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Ausgabe: | 1968 |
Spalte: | 373-374 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Allgemeines |
Autor/Hrsg.: | Wirsching, Johannes |
Titel/Untertitel: | Gott in der Geschichte 1968 |
Rezensent: | Henschel, Martin |
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Bewußtsein, in der evangelischen Theologie versteckt ebenfalls
zur Stelle. Es ist ja auch kein Zufall, daß Riedlingers Überlegungen
an Gedanken erinnern, die in der evangelischen Theologie des
19. Jahrhunderts im Streit um die Kenose vorgetragen wurden.
Die Positionen von damals geben aufs neue zu denken. Den einsl
gegen jene Kenosentheologie erhobenen Vorwurf einer „vollendeten
Kenose des Verstandes" nicht erneut zu provozieren, dürfte
sich allerdings für Theologen beider Konfessionen auch heule
empfehlen.
Z*rich Itherhard J ü n g e 1
Hirsch lug, Johannes: üolt In der Geschichte. Studien zur
theologiegeschichtlichen Stellung und systematischen Grund
legung der Theologie Martin Kählers. München: Kaiser 1963.
291 S. gr.8D = Forschungen zur Geschichte u. Lehre des Protestantismus
, hrsg. von E. Wolf, 10. Reihe, Bg. XXVI. Kart. DM 18,-.
Verfasser gliedert seine Arbeit, die auf seine Heidelberger Dis
sertation von 1900 zurückgeht, in drei Hauptteile. Teil I „Kählers
Gegenwartsbedeutung" behandelt in einem ersten Zugriff den
1-inlluLi Kählers auf die Behandlung der Problematik von Offenbarung
und Geschichte in der neueren protestantischen Dogmatik
TO deutschen Sprachgebiet. Ks ergibt sich, daß theologische Den.
ker verschiedenster, ja extrem divergierender Ansätze Kühler als
»'inen Vorbereiter gerade ihres Weges ansehen. Diese Vieldeutig
keit ist in der denkerischen Art Kählers selbst angelegt.
Die „stark verschlungenen Fäden" seines Denkens zu entwir
1'macht sich der II. Hauptteii zur Aufgabe: „Kählers theologischer
Ansatz als geschichtliches und sachliches Problem". Die besondere
Schwierigkeit dieser Erörterung ergibt sich aus der grundsätzlichen
, anti-idealistischen Entscheidung Kählers, Theologie
nicht abseits von der Glaubenserfahrung zu betreiben. So reforma-
lorisch legitim dieser Ansatz in der Intention ist, so zeigt Verfasser
'loch mit Recht in einein Vergleich mit Luther die subjektivistisch-
psychologische Verschiebung bei Kähler, derzufolge die theologische
Arbeit — auf der Selbstevidenz des religiösen Erlebnisses
<les Gerechtfertigtseins aufbauend — sich weithin in einem sturmfreien
Gebiet jenseits kritischer Nachfrage vollzieht. Alle wichtigen
Gestalten der Philosophie- und Theologiegeschichte des 19. Jh.
werden daraufhin befragt, wieweit sie zu dem so gearteten perso-
"alisüschen Ansatz Kühlers beigetragen haben. Und schließlich
werden (etwa am Begriff der „Übergeschichte") die sachlichen
Auswirkungen für das anstehende Problem „Gott in der Geschichte"
analysiert.
Der III. Teil trägt die Überschrift „Kählers .kirchliche' Wissenschaft
als methodische Ausgestaltung seines theologischen Ansatzes
". In weit ausgreifenden Erörterungen werden die Tendenzen
und Schranken des Käblerscheu Verständnisses von Wissenschaft
""gemein und seiner „Offenbarungswissenschaft" im besonde-
ren herausgestellt. Ihr apologetischer Grundzug wird wiederum
geistesgeschichrlich eingeordnet.
Die vorliegende Arbeil ist sehr umlassend angelegt; ihr Verfas-
ser zeigt sich ungeheuer belesen. Manchmal ist des Guten zuviel
getan: auf den 270 Textseiten linden sich 2115 Fußnoten: manche
Abschnitte tragen für das Problem sehr wenig oder gar nichts
aus: z. B. der Überblick über die Geschichte des Wissenschaftsbegriffs
(S. 240-272) wäre in diesem Umfang nicht nötig gewesen,
Abschnitt über Wizenmann (S. 130) liegt völlig abseits. Bei der
Darstellung geistesgeschichtlicher Zusammenhänge im II. Teil
macht sich die fehlende Klarheit über den Unterschied zwischen
genealogischer und bloß analogisclier Verwandtschaft abträglich
bemerkbar. Durch die mehr oder weniger in allen Partien
'ehlende Straffheit der Gedankenführung und Beschränkung auf
das Wesentliche wird die Lektüre manchmal recht quälend.
Hinter diesem Mangel scheint noch eine tiefere Unklarheit zu
stecken. Verfasser will mehr geben als nur eine theologiege-
scnichtliche Würdigung Kählers. Er will eine systematische Arbeit
vorlegen, die die modernen Front- und Fragestellungen mit
itn Bück hat. Das ist ein ideales Vorhaben: im Gespräch mit einer
Gestalt der Vergangenheit die Gegenwartsproblematik ein Stück
2U fördern. Aber das ist hier nicht recht gelungen. So ist leider
Weder die theologiegeschichtliche Stellung Kählers und die systematische
Grundlegung seiner Theologie (Untertitel!) in sich grillig
dargeboten — noch zu dem grundlegenden Thema „Gott in der
(,eschichte" (Obertitel) außer vielen kritischen Bemerkungen
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nach allen Seiten hin etwas Förderndes gesagt. Vermutlich wäre
eine weniger umfangreiche, präzisere Aufgabenstellung ertragreicher
gewesen. So ist es etwas schade um den überall zu spürenden
immensen Fleiß.
