte des Bandes.

Gleichwohl interessanter und fruchtbarer sind diejenigen Beiträge
, die je auf besonderem Fachgebiet die Bedeutung heilsgeschichtlicher
Thematik finden und herausstellen. So etwa der von
M. A. Schmidt, der, anknüpfend an die durch M. D. Chenu
initiierte Fragestellung, darauf hinweist, daft der Aufrift der Summa
des Thomas, soweit er originell ist, durch die Stellung der Lehre
vom Gesetz (I—II qq 90-108) bestimmt ist und die darin zur Wirkung
kommende heilsgeschichtliche Konzeption ihren besonderen
Ort unter den verschiedenen, miteinander im Streit liegenden heilsgeschichtlichen
Theorien des Mittelalters einnimmt. Hervorzuheben
ist außerdem der temperamentvoll geschriebene Aufsatz von
E. Busch, der die Föderaltheologie vor dem oft gegen sie erhobenen
Vorwurf, einer strukturell latenten Neigung, dem foedus
operum gegenüber dem foedus gratiae das eigentlich wirksame
theologische Interesse zugewendet und damit dem Rationalismus
in die Hand gearbeitet zu haben, in Schutz nehmen und zeigen
möchte, daß vielmehr „das dominierende Interesse der Föderal-
thcologie auf die Erfassung des foedus gratiae gerichtet war"
(S. 180) und ihre charakteristische Fragestellung dahin ging, die
wesentliche Geschichtlichkeit des göttlichen Gnadenbundes zu erfassen
, wozu ihr eigens der Begriff der oeconomia dienen sollte.
Die Konsequenz daraus k o n n t e in der historischen Rclativierung
der Religion überhaupt (S. Baumgarten) und in der Ausrichtung
der oeconomia Dei auf die Entwicklung des Menschengeschlechtes
(Scmler, Lessing) liegen: Daft dies aber nicht notwendig war,
zeigt die ganz andersartige Aufnahme und Fortführung der föde-
raltheologischen Tradition in der Erlanger Schule (189 f.). Das sind
bedenkenswerte Thesen, bei denen man sich nur eines wünschte,
daft die Verfasser - wie überhaupt die heilsgeschichtlich denkenden
Theologen - den heute allgemein noch verbreiteten Affekt gegen
die Aufklärung einer kritischen Besinnung aussetzten, um für die