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Ausgabe:

1968

Spalte:

377-378

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Weber, Helmut

Titel/Untertitel:

Sakrament und Sittlichkeit 1968

Rezensent:

Søe, Niels H.

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377

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 5

378

einen methodischen und inhaltlichen Grundfehler, der sie letztlich
in eine Reihe mit traditionellen katholischen Apologien stellt: sie
versucht eine Theologie der nichtchristlichen Religionen zu erstellen
, ohne eine Theologie der Religion zu besitzen. Da das Ergebnis
von vornherein feststeht, kann die theologische Deutungsmethode
- was macht man heute alles mit Geschichte! - nicht überzeugen.
Die Theologie der Religionen ist der beste Weg, um sich einer
wirklichen Begegnung mit ihnen zu entziehen.

Saarbrücken Gert II u m in e I

ETHIK

Weber, Helmut: Sakrament und Sittlichkeit. Eine moralgeschichtliche
Untersuchung zur Bedeutung der Sakramente in der
deutschen Moraltheologie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
. Regensburg: Friedrich Pustet 1060. 430 S.8° = Studien zur
Geschichte der kath. Moraltheologie, hrsg. von Michael Müller,
13. Kart. DM 58,-.

Es handeil sich um eine Habilitationsschrift, die die theologische
l'aku'ltät der Universität Würzburg angenommen bat. Wie der Titel
besagt, ist es eine geschichtliche Untersuchung. Die Arbeit hat
aber eine ganz bestimmte systematische Ausrichtung. Der maßgebende
Theologe ist fürden Verfasser Bernhard Häring, derin vorbildlicher
Weise gezeigt hat, wo der Ort der Sakramente innerhalb
der Moraltheologie sich findet und wie die Sakramente und das re-
'•giös-sittliche Leben nach katholischer Auffassung verknüpft sind.
Die zentrale Frage, die an die hier untersuchten Moraltheologen
gerichtet wird, ist die, ob sie das eigentliche Wesen des Übernatürlichen
so tief verstanden haben, daß sie „die Notwendigkeit
einer seinsmäßigen Veränderung der menschlichen Natur im Sinne
einer entitativen Erhöhung" empfunden haben (S. (iß), oder, was
dasselbe besagt, ob sie verstanden haben, „daß die Wiederherstellung
des Menschen in einer seinshaften Ilmwandlung besteht"'
IS. 115). Oder es handelt sich um eine sakramental vermittelte
Gleichgestaltung mit Christus (S. 426).

Ausdrücklich wird aber hervorgehoben, daß der Mensch im sa-
kramentalen Akt „keine Sache'' empfängt. Es ist eine personale
Begegnung mit Christus. Auch wird «Ins Mißverständnis abge
wehrt, das Sakrament sei zutiefst ein Mittel zur Bewältigung sittlicher
Aufgaben. „Die Feier der Sakramente ist das Leben des
'■bristen selbst; sie ist die Höchstform des religiösen Lebens, nicht
1 Mittel dazu" (S. 429). Und doch geht es eigentlich überall um
die sakramental vermittelte Infusio gratiae. Die Heilsvermittlung
der Kirche vollzieht sich notwendig sakramental. Und man bekommt
den bestimmten Eindruck, daß Verfasser sich insofern mit
einem der am breitesten behandelten Moraltheologen Magnus
Jocham (1808-93) identifiziert, als er mit ihm eine Heilsvermitt-
lung durch bloße Wortverkündigung ablehnen würfle (s. z. Ii.

s 350). Doch wendet er sich gerade gegen Jocham, insofern dieser
eine magische Sakramentsauffassung vertritt (S. 360).

Die Untersuchung fängt mit J. M. Sailer an, d. h. mit seinem
1611 erschienenen dreibändigen „Handbuch der christlichen Mo
l:|l", und schließt mit Jochams „Moraltheologie", 1852-54 veröl
f entlieht, eine Arbeit übrigens, zu der sich B. Häring bereits auf
der ersten Seite seines moraltheologischen Handbuches bekennt.
Außer diesen beiden wird alier eine ganze Reihe von in der prote-
"«ntischen Welt mehr oder weniger bekannten oder auch ganz

"ch unbekannten Moraltheologen studieri und gewürdigt, am aus
Ehrlichsten J. R. Hirscher (1788-1865).

■ Es war eine bewegte Zeit deutscher Moraltheologie, der sich
die vorliegende Untersuchung zugewandt hat", heißt es zusammenfassend
(S. 400). Sailer z. B. gehörte ursprünglich dem Zeitalter
der ausgehenden Aufklärung an, begegnete dann aber dem prote-
8 tan tischen Pietismus und der Mystik. Bei späteren erfolgte «In'
Beeinflussung seitens der romantischen Welle. Und dann fand eine
Hinwendung zur kasuistischen Moral des Liguori statt, aber auch
' ine Wiederbelebung der scholastischen Theologie des Thomas
v"" Aquin. Der Verfasser behauptet indessen, daß die Romantik
den Schlüssel zum Verständnis der damaligen Zeil bilde. Allmäh.
'ich kommt aber die Tradition, die Liguori bestimmt hat, mehr in
den Vordergrund, was ja langsam, bisweilen aber sehr entschieden
, in diesem Jahrhundert anders geworden ist.

