Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1968

Spalte:

367-368

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Ludolphy, Ingetraut

Titel/Untertitel:

Die Voraussetzungen der Religionspolitik Karls V. 1968

Rezensent:

Moeller, Bernd

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

367

Wallfahrt nach Trebnitz, Fackel in der linken Hand, Kruzifix in
der rechten, teil und spendet Almosen, die der rühmenden Erwähnung
wert sind. Die späte Priesterweihe von 1661 versetzt Johannes
Scheffler in eine Art Ekstase. Er ist der erste, der wieder zur
Fronleichnamsprozession auf die Straße tritt. Jetzt schreibt seine
Feder anstatt der Verse des Cherubinischen Wandersmannes die
Serie der populären antilutherischen Traktate.

Der zweite Teil des Reichertschen Buches dient dem inhaltlichen
Referat der 39 Schefflerschen Traktate, die später in seine Eccle-
siologia gesammelt wurden. Da gleich die ersten Traktate lutherische
Erwiderungen fanden, so von dem Leipziger Theologen Al-
berti, nehmen die Schefflerschen Schriften einen dialogischen Charakter
an. Der größte Reiz liegt in der von Reichert gut gekennzeichneten
literarischen Einkleidung der kontroverstheologischen
Argumente. Der erste 1670 niedergeschriebene Traktat erschien
anonym. Scheffler gab sich dabei den Anschein, als ob er noch der
lutherischen Kirche angehöre. Von den Zweifeln, die ihm an der
Katholizität seiner lutherischen Kirche gekommen seien, solle ihn
eine Anfrage bei den lutherischen Fakultäten befreien. Ihrem Ratschlag
wolle er sich fügen. Diese gespielten Gcwissensskrupel, die
freilich im zweiten Traktat mit der Mitteilung, der Autor sei in der
Zwischenzeit katholisch geworden, für beendet erklärt werden,
sind das literarisch reizvollste Stück der Traktatenserie. Dem Leser
des Reichertschen Buches wird hier bewußt, daß die in der
Kontroverstheologie so fruchtbare Literaturgattung der Konvertitenschriften
, die vom Grafen Stolberg und Kardinal Newman zu
Thomas Merton und Louis Bouyer führt, in Scheffler schon einen
großen Vorläufer hat.

Der dritte Teil setzt die im Inhaltsreferat der Schefflerschen
Schriften gelieferten Details zu einem dogmatischen System zusammen
und analysiert die Schefflersche Theologie. Ergebnis ist,
daß im Mittelpunkt des Schefflerschen Denkens die Kirche steht.
Kann die Wahrheit bei verschiedenen Kirchen zugleich sein?
Scheffler antwortet: Nein, die Verheißungen treffen nur auf eine
Kirche zu. Hat man diese gefunden, dann ist alles gefunden. So
kommt es ihm darauf an, die römische Kirche als die wahre auszuweisen
. Reichert hält es den Schefflerschen Argumenten gegenüber
nicht immer für nötig, in eine kritische Auseinandersetzung
einzutreten. Vielleicht ist er zu Recht der Meinung, daß, wenn man
diese nur analysiere, sich das Urteil darüber von selbst verstehe.

Das Reichertsche Buch ist in einer erfreulichen Sauberkeit gearbeitet
. Aber man vermißt eine ganze Dimension, nämlich die Einbettung
der Schefflerschen Argumentation in eine Kontrovers g e-
schichte. Wichtiger als die zeitgeschichtliche und biographische
Einordnung wäre die Bestimmung des Schefflerschen Standortes
in der Kontroversgeschichte gewesen. Der Autor stellt thetisch fest,
Scheffler habe nichts Originales gedacht. Aber inwiefern die Schefflerschen
Argumente unoriginal sind, hätte am Vergleich mit den
von Bellarmin bis Bossuet erstellten kontroverstheologischen Beweisverfahren
erwiesen werden müssen. Sicher isl das Schefflersche
Argument, die evangelische Seite könne, da sie ihre Lehre
ständig variiert habe und jede Einheitlichkeil verlorengegangen
sei, nicht die Wahrheit besitzen, nicht original. Aber auch dieser
Topos katholischer Kontroverstheologie entwickelt sich und nuanciert
sich. Und hat nicht womöglich Reichert selbst dazu beigetragen
, daß in den Schefflerschen Traktaten doch ein originales Moment
erkannt werden kann, nämlich in der ekklesiologischen Konzentration
seiner Beweisführung, wo doch sonst die katholische
Kontroverstheologie in Einzelstücke zerbröckelt war.

Heidelberg Friedrieb II e y t r

L u d o 1 p h y, Ingetraut: Die Voraussetzungen der Religionspolitik
Karls V. Berlin: Evang. Verlagsanstalt u. Stuttgart: Calwer-
Verlag [1965]. 31 S. gr. 8° = Aufsätze u. Vorträge zur Theologie
u. Religionswissenschaft, hrsg. von E. Schott u. H. Urner, 32.