Was Kähler betrifft, wird man dem Verfasser sicherlich zustimmen
müssen, wenn sein Urteil bei aller Bereitschaft und Mühe.
Kählers Gedanken aus ihren tiefsten Intentionen heraus zu verstehen
und zu würdigen, im ganzen doch sehr kritisch ausfällt.
Pl»ue/Thflr. Martin Henschel
Seemann, Michael, OSB: Heilsgesvueheii und Gottesdienst. Die
Lehre Peter Brunners in katholischer Sicht. Mit einem Geleitwort
von P. Brunner. Paderborn: Verlag Bonifacius-Druckerei
11966]. XV, 215 S. gr. 8° = Konfessionskundl. u. kontroverstheo
logische Studien, hrsg. vom Johann-Adam-Möhler-Institut, XVI.
Lw. DM 16,80.
Der Beuroner Benediktinerpater Michael Seemann legt hier eine
Arbeit vor, die als Promotionsschrift von der Päpstlichen Hoch
schule St. Anselm in Rom angenommen worden ist. Sie setzt sich
mit der Lehre Peter Brunners vom Gottesdienst auseinander, wie
sie in der weitgreifenden und grundlegenden Konzeption in Lei-
lurgia I („Zur Lehre vom Gottesdienst der im Namen Jesu versammelten
Gemeinde", S. 83—364), aber auch in manchen anderen
Veröffentlichungen des lutherischen Autors dargelegt ist. Seemanns
Arbeit ist in vieler Hinsicht beachtlich. Zunächst einmal
zeigt sie einen erfreulich vornehmen Stil der kontroverstheologischen
Gesprächsführung. Sie bemüht sich, dem Partner gerecht
zu werden, den Herzschlag seiner Intentionen zu erspüren und
sich platter vordergründiger Polemik zu enthalten. Peter Brunner
selbst hat in einem Geleitwort (S. XI-XVI) die Redlichkeit
dieses Bemühens bestätigt und zum Ausdruck gebracht, daß er
sich in Seemanns Darstellung gut wiedererkennen könne.
Damit hängt zusammen, daß diese Arbeit sich an die wesentlichen
Punkte herantastet, in denen die lutherisch-katholische
Differenz wurzelt und an denen, wie Seemann abschließend
meint (S. 197), der „Dialog" nun erst beginnen müsse. Es wird
ernsthaft versucht, aus der Sicht der Liturgie-Konstitution des
II. Vatikanums und der modernen katholischen Liturgik die sekundären
Momente traditioneller Hemmungen abzubauen, die liiu-
sichtlich des Gottesdienslverständnisses zwischen den Konfessionen
stehen. Peter Brunner erweist sich hier als besonders geeigneter
Gesprächspartner, da seine Gottesdienstlehre bei aller —auch
von Seemann betonten — lutherischen Grundhaltung eine ökumenische
Offenheit zeigt und besonders für die biblisch gerechtfertigten
Momente der Eulogie und Eucharistie im sakramentalen
Vollzug aufgeschlossen ist. Jedenfalls ist Brunners Position nicht
primär von der Negation katholischer Lehre bestimmt (S. 105),
und das gleiche gilt umgekehrt von dem Bemühen Seemanns.
Gerade dadurch aber kommen die echten Unterschiede ins Blickfeld
.
Es war zu erwarten, daß es im Grunde um die theologische
Wertung des Opfergedankens geht. Wenn Brunner an der katho
tischen Meßopferlehre in gut lutherischer Weise tadelt, daß hier
das Tun Gottes verkürzt werde, so fragt Seemann, ob das Tun
Gottes bei Brunner nicht gerade dadurch verkürzt werde, daß
seine Gabe an uns Menschen nicht in vollem Umfange gesehen
wird (S. 105), und daß die Auswirkung der Gnade in den Reflex
des Lobpreises und des tätigen Handelns hinein zugunsten eines
göttlichen „Monologs" verengert wird. Seemann möchte jeden
falls die katholische Kernthese nicht preisgeben, daß sich im
Abendmahl das Opfer Christi mit dem Opfer der Kirche vereint
(S. 178ff.). Zwar bemüht er sich, die einschlägigen Äußerungen
der Tridentinischen Canones in einer sehr sublimierten Weise zu
interpretieren. Er will nicht von einer Erneuerung des Kreuzesopfers
reden, sondern von einer Epiphanie, einer repraesentatio.
einer kultischen Ausweitung des Einen Opfers Christi in die
kirchliche Feier der Eucharistie hinein. Er will den aklualen Zusammenhang
des Geschehens am Altar mit dem Geschehen auf
Golgatha unterstreichen, der ihm in der lutherischen Sicht zu
kurz zu kommen scheint. Sacramentum dürfe nicht vom sacrili-
cium getrennt werden. „Hier ist ein Opfer, das ganz Sakrament
für die Kirche geworden ist, ein ,sacramentum', das seine Gnadenfülle
nur erahnen läßt, wenn es als ,sacrificium' verstanden
wird, als die liebende, in Zeichen und Wort geoffenbarte, am Kreuz
Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 5