Einen protestantischen Theologen mutet dies alles sehr fremdartig
an. Auch wenn er das lutherische „simul justus et peccator"
richtig und nicht vulgärprotestantisch versteht, kann er die ganze
Lehre von einer seinshaften Umwandlung des Menschen durch
den Empfang der sakramentalen Gnade nur ablehnen. Und doch!
Helmut Weber kämpft gegen eine moralistische Anthropozentri-
zität und weist mit allem Ernst auf Gott und Gottes gnadenreiches
Tun hin, ohne in einer magischen Auffassung des sakramentalen
Aktes zu enden. Wir vermögen es wohl nicht, die Sakramente
als Grundlage und Grundform der christlichen Sittlichkeil
herauszustellen, wenigstens nicht in der Weise, wie es hier
geschieht. Eines vermögen wir aber doch wohl: uns durch dieses
Buch ernsthaft befragen zu lassen und nicht zu eilig die ganze
katholische Gnadenlehre wegzuwerfen.

Und dann, nach diesem Sich-Befragen-Lassen, greift man vielleicht
nach den Ausführungen über die katholische Gnadenlehre
in Karl Barths „Kirchliche Dogmalik" IV, 1, S. 89 ff. Barth behauptet
, daß die katholischen Theologen die Gnade „zerspalten '
in verschiedene Formen und Stufen der einen Gnade. Und bisweilen
muß man auch beim Lesen dieses Buches gerade daran
denken. Dann fügt Harth aber hinzu, daß man befürchten müsse,
daß die Katholiken, falls sie statt jenes Zerspaltenen Eines sagen
würden, dieses Eine, für das sie sich dann entscheiden würden,
..eine Lehre vom begnadeten Menschen, von Maria, von den Sakramenten
, von der priesterlich regierten und verwalteten Kirche
sein müßte und würde".

Trifft «las zu, wenn man von Webers Bucli herkommt? Teilweise
ja. Vor allem was die Sakramente betrifft. Aber was kann
gerade Kurl Barth mit den Sakramenten machen? Aber sonst?
Ja und nein. Der begnadete Mensch eben wird aber schließlich
doch eindeutig auf die personale Begegnung mit Christus und auf
sein gnadenreiches Nahesein hingewiesen. Weber will weder eine
mystische noch eine moralistische Lehre vom begnadeten Menschen
verteidigen. „Das Sakrament dient primär der Verherrlichung
Gottes", sagt er in direktem Anschluß und B. Häring: „Sodann
", fährt er fort, werden bei Häring „nachdrücklich die religiösen
Bezüge aufgezeigt: Das Sakrament stellt den Menschen in
das heilsgeschichtliche Schicksal Christi, es läßt den Menschen
Christus begegnen und verbindet ihn mit der Kirche . . . Eine mo-
ralistische Verzweckung der Sakramente ist nicht mehr zu fin
den. Sakrament und sittliches Leben werden in ihrer inneren
Entsprechung und Verknüpfung dargestellt" (S. 419).

Eine fremde Stimme? Sicher, bisweilen sehr fremd, aber doch
die Stimme eines Bruders.

Kopenhagen N. H. S « e

Böekle, Franz, Prof.: Gesetz und Gewissen. Grundfragen theo-
logischer Ethik in ökumenischer Sicht. Luzern-Stuttgart: Räber
Verlag [1966], 96 S. 8° = Begegnung. Eine ökumenische Schriftenreihe
, hrsg. von M. Löhrer u. H. Ott, 0. Kart. DM 6,80.

Eine Niedersehriii von vier Vorträgen, die der gebürtige Schweizer
und jetzige Bonner Moraltheologe 1963 in Basel gehalten und
damit versucht hat, einige zentrale Fragen, die die evangelisch-
theologische Ethik der Gegenwart an die katholische Mpraltheolo-
gie stellt, zu beantworten. Daniii hat der Verfasser eine Aufgabe
Übernommen, die sich auch die neugegründete internationale und
interkonfessionelle Societas Ethica u. a. stellt und in deren Präsidium
der Verfasser vor einem Jahr berufen wurde. „Im ökumenischen
Dialog der Gegenwart wird das Gespräch auffallend spärlich
und leise, wenn die Ethik zu Wort kommen soll" (S. 7). Wie Küng
die reformatorische Rechtfertigungslehre und speziell ihre Ausprägung
und Weiterführung bei K. Barth untersucht und mit der
Scholastik und dem Tridentinum konfrontiert und dabei Unterschiede
und Gleichheiten herausgestellt bat; so unterzieh) sieh der
Verfasser dieser Aufgabe in bezog auf die ethischen Grundfragen,
liihrt dabei die schon bei Küng angeschlagenen Themata der Anthropologie
und Heiligung weiter und kommt wie Küng zu Feststellungen
der Unter.schiedenheit und Gleichheit und vor allein
auch zu Feststellungen der Befruchtung, zur Notwendigkeit gegensei
liger Warnung und zur Forderung des weiterführenden Gespräches
. „Evangelische Freiheit ist kein Libertinismus, und persönlicher
Glaubensgehorsam gegenüber einem konkreten Anruf Gottes
ist kein Subjektivismus, genauso wie eine verbindliche Weisung
durch die kirchliche Autorität noch keinen Legalismus be-