Das Heftchen enthält mehr, als der Titel vermuten läßt. Die Verfasserin
zeichnet ein Bild der Persönlichkeit und Leistung des Kaisers
unter besonderer Beachtung der kirchlich-religiösen Motive
und Handlungen. Sie hebt, im Einklang mit der neueren Forschung
seit Brandi, vor allem die mittelalterlichen Züge hervor — Karl trat
als Vogt der Kirche, nicht im „Bewußtsein höherer Berufung"
(Brandi), gegen die Ketzerei ein, er war „aus leidender Liebe an der
Kirche" in der Weise „der frommen Durchschnittskatholiken"
kirchlichen Reformen zugewandt, aber ohne humanistische Beein-

3Ü8

flussung, von Verständnis für die Reformation war er jederzeit
weit entfernt, was sich in den Zeiten der scharfen Gegnerschaft gegen
die Protestanten, als ihm die Kompromisse immer nur abgerungen
werden mußten, ebenso aussprach wie in der Periode der
Religionsgespräche, als er in der Illusion lebte, die Gegner seien
vielleicht doch nur eine katholische Reformbewegung. Die Arbeil
stößt nirgends in Neuland vor, aber sie spricht durch ihre schlichte
Sachlichkeit an.

GötUngen Bernd M o e 11 • r

PHILOSOPHIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Soe, N. H.: Religionsphilosophie. Ein Studienbuch, übers, von
R. Logstrup. München: Kaiser 1967. 291 S. gr. 8°. DM 20,-; l.w.
DM 24,-.

Man wird sich zur gerechten Würdigung dieses Buches drei Tatsachen
vor Augen halten müssen. Einmal versteht sich diese Religionsphilosophie
als eine theologische Disziplin, „eine Religionsphilosophie
im herkömmlichen Sinne ist sie gewiß nicht" (8). Dadurch
scheidet von vornherein ein breiter Strom der auf die
„Religion" bezogenen Philosophie sowohl im Sinne der Religionsbegründung
wie der Religionskritik aus, es sei denn, daß sie als Gegenstände
der theologischen Beurteilung in den Gesichtskreis aufgenommen
werden. Über weite Strecken ist die Gedankenführung
dann auch nur theologisch, „philosophisch" nur insoweit, als die
alten klassischen Prinzipienfragen wie die der natürlichen Gotteserkenntnis
, von Offenbarung und Vernunft oder die weltanschaulichen
Grenzfragen verhandelt werden. Praktisch kennzeichnet
sich das Buch darum viel mehr als eine Apologetik, wenn das Wort
auch, soviel ich sehe, überhaupt nicht vorkommt.

Die zweite Voraussetzung des Buches ist in der Absicht zu sehen,
„eine Religionsphilosophie nach den Gesichtspunkten abzulassen,
die sich von einem reformatorischen Verständnis des Christentums
m. E. als die einzig richtigen anbieten" (8). Der Verfasser
macht auch keinen Hehl daraus, daß er dieses reformatorische Ver
ständnis mit der Theologie Karl Barths in eins setzt, neben dem
freilich in gebührendem Abstand auch Emil Brunner und Roger
Mehl als Seitenautoritäten in Ansehen stehen. Damit ist also diese
Religionsphilosophie nicht nur auf den Bereich der evangelischen
Theologie beschränkt, sondern sie empfängt überdies ihre dogmatischen
Schranken von ihren dogmatischen Autoritäten: der Offenbarungsbegriff
ist der Schlüssel zu allen Fragen der Gotteserkenntnis
, der Religionsbegriff, der eigentlich ohne Erörterung bleibt,
wird schließlich prinzipiell preisgegeben (210), das Christentum ist
„im Innersten wesensverschieden selbst von den nichtchristlichen
Religionen, die ihm oberflächlich am meisten gleichen" (116), die
ganze Theologiegeschichte erweist sich im ganzen und im einzelnen
in immer neuen Werturteilen als durch Barth überholt.

Als dritte Voraussetzung muß die Selbstbezeichnung des Werkes
als Studienbuch genannt werden; denn sie macht auf den Materialreichtum
aufmerksam, dem man hier begegnet und der in einer
Fülle von Zitaten und Referaten auch dem Kenner manche Belehrung
verspricht, welche der Verfasser selbstlos und in handfester
Lehrhaftigkeit vermittelt.

Das Buch ist in fünf Hauptteile gegliedert. I. „Verschiedene Lösungsversuche
" verhandelt zur Einführung in die Frage des Verhältnisses
von Glauben und (philosophischem) Denken bzw. Wissen
den Thomismus, die lutherische Orthodoxie, als Prototyp heutiger
anglikanischer Religionsphilosophie Alan Richardson, ferner
F. C. Krarup, Anders Nygren und Karl Heim. Diese gewiß etwas
eklektisch gegriffenen Beispiele stellen sich als belehrende Referate
dar, was um so schätzenswerter ist, als manche der genannten
Denker der heute aufwachsenden Theologengeneration schon
in Vergessenheit geraten. Im II. Teil „Die natürliche Gotteserkenntnis
des Menschen" werden nicht nur die traditionellen Gottesbeweise
abgehandelt, sondern auch andere modernere Wege,
wie die über die Werterkenntnis, über die ethische Verpflichtung
und über das „religiöse Erlebnis" kritisch verhandelt. Aus den
dargelegten Voraussetzungenen des Buches ist man nicht überrascht
, daß nicht nur die rationalen Gottesbeweise, sondern ganz
allgemein der Weg der „Religion" einem negativen Urleil verfallen.
Der III. Teil „Die Verständlichkeil der Offenbarung für die Ver-

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